Hohe Haftstrafen im Prozess gegen die Gruppe Freital

Am Mittwoch verhängte das Oberlandesgericht Dresden lange Haftstrafen gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“. Es sprach alle acht Angeklagten der Bildung einer terroristischen Vereinigung schuldig und verhängte Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren.

Die acht Mitglieder der Gruppe, darunter eine Frau, sind mittlerweile zwischen 20 und 40 Jahre alt. Sie wurden wegen insgesamt fünf Sprengstoffanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner verurteilt. Alle Anschläge waren im Jahr 2015 in Freital und Dresden im Bundesland Sachsen verübt worden.

Die beiden Anführer der Gruppe, Timo S. und Patrick F., erhielten mit zehn beziehungsweise neuneinhalb Jahren die höchsten Strafen. Damit blieb das Gericht wie bei den anderen Angeklagten nur geringfügig unter dem von der Bundesanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Die Verteidiger von Timo S. und eines weiteren Angeklagten kündigten an, das Urteil anzufechten.

Das Gericht sah als erwiesen an, dass sich die Angeklagten Anfang 2015 bei Demonstrationen gegen Flüchtlinge in Freital kennengelernt und im Anschluss daran in wechselnder Zusammensetzung und Tatbeteiligung die Anschläge verübt hatten. Dazu hatten sie die Gruppe „Bürgerwehr FTL/360“ gegründet, FTL nach dem Autokennzeichen der Stadt, 360 nach der Buslinie, auf der Timo S. und ein weiteres Gruppenmitglied als Fahrer arbeiteten.

Das erste Opfer der Terrorserie war der Freitaler Stadtrat Michael Richter von der Linkspartei, dessen Auto in die Luft gesprengt wurde. Im Verlauf nur weniger Monate zündeten sie selbstgebaute Sprengsätze an einem Parteibüro der Linkspartei sowie an zwei Flüchtlingsunterkünften und überfielen gemeinsam mit Mitgliedern der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“ ein Wohnprojekt von Flüchtlingsunterstützern in Dresden.

Nur durch Zufall wurde bei den Anschlägen niemand schwer verletzt oder gar getötet. Die Bundesanwaltschaft sah als Motiv eine rechte und fremdenfeindliche Gesinnung. Die Freitaler Gruppe habe „ein Klima der Angst“ unter Flüchtlingen und deren Unterstützern schaffen wollen und den Tod von Menschen bewusst in Kauf genommen.

Es war das erste Mal, dass in Sachsen eine rechtsextreme Gruppe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht stand. Sachsen ist seit vielen Jahren dafür bekannt, dass es Rechte und Neonazis schützt und stattdessen deren Gegner verfolgt. Die jahrelange Politik der Landes- und der örtlichen CDU bereitete der terroristischen Gruppe Freital den Boden. In Sachsen regiert seit 1990 die CDU, deren sächsischer Landesverband bundesweit als einer der rechtesten gilt.

In dem östlichen Bundesland fanden die größten rechtsextremen Aufmärsche in der bundesdeutschen Geschichte statt, die neofaschistische NPD erzielte hier mit 9,4 Prozent im Jahr 2004 ihre höchsten Wahlerfolge. Es war auch kein Zufall, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) jahrelang in Sachsen unbehelligt Unterschlupf fand.

Wie beim NSU gibt es auch bei den rechtsextremen Terroristen aus Freital zahlreiche Verbindungen zum Staatsapparat. So soll die terroristische Vereinigung von einem Bundes- und von einem Bereitschaftspolizisten Informationen erhalten haben. Timo S. konnte im August 2015 auf seiner Facebook-Seite Kameraden vor angeblich bevorstehenden Hausdurchsuchungen warnen.

Die sächsische Landesregierung wollte keine Erkenntnisse über die Gruppe gehabt haben. Auf eine Anfrage im Landtag behauptete sie: „Dem LfV [Landesamt für Verfassungsschutz] Sachsen liegen keine Erkenntnisse über tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen einer ‚Bürgerwehr FTL/360‘ vor.“

Dabei agierte die Gruppe Freital ganz offen. Sie traf sich an der örtlichen Aral-Tankstelle, direkt gegenüber der Polizeistation. Hier besprach sie ihre Anschlagspläne. Es ließ sich unschwer erkennen, wes Geistes Kind die Gruppe und ihre Mitglieder waren. Auf Facebook soll die Gruppe für rechtsextreme Bands geworben und mit dem Neonazi Horst Mahler sympathisiert haben.

Die Anwältin Kristin Pietrzyk, die als Nebenklägerin für eines der Opfer auftrat, berichtete in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, die Facebook-Kommentare der Gruppenmitglieder zu den Attentaten läsen sich im Nachhinein „wie eine Aneinanderreihung von Bekennerschreiben“.

In den Facebook-Einträgen sei es nur um „Kanacken“, „Viehzeug“ und „Parasiten“ gegangen. Drei Tage vor dem Anschlag auf ihren Mandanten habe ein Mitglied der Gruppe in einem Chatbeitrag in übelster Weise gegen „widerliche Nigger“ und „eklige Zecken“ gehetzt und gefordert: „Alle töten diese Parasiten!“ Derartigen Äußerungen sei im Chat nie widersprochen worden.

Obwohl die Telefone der Gruppe seit Oktober überwacht wurden, konnte sie noch am 1. November 2015 einen letzten Sprengstoffanschlag begehen.

Erst drei Tage danach sah sich die sächsische Polizei genötigt, in einer Razzia neun Wohnungen zu durchsuchen. Doch nur vier Mitglieder der Gruppe wurden festgenommen, eines sofort wieder freigelassen. Im Februar 2016 erhob die sächsische Staatsanwaltschaft dann nur Klage gegen diese vier, obwohl ihr die anderen Mitglieder der Gruppe durch ihre Ermittlungen bekannt waren.

Sie sollten vor dem Amtsgericht Dresden wegen einzelnen Taten angeklagt werden – dem Einsatz von Sprengkörpern, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Weder die sächsische Polizei noch die Justiz wollten Hinweise auf politische Motive sehen. Von rechtsextremem Terror zu sprechen, lehnten sie rundweg ab. Die führenden Mitglieder der Gruppe bezeichneten sich dagegen in Chats, in denen sie die Taten planten, selbst als „Terroristen“.

Während die mutmaßlichen Terroristen geschützt wurden, sollte der Mandant Kristin Pietrzyk im Prozess vor dem Dresdner Amtsgericht keine Prozesskostenhilfe bekommen, wie diese berichtete. Es habe geheißen, er könne sich ja selbst verteidigen.

Schließlich intervenierte der Generalbundesanwalt und zog das Verfahren zur Schadensbegrenzung an sich. Für Sachsens ersten Terrorprozess musste ein komplett neuer Gerichtsaal in einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft gebaut werden, damit neben der Strafkammer die acht Angeklagten, deren Anwälte sowie die Nebenkläger Platz fanden.

In Freital selbst wurden die Taten der Gruppe wiederholt verharmlost. Der Oberbürgermeister von Freital, Uwe Rumberg (CDU), sprach von Aktionen Einzelner, die man nicht so ernst nehmen solle.

Dirk Jährling, heute AfD-Mitglied und 2015 regelmäßig Redner auf rechten Kundgebungen, betrieb zu dieser Zeit eine Bar im Freitaler Stadtzentrum, in der auch einige der verurteilten Terroristen ein- und ausgingen. Als sie verhaftet wurden, sagte er: „Man soll aufhören, das in eine terroristische Vereinigung zu stecken, das sind Lausbuben gewesen.“

Im Gerichtsaal erklärte der Nachbar des Linken-Politikers Richter, er sei selbst schuld, wenn er Flüchtlingen helfe. Richter lebt mittlerweile in Bayern. Auf ihn war ein weiterer Anschlag geplant. Diesmal sollte er aber bei der Explosion im Auto sitzen.

Anwälte der Angeklagten versuchten, ihre Mandanten als Opfer darzustellen. Sie warfen der Generalbundesanwaltschaft immer wieder vor, an den Angeklagten ein Exempel statuieren zu wollen.

Dem MDR-Magazin exakt zufolge ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden im Zusammenhang mit den Verbrechen der nun verurteilten Gruppe gegen zehn weitere Beschuldigte. Zwei Personen stünden im Verdacht, Mitglied der terroristischen Vereinigung gewesen zu sein, den anderen acht würden Unterstützungshandlungen vorgeworfen. Unter den Beschuldigten seien drei Lebenspartnerinnen der verurteilten Mitglieder der Terrorgruppe sowie der Freitaler NPD-Stadtrat Dirk A.

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