Nach Berliner Anschlag: Schärfere Gesetze gegen Flüchtlinge

Keine drei Wochen nach dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt haben sich Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auf eine Reihe von Gesetzesverschärfungen geeinigt, die in erster Linie Flüchtlinge und Migranten treffen. Geplant ist eine drastische Ausweitung der Abschiebehaft, die Verschärfung der Residenzpflicht für Asylbewerber und die Einführung der Fußfessel für so genannte „Gefährder“.

„Der wehrhafte Rechtsstaat ist die beste Antwort auf den Hass der Terroristen“, erklärte Maas auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Beratungen mit de Maizière. Die beiden Ressortleiter hatten zuvor Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhalten, die am Montag angekündigt hatte, die Regierung werde schnell Konsequenzen ziehen und in Fragen der inneren Sicherheit „wirklich Flagge“ zeigen. Tatsächlich laufen die jetzt geplanten Gesetzesverschärfungen auf eine Aushöhlung demokratischer Grundsätze hinaus und ebnen den Weg zu einem Gesinnungs- und Feindstrafrecht.

Insgesamt haben sich Maas und de Maizière auf neun Maßnahmen verständigt.

Die Einschränkung der Abschiebehaft für ausreisepflichtige Ausländer, bei denen die Abschiebung innerhalb von drei Monaten nicht durchzusetzen ist, wird aufgehoben. Damit kann zukünftig faktisch jeder abgelehnte Asylbewerber bis zu 18 Monate hinter Gittern landen, obwohl er keine Straftat begangen hat.

Auch der „Ausreisegewahrsam“, eine Form der Internierung, die auf richterliche Anordnung erfolgt, um die Deportation von Flüchtlingen sicherzustellen, wird von bislang vier auf zukünftig bis zu zehn Tage verlängert. Zudem soll dieses Instrument, das erst im Juli 2015 geschaffen wurde, viel stärker zum Einsatz kommen. So sollen nach dem Willen von de Maizière in unmittelbarer Nähe von Flughäfen zahlreiche „Ausreisezentren“ entstehen. Dort werden in „Ausreisegewahrsam“ genommene Flüchtlinge dann gesammelt und abgeschoben.

Noch viel einschneidender ist aber die Einführung eines neuen Grundes für die richterliche Verhängung der Abschiebehaft. Bislang konnte die juristisch als „Sicherungshaft“ bezeichnete Abschiebehaft nur dann angeordnet werden, wenn ein Ausländer ausreisepflichtig war und sich nachweislich der Ausweisung und Abschiebung entziehen wollte. Demnächst soll dafür alleine die Vermutung reichen, dass jemand eine „Terrorgefahr“ ausstrahle oder eine „erhebliche Gefahr für die Sicherheit“ darstelle, wie de Maizière erläuterte.

Gemeint sind sogenannte „Gefährder“, ein Begriff, der nicht gesetzlich verankert ist. Vielmehr geht es um Personen, bei denen Polizei und Geheimdienste die Vermutung äußern, dass von ihnen eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ ausgehen könne, ohne dass tatsächliche konkrete Verdachtsmomente bestehen. Das Bundeskriminalamt zählt angeblich rund 550 solcher „Gefährder“, von denen aber fast die Hälfte sich gar nicht in Deutschland aufhalten soll. Nur 62 von ihnen sollen tatsächlich ausreisepflichtig sein.

Eingeführt wurde die Kategorie des „Gefährders“ im September 2001 mit den Anti-Terror-Gesetzen des damaligen Innenministers Otto Schily (SPD). Schily hatte im Ausländerrecht die „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ als zusätzlichen Ausweisungsgrund zugefügt. Auf der Grundlager des bloßen Verdachts, terroristische Organisationen zu unterstützen und die Sicherheit zu gefährden, können seither Asylanträge pauschal abgelehnt werden.

Maas und de Maizière treiben dies jetzt auf die Spitze, indem sie die Unschuldsvermutung für Ausländer einfach außer Kraft setzen. Diese können bis zu anderthalb Jahre eingesperrt werden, ohne wegen einer begangenen Straftat rechtskräftig verurteilt oder einer konkreten Straftat verdächtig zu sein.

Geschaffen wird so letztlich ein Feindstrafrecht, dessen Tradition in Deutschland auf den Staatsrechtler Carl Schmitt zurückgeht, der damit die Verbrechen des Nazi-Regimes juristisch abdeckte, und in der Gegenwart seine Parallele im Gefangenenlager Guantanamo der USA auf Kuba findet.

Die Abschiebehaft kehrt damit an ihre historischen Ursprünge zurück. Gesetzlich eingeführt wurde sie in Deutschland erstmals im Mai 1919 in Bayern nach der Niederschlagung der Münchener Räterepublik. Die Abschiebehaft diente damals als Präventivmaßnahme gegen die Betätigung ausländischer Sozialisten, um revolutionäre Aufstände zu verhindern. 1938 wurde die Regelung vom Hitler-Regime wörtlich in die Ausländerpolizeiverordnung übernommen, wo sie das Ende der Nazi-Diktatur überdauerte und bis 1965 in der Bundesrepublik gültig war.

In die gleiche Richtung zielt die Ausweitung der Überwachung von „Gefährdern“ durch die elektronische Fußfessel, die Maas und de Maizière beschlossen haben. Ursprünglich wollte der Justizminister die Anwendung der Fußfessel nur auf Straftäter ausweiten, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt und aus der Haft entlassen worden sind. Doch jetzt wird dieser drastische Eingriff in die persönliche Freiheit auch auf den bloßen Verdacht hin, dass von einer Person eine Gefahr ausgehen könnte, ausgeweitet.

Kriminologen und Juristen bezweifeln jedoch, dass damit überhaupt irgendein Gewinn an Sicherheit zu erreichen sei. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes in Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, sieht in der Fußfessel und der Abschiebehaft für „Gefährder“ sogar einen klaren Verstoß gegen das Grundgesetz. Wörtlich schreibt er im Kölner Stadtanzeiger: „Die präventive Inhaftierung oder Internierung von Gefährdern, die vor dem Gesetz als unschuldig zu gelten haben, lassen sich in einem Rechtsstaat nicht legitimieren. Ob eine entsprechende gesetzliche Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte, bezweifle ich.“

Doch das ficht die Minister für Inneres und Justiz, die Kraft ihres Amtes eigentlich die Verfassung schützen sollen, nicht an, im Gegenteil. Heiko Maas hat bereits im Vorfeld signalisiert, demokratische Grundsätze über Bord zu werfen. Er erklärte, dass „vollziehbar ausreisepflichtige Gefährder so schnell wie möglich abgeschoben werden müssen. Um die Abschiebung von Gefährdern zu sichern, müssen sie in Abschiebehaft genommen werden. Abschiebehaft sollte künftig für Gefährder auch dann verhängt werden dürfen, wenn die Herkunftsstaaten bei der Rückführung nicht kooperieren.“

Weitere beschlossene Gesetzesverschärfungen betreffen die verschärfte Residenzpflicht für Asylbewerber, die falsche Angaben zu ihrer Identität machen. Das betrifft vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge, die auf der Flucht keine Dokumente mitnehmen konnten oder sie auf Druck von Schleusern wegwerfen mussten.

Staaten, die sich weigern, abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurückzunehmen, sollen zukünftig sanktioniert werden, indem ihnen Entwicklungshilfegelder gestrichen oder Visa-Bestimmungen verschärft werden. Maas sagte auf der Pressekonferenz: „Wir müssen die Herkunftsländer viel stärker in die Pflicht nehmen. Den Entzug von Fördergeldern sollten wir nicht ausschließen. Es muss klar sein: Wer nicht kooperiert, der wird sanktioniert.“

Ausdrücklich nicht befasst haben sich die beiden Minister mit den von de Maizière zuvor vorgelegten Plänen, die Sicherheitsbehörden in Deutschland radikal umzubauen, zu zentralisieren und die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufzuheben. Diese in seinen „Leitlinien für einen starken Staat“ aufgebrachten Forderungen bezwecken die Umwandlung Deutschlands in einen Polizeistaat.

Doch auch so wurden Gesetzesverschärfungen auf den Weg gebracht, die demokratische Grundrechte insbesondere für Flüchtlinge und Migranten beseitigen. Das Attentat von Berlin wird systematisch ausgeschlachtet, um Ausländer, Asylbewerber und insbesondere Flüchtlinge aus Nordafrika unter Generalverdacht zu stellen und den Staatsapparat massiv aufzurüsten.

Den Polizeieinsatz während der Silvesternacht in Köln, bei dem Tausende Menschen nur aufgrund ihrer offenbar „nicht-deutschen“ Herkunft kontrolliert und vom Platz verwiesen wurden, begrüßten alle im Bundestag vertretenden Parteien als notwendige Härte gegen angeblich aggressive und gewaltbereite Ausländer.

Im Fall Amri hatten Polizei und Geheimdienste über Monate hinweg engsten Kontakt zum Attentäter und wussten sehr genau über dessen Absichten Bescheid, einen terroristischen Anschlag durchzuführen. Das Attentat, bei dem zwölf Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden, geschah praktisch unter den Augen der Sicherheitsbehörden und der Verdacht drängt sich auf, dass man Amri bewusst gewähren ließ, um eine Reorganisation der Sicherheitsbehörden und eine drastische Einschränkung demokratischer Grundrechte durchzusetzen.

Doch das wird praktisch nirgendwo hinterfragt. Der Grund dafür ist, dass sich alle Parteien einig sind, demokratischer Rechte abzubauen, Überwachung und Polizeibefugnisse auszuweiten und die Sicherheitsbehörden zu zentralisieren. Das gilt nicht nur für die Regierungsparteien, sondern auch für Linkspartei und Grüne.

Nachdem die Grünen-Vorsitzende Simone Peter wegen ihrer Kritik an dem Silvestereinsatz der Kölner Polizei öffentlich demontiert wurde, fordern die Parteispitze nun eine Ausweitung der Videoüberwachung und eine Beschleunigung von Abschiebungen.

Sahra Wagenknecht von der Linkspartei hat derweil die Parolen der rechtsradikalen AfD übernommen und den Zuzug von Flüchtlingen für das Attentat in Berlin verantwortlich gemacht. Wörtlich sagte sie: „Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputtgesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen wäre.“

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