Volkswagen baut in Hannover und Emden 7000 Stellen ab

Der Volkswagen-Konzern will in seinen Produktionswerken in Hannover und Emden fast jede Dritte der rund 22.000 Stellen streichen. Das berichtete am Donnerstagabend die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Offenbar handelt es sich dabei um den Auftakt zu einer groß angelegten Umstrukturierung des Konzerns angesichts des Dieselbetrugs und der beschleunigten Umstellung auf Elektromobilität.

Vor wenigen Wochen hatte die VW-Konzernleitung bekannt gegeben, dass künftig nicht nur in Zwickau, sondern auch in Hannover und Emden E-Autos gebaut werden sollen. Im Emdener Werk, wo derzeit vor allem die Modelle Passat und Arteon gebaut werden, soll die Produktion von Autos mit Verbrennungsmotoren 2027 ganz auslaufen. Die Passat-Produktion soll ins Skoda-Werk im tschechischen Kvasiny verlagert werden.

In Emden sollen ab 2022 bis zu fünf Modelle für die drei Marken VW, Skoda und Seat gefertigt werden. 300.000 E-Fahrzeuge sollen dort pro Jahr vom Band laufen.

Im Nutzfahrzeug-Werk in Hannover sollen auch in vier Jahren noch Modelle mit konventionellem Antrieb hergestellt werden, ab 2022 soll dort aber auch die Produktion des vollelektrischen E-Bullis namens ID Buzz starten. Zusätzlich wird derzeit das Motorenwerk Salzgitter auf die Umstellung auf die Batteriezellenproduktion vorbereitet.

Die Unternehmensleitung nutzt die Umstellung auf Elektro-Fahrzeuge, um einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen, eine drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und eine Verschärfung der Ausbeutung durchzusetzen.

Wenn der größte Autokonzern Deutschlands in zwei Werken ein Drittel der Arbeitsplätze streicht und das mit der Umstellung auf E-Mobilität begründet, kann man sich ausrechnen, welches Arbeitsplatzmassaker hier begonnen hat.

Derzeit sind in der deutschen Automobilindustrie rund 820.000 Arbeiter direkt in der Produktion beschäftigt, davon rund 305.000 in der Zulieferindustrie. Wird die Zahl der Arbeitsplätze im gesamten Produktionsbereich um ein Drittel reduziert, würde das den Verlust von über 270.000 Arbeitsplätzen allein in Deutschland und von 700.000 in ganz Europa bedeuten, wo insgesamt mehr als zwei Millionen Arbeiter in der Autoproduktion beschäftigt sind.

Nachdem die EU Anfang der Woche erneut die Abgasvorgaben verschärft hat, erhöht sich der Druck auf die Autoproduzenten, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß ihrer Flotte zu senken. Laut EU soll dieser bis 2030 um 37,5 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2021 sinken.

Unter diesen Bedingungen müsse der VW-Konzern den Anteil der E-Autos am Gesamtabsatz bis 2030 auf über 40 Prozent hieven, sagte Vorstandschef Herbert Diess Anfang der Woche in Wolfsburg. „Das heißt, unser beschlossenes Umbauprogramm, das für diesen Systemwechsel erforderlich ist, reicht noch nicht aus.“

VW müsse bis 2030 etwa 600.000 Elektroautos zusätzlich im Jahr verkaufen, erklärte Diess. Zum Vergleich: In der ersten Hälfte dieses Jahres sind in Deutschland insgesamt 17.234 reine Elektroautos zugelassen worden, das sind nur 5 Prozent aller Neuzulassungen. Diess sprach von einem „großen strukturellen Wandel“, der auf VW zukomme. Er werde Arbeitsplätze kosten „in einer Größenordnung, die wir in diesem Zeitraum nicht mehr über Vorruhestandsregelungen abbauen können“.

Dieser Strukturwandel, der mit technischen Argumenten begründet wird, findet unter dem Diktat der Anleger und Aktionäre statt, die eine Steigerung der Profite verlangen.

Um die Arbeitsplätze abzubauen, stützen sich Diess und der VW-Vorstand auf die IG Metall und den Betriebsrat, deren Zusammenarbeit mit dem Management bei VW besonders intensiv und berüchtigt ist. Inzwischen sind auf den beiden zentralen Posten im VW-Konzern Männer „von Osterlohs Gnaden“, wie es die Wirtschaftswoche im April dieses Jahres beschrieb. Konzernchef Diess war 2015 von BMW als VW-Markenchef nach Wolfsburg gekommen. An seiner Berufung war Betriebsratschef Osterloh maßgeblich beteiligt. Im Sommer 2015 sagte er, Diess sei „sein Mann“.

Seitdem arbeiten die beiden eng zusammen, um die „notwendigen Umbauten“ einzuleiten. Das erste Ergebnis war der so genannte Zukunftspakt, der den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen beinhaltet. Die ersten Leidtragenden waren wie immer und überall die Leiharbeiter.

Vor acht Monaten übernahm Diess dann den Posten des Vorstandsvorsitzenden von Matthias Müller – unterstützt von den Gewerkschafts- und Betriebsratsvertretern im Aufsichtsrat.

Auf den Posten des Personalvorstands hievte Osterloh zur gleichen Zeit „seine rechte Hand“ Gunnar Kilian. Der bis zu diesem Zeitpunkt als Generalsekretär im Betriebsrat tätige IGM-Mann Kilian ist eng mit den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch vernetzt.

Unmittelbar danach kündigte Osterloh einen rigorosen Konzernumbau an. Die Gewerkschaftsvertreter haben in der Vergangenheit stets dafür gesorgt, dass jede Krise des Konzerns zu Lasten der Belegschaft oder der Belegschaft der Zulieferer gelöst wurde. Bislang hatte der VW-Konzernbetriebsrat unter Osterloh den Abbau von mehreren zehntausenden Arbeitsplätzen stets mit wirtschaftlichen Sachzwängen gerechtfertigt und dies der Belegschaft mit dem Argument verkauft, es gäbe zumindest keine betriebsbedingten Kündigungen.

Erst im letzten Monat ist ein erneuter „Vertrag zur Beschäftigungssicherung“ unterzeichnet worden, mit dem der Abbau in Emden und Hannover über „natürliche Fluktuation“ und Altersteilzeit durchgesetzt werden soll.

Der Begriff „natürliche Fluktuation“ verbirgt dabei einen altbekannten, perfiden Mechanismus. Den Beschäftigten werden „Ersatzarbeitsplätze“ in weit entfernten Werken angeboten. Nach dem jüngsten Beschäftigungssicherungsvertrag sollen befristet Beschäftigten Verträge bei Porsche in Stuttgart und im VW-Werk Kassel angeboten werden. Wenn aber z. B. Familienväter und -mütter nicht in der Lage oder gewillt sind, ihre Kinder aus Kita, Schule und Freundeskreis herauszureißen oder ein teilbezahltes Haus zu verkaufen, sind sie gezwungen, ihren Job zu quittieren. Diese „freiwilligen“ Abgänge werden dann als „natürlicher Fluktuation“ bezeichnet.

Osterloh kündigte Anfang der Woche gemeinsam mit Diess an, die Planungen für den weiteren Arbeitsplatzabbau bis zum Herbst 2019 zu überarbeiten. Im Gespräch ist dabei auch der Aufbau eines neuen Werks in den Billiglohnländern Bulgarien oder Rumänien.

Der angekündigte Arbeitsplatzabbau in Hannover und Emden leitet ein neues Stadium massiver Angriffe auf die Beschäftigen in der gesamten Auto- und Zulieferindustrie ein. Auch bei Ford in Saarlouis, Opel in Rüsselsheim und General Motors in den USA und Kanada stehen massive Entlassungen an.

Weltweit sind die Autoarbeiter nicht nur mit einem aggressiven und rabiaten Management konfrontiert, sondern auch mit Gewerkschaften, die vollständig auf der Seite der Kapitaleigner stehen und jeden Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sabotieren und unterdrücken.

In diesem Zusammenhang ist die Arbeiterversammlung in Detroit (USA) von großer Bedeutung, die der WSWS Autoworker Newsletter am 9. Dezember einberufen hat. Autoarbeiter aus mehreren US-Bundesstaaten kamen zusammen und beschlossen, sich unabhängig von den Gewerkschaften zu organisieren und einen selbstständigen Kampf gegen die Stilllegung mehrerer Werke von General Motors aufzunehmen.

In der Resolution, die auf dieser Versammlung beschlossen wurde, heißt es: „Der Widerstand der Automobilarbeiter gegen die Schließung von Werken, sinkende Löhne und Arbeitsbedingungen ist Bestandteil des Wiederauflebens des Klassenkampfes in den Vereinigten Staaten und international.

Daher beschließt dieses Treffen in allen betroffenen Arbeitsstätten, Fabriken und Stadtvierteln Aktionskomitees aufzubauen, die unabhängig von der UAW, der Unifor und anderen Gewerkschaften sind und die den Widerstand gegen die Werksschließungen organisieren.“

Die WSWS-Redaktion ruft alle Autoarbeiter bei VW und in anderen Betrieben auf, die Resolution der Detroiter Arbeiterversammlung zu studieren und selbst unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, um gegen den Ausverkauf von Seiten der IG Metall und des Betriebsrats zu kämpfen und alle Arbeitsplätze zu verteidigen.

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