Neonazi Wohlleben sagt im NSU-Prozess aus

Nach der Hauptangeklagten Beate Zschäpe brach am Mittwoch im Münchener NSU-Prozess auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben sein Schweigen und gab eine zweistündige Erklärung ab, die er selbst vorlas. Seine Aussage war nicht glaubwürdiger als die Zschäpes eine Woche zuvor. Der ehemaligen NPD-Funktionär, der zu seiner rechten politischen Überzeugung steht, behauptete, er sei nicht schuldig im Sinne der Anklage.

Während Zschäpe der Mittäterschaft bei zehn dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zur Last gelegten Morden, zwei Bombenanschlägen in Köln und mehreren Banküberfällen angeklagt ist, wird Wohlleben der Beihilfe an den Morden beschuldigt. Er soll den drei NSU-Nazis bei der Flucht geholfen, sie anschließend im Untergrund unterstützt und die Mordwaffe besorgt haben.

Nach Darstellung des Mitangeklagten Carsten S., der als Aussteiger aus der rechten Szene bereits zu Beginn des Prozesses eine umfassende Aussage gemacht hatte, soll ihm Wohlleben den Auftrag, die Tatwaffe zu besorgen, und das Geld dafür gegeben haben. Carsten S. sagte aus, er habe die Pistole der Marke Česká, mit der dann neun Migranten und die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen wurden, an die Terroristen übergeben.

Wohlleben bestritt, dass er der Auftrag- und Geldgeber gewesen sei, und beschuldigte seinerseits Carsten S.. Der 40-jährige Neonazi, der seit über 20 Jahren in der rechten Szene führend aktiv ist, stellte sich als Unschuldslamm dar. Er sei schon immer gegen Gewalt bei der Verfolgung politischer Ziele gewesen. In Wirklichkeit seien er und seine Kameraden ständig Opfer staatlicher Verfolgung und der Gewalt „linker Antifaschisten“ gewesen.

Er präsentierte dem Gericht eine Powerpoint-Präsentation, die ausgebrannte Fahrzeuge zeigte, von denen eines sein angeblich von Linken angezündeter Pkw sei. Wohlleben durfte im Gerichtsaal sogar ein Video vorführen, in dem junge Rechte gegen den Kapitalismus grölen. Es sollte beweisen, dass er gewaltfreie politische Aktionen befürworte. „Der Trupp Neonazis auf der Zuschauertribüne, darunter ein früherer Terrorist, wirkte zufrieden“, bemerkte der Tagesspiegel.

Von den Verbrechen des NSU will Wohlleben bis zum Tod von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 nichts gewusst haben. Er bestreitet daher auch, die „steuernde Zentralfigur“ des Unterstützerumfeldes gewesen zu sein, wie ihm das die Bundesanwaltschaft vorwirft. Gleichzeitig gab er aber zu, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bei ihrer Flucht unterstützt und mit ihnen jahrelang Kontakt im Untergrund gehalten zu haben.

Er begründete das mit seiner Freundschaft mit dem Trio, das er seit Mitte der 90er Jahre gekannt habe. Gemeinsam mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer André Kappke habe er die drei womöglich schon 1994 in Thüringen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt kennengelernt. Dort war auch die ermordete Polizistin Kiesewetter aufgewachsen. Man habe ab 1996 viel miteinander unternommen, sei auf politische Veranstaltungen und Demonstrationen gegangen und sei öfter gemeinsam im Urlaub gewesen.

Wohlleben berichtete, er habe 1997 „Schmiere gestanden“, als Böhnhardt und Mundlos bei Jena einen Puppentorso mit gelbem Judenstern an einer Autobahnbrücke aufgehängt und eine Bombenattrappe danebengestellt hätten. Zschäpe sei nicht dabei gewesen.

Er gab auch zu, dass er den drei sein Auto geliehen habe, als sie am 26. Januar 1998 untertauchten. Sie seien erst nach Hannover gefahren, wo damals der in München ebenfalls angeklagte Holger Gerlach wohnte. Unterwegs seien sie von der Polizei kontrolliert, aber nicht festgehalten worden. Schließlich habe der Wagen eine Panne gehabt, und er habe ihn gemeinsam mit einem Freund geholt und zu einer Tankstelle geschleppt. Dort sei er von einem weiteren Kameraden, der Informant des Thüringer Verfassungsschutzes war, abgeholt worden.

Wohlleben berichtete auch, dass er Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach ihrem Untertauchen immer wieder traf. So auch im Mai 2001, als der V-Mann Tino Brandt enttarnt wurde. Dies sei Gesprächsthema zwischen ihm und den beiden NSU-Terroristen gewesen. Wohlleben war zu dieser Zeit stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Thüringen.

Bereits davor, im September 2000, hatte der NSU seinen ersten Mord in Nürnberg verübt, wo der Blumenhändler Enver Şimşek erschossen wurde. Kurz danach folgten drei weitere Morde – an Abdurrahim Özüdoğru (Juni 2001, Nürnberg), Süleyman Taşköprü (Juni 2001, Hamburg) und Habil Kılıç (August 2001, München). Davon will Wohlleben nichts mitbekommen haben.

Wohllebens Aussage verfolgte offensichtlich das Ziel, sich selbst zu entlasten, und nur das zuzugeben, was ohnehin nicht mehr zu leugnen ist. Daher ist sie wenig glaubwürdig. Trotzdem ist bemerkenswert, dass er den Verfassungsschutz schwer belastete.

So machte er für die Radikalisierung der rechten Szene in Thüringen den V-Mann Tino Brandt verantwortlich. Brandt habe nach der Flucht des Trios auch die Unterstützung für dieses organisiert, sagte er und deutete an, dass Brandt, der nach eigener Aussage insgesamt 200.000 DM vom Verfassungsschutz erhielt, das Geld für die Mordwaffe zur Verfügung gestellt habe.

Es sei ihm unerklärlich, sagte Wohlleben, dass der Staat das Trio trotz der vielen Spitzel in der rechten Szene nicht gefunden habe. Aus einer Aussage von Böhnhardt und Mundlos ihm gegenüber schließe er, dass Brandt den Aufenthaltsort der drei gekannt habe. Der Geheimdienst hätte also über seinen V-Mann Brandt die drei untergetauchten Terroristen schnappen können – wenn er es denn gewollt hätte.

Wohllebens Hinweis auf Brandt und den Verfassungsschutz ist ernst zu nehmen, weil auch aus anderen Quellen bekannt ist, dass dieser den NSU eng im Blick hatte. Bislang sind 25 V-Leute im Umfeld des NSU aufgedeckt worden. Ob der Verfassungsschutz auch eine Vertrauensperson im engsten NSU-Kreis hatte, weiß wohl nur Zschäpe selbst, die nachweislich vor ihrem Untertauchen Gespräche mit dem Verfassungsschutz geführt hatte und wenige Stunden nach dem Tod ihrer zwei Freunde am 4. November 2011 mehrfach von einem Handy des sächsischen Innenministeriums angerufen wurde.

Ihre unglaubwürdigen Geschichten können Wohlleben und Zschäpe nur präsentieren, weil sich die Geheimdienste strikt weigern, ihre Akten offenzulegen, die ihre Verbindungen zum NSU dokumentieren dürften. Die Geheimdienste scheinen dabei sakrosankt zu sein. Bislang hat niemand versucht, gerichtlich gegen ihre zahlreichen Vertuschungsaktionen und -manöver vorzugehen.

Der NSU-Prozess ist nun in der Winterpause und wird erst am 12. Januar fortgesetzt. Dann müssen sich sowohl Zschäpe als auch Wohlleben den Fragen des Gerichts und der Ankläger stellen, auch denen der Nebenkläger.

Dies hat Richter Manfred Götzl am Dienstag verkündet. Er selbst stellte der Hauptangeklagten Zschäpe mündlich 55 Fragen, die sie im neuen Jahr beantworten müsse. Ihr Verteidiger Mathias Grasel erklärte erneut, seine Mandantin fühle „sich nach wie vor nicht in der Lage, Fragen selbst zu beantworten“. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass es dabei zu „Missverständnissen“ und dadurch zu „Fehlinformationen“ komme. Er wolle deshalb die Fragen mit (oder für) seine Mandantin schriftlich beantworten.

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