Europäischer Polizeikongress in Berlin: Politik und Konzerne bereiten Polizeistaat vor

Als am 6. und 7. Februar der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart wurde, tagte unweit des Regierungsviertels der 21. Europäische Polizeikongress. Die räumliche Nähe mag Zufall sein, die zeitliche und inhaltliche Verbindung dieser beiden Ereignisse indes keineswegs.

Während die Parteien hinter verschlossenen Türen das rechteste Regierungsprogramm der Nachkriegszeit ausarbeiteten, das auch eine massive innere Aufrüstung vorsieht, trafen sich am Berliner Alexanderplatz jene Innenpolitiker, Polizeibeamte, Verfassungsschützer, „Sicherheitsexperten“ und Unternehmer, die in den nächsten Wochen und Monaten die Pläne umsetzen werden.

Der Kongress – laut seiner Homepage eine „Informationsplattform für Entscheidungsträger der Polizeien und Sicherheitsbehörden“ und die „größte internationale Fachkonferenz für Innere Sicherheit in Europa“ – wird jährlich von der Monatszeitung des Öffentlichen Dienstes, dem Behörden Spiegel, organisiert. Rund 1500 „Vertreter der Kriminal-, Schutz- und Grenzpolizeien, der Sicherheits- und Nachrichtendienste sowie der Regierungen und Parlamente aus dem In- und Ausland“ nehmen regelmäßig daran teil.

Der diesjährige Kongress fand unter dem Motto „Sicherheit besser vernetzen. Information, Prävention, Repression“ statt. Er umfasste neben Vortragsprogramm, Austausch bei Fachforen und Networking auch eine Ausstellung, bei der die „führenden Hersteller von Systemlösungen“ ihre neuesten Entwicklungen in den Bereichen Überwachung, Ausrüstung und IT-Technik präsentierten. Unter den knapp 90 Kongresspartnern befinden sich mächtige Softwarekonzerne wie Microsoft, IBM, SAP und Esri, Telekommunikationsunternehmen wie Deutsche Telekom und Vodafone, Technologiehersteller wie Dell und Canon sowie Rüstungskonzerne wie Rheinmetall und Heckler&Koch.

Das Programm kreiste um dieselben Themen, die auch den Abschnitt „Ein handlungsfähiger und starker Staat für eine freie Gesellschaft“ im Koalitionsvertrag dominieren. Es ging um die Überwachung und Kontrolle des Internets, die Stärkung der „operativen Fähigkeiten“ der Polizei, flächendeckende Videoüberwachung und die Stärkung und Zentralisierung der Geheimdienste und der gesamten „Sicherheitsarchitektur“.

Günter Krings (CDU), seit 2013 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister, nutzte seine Eröffnungsrede, um für die Digitalisierung der inneren Sicherheit und damit eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu werben.

Krings weiß, wovon er spricht. Er hat selbst die Aushöhlung demokratischer Rechte in Deutschland mit vorangetrieben. So setzte er sich 2011 für die Verlängerung der „Anti-Terror-Gesetze“ ein, forderte wiederholt die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung und plädierte dafür, einen Klarnamenzwang im Internet einzuführen, womit die Nutzung von Pseudonymen in sozialen Netzwerken verboten würde.

Er forderte beim Kongress eine stärkere Zentralisierung und Vernetzung der Cyberabwehr und erklärte, man plane ein „Digitales Haus der Polizei“. Laut der Onlinezeitung heise.de nahm Krings direkt auf die Koalitionsverhandlungen Bezug. Dort habe es in der innenpolitischen Arbeitsgruppe ein „klares Bekenntnis“ zum Ausbau der Videoüberwachung gegeben.

Er lobte das laufende Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz, wo Kameras mit automatischer Gesichtserkennung getestet werden. Obwohl Datenschützer mehrfach Kritik geäußert hatten, behauptete Krings, man dürfe darüber „keine reflexhafte Diskussion“ führen, denn der Einsatz einer Kamera sei „für niemanden eine Freiheitseinschränkung“.

Das Thema „Intelligente Videoanalyse – zukünftiges Instrument für die Polizei“ wurde dann genauer auf einem Fachforum diskutiert, an dem unter anderem der Präsident der Bundespolizei Berlin und Brandenburg und zwei Vertreter des Computerherstellers Dell teilnahmen. Dell-Rechner werden bei dem Pilotprojekt am Südkreuz eingesetzt. Der Lösungsarchitekt Innere Sicherheit von Dell, Martin Grüning, erklärte: „Wir können technisch mehr als wir rechtlich dürfen.“

Grünings Fingerzeig an die Politik verweist auf ein Hauptziel des Kongresses: rechtliche Hürden überwinden, um modernste Technik und internationales Know-How voll und ganz in den Dienst der Aufrüstung zu stellen. Wenn die Dehnung von Paragraphen nicht ausreicht, sind dafür Gesetzesänderungen oder unverhohlene Verstöße gegen Grundrechte notwendig – wie das Südkreuz-Projekt und die Vorratsdatenspeicherung exemplarisch zeigen. Dabei arbeiten Politik, Wirtschaft und Sicherheitsdienste Hand in Hand.

Laut heise.de referierte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), in seiner Rede ausführlich über eine geplante zentralisierte Polizei-IT („Polizei 2020“) und forderte von der Politik die entsprechende Finanzierung ein. Als Vorwand für den Ausbau der Polizei werden der „Kampf gegen Terror“ und organisierte Kriminalität, insbesondere Cybercrime, herangezogen. So verwies Münch auf Kinderpornographie und das Darknet, um sein Plädoyer für die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen.

In seiner Rede warnte er vor „koordinierten Anschlagsversuchen“ und forderte eine effizientere länderübergreifende Zusammenarbeit. Dafür brauche man das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), das 2004 gegründet wurde und als Kooperations- und Kommunikations­plattform von 40 Sicherheitsbehörden fungiert.

„GTAZ & Co.: Zusammenarbeit weiterentwickeln“ lautete dann auch der Titel eines Panels am zweiten Kongresstag, der mit einem Vortrag von Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen begann. Maaßen warnte vor der unkontrollierten „Vernetzung“ im Cyber-Raum, den er als „große sicherheitspolitische Herausforderung“ bezeichnete.

An der Diskussion zum GTAZ waren dann der Vorsitzende des Anis-Amri-Ausschusses, Burkhard Dregger (CDU), und die Vorsitzende des NSU-Ausschusses, Dorothea Marx (SPD), beteiligt. In beiden Untersuchungsausschüssen wird behauptet, dass fehlende Koordination und Versagen der Behörden die Aufklärung der Anschläge verhindert hätten. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die viel beschworene „Zusammenarbeit“ ermöglicht es den Sicherheits- und Staatsbehörden, die zahlreichen Hinweise auf staatliche Verstrickung in die Anschläge zu vertuschen.

Bei einer Diskussionsrunde der Landesinnenminister am Mittag nahmen nicht nur der notorisch rechte CSU-Innenminister Bayerns, Joachim Herrmann, sondern auch SPD-Mann Georg Maier teil, der das Innenressort der thüringischen Landesregierung unter Bodo Ramelow von der Linkspartei leitet.

Ein bedeutendes Thema der Konferenz war die Militarisierung der Polizei. In einem Vortrag mit dem Titel „Wirktechnische Anforderungen bei veränderten Bedrohungslagen“ erklärte Matthias Weber, ein führender Mitarbeiter der Waffenfirma Heckler&Koch: Bei der Bewaffnung „nähern sich die polizeilichen Anforderungen den militärischen immer mehr an“.

Auf der Homepage des Kongresses heißt es dazu: „Dr. Weber verglich u.a. Reichweiten, Treffgenauigkeit und Gewicht von den Waffenkategorien Pistole, Maschinenpistole (MP), Sturmgewehr und Maschinengewehr (MG). In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass es bei H&K tatsächlich schon Anfragen von Polizeieinheiten nach MGs gegeben habe.“

Im Anschluss debattierten die Spitzen der Antiterror-Truppe GSG9 und des österreichischen Pendants Einsatzkommando Cobra über die „Rolle und Zukunft der Spezialeinheiten“. Olaf Linder, Präsident der Bundespolizeidirektion Spezialkräfte und früherer Chef der Spezialeinheit GSG 9, warnte: „Die Zukunft ist nicht einfach, das ein oder andere Szenario wird noch kommen, darauf müssen wir uns vorbereiten.“

An welche „Szenarien“ – Proteste, Streiks, Bürgerkrieg? – Lindner denkt, kann man nur erahnen. Er forderte, sich „national und international“ mehr zu vernetzen, „auch mit den Nachrichtendiensten und dem Militär bis auf die operativ-taktische Ebene“.

Dazu dient bereits der Atlas-Verbund aus 38 europäischen Polizei-Spezialeinheiten, der „durch gemeinsame Übungen ... ein besonderes Vertrauensverhältnis“ schaffe, wie Jerome Fuchs betonte, Chef der GSG9 und seit 2014 auch Vorsitzender des Atlas-Verbunds.

Zwei andere Fachforen machten deutlich, worum es der herrschenden Klasse beim Aufbau eines europaweiten Polizeistaats wirklich geht – nicht um den „Kampf gegen Terror“ oder „organisierte Kriminalität“, sondern um die Unterdrückung der wachsenden sozialen und politischen Opposition in der Bevölkerung und die Vorbereitung auf Bürgerkrieg.

Ein Forum beschäftigte sich mit der „Sicherheit von Großveranstaltungen und öffentlichen Räumen“. Die Einführung gab Shlomi Michael, israelischer Generalmajor a.D. und bis 2015 Polizeichef im Westjordanland. Als Referent war neben Konzernvertretern von Canon, Cognitec Systems (Unternehmen für Gesichtserkennungssoftware) und Dermalog (Entwickler biometrischer Produkte) auch Arik Davidi eingeladen, CEO für Internationale Beziehungen bei „Israel’s Homeland Security“, einem israelischen Thinktank für innere Sicherheit und Militär. Davidi hatte bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften Karriere gemacht und als deren Vertreter auch in Hamburg gelebt.

Beim Forum „Bewältigung von Demonstrationslagen“ trafen sich der ehemalige Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, ein Manager des Technologiekonzerns Esri, ein Generalmajor der Landespolizeidirektion Wien, ein Vorstandsmitglied der Polizeigewerkschaft – und der Polizeidirektor Hamburgs, Hartmut Dudde. Letzterer hat 2017 den brutalen Polizeieinsatz gegen die Anti-G20-Demonstrationen in Hamburg geleitet, der den Charakter einer regelrechten Bürgerkriegsübung trug und mit massiven Angriffen auf demokratische Rechte einherging.

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