Loveparade Duisburg: Landgericht schlägt Prozess-Einstellung vor

21 junge Menschen sind tot, Hunderte verletzt und traumatisiert, verursacht durch die Fahrlässigkeit und Gier von Geschäftemachern, unterstützt von den Verantwortlichen der Stadt Duisburg. Aber wenn es nach dem Willen des Landgerichts Duisburg geht, wird dafür niemand zur Rechenschaft gezogen. Das seit nunmehr über acht Jahren andauernde skandalöse Verhalten der Stadt-Verantwortlichen, der Strafverfolgungsbehörden und nun des Gerichts geht seinem bitteren Ende entgegen.

Letzte Woche Mittwoch gab der Vorsitzende Richter des Landgerichts Duisburg Mario Plein bekannt, dass er in einem so genannten Rechtsgespräch den Vertretern der Anklage, der Verteidigung sowie den Vertretern der Nebenkläger die vorzeitige Einstellung des Loveparade-Verfahrens vorgeschlagen hat. Bei dem Prozess geht es um die Frage, wer die Verantwortung für die Toten und Verletzten der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg trägt.

Als Begründung nannte Richter Plein die nur „geringfügige“ oder „mittlere“ Schuld der zehn Angeklagten. Nach Paragraf 135 der Strafprozessordnung kann ein Verfahren wegen „geringer Schuld“ der Angeklagten mit oder ohne Zahlung einer Geldstrafe eingestellt werden.

Ein geringes öffentliches Interesse, ein weiterer Grund, der die Einstellung eines Verfahrens ermöglicht, führte Richter Plein nicht an. Denn das Interesse ist international sehr groß. Von den 21 jungen Menschen, die vor achteinhalb Jahren bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg ums Leben kamen, kamen 15 aus Deutschland, zwei aus Spanien und jeweils einer aus Australien, den Niederlanden, Italien und China.

Das tödliche Gedränge an der Rampe des Ein- und Ausgangs des Festivals, so die Argumentation Pleins, sei ein „multikausales Geschehen“ gewesen. Die Loveparade hätte niemals genehmigt werden dürfen, trotzdem hätte noch am Veranstaltungstag selbst laut Richter Plein der Tod von 21 Menschen verhindert werden können. Eine Vielzahl von Planungsfehlern und Pannen am Veranstaltungstag habe zur Katastrophe beigetragen. Mit anderen Worten: Es gibt so viele Verantwortliche, dass keine Schuldigen auszumachen sind.

Die Eltern der Toten, die als Nebenkläger in dem Prozess auftreten, reagierten bestürzt. Sie haben wie alle Prozess-Beteiligten bis Anfang Februar Zeit, über den Vorschlag des Gerichts zu entscheiden.

Paco Zapater war eigens mit seiner Frau aus Spanien angereist. Seine Tochter Clara studierte damals in Deutschland, bevor sie im Gedränge der Loveparade erstickte. Ihr Vater sagte nun: „Clara hatte Vertrauen in Deutschland, ich bin gerade dabei es zu verlieren.“ Wenn der Prozess jetzt mit der Begründung „nur geringer Schuld“ der Angeklagten vorzeitig eingestellt würde, wäre das „wie ein zweiter Tod meiner Tochter“.

Auch Klaus-Peter Mogendorf, dessen Sohn Eike sein Leben in Duisburg verlor, empörte sich über den Vorschlag der Prozesseinstellung. Sein Anwalt Rainer Dietz sagte: „Man sollte die Zeit, die man noch hat, nutzen, um weiter aufzuklären. Auf halbem Wege abzubrechen, wäre noch einmal tragisch.“ Ein anderer Anwalt der Nebenkläger, Franz Paul, erklärte: „Geringfügigkeit verbietet sich bei 21 Toten.“

Ein noch größerer Schlag ins Gesicht der Angehörigen dürfte aber ein weiteres Argument des Gerichts sein, nämlich der Zeitdruck. Denn die Verjährungsfrist für fahrlässige Tötung endet am 27. Juli 2020. Danach kann laut Gesetz niemand mehr verurteilt werden. Angeblich gibt es noch 575 Zeugen, die bis dahin gehört werden müssten. Dies sei unmöglich zu schaffen, argumentierte das Gericht unter dem Vorsitz Pleins.

Dieser Zeitdruck ist einzig und allein auf das Verhalten der Verantwortlichen zurückzuführen – und zwar von Beginn an. Die Tragödie der Loveparade war kein Unglück, sondern ein Verbrechen, wie wir bereits unmittelbar danach geschrieben hatten. Rainer Schaller, Inhaber des Festivalveranstalters Lopavent und der Fitness-Kette McFit, sowie die politisch Verantwortlichen in Duisburg – allen voran der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) – hatten sich schon bei der Planung skrupellos über die Bedenken und Warnungen von Fachleuten hinweggesetzt. Beide erwarteten hohe Gewinne und ein besseres Image für die Stadt.

Als es dann zur geplanten Katastrophe kam, wiesen beide – Lopavent und Stadt – jegliche Verantwortung weit von sich. Sauerland verstieg sich sogar dazu, am Tag nach der Loveparade die Opfer selbst verantwortlich zu machen.

Fast vier Jahre lang „ermittelte“ dann die Staatsanwaltschaft Duisburg und erhob erst Anfang 2014 zum ersten Mal Anklage, getreu dem Grundsatz: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

Unter den Angeklagten fehlten die Hauptverantwortlichen, Oberbürgermeister Sauerland und McFit-Chef Schaller. Gegen sie wurde nicht einmal ermittelt. Und auch das Verfahren gegen Sauerlands Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe (CDU), der in der Stadtverwaltung die Loveparade brutal gegen alle Bedenken durchgeboxt hatte, war eingestellt worden.

Auch aus den Reihen der Polizei wurde niemand angeklagt. Der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), der sich zum Zeitpunkt der Katastrophe in der Polizeieinsatzzentrale aufhielt und wenig später das Loveparade-Gelände über den VIP-Ausgang verließ, hatte kurz nach der Katastrophe bei einer Sondersitzung des NRW-Innenausschusses erklärt: „Ich werde nicht zulassen, dass die Polizei als Sündenbock für die Fehler und Versäumnisse anderer herhalten muss.“ Die Duisburger Staatsanwaltschaft hatte Jägers Warnung verstanden.

Jetzt schreibt Richter Plein gerade dem Vorgehen der Polizei eine gehörige Mitschuld zu. Erst durch dieses „pflichtwidrige, schuldhafte Verhalten Dritter“ sei die Katastrophe möglich geworden. So habe eine Polizeikette, die in der Stunde vor Ausbruch der Massenpanik den Aufgang aus dem Tunnel zum Eventgelände absperrte, dazu beigetragen, dass sich der „Menschenhaufen“ bildete, in dem die 21 Menschen starben. Obendrein sei im schlimmsten Gedränge ein Polizeiwagen in die Todeszone gerollt und habe den Druck noch erhöht.

Weil anfangs nur gegen „kleine Fische“ ermittelt wurde, wäre der Prozess beinahe nicht zustande gekommen. Erst eine Kampagne von Gabi Müller, deren damals 25-jähriger Sohn bei der Loveparade starb, zwang das Landgericht, eine Klage zu verfassen. 367.000 Menschen unterstützten Gabi Müllers Online-Petition und trugen damit maßgeblich dazu bei, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf 2017 das Landgericht Duisburg anwies, das Verfahren zu eröffnen. Zum Schluss wurden sechs Angestellte der Stadt und vier Beschäftigte von Lopavent angeklagt.

Gegen sieben von ihnen, sechs Mitarbeiter der Stadt sowie ein sogenannter Kreativdirektor des Veranstalters Lopavent, soll das Strafverfahren wegen „geringer Schuld“ beendet werden. Sie hätten zwar das tödliche Festival genehmigt und organisiert, aber am Tag der Katastrophe keine Chance mehr gehabt, diese abzuwenden.

Gegen drei Angeklagte der Firma Lopavent soll der Prozess wegen „mittlerer Schuld“ eingestellt werden. Sie seien, so Richter Plein, am Festivaltag „in operativen Positionen tätig“ gewesen und hätten durch bessere Organisation und Kommunikation noch Leben retten können. Ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft sollen aushandeln, ob und in welcher Höhe sie eine Geldzahlung leisten. Dies ist aber ausdrücklich keine Buße und schon gar nicht eine Anerkenntnis der Schuld.

Sollte das strafrechtliche Verfahren tatsächlich ohne Schuldspruch eingestellt werden, dürfte dies auch weitere zivilrechtliche Verfahren erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.

Als es darum ging, politisch aus dem Versagen und der Skrupellosigkeit Sauerlands und der in Duisburg (mit den Grünen) regierenden CDU Kapital zu schlagen, wurde von der damaligen rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eigens das Kommunalwahlrecht geändert („Lex Sauerland“), damit Sauerland abgewählt und durch Sören Link (SPD) ersetzt werden konnte.

Jetzt soll kein einziger Verantwortlicher für den Tod von 21 jungen Menschen zur Rechenschaft gezogen werden. Gabi Müller, die lange auf den Prozess gewartet hatte, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass es ihr vor allem um Aufklärung gehe. Dies sei sie ihrem verstorbenen Sohn Christian schuldig. Sie meint, man müsse die Gesetze so ändern, dass die Verantwortlichen für Großkatastrophen nicht ohne Strafe davonkämen. Doch daran hat keine der verantwortlichen Parteien – weder im NRW-Landtag noch im Bundestag – ein Interesse.

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