Chemnitz: Neonazi-Terrorgruppe stützte sich auf rechtsextremes Netzwerk

Am vergangenen Wochenende berichtete Der Spiegel in seiner Printausgabe über Ermittlungsergebnisse und Hintergründe der rechtsextreme Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ die Anfang Oktober aufgeflogen war. Nach den bisherigen Untersuchungen der Bundesanwaltschaft plante die Gruppe bewaffnete Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenkende.

Die Auswertung von Internetkommunikation der acht Festgenommen habe ergeben, dass sich die Mitglieder dieser rechtsextremen Terrorgruppe bereits intensiv darum bemüht haben, sich Schusswaffen zu besorgen. Für den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober sei eine bewaffnete „Aktion“ in Planung gewesen. Ziel der Gruppe sei es gewesen, durch Mordanschläge einen rechtsradikalen Umsturz einzuleiten.

„Wenn die Ermittler recht haben, wollten sie mit Gewalttaten sogar die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) übertreffen“, schreibt Der Spiegel und berichtet, dass die meisten der Festgenommenen sich seit vielen Jahren in der Neonazi-Szene bewegen, an rechtsextremen Musikfestivals, Fackelzügen und rechten Aufmärschen teilnehmen, die immer häufiger in enger Zusammenarbeit mit der AfD stattfinden. Einige dieser Rechtsterroristen seien Polizei und Verfassungsschutz seit langem bekannt.

Einer davon sei Tom W. Der Dreißigjährige führte schon vor zwölf Jahren eine Kameradschaft an, die in Mittelsachsen Angst und Schrecken verbreitete. Die aggressive Schläger-Bande nannte sich „Sturm 34“. Der Name stammt von einer SA-Brigade, die während der Nazizeit in der Regionen Mittweida stationiert war. Die sächsische Justiz habe die Ermittlungen über Jahre verschleppt und am Ende die führenden Köpfe der rechtsradikalen Vereinigung „zu milden Bewährungsstrafen“ verurteilt.

Ein wichtiges Detail lässt der Spiegel-Bericht allerdings unerwähnt. Bei der Gründung von „Sturm 34“ war auch der Verfassungsschutz beteiligt.

Der Südwest Rundfunk (SWR) deckte 2009 auf, dass einer der Mitbegründer von „Sturm 34“ der frühere Polizist Matthias Rott war, der für den Verfassungsschutz arbeitete. In Medienberichten heißt es, dass daraufhin das Landgericht Dresden bei der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge, Einblick in die so genannte „VP-Akte“ des Matthias Rott beantragte. Die Akte soll unter anderem Berichte über konspirative Treffen von Rott mit Staatsschutz-Beamten enthalten. Doch das Sächsische Staatsministerium des Inneren habe die Herausgabe der Akte mit dem Hinweis verweigert, es könnten anderenfalls Nachteile für das Wohl des Freistaates Sachsen entstehen.

Obwohl „Sturm 34“ alle Kriterien des Straftatbestandes der Gründung einer kriminellen Vereinigung erfüllte, verurteilte das Landgericht Dresden die Angeklagten nur zu einer Jugendhaftstrafe von drei bis dreieinhalb Jahren. Der Richter begründete das fadenscheinige Urteil damit, dass es ihnen „überwiegend am intellektuellen Inventar“ fehlte. Der Bundesgerichtshof jedoch gab in den darauf folgenden Jahren einer Revision statt und das Landgericht Dresden musste nach langjähriger Verschleppung des Prozesses fünf Rädelsführer, darunter Tom W., nun doch zu – wenn auch sehr milden – Bewährungs- und Geldstrafen verurteilen.

Die ARD-Sendung MONITOR machte auf die enge Verbindung der Rechtsterroristen mit der AfD aufmerksam. In einer Reportage zeigte die Sendung wie mehrere Mitglieder von „Revolution Chemnitz“ Anfang September auf den sogenannten „Trauermärschen“ der AfD gesichtet wurden.

Die Behauptung der Behörden, sie seien vom aggressiven Auftreten der Rechtsterroristen überrascht worden, ist nicht glaubwürdig. Die Landesregierung und die Sicherheitsorgane müssen Informationen gehabt haben. Denn seit 2013 trat ‚Revolution Chemnitz‘ mit einem eigenen Facebook-Profil in Erscheinung. Antifa-Aktivisten haben aufgezeigt, dass schon in der Frühphase der Gruppe auf dieser Facebook-Site eine Grafik gepostet wurde, die offenbar ein Entwurf für ein Gruppenlogo darstellt. Im Hintergrund prangt groß die Zahl ‚34‘ – eine Anspielung auf ‚Sturm 34‘. Im sogenannten ‚Internetatlas 2014‘ des Landesamtes für Verfassungsschutz wurde die betreffende Facebook-Seite ausdrücklich als neonazistisches Internetangebot aus Chemnitz erwähnt.

Eine Verbotsverfügung des Sächsischen Innenministeriums macht deutlich, dass diese Facebook-Seite von der 2014 verbotenen Kameradschaft ‚Nationale Sozialisten Chemnitz‘ (NSC) genutzt wurde. Diese militante Gruppe veranstaltete damals u.a. Schießübungen. Die Website hatte auch im Juli 2017 aufgerufen: „Auf geht's nach Themar“, dem bisher größten Neonazikonzert in Deutschland. Nicht nur sei ein früheres Mitglied von „Sturm 34“ darin involviert gewesen, sondern es soll auch Kontakte zum NSU gegeben haben. „Zu mehreren früheren NSC-Anhängern liegen Hinweise auf Verbindungen zum ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ vor.

Die Behauptung, Revolution Chemnitz sei erst jetzt ins Visier der Ermittler getreten, ist daher völlig unglaubwürdig. Vielmehr zeigt sich immer deutlicher, wie eng die rechtsextreme und rechtsterroristische Szene mit der AfD und dem Staatsapparat verbunden ist.

Der Hooligan-Experte Robert Claus machte in einem Interview mit dem Tagespiegel auf den enormen Umfang und die bereits lange Existenz des rechtsextremen Netzwerkes in Deutschland aufmerksam: „Es gibt ein hochgefährliches braunes Chemnitzer Netzwerk, und das seit Jahrzehnten. In ihm spielt unter anderem die vom Verfassungsschutz beobachtete ‚Identitäre Bewegung‘ eine Rolle.“

Seit Anfang der 90er Jahre sei dieses Netzwerk in Chemnitz und Sachsen aufgebaut worden. Die Hooligan-Gruppe „Hoonara“ (eine Abkürzung für Hooligans, Nazis, Rassisten) sei von Neonazis aus Chemnitz, Zwickau und Erfurt gegründet worden und war bis 2007 eine führende Gruppe in der Region, die zeitgleich mit dem Neonazi-Musik-Label „Blood and Honour“ bestand. Über die Szene in Chemnitz hätten auch Beziehungen zum NSU bestanden. Gruppen lösten sich zwar auf, aber die Mitglieder verschwänden deshalb nicht. Bis heute organisieren sich diese Netzwerke. Es gab immer personelle Überschneidungen zu Gruppen wie den ‚Nationalen Sozialisten Chemnitz‘, die 2014 verboten wurden.

Aus dem Bericht von Robert Claus ergibt sich folgendes Bild: Es gibt kaum rechte Szenen in Deutschland, die so eng verbunden sind und so viel miteinander machen. Die Chemnitzer Hooligan-Szene und die Chemnitzer Kameradschaftsszene waren schon immer ein Paar. Diese Szene ist eng verbunden mit rechten Hools und Ultras aus Cottbus. Sie organisieren gemeinsame Auswärtsfahrten, Kämpfe, Feiern, Angriffe auf politische Gegner.

Die Hooligan- und Neonazi-Kreise in Chemnitz und Cottbus hätten laut der Einschätzung von Robert Claus definitiv auch Kontakte zur Nazi-Partei „III.Weg“ und der Identitären Bewegung, die wiederum enge Verbindungen zur AfD pflegt.

Auch das „Imperium Fight Team“ aus Leipzig sei in Chemnitz gewesen. Dass sich die Mitglieder kennen und vernetzt sind, liegt nahe. „Es stammt aus der rechtsextremen Hooligan-Szene bei Lokomotive Leipzig, unter anderem der Gruppe „Szenario Lok“, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Kämpfer des Gyms spielten auch eine Rolle beim Überfall auf das linke Szene-Viertel Leipzig-Connewitz

Im Spiegel-Bericht heißt es, die rechtsextremen Aufmärsche in Chemnitz Ende August hätten auf die rechten Gruppen „wie ein Brandbeschleuniger“ gewirkt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Was die rechtsextremen Kräfte vor allem stärkte und ermutigte, war und ist die Tatsache, dass führende Politiker der Regierung und Vertreter des Sicherheitsapparats die rechte Szene verharmlosen und die zentrale Parole der Rechten „Ausländer raus!“ zur Maxime der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition gemacht haben.

Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz hatte der noch amtierende Präsident des Inlandsgeheimdienstes Hans-Georg Maaßen geleugnet, dass es überhaupt Übergriffe auf Journalisten, Migranten und Linke gegeben habe. Die Authentizität von Videos, die die Hetzjagden in Chemnitz dokumentieren, stellte er provokativ in Frage. Maaßens Aussagen waren, wie die WSWS schrieb, „eine gezielte politische Provokation, die darauf abzielt, die rechtesten Kräfte in der Regierung und im Staatsapparat zu stärken“. Die jüngsten Erkenntnisse über den Rechtsterrorismus in Chemnitz bestätigen diese Einschätzung in vollem Umfang.

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