Neonazi-Terrorgruppe in Chemnitz festgenommen

Am Montag hat die Bundesanwaltschaft in Sachsen und Bayern sieben Personen wegen des Verdachts der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung festnehmen lassen. Den Ermittlungen zufolge sollen die zwischen 20 und 30 Jahre alten Männer gemeinsam mit dem bereits am 14. September in Chemnitz festgenommenen Rechtsextremisten Christian K. die Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ gegründet haben. Neben Anschlägen auf Ausländer und politisch Andersdenkende habe diese eine bewaffnete „Aktion“ für den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober geplant und einen rechtsradikalen Umsturz angestrebt.

In einem Pressestatement erklärte die Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft Frauke Köhler, die Kommunikation der Rechtsterroristen belege, „dass die Beschuldigten sich zusammengeschlossen haben, um gewalttätige Angriffe und bewaffnete Anschläge nicht nur auf Ausländer, sondern insbesondere auch auf politisch Andersdenkende zu verüben“. Die Kommunikation belege weiterhin, „dass sich die Beschuldigten bereits intensiv darum bemüht haben, sich Schusswaffen zu besorgen [und] planvoll vorgegangen sind“.

So wisse man, dass „die Übergriffe vom 14. September auf der Schlossteichinsel [in Chemnitz] ein Probelauf hätten sein sollen für eine Aktion, die sie für den 3. Oktober beabsichtigt haben“. Was die Rechtsextremisten „im einzelnen für den 3. Oktober beabsichtigt haben“, wisse die Generalbundesanwaltschaft „derzeit noch nicht“, die Ermittlungen liefen. Die Beschuldigten gehörten „der Hooligan-Szene, der Neonazi-Szene und der Skinheadszene im Raum Sachsen an“ und sähen „sich selbst als führende Personen in der rechtsextremistischen Szene in Sachsen“.

Nach einer Kundgebung der rechtsextremen Bewegung Pro Chemnitz hatten am 14. September Mitglieder einer selbsternannten Bürgerwehr in Chemnitz Migranten und Linke mit Glasflaschen, Quarzhandschuhen und einem Elektroschocker attackiert und unter anderem einem 26-jährigen Iraner eine Platzwunde am Kopf zugefügt. Abgehörte Telefonate und Chatprotokolle lassen nur erahnen, was die Neonazi-Gruppierung für den 3. Oktober plante.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel tauschten sich die Rechtsterroristen in einer Telegram-Chatgruppe mit dem Titel „Planung zur Revolution“ aus und schwadronierten darin von einem gewaltsamen „Systemwechsel“. Um dieses Ziel zu verfolgen, sollten „nur gewaltbereite Leute“ rekrutiert werden. Offenbar versuchten sie auch, an halbautomatische Waffen zu kommen. Die geplante Aktion am 3. Oktober hätte einen „Wendepunkt“ in der deutschen Geschichte darstellen sollen, so die Neonazis laut Spiegel in dem Chat.

Dass die Terrorgruppe eine massive Operation plante, zeigt sich auch daran, dass sie laut Süddeutscher Zeitung „mehr bewirken wollte als der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), die bislang gefährlichste rechte Terrorgruppe in der Bundesrepublik“. Untereinander sollen Mitglieder von „Revolution Chemnitz“ „darüber gesprochen haben, dass sie nicht nur Angst und Schrecken verbreiten wollten wie die NSU-Verbrecher Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, sondern die Gesellschaft ganz umwälzen wollten. Die NSU sei nur eine Stümpertruppe gewesen, blutige Anfänger.“

Vertreter der Bundesregierung und der sächsischen Landesregierung reagierten mit geheucheltem Entsetzen auf die Ereignisse und versuchten, sich als Vorkämpfer gegen rechte Gewalt zu präsentieren. „Von rechtem Terror geht reale und große Gefahr aus. Hooligans, Skinheads und Neonazis schließen sich zu gefährlichen Gruppen zusammen, um mit schweren Gewalttaten Angst und Hass zu verbreiten“, sagte die sozialdemokratische Justizministerin Katarina Barley den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Der sächsische SPD-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig erklärte: „Bei terroristischen Bedrohungen muss der Rechtsstaat schnell und konsequent handeln.“ Die schnelle Reaktion in Chemnitz zeige, dass der Rechtsstaat in Sachsen und im Bund funktioniere. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) prahlte: „Das ist die Realisierung unseres Grundsatzes Null-Toleranz gegenüber Rechtsradikalen und Rechtsextremisten. Und deshalb ist es richtig, dass die Justiz und die Polizei hier ganz konsequent durchgreifen.“

Wen will Seehofer damit für dumm verkaufen? Gerade der CSU-Chef steht wie kaum ein zweiter Regierungspolitiker für die rechte und flüchtlingsfeindliche Politik der Großen Koalition, die die Rechtsradikalen ermutigt und zu ihren Terrorplänen angestachelt hat. Nach den rechtsradikalen Ausschreitungen und Protesten in Chemnitz vor einem Monat, bei denen Neonazi-Schläger eine Hetzjagd auf Ausländer organisiert und dabei auch ein jüdisches Restaurant angegriffen hatten, erklärte Seehofer die „Migrationsfrage“ zur „Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“ und stellte sich offen hinter den braunen Mob. „Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen“, sagte er.

Tatsächlich werfen die jüngsten Entwicklungen erneut ein Schlaglicht auf die engen Verbindungen zwischen Regierung, Staatsapparat und militanten Rechtsextremisten. Vor allem der Verfassungsschutz ist tief im braunen Sumpf verwurzelt und in rechtsextreme Gewalttaten verstrickt. So operierten bereits im Umfeld des NSU, der neun Migranten und eine Polizistin umbrachte, mehrere Dutzend V-Leute von Verfassungsschutz und Polizei. Ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes war sogar während eines Mordes am Tatort anwesend. Der Thüringer Heimatschutz, aus dem sich der NSU rekrutierte, wurde mit Geldern des Verfassungsschutzes aufgebaut.

Das Auftreten der Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ wirft erneut die Frage nach der Rolle des Verfassungsschutzes auf. Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz hatte der noch amtierende Präsident des Inlandsgeheimdienstes Hans-Georg Maaßen geleugnet, dass es überhaupt Übergriffe auf Journalisten, Migranten und Linke gegeben habe. Die Authentizität von Videos, die die Hetzjagden in Chemnitz dokumentieren, stellte er provokativ in Frage. Maaßens Aussagen waren, wie die WSWS schrieb, „eine gezielte politische Provokation, die darauf abzielt, die rechtesten Kräfte in der Regierung und im Staatsapparat zu stärken“. Nun stellt sich ganz direkt die Frage, ob Maaßen damit auch von möglichen Verbindungen des Verfassungsschutzes zu den Rechtsterroristen in Chemnitz ablenken wollte.

Maaßen verfügt selbst über enge Verbindungen in rechtsradikale Kreise. Er ist ein Unterstützer der AfD, die selbst einen neofaschistischen Flügel hat, der in Chemnitz mit den Neonazis marschierte. Maaßen traf sich mehrmals mit AfD-Spitzenpolitikern und sorgte dafür, dass die rechtsextreme Partei und ihre offen rechtsradikalen Unterstützer im Verfassungsschutzbericht nicht genannt werden und stattdessen jeder als „linksextremistisch“ kriminalisiert wird, der gegen die Rechtsextremisten protestiert.

Bislang ist wenig über die Mitglieder von „Revolution Chemnitz“ bekannt. Medienberichten zufolge stand jedoch mindestens eines ihrer Mitglieder, ein gewisser Tom W., bereits vor zehn Jahren als einer der Köpfe der 2008 verbotenen rechtsradikalen Kameradschaft „Sturm 34“ vor Gericht. Wie der SWR bereits im Jahr 2009 berichtete, war mit Matthias Rott einer der Mitbegründer von „Sturm 34“ ein V-Mann des Chemnitzer Staatsschutzes.

Auch im Zuge des Staatsbesuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am vergangenen Wochenende wurden die engen Bande zwischen Rechtsextremisten und dem Staats- und Sicherheitsapparat offen sichtbar. In Berlin und Köln verwendeten Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus Sachsen provokativ den Namen des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt als Decknamen für einen Kollegen.

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