Perspektive

Neonazi-Netzwerk in der Polizei

Das Neonazi-Netzwerk in der hessischen Polizei ist offenbar größer, als bisher bekannt.

Bisher richteten sich die Ermittlungen gegen vier Polizisten und eine Polizistin des Frankfurter Innenstadtreviers auf der Zeil, die in einer Chatgruppe Neonazisymbole ausgetauscht haben und verdächtigt werden, für einen Drohbrief an die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz verantwortlich zu sein. Die Anwältin, die unter anderem NSU-Opfer und den widerrechtlich nach Tunesien abgeschobenen Sami A. verteidigte, wird darin übel rassistisch beschimpft und bedroht, man werde ihre zweijährige Tochter „schlachten“. Unterschrieben ist der Fax mit „NSU 2.0“.

Nun meldete die FAZ, dass in Zusammenhang mit dem Neonazi-Netzwerk auch eine Polizeidienststelle im Landkreis Marburg-Biedenkopf durchsucht worden sei und dass es weitere Verdachtsfälle in anderen Präsidien gebe, die zunächst polizeiintern geprüft würden. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag Irene Mihalic, früher selbst Polizistin, fordert eine Untersuchung, ob die Beamten sich bundesweit mit Gleichgesinnten vernetzt hätten.

Politiker jeder Couleur heucheln derweil Überraschung und Empörung, als handle es sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall, und versuchen die Bedeutung der Ereignisse herunterzuspielen.

Peter Beuth (CDU), als hessischer Innenminister für die Polizei verantwortlich, beteuert, „dass Fehlverhalten jeglicher Art, unabhängig davon, von wem es begangen wird, entschieden geahndet wird“. Mathias Middelberg, CDU-Innenpolitiker im Bundestag, warnt davor, die Polizei unter „Generalverdacht“ zu stellen. „Unsere Polizei ist auf dem rechten Auge ebenso wenig blind wie auf dem linken“, sagte er. Er sei sicher, dass die zuständigen Behörden den beunruhigenden Vorwürfen ohne falsche Rücksichtnahme nachgingen.

Auch der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour von den Grünen, die in Hessen gemeinsam mit der CDU regieren, verteidigte die Polizei. Er warnte vor einer „Vorverurteilung“. „Die Arbeit von Tausenden Polizisten, die sich oft bis weit jenseits der Belastungsgrenze einsetzen, darf nicht in Verruf gebracht werden.“

Tatsächlich ist das Vorhandensein rechtsextremer Terrorstrukturen innerhalb des Militär- und Sicherheitsapparats bekannt. Erst im November enthüllte das Nachrichtenmagazin Focus, dass die Terrorzelle um den Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. aus etwa 200 ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldaten besteht und bis in das Kommando Spezialkräfte (KSK) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) hinein reicht.

Die rechtsradikalen Netzwerke werden jedoch von den zuständigen Politikern, Vorgesetzten und Gerichten systematisch vertuscht, beschönigt und gefördert. Hier einige wenige von zahlreichen Beispielen für Rechtsextremismus in der Polizei:

• Der Berliner Polizeikommissar Andreas T. hatte sich ein Hakenkreuz, die Sieg-Rune der SS und die Noten des Horst-Wessel-Liedes auf den Oberkörper tätowieren lassen und in seiner Wohnung gerahmte Fotos von Adolf Hitler und Rudolf Heß aufgehängt. Er wurde deshalb zwar 2007 vom Dienst suspendiert, bezog aber weitere zehn Jahre lang sein volles Gehalt, weil das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass er damit seine Pflichten als Beamter nicht verletzt habe.

• Der Berliner Kripobeamte und Staatsschützer Edmund H. kam mit einer Geldstrafe von 2750 Euro davon und durfte im Dienst bleiben, nachdem er 2014 an 21 Kollegen Weihnachtsgrüße mit Hakenkreuzen, Adolf Hitler im Weihnachtsmannkostüm, den Parolen „Ho-Ho-Holocaust“ und „Sieg-Heil“ sowie einer Hakenkreuz-Fahne verschickt hatte.

• Im engsten Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordete, befanden sich mindestens zwei Dutzend Informanten von Verfassungsschutz und Polizei, deren Rolle nie aufgeklärt wurde und die selbst vor Gericht nicht aussagen durften. Beim Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé war sogar ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, vor Ort. Er wurde vom damaligen hessischen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) geschützt.

• Als die Kölner Polizei ein Jahr nach dem aufgebauschten Skandal der Kölner Silvesternacht 2015/16 systematisch Racial Profiling betrieb und ausländisch aussehende Männer wahllos festhielt und überprüfte, veröffentlichte jetzt, das Online-Magazin der Süddeutschen Zeitung für Jugendliche, ein langes Interview mit einem kritischen Polizisten, der ein verheerendes Bild über den grassierenden Rassismus, den Korpsgeist und die Gewaltbereitschaft der Polizei zeichnete.

Die Eskalation bei der G-20-Demonstration „Welcome to Hell“ in Hamburg sei „ein provozierter Gewaltexzess“ gewesen, auch von Seiten der Polizei. Wenn sich der damalige Hamburger Bürgermeister und heutige Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) „jetzt hinstellt und sagt, dass es keine Polizeigewalt gegeben habe“, halte er das „für ignorant“, sagte der Polizist. Die 30 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten stünden „in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Anzahl an rechtswidrigen Übergriffen“.

Die von der Polizei provozierten Auseinandersetzungen am Rande des G-20-Gipfels bildeten die Grundlage für eine systematische Hetze gegen „Linksextremisten“ und für drakonische Strafen gegen Jugendliche, die nichts weiter getan hatten, als ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen.

• Der Professor für Polizeiwissenschaften Rafael Behr, der an der Polizeiakademie in Hamburg lehrt, bestätigte die anonymen Aussagen des von jetzt befragten Polizisten und erklärte, weshalb solche Zustände in der Regel verborgen bleiben. Hätte der Polizist seine Aussage unter Preisgabe seiner Identität gemacht, so Behr, würde er selbst zum Beschuldigten werden. Er müsste mit einer Verleumdungsklage rechnen, das Beamtenrecht verbiete außerdem die Preisgabe von Interna, die dem Ansehen der Polizei schaden, und er würde aus der Gruppe gemobbt. „Kameradenverrat ist eine Todsünde.“

• Obwohl es darüber wegen des Wahlgeheimnisses keine offiziellen Statistiken gibt, belegen zahlreiche Hinweise, dass überdurchschnittlich viele Polizisten die AfD wählen. Auch unter den Funktionären und Abgeordneten der rechtsextremen Partei finden sich zahlreiche Polizisten.

So war der Fraktionsvorsitzende der AfD im mecklenburg-vorpommerschen Landtag, Nikolaus Kramer, zuletzt Polizeioberkommissar. Er hegt er Sympathien für schlagende Burschenschaften, ist Mitglied der Burschenschaft Gothia und befürwortet Aktionen der Identitären Bewegung. Im Sommer 2017 teilte er in einem internen AfD-Chat ein Foto der Leibstandarte SS Adolf Hitler mit der Aufschrift „Ein schwarzer Block ist nicht grundsätzlich scheiße“.

In Thüringen sitzt der Pressesprecher des Landeskriminalamtes (LKA), Ringo Mühlmann, seit zwei Jahren im AfD-Landesvorstand. Der Solinger Polizeikommissar Dietmar Gedig ist stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Alternative in Nordrhein-Westfalen. Er sorgte für Aufsehen, als er Bundeskanzlerin Merkle als „wahnsinnig“ und „kriminell“ bezeichnete.

Man könnte diese Liste endlos fortsetzen.

Die starken rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Polizei und deren massive Präsenz innerhalb der AfD lassen sich nicht durch individuelle Motive erklären, wie den Hang von Polizisten zu Recht und Ordnung. Sie werden von Politik, Medien und Staat systematisch gefördert und vertuscht, weil die herrschende Klasse angesichts wachsender sozialer Spannungen, internationaler Konflikte und wirtschaftlicher Verwerfungen zu den Herrschaftsmethoden der 1930er Jahre zurückkehrt. Sie kennt auf die Zunahme des Klassenkampfs keine andere Antwort als Repression und Diktatur; auf die globalen Rivalitäten keine andere als Militarismus und Krieg.

Das ist ein internationales Phänomen. In den USA lässt Präsident Trump an der mexikanischen Grenze die Armee gegen wehrlose Flüchtlinge aufmarschieren. In Frankreich hat Präsident Macron 90.000 schwerbewaffnete Einsatzpolizisten gegen die Proteste der Gelbwesten eingesetzt. In neun europäischen Ländern sitzen die Rechtsextremen bereits in der Regierung, in Frankreich sind sie größte Oppositionspartei. In der Türkei, Ägypten, Russland und zahlreichen anderen Ländern nimmt die politische Repression immer brutalere Formen an.

Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), Christoph Vandreier, hat in dem Buch „Warum sind sie wieder da?“ sorgfältig nachgezeichnet, wie dieser Rechtsruck an den Universitäten, in den Medien und in den Parteien ideologisch und politisch vorbereitet wurde. Die SGP und ihre Jugendorganisation, IYSSE, die diese Machenschaften aufgedeckt und dagegen mobilisiert haben, sind deshalb selbst ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes und der Neonazi-Netzwerke geraten.

Am vergangenen Dienstag störten Rechtsradikale eine Veranstaltung der IYSSE an der Humboldt-Universität in Berlin. Unter den Störern waren Mitglieder der Jugendorganisation der AfD, der Identitären Bewegung und der Burschenschaft Gothia. Angestachelt wurde der rechte Mob durch den rechtsextremen Humboldt-Professor Jörg Baberowski.

In der großen Mehrheit der Bevölkerung stößt der Rechtsruck auf Abscheu und Ablehnung. Nur zwei Tage nach dem Angriff auf die IYSSE verabschiedete das Studierendenparlament (StuPa) der HU einstimmig eine Resolution, die den Angriff der Rechtsextremisten auf die IYSSE-Veranstaltung verurteilt.

Doch in den im Bundestag vertretenen Parteien findet die massive Opposition gegen rechts nicht den geringsten Ausdruck. Auf den NSU-Skandal und die offene Parteinahme von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen für einen rechtsextremen Aufmarsch in Chemnitz antworten sie mit der Zentralisierung und der Stärkung des Verfassungsschutzes; auf das Neonazi-Netzwerk in der Polizei reagieren sie mit dem Ruf nach noch mehr Polizei. Das gilt auch für die Linkspartei.

Der Kampf gegen die rechte Gefahr, die Verteidigung demokratischer und sozialer Rechte, sowie der Kampf gegen Militarismus fallen heute untrennbar zusammen. Sie erfordern eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus, die Ursache der gesellschaftlichen Krise.

Die objektiven Voraussetzungen für eine solche Bewegung entwickeln sich rasch, das zeigt die Zunahme von Arbeitskämpfen und Protesten auf der ganzen Welt. Doch sie braucht ein Programm, eine sozialistische Perspektive und eine Führung – das bedeutet den Aufbau der SGP und von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale auf der ganzen Welt.

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