Perspektive

Die New York Times und die Kriminalisierung der abweichenden Meinung

Im medialen und politischen Establishment der USA entwickeln sich aus den Vorwürfen, Russland habe die Präsidentschaftswahl durch „Hackerangriffe“ manipuliert, Forderungen nach einer Kriminalisierung von jeder abweichenden Meinung.

In den ersten Monaten von Trumps Präsidentschaft waren die Vorwürfe, Russland würde sich in die amerikanische Politik einmischen, in erster Linie Teil eines Streits um die außenpolitische Ausrichtung, der innerhalb der herrschenden Klasse Amerikas ausgetragen wurde. Mittlerweile zeigt sich in der antirussischen Kampagne ein Bestreben, jede abweichende Meinung in den USA dem Wirken eines „äußeren Feind“ zuzuschreiben.

In der amerikanischen Presse sind eine Reihe von lachhaften Artikeln erschienen, die angeblich auf Informationen basieren, die der Geheimdienstausschuss des Senats von den Betreibern sozialer Netzwerke zusammengesammelt hat. Der jüngste erschien am Dienstag in der New York Times, die in dieser Kampagne die Hauptrolle spielt. Die Titelstory mit dem Titel „Russen haben amerikanische Wut zur Waffe gemacht: Facebook-Posts in den USA verbreiten Propaganda“ ist reinste politische Propaganda voller unbelegter Äußerungen, wilder Spekulationen und haltlosen Schlussfolgerungen.

Die Times behauptet, Posts in sozialen Netzwerken waren „Wasser auf die Mühlen eines Netzwerks von Facebook-Seiten, das mit einem geheimnisvollen russischen Unternehmen in Verbindung stand. Dieses wiederum hat für den Kreml Propagandakampagnen geführt.“ Die Zeitung behauptet, sie habe hunderte dieser Posts eingesehen und kommt zu dem Schluss: „Eine der mächtigsten Waffen, mit der die russischen Agenten die amerikanische Politik verändert haben, war die Wut, Leidenschaft und die Fehlinformationen, die echte Amerikaner in den sozialen Netzwerken äußern.“

Der Artikel behauptet ohne weiteren Beweis, das nicht namentlich genannte russische Unternehmen würde mehrere Facebook-Seiten unterhalten und kontrollieren, darunter United Muslims of America, Being Patriotic, Secured Borders und Blacktivist.

Der gesamte Ausgangspunkt des Times-Artikels ist absurd. Die Zeitung behauptet, mit Russland verbundene Sites würde über Ärger und Wut berichten und sie dadurch teilen, gleichsam Zwietracht und Streit sähen. United Muslims of America beispielsweise „hat in seinen Posts oft Diskriminierung von Muslimen thematisiert“. Das scheint einem Verbrechen gleichzukommen. Die Urheber und Verbreiter der Posts sind bestenfalls russische Marionetten oder schlimmstenfalls Mitverschwörer. Über einen Trump-Anhänger, der einen Post aus der Gruppe Being Patriotic geteilt hat, schreibt die Times, es „macht ihm nichts aus... unwissentlich ein Rad in der russischen Propagandamaschinerie zu werden.“

Die Behauptungen über russische Manipulationen lesen sich wie die Fantasien eines Menschen mit Verfolgungswahn. Zuvor hatte der Republikanische Senator James Lankford, ein Mitglied des Geheimdienstausschusses des Senats, behauptet, russische Trolle hätten die NFL-Footballspieler aufgewiegelt, die sich während des Abspielens der Nationalhymne auf den Boden gekniet hatten, um gegen Polizeigewalt zu protestieren. Er behauptete, russische „Trollfarmen“ würden „in Amerika Unruhe stiften“.

Der ehemalige hohe FBI-Agent Clint Watts, der vor dem Geheimdienstausschuss des Senats über die russische Einmischung in die Wahl ausgesagt hat und oft von den Medien zitiert wird, kommentierte Lankfords Äußerungen mit folgenden Worten: „Die Russen können sich zurücklehnen und sagen: 'auf beiden Seiten aufdrehen. Die Leute wütend machen.' Und es klappt, Gott, es klappt.“

Diese Behauptungen erinnern an die schlimmsten Methoden der Kommunistenjagd während der McCarthy-Ära. Damals sprach man von kommunistischen Marionetten, heute von russischen Marionetten. Das Magazin GQ veröffentlichte vor kurzem einen Artikel mit einer Bildmontage, in der das „G“ in „Google“ durch Hammer und Sichel ersetzt war – völlig egal, dass die Sowjetunion bereits seit einem Vierteljahrhundert aufgelöst ist. Nach dieser Lesart sind Dissens und Widerspruch kein Ergebnis von inneren Differenzen und sozialen Spannungen sondern Folgen des schändlichen Wirkens einer ausländischen Macht.

Teile des Times-Artikels lesen sich, als kämen sie direkt aus der Feder von Senator Joe McCarthy oder den Akten von J. Edgar Hoover: „Die Russen haben sich scheinbar in vielen amerikanischen Social Media-Plattformen eingenistet und nutzen dieselben Tools zur Verbreitung, mit denen andere Katzenvideos teilen, ihre Fluggastbeschwerde absetzen oder daherschwätzen.“ Der Artikel behauptet, die sozialen Netzwerke müssten von „ausländischen Einflüssen gesäubert werden“.

Und mit welchem Aufwand wurde diese große „verdeckte Propagandakampagne“ angeblich betrieben? Nach Ermittlungen des US-Senat haben russische Unternehmen insgesamt 100.000 Dollar für Facebook-Werbungen der Art ausgegeben, auf die sich die Times bezieht.

Am Dienstag erschien ein weiterer Artikel in der Times mit dem Titel „Google-Untersuchung findet Verbindung zwischen Wahlwerbung und Russland“. Darin heißt es, „vermutlich mit der russischen Regierung verknüpfte Accounts“ hätten Werbung im Wert von 4.700 Dollar geschaltet. Von anderen russischen Internetadressen oder in russischer Währung bezahlt wurde „Werbung mit politischem Material für 53.000 Dollar geschaltet ...“

Diese Summen sind ein Bruchteil dessen, was amerikanische Plutokraten und Vorstandschefs für Wahlkämpfe ausgeben. Clinton und Trump und ihre jeweiligen Unterstützer haben im Wahlkampf etwa 2,65 Milliarden Dollar ausgegeben. Der gesamte Wahlkampf kostete letztes Jahr fast sieben Milliarden Dollar. Doch die russische Regierung fährt angeblich eine massive Unterwanderungskampagne für ein paar hunderttausend Dollar auf Facebook, Twitter und Google!

Wenn die Folgen nicht so ernst wären, könnte man dies alles als lächerlich abtun. Die New York Times betreibt in enger Verbindung mit der Demokratischen Partei und den amerikanischen Geheimdiensten eine kriminelle Kampagne. Sie ist an einer politischen Verschwörung beteiligt, deren Ziel es ist, abweichende Meinungen in den USA zu kriminalisieren und die staatlichen Versuche zu rechtfertigen, vor allem im Internet die freie Meinungsäußerung zu verbieten und zu unterdrücken. Wenn die russische Regierung nur von anderen produzierte Inhalte verstärkt - darunter Videos, die Polizeigewalt und andere Verbrechen zeigen - dann ist der logische Schluss, dass auch das ursprüngliche Material verboten werden muss.

Alle Inhalte oder Artikel, selbst diejenigen der Times, die soziale Unzufriedenheit in den USA thematisieren, könnten von den Russen aufgenommen und weiterverbreitet werden. Diese „ausländische Intervention“ lässt sich nur mit einem Zensur- und Selbstzensurregime aller Medien beenden, eben wie sie in einer Diktatur existiert.

Das Hauptziel der Lügenkampagne um russische Versuche, die öffentliche Meinung in den USA zu manipulieren, ist nicht Russland, sondern die amerikanische Bevölkerung. Die staatlichen Institutionen und die beiden Parteien sind zutiefst diskreditiert und allgemein verhasst. Die Arbeiterklasse braucht die chinesische oder russische Regierung nicht, um zu wissen, dass in der amerikanischen Gesellschaft eine massive Ungleichheit herrscht, dass das politische System von den Reichen kontrolliert wird oder dass die Polizei täglich mit brutaler Gewalt vorgeht.

Die Kontrolle des Internets und die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung darin ist ein grundlegendes strategisches Ziel der herrschenden Klasse in den USA. Das Aufkommen von Onlinekommunikations- und Internetplattformen hat die Kontrolle der großen Medienkonglomerate über die Verbreitung von Informationen gebrochen. Angesichts einer wachsenden Opposition in der Bevölkerung gegen Ungleichheit und Krieg und unter Bedingungen einer sich verschärfenden politischen Krise gilt der Aufbau einer staatlichen Kontrolle über das Internet als drängende Aufgabe.

Google hat damit bereits begonnen. Wie die World Socialist Web Site belegt, haben Veränderungen an Googles Suchalgorithmus, die im April unter dem Vorwand des Kampfes gegen „Fake News“ und der Förderung von „autoritativen Inhalten“ eingeführt wurden, zu einem Rückgang der Weiterleitungen von Google auf die WSWS um fast 70 Prozent geführt. Bei dreizehn anderen linken Websites ist der Traffic um 19 bis 63 Prozent eingebrochen.

Googles Vorgehen ist nur der Anfang. Facebook, Twitter, YouTube und andere Plattformen bereiten ähnliche Maßnahmen vor oder haben sie bereits umgesetzt. Das US-Justizministerium fordert, dass sich die amerikanischen Mitarbeiter der russischen Nachrichtenagentur RT bis zum 17. Oktober als ausländische Agenten registrieren – ansonsten könnten sie verhaftet werden. Diese Maßnahme wird zum Präzedenzfall für Linke und Kriegsgegner, deren Websites und Organisationen gleichsam als Plattformen „ausländischer Feinde“ betrachtet werden, die dann eben geschlossen oder zensiert werden müssen.

Es ist notwendig, die Arbeiterklasse und Jugend gegen diesen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Internet zu organisieren und die Verteidigung demokratischer Rechte mit Widerstand gegen soziale Ungleichheit, Krieg, Diktatur und das kapitalistische System zu verbinden. Überall im Land und auf der Welt brauchen wir Meetings, um offen darüber zu sprechen, was gerade passiert, und um Widerstand dagegen zu mobilisieren. Die WSWS ruft alle Leser auf, die Petition gegen Internetzensur zu unterzeichnen und sich noch heute mit der Socialist Equality Party in Verbindung zu setzen.

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