„NSU 2.0“-Zelle in der Frankfurter Polizei

Am 2. August 2018 erhielt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz ein Schreiben mit massiven rechtsradikalen Drohungen. Nicht nur wurde sie in übelstem Nazi-Jargon als „miese Türkensau“ beschimpft. Noch schlimmer war die Androhung, ihre Tochter, ein zweijähriges Mädchen, zu „schlachten“. Auch ihre Privatadresse, die niemals öffentlich publiziert worden war, stand in dem anonymen Fax, das mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war.

Frau Basay ist eine bundesweit renommierte Anwältin. Sie hat im Prozess gegen die rechtsextremistische Mördergruppe NSU die Opferfamilie Simsek vertreten. Sie ist auch die Anwältin des als „Gefährder“ eingestuften Sami A. Als die NRW-Landesregierung ihn widerrechtlich nach Tunesien abschob, wehrte sich Frau Basay, legte Einspruch gegen die Abschiebeaktion ein und setzte durch, dass gegen die verantwortliche Behörde ein Zwangsgeld von 10.000 Euro eingesetzt wurde.

Auf diesen Fall bezog sich offenbar das anonyme Hassschreiben am 2. August 2018. „Als Vergeltung für 10.000 Euro Zwangsgeld schlachten wir deine Tochter“, stand darin. Schon am nächsten Tag, dem 3. August, erstattete sie Anzeige bei der Polizei. Doch erst Anfang Dezember, also vier Monate später, erfuhr Frau Basay Weiteres – allerdings nur aus der Presse, nicht von der Polizei.

Die Anzeige der Anwältin war offenbar ein entscheidender Hinweis, um ein rechtsextremes Netzwerk innerhalb der Frankfurter Polizei aufzudecken. Die Frage, wer die Privatadresse von Frau Basay herausfinden konnte, führte direkt in den Dienstcomputer des Ersten Polizeireviers Frankfurt. Wie die Aufzeichnungen belegten, hatte eine Polizistin zum fraglichen Zeitpunkt von hier aus die als geheim eingestufte Adresse ohne Angabe von Gründen aus dem Melderegister abgefragt.

Als das Mobiltelephon und weitere Festplatten dieser Beamtin durchsucht wurden, zeigte sich, dass sie zusammen mit weiteren vier Polizisten seit längerer Zeit eine ausländerfeindliche und rechtsradikale Korrespondenz betrieben hatte. Über WhatsApp hatten die fünf Beamten neonazistische Inhalte, Hitlerbilder und Hakenkreuze, sowie ausländer- und behindertenfeindliche Nachrichten ausgetauscht.

Diese Erkenntnisse hielten die Staatsorgane offenbar monatelang streng unter Verschluss. Während intern ein Verfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen die Polizisten anlief, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) erst Anfang Dezember, gestützt auf Informationen aus dem hessischen Landeskriminalamt, über die Existenz eines rechtsradikalen Polizei-Netzwerkes in Frankfurt.

Die Anwältin wurde nicht informiert. Erst als die Infos in der FAZ auftauchten, wurde sie hellhörig, wie sie sagte. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Polizei mich vorher darüber informiert hätte“, wird sie von der FAZ zitiert. Die Juristin hatte immer wieder bei der Polizei angefragt, schon um der Sicherheit ihrer Tochter willen, ohne jedoch eine vernünftige Antwort zu bekommen.

Offiziell heißt es, Polizei und Staatsanwaltschaft seien äußerst zurückhaltend, da man fürchte, dass der Fall am Ende „noch viel größerer Dimensionen“ annehmen könnte. Weit mehr Verdächtige als die fünf Polizisten könnten betroffen sein.

Die Politiker geben sich nun alle Mühe, zu beschwichtigen, und wiegeln nach Kräften ab. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster erklärte: „Wir müssen sehr sensibel sein, damit es nicht zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommt!“ Schuster ist Obmann des Innenausschusses im Deutschen Bundestag und Vorkämpfer für ein europaweit vernetztes Polizeisystem.

Bezeichnend ist auch der Kommentar des Bundestagsabgeordneten der hessischen Grünen, Omid Nouripour. Auf die Frage der Frankfurter Neuen Presse, ob er glaube, „dass die Polizei für Extremismus eher prädestiniert ist, als andere gesellschaftliche Gruppen“, betonte Nouripour: „Auf keinen Fall.“ Er beeilte sich, ein „Frühwarnsystem“ bei der Polizei zu fordern, und behauptete, damit könne man in Zukunft ähnliche Fälle verhindern.

Mit solchen und ähnlichen Argumenten versuchen die Politiker, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. Gerade die Grünen, die in Hessen mit der CDU in der Regierung sitzen, sind für die systematische Aufrüstung der Sicherheitskräfte verantwortlich. Sie schieben Flüchtlinge brutaler ab als in manch andern Ländern und liefern den Rechtsradikalen damit die Steilvorlage für ihre faschistische Politik.

Keineswegs handelt es sich nur um ein paar „faule Äpfel“ in einem ansonsten „gesunden“ System. Dieser Fall zeigt erneut deutlich, dass die faschistische Gefahr nicht aus der arbeitenden Bevölkerung, sondern aus dem Staatsapparat kommt. Wie viele andere Fälle ist die rechtsradikale Zelle in der Frankfurter Polizei tatsächlich nur eine weitere Spitze eines massiven Eisbergs.

Rechtsradikale Strukturen existieren in allen Teilen des Staatsapparats. Vor kurzem wurde der Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, von seinem Amt enthoben, weil er sich schützend vor den neonazistischen Auftrieb in Chemnitz gestellt hatte.

Der Verfassungsschutz verzichtet in seinem jüngsten Bericht auf die Erwähnung der AfD, obwohl diese Partei regelmäßig gegen Migranten hetzt, Rassismus schürt und die Wehrmacht und den NS-Staat verharmlost. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) wird dagegen in dem VS-Bericht als „linksextremistisch“ bezeichnet, mit der „Begründung“, dass sie Kritik am Kapitalismus übt.

Auch in der Bundeswehr wurden letztes Jahr ein Neonazi-Netzwerk aufgedeckt, als die Terrorpläne von Franco A. durch einen Zufall aufflogen. Der Bundeswehroffizier, der sich Schusswaffen beschaffte und Anschläge auf hochrangige Politiker plante, hatte sich als syrischer Flüchtling registrieren lassen. Offenbar wollte er seine Taten „den Flüchtlingen“ in die Schuhe schieben. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sah dennoch keinen Grund, gegen ihn Anklage zu erheben.

Als der Focus im November neue Einzelheiten über das „konspirative Netzwerk aus circa 200 ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldaten“ veröffentlichte, reagierten die anderen Medien nicht und die Sache wurde schnell wieder vertuscht und fallen gelassen.

Auch die Justiz ist nur allzu oft auf dem rechten Auge blind. Sie akzeptiert die enge Verbindung von Staatsanwaltschaft und Polizei. Weder im Fall Oury Jalloh, noch im Fall Amad Ahmad deckten die Ermittlungen den Tathergang erschöpfend auf. In beiden Fällen starb ein junger Flüchtling unter den Händen der Polizei einen qualvollen Verbrennungstod. In beiden Fällen hat die Staatsanwaltschaft die Polizei mit wenig überzeugenden Argumenten entlastet.

Ein weiteres Beispiel ist der NSU-Prozess, der im Juli 2018 zu Ende ging. Nach fünf Jahren und 438 Verhandlungstagen hatte er nichts weiter als die Verurteilung von Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden des NSU-Mördertrios, erbracht. In die Hintergründe, zum Beispiel in das Dickicht von V-Leuten aus Geheimdienst und Polizei, die das Trio umgaben, brachte der Prozess kein neues Licht. Wichtige NSU-Unterstützer wie Ralf Wohlleben und André Eminger, die Beihilfe zu den Morden an neun Einwanderern und einer Polizistin geleistet hatten, erhielten nur milde, durch U-Haft abgebüßte Strafen. Sie sind heute beide wieder auf freiem Fuß.

Die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz hat am NSU-Prozess als Nebenkläger-Anwältin der Familie Simsek teilgenommen. In einer aufschlussreichen Nachlese zum NSU-Prozess im Radiosender Bayern 2 („Was bleibt vom NSU-Prozess?“) stellt sie dazu fest, sie habe viele Illusionen verloren und sei im Ganzen „politischer geworden“. Sie berichtet: „Bei jeder einzelnen Opferfamilie wurde zuerst die Familie selbst verdächtigt – alles Familien mit Migrationshintergrund. Nach der Verfassung müssten wir alle gleich sein, aber das sind wir einfach nicht. Das ist nicht so.“

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