„Aufstehen gegen Rassismus“: ein rechtes Bündnis für Rot-Rot-Grün

Am vergangenen Samstagnachmittag trafen sich wenige Tausend Demonstranten am Berliner Adenauerplatz und rührten die Werbetrommel für eine rot-rot-grüne Regierungskoalition. Die Demonstration fand zwar unter dem Tarnnamen „Aufstehen gegen Rassismus“ statt. Doch das abstoßende Spektakel, das sich dem Zuschauer im noblen Westviertel der Hauptstadt bot, hatte offenkundig nichts mit Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu tun.

Im Gegenteil: Hier versammelten sich die Parteien, Gruppierungen und Gewerkschaften, die für den gegenwärtigen politischen Rechtsruck verantwortlich sind und eine noch schärfere Rechtswende des gesamten politischen Koordinatensystems nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September und den Bundestagswahlen 2017 vorbereiten.

Der Demonstrationszug führte vom Adenauerplatz über den Kurfürstendamm, machte einen Umweg zur Parteizentrale der Alternative für Deutschland (AfD) und endete an der CDU-Zentrale am Lützowplatz. Innensenator Frank Henkel (CDU) nutzte seinerseits die Gelegenheit, um seinen Law-and-Order-Wahlkampf praktisch umzusetzen. Er ließ über 1000 Einsatzkräfte aus Berlin und anderen Bundesländern in der Innenstadt aufmarschieren und strenge Taschenkontrollen durchführen.

Der Verein Naturfreunde, der die Demonstration angemeldet hatte und Teil des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“ ist, rief „alle Menschen, zivilgesellschaftlichen Akteure und Bündnisse, Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kulturschaffenden, Religionsgemeinschaften und Parteien“ auf, sich zu beteiligen. Laut Medienberichten hatte er 10.000 Teilnehmer erwartet, doch vor Ort waren nur etwa 3000 Menschen. Die Angabe der Veranstalter von 6000 Teilnehmern ist deutlich übertrieben.

Das bundesweite Aktionsbündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ war Mitte März gegründet worden, nachdem die rechtsextreme AfD in einigen Landtagswahlen Erfolge verzeichnet hatte. In ihrem Aufruf erklärte das Bündnis: „Überall wo die Rassistinnen und Rassisten von AfD und Co. demonstrieren, sprechen oder auf Stimmenfang gehen, werden wir präsent sein und klar und deutlich sagen: Wir stehen auf gegen Rassismus! Keine Stimme für rechte Hetze!“

Die Liste mit über 200 Personen, die den Aufruf unterzeichnet haben, liest sich wie ein Who is Who des politischen und akademischen Establishments rund um SPD, Linkspartei, Grüne und Gewerkschaften. Im April trafen sie sich in Frankfurt am Main zu einer sogenannten „Aktionskonferenz“ gegen Rassismus, die die World Socialist Web Site als zynischen Betrug charakterisierte.

Die Demonstration am Samstag war eine Fortsetzung dieses Manövers. Unter dem Deckmantel des Kampfs gegen Rechts wird ein neues Regierungsbündnis propagiert, das die Angriffe gegen Flüchtlinge, die Einschränkung demokratischer Rechte und die Beteiligung der Bundeswehr an imperialistischen Kriegen noch schärfer vorantreiben wird als die bisherige Große Koalition.

Die Partei für Soziale Gleichheit tritt als einzige Partei bei den Wahlen für eine sozialistische Perspektive an und warnt in ihrem Wahlaufruf zur Berlin-Wahl vor einem rot-rot-grünen Bündnis:

„Die Berlinwahl gilt als Test, um die Weichen für eine rot-rot-grüne Koalition im Bund zu stellen. Eine solche Regierung wäre kein Fortschritt. 1998 hatten die SPD und die Grünen ein Regierungsbündnis gebildet, um die Bundeswehr wieder in Auslandseinsätze zu schicken und mit der Agenda 2010 Löhne und Sozialleistungen zu senken. Nun soll dieses Bündnis mithilfe der Linkspartei neu belebt werden, um die nächste Runde des Sozialabbaus einzuleiten und dem deutschen Militarismus Bahn zu brechen.

Mit ihrer rechten Politik fördern SPD und Linke gleichzeitig den Aufstieg der AfD. Diese ultrarechte Partei kann sich als soziale Opposition darstellen, weil den herrschenden Eliten niemand von links entgegentritt. Sie schlachtet die Wut und Enttäuschung über die gebrochenen Wahlversprechen der SPD und der Linken für ihre reaktionären Zwecke aus. Ähnlich operieren Marine Le Pen in Frankreich und Donald Trump in den USA. Wer die AfD bekämpfen will, muss mit der SPD und der Linken brechen.“

Die gesamte Ausrichtung der Demonstration bestätigte diese Einschätzung. Sie fand einen Tag vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern statt, bei der die AfD aus dem Stand über 20 Prozent der Stimmen erhielt und hinter der SPD zweitstärkste Partei wurde. Im Wahlkampf hatten sich alle etablierten Parteien mit ausländerfeindlicher Stimmungsmache überboten.

Das soziale Milieu auf der Demonstration entsprach dem heruntergekommenen politischen Programm der dort vertretenen Organisationen. Sie sprechen für wohlhabende Mittelschichten und pseudoradikale Kleinbürger, die von einem Regierungswechsel selbst profitieren wollen. Zwischen den wehenden Fahnen der etablierten Parteien saßen einige Punks und tranken Bier, tummelten sich Vertreter der Piraten, der Antifaschistischen Aktion (Antifa), der stalinistischen DKP und allerhand pseudolinker Organisationen. Man war unter sich. Kaum ein Arbeiter, Angestellter oder Jugendlicher, der über den Aufstieg rechter Tendenzen in Deutschland ehrlich besorgt ist, hatte sich hierher verlaufen.

Die Tatsache, dass die Kundgebung keine Resonanz in der Arbeiterklasse fand, ist nicht Ausdruck verbreiteter rechter oder rassistischer Standpunkte. Die Abwendung der Arbeiterklasse vom gesamten politischen Establishment ist vielmehr Zeichen einer wachsenden antikapitalistischen Stimmung. Immer mehr Arbeiter und Jugendliche erkennen, dass die etablierten Parteien nicht ihre Interessen vertreten, geschweige denn als Kampforganisationen gegen Rechts zu gebrauchen sind.

Zu den Rednern der Kundgebung gehörten Vertreter der drei Parteien – SPD, Linkspartei und Grüne –, Sprecher der Blockupy-Bewegung, der Gewerkschaft ver.di, der globalisierungskritischen Organisation attac und anderer Gruppen. Die meisten Beiträge reduzierten sich auf leere Floskeln über die Situation der Flüchtlinge und oberflächliche Parolen gegen den Rassismus und Sexismus der AfD.

Die zaghafte Kritik an der Flüchtlingspolitik der anwesenden Parteien, die der eine oder andere Sprecher äußerte, wirkte im Rahmen der gesamten Werbeveranstaltung für ein rot-rot-grünes Bündnis grotesk. Internationale politische Fragen wie die Kriege im Nahen Osten oder der Rechtsruck in anderen europäischen Ländern kamen so gut wie nicht vor.

Von links: Susanne Kitschun, Clara Hermann und Elke Breitenbach

Die Kandidatinnen zur Berliner Landtagswahl Susanne Kitschun (SPD), Elke Breitenbach (Die Linke) und Clara Hermann (Grünen) präsentierten sich gemeinsam auf der Tribüne und zeigten Geschlossenheit. Alle drei kennen sich bestens im Sumpf der Berliner Landespolitik aus. Kitschun wurde 2006 nach fünf Jahren Lokalpolitik in Friedrichshain-Kreuzberg ins Abgeordnetenhaus gewählt und war damit direkt mitverantwortlich für die Sozialangriffe des rot-roten Senats. Seit 2011 ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Berliner SPD. Auch die junge Grünen-Kandidatin Hermann ist seit 2006 im Abgeordnetenhaus vertreten.

Die Dritte im Bunde, Elke Breitenbach, sitzt schon seit 2003 für die Linkspartei (bzw. ihre Vorgängerin PDS) im Abgeordnetenhaus. Sie war folglich an der gesamten Politik des rot-roten Senats beteiligt, der von 2002 bis 2011 die Berliner Regierung bildete und in der Hauptstadt einen beispiellosen Sozialkahlschlag veranstaltet hat. Breitenbach ist stellvertretende Vorsitzende der Berliner Linken und gehört zu denjenigen, die im „Kampf“ gegen Rassismus auch die CDU gerne mit an Bord hätten.

Im Juli unterzeichnete Breitenbach als Vertreterin der Linken den sogenannten „Berliner Konsens“, eine „öffentliche Erklärung der Berliner demokratischen Parteien SPD, CDU, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke, Piratenpartei und FDP“. Das Papier, das u.a. auch vom regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und dem rechtslastigen Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) unterzeichnet wurde, beginnt mit einer zynischen Lüge: „Berlin hat in den letzten Jahren Zehntausende vor Krieg und Verfolgung geflüchtete Menschen mit viel Engagement aufgenommen.“

Tatsächlich hat der Berliner Senat mit Unterstützung der unterzeichnenden Parteien die Flüchtlinge in Massenunterkünfte gepfercht und das Recht auf Asyl eingeschränkt, um die Menschen rasch abschieben zu können. „Viel Engagement“ zeigten nicht die Parteien, sondern die Berliner Bevölkerung, die sich für die Flüchtlinge einsetzte!

Das Papier behauptet weiter, es sei in Berlin „gute Tradition, dass demokratische Parteien gemeinsam gegen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus einstehen“, und man habe sich auf ein „gemeinsames Vorgehen“ gegen Rechtsextremismus geeinigt. Hinter dem angeblichen „Berliner Konsens“ gegen Rechts verbirgt sich in Wirklichkeit ein rechter Konsens aller bürgerlichen Parteien, einschließlich der Linkspartei, dass man angesichts der wachsenden sozialen Ungleichheit enger gegen die Arbeiterklasse zusammenrücken muss.

Auf der Kundgebung warben die drei Vertreterinnen von SPD, Linkspartei und Grünen dann auch mit allerlei allgemeinen sozialen Phrasen für eine rot-rot-grüne Regierung. Kitschun von der SPD nannte ein gemeinsames Bündnis „eine schöne Option“. Breitenbach erklärte, „eine neue Koalition kann und muss eine Politik gestalten, die die Vielfalt und Buntheit dieser Stadt aufrechterhält und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt“. Vor der Tribüne nickten freundlich die Parteikollegen Petra Pau und Klaus Lederer.

Die Linkspartei spielt in der gegenwärtigen politischen Situation eine Schlüsselrolle für die deutsche Bourgeoisie. Sie greift „Fragen der sozialen Gerechtigkeit“ auf und bemüßigt Antikriegsrhetorik, wenn es darum geht, die Wut der Arbeiterklasse auf die etablierten Parteien in die Irre zu führen. Gleichzeitig lässt sie immer deutlicher die pseudolinken Hüllen fallen und bietet sich den anderen Parteien ganz offen als Partner in der Innen- und Außenpolitik an.

Der Wahlkampf der Berliner Linken ist geprägt von dieser doppelten Funktion. Während die Linkspartei in einigen Abschnitten ihres offiziellen Wahlprogramms soziale Forderungen aufstellt, wirbt sie nur wenige Seiten später offensiv für eine Aufrüstung der Polizei und der Sicherheitskräfte.

Im Abschnitt „Mehr Sicherheitspersonal statt mehr Videoüberwachung“ heißt es: „Eingreifen können in kritischen Situationen nur Menschen.“ Die Linke schlage deshalb vor, „insbesondere in Bussen und Bahnen sowie auf Bahnhöfen im öffentlichen Nahverkehr mit zusätzlichem Personal für Sicherheit zu sorgen.“ Es brauche eine „fundierte Ausbildung und Ausstattung“ der Polizei und die „Arbeitsbedingungen der Polizistinnen und Polizisten“ müssten verbessert und mehr Personal eingestellt werden.

Mit dem Ruf nach mehr Polizei beendete auch der frühere Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi seine Rede auf der offiziellen Wahlkampfauftaktveranstaltung der Linkspartei auf dem Hermannplatz in Neukölln kurz vor Beginn der Demonstration. Im Zentrum von Gysis Rede stand neben einem Plädoyer für Rot-Rot-Grün die Forderung nach einer aggressiveren und stärker auf die eigenen imperialistischen Interessen ausgerichteten Außenpolitik – vor allem gegenüber den USA.

Die rasante Rechtswende der Linkspartei vor allem auch in der Kriegs- und Flüchtlingsfrage führt zu Unruhe in den Reihen der pseudolinken Gruppierungen, die verzweifelt darum bemüht sind, die Linke als „antikapitalistische“ oder gar „revolutionäre“ Alternative zu verkaufen. Einige Antifa-Gruppen und die pseudo-trotzkistische Organisation RIO sahen sich deshalb gezwungen, auf der Demonstration Flugblätter zu verteilen, die nicht nur den „Rassismus der AfD“, sondern auch den von „CDU-SPD-Grüne-Linke“ thematisieren. Ihre plumpe Parole: „Kämpfen lohnt sich!“

Dieser allgemeine Aufruf zum „Kampf“ verfolgt nicht das Ziel, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen. Vielmehr ist er eine Einladung an angeblich linke Strömungen innerhalb der Linkspartei und der Gewerkschaftsbürokratie zur noch engeren politischen Zusammenarbeit. In ihrer Erklärung zur Berlinwahl ruft RIO dazu auf, eine „Front der antikapitalistischen Linken“ zu schaffen. Wie breit diese Front im Zweifelsfall sein kann, machte die Gruppierung bereits in früheren Artikeln deutlich. In einem Beitrag für das Linksparteiblatt Neues Deutschland nennt das RIO-Mitglied Wladek Flakin selbst den Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel sowie Familienministerin Manuela Schwesig als Partner für „gemeinsame Aktionen“.

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