Perspektive

Die Schließung des GM-Werks Lordstown

Der 5. März war der letzte Produktionstag im Montagewerk Lordstown von General Motors, einem riesigen Industriekomplex von rund 580.000 Quadratmetern, der auf halber Strecke zwischen Cleveland, Ohio, und Pittsburgh, Pennsylvania, liegt. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Betrieb und der Produktion von mehr als 16 Millionen Fahrzeugen verließen am Dienstag die letzten 1.400 Arbeiter das Autowerk, das einst 13.000 Arbeiter in drei Schichten beschäftigte.

Der Autokonzern General Motors, der 2018 Gewinne in Höhe von 11,8 Milliarden Dollar machte, schließt in diesem Jahr fünf Werke in den USA und Kanada, darunter auch in Detroit, Baltimore und Oshawa. Gleichzeitig ist eine weltweite Umstrukturierung geplant, bei der 14.000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, um die Rendite für GMs reichste Aktionäre zu steigern. Angespornt durch die Forderungen der Wall Street setzen die Konzerne rücksichtslose Angriffe auf die Arbeiter durch.

Die Werksschließung, die sich auch auf die Zuliefererbetriebe und lokalen Unternehmen auswirkt, bedeutet eine soziale Katastrophe in einer Region, die bereits durch jahrzehntelange Deindustrialisierung gebrandmarkt ist und mit dem Zerfall der Schulen und einer eskalierenden Opioidkrise zu kämpfen hat.

Die Schließung des Lordstown-Werks zeigt den historischen Bankrott der United Auto Workers (UAW) und der gesamten nationalistischen und pro-kapitalistischen Politik aller Gewerkschaften. Sie ist das Ergebnis des jahrzehntelangen Verrats der UAW, die sich in einen Juniorpartner der Autokonzerne verwandelt hat und die Ausbeutung der Arbeiter und die Unterdrückung des Klassenkampfes vorantreibt.

Die UAW hat keinen Widerstand gegen die Werksschließung mobilisiert, sondern die letzten vier Monate seit der GM-Ankündigung damit verbracht, Gebetswachen statt Demonstrationen abzuhalten und aussichtslose Klagen gegen den Konzern einzureichen. Genau wie Trump und die Demokraten in Ohio machte die UAW mexikanische und chinesische Arbeiter für die Schließung verantwortlich. Wie in den letzten vier Jahrzehnten hat die UAW auch jetzt ihre Bereitschaft signalisiert, alle Zugeständnisse, die GM in den bevorstehenden Vertragsverhandlungen verlangt, anzunehmen, um den Autohersteller davon zu überzeugen, das Werk zu „retten“.

Die Lordstown-Fabrik, die 1966 in der Nähe der Stahlstadt Youngstown in Ohio gebaut wurde, hat in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung eine bedeutende Rolle gespielt. In den frühen 1970er Jahren wurde sie zum Schauplatz zahlreicher militanter Arbeiterkämpfe. Zwischen 1968 und 1977 fanden in der ganzen US-Industrie insgesamt 3.619 große Arbeitsniederlegungen statt, an denen sich 16,6 Millionen Arbeiter beteiligten. Die Streikwelle in den USA war Bestandteil eines internationalen Aufschwungs des Widerstands, der sich gegen die Versuche richtete, die Arbeiter für die weltweite kapitalistische Krise zahlen zu lassen. Einer der Höhepunkte waren die Massenstreiks der britischen Bergarbeiter, die 1974 die Tory-Regierung stürzten.

GM versuchte in Lordstown neue Technologien wie Roboterschweißanlagen einzusetzen, um die Produktion für das neue Chevrolet Vega-Auto drastisch zu steigern und so die japanischen Konkurrenten zu schlagen. Nachdem das Unternehmen Anfang der 1970er Jahre 300 Arbeiter entlassen hatte, erhöhte es die Produktionsgeschwindigkeit von 60 auf 101 Autos pro Stunde – die schnellste Rate aller Betriebe weltweit – und gab den Arbeitern nur 36 Sekunden statt der standardmäßigen 60, um ihre Aufgaben zu erfüllen.

Die Belegschaft revoltierte. Zu den jungen Arbeitern, die im Durchschnitt 24 Jahre alt waren, gehörten auch viele ehemalige Soldaten, die durch die Schrecken des Vietnamkriegs radikalisiert worden waren. Im März 1972 sah sich die UAW gezwungen, zum Streik aufzurufen. Nachdem sie den 22-tägigen Streik isoliert hatte, unterzeichnete die Gewerkschaft einen Tarifvertrag, der das zentrale Thema der Produktionsbeschleunigung ausklammerte.

Doch der Widerstand ging weiter. Es kam zu spontanen Streiks, offener Missachtung der Manager und gezielter Sabotage von Fahrzeugen. Die Arbeiter waren so rebellisch, dass das Magazin BusinessWeek den Begriff „Lordstown-Syndrom“ prägte, um die Militanz einer ganzen Generation von Industriearbeitern zu fassen, die entschlossen waren, gegen die Ausbeutung zu kämpfen.

Die Workers League, die Vorgängerorganisation der Socialist Equality Party in den USA, war damals intensiv am Lordstown-Kampf und vielen anderen Autoarbeiterkämpfen beteiligt. In einer Broschüre von 1973, From Sit-Down to Lordstown, verwies die Workers League auf den „faktischen Bürgerkrieg“ zwischen Autoarbeitern und GM und stellte fest, dass „der aktivste und militanteste Teil der UAW, vertreten durch die jüngsten Arbeiter, [...] die widerwillige UAW-Führung gezwungen hat, zum Streik aufzurufen“.

Im November 1973 verteidigte die Parteizeitung Bulletin vier Autoarbeiter – die „Lordstown Four“ –, die von GM und den lokalen Behörden unter falschen Anklagen inhaftiert worden waren.

In dieser Zeit betrachteten Arbeiter die Gewerkschaften immer noch als ihre Organisationen, auch wenn sie immer wieder mit der Gewerkschaftsführung in Konflikt kamen und ihre Korruption und Kollaboration mit den Autobossen verurteilten. Trotz des bürokratisierten Charakters der Gewerkschaften konnten die Arbeiter in diesen Jahren des relativen Wirtschaftsbooms und der globalen Dominanz der US-Industrie noch Verbesserungen erkämpfen.

Der zentrale politische Mechanismus, mit dem die Gewerkschaften UAW und AFL-CIO die Arbeiter dem Kapitalismus und dem amerikanischen Imperialismus unterwarfen, war ihr Bündnis mit der Demokratischen Partei und ihre Ablehnung einer politisch unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse. Deshalb hat die Workers League in ihrem Kampf für den Aufbau einer neuen revolutionären Führung in den Gewerkschaften die Forderung aufgestellt, dass die Gewerkschaften mit der Demokratischen Partei brechen und eine Labor-Partei gründen, die auf sozialistischer Politik basiert. Diese Forderung stand im Mittelpunkt des Kampfs gegen die Gewerkschaftsbürokratie. Doch die Taktik verlor ihre Bedeutung, als sich die Gewerkschaften in einen unmittelbaren Arm der Unternehmen und des Staates verwandelten, um den Klassenkampf zu unterdrücken.

Ende der 1970er Jahre reagierte die amerikanische herrschende Klasse auf den zunehmenden Niedergang ihrer globalen wirtschaftlichen Vormachtstellung, indem sie ihre Politik des relativen Klassenkompromisses beendete und zum Gegenangriff überging, um alle Errungenschaften, die Arbeiter über Jahrzehnte erkämpft hatten, rückgängig zu machen. US-Unternehmen machten sich die Fortschritte in den Bereichen Telekommunikation und Transport zunutze und verlagerten ihre Produktion in Niedriglohnländer, während sie zuhause Werksschließungen und Massenentlassungen als Druckmittel einsetzten, um den US-Arbeitern riesige Lohn- und Sozialeinbußen abzuringen. 1979/80 rettete die Carter-Regierung Chrysler vor dem Konkurs, 1981 schlug US-Präsident Ronald Reagan den PATCO-Fluglotsenstreik nieder. Damit begann ein Jahrzehnt der gewaltsamen Unterdrückung von Streiks und Gewerkschaftsaktivitäten.

Mit der Globalisierung der kapitalistischen Produktion und der Ausweitung der transnationalen Produktion wurde den Gewerkschaften, die sich auf den Schutz des nationalen Arbeitsmarktes stützen, jede Grundlage entzogen. Die Katastrophe, die dann über die amerikanischen Arbeiter und ihre Kollegen auf der ganzen Welt hereinbrach, war jedoch nicht das unvermeidliche Ergebnis wirtschaftlicher Prozesse.

Die UAW und die anderen Gewerkschaften sabotierten auf Schritt und Tritt die Bemühungen der Autoarbeiter und Arbeiter in anderen Branchen, dem Angriff auf ihre Arbeitsplätze und ihre Lebensverhältnisse zu widerstehen. Sie isolierten Streiks und führten sie in die Niederlage, konspirierten mit den Arbeitgebern bei Werksschließungen und Massenentlassungen ebenso wie bei der Verfolgung und Schikane militanter Arbeiter.

In den frühen 1980er Jahren erhob die UAW offiziell die korporatistische Politik der „Arbeit-Management-Partnerschaft“ zum Leitprinzip. Sie lehnten den Klassenkampf als nicht mehr zeitgemäß ab und machte sich daran, jeden Widerstand gegen die Autobauer in den USA zu brechen, um diese gegenüber ihren asiatischen und europäischen Konkurrenten wettbewerbsfähiger zu machen. Dies ging Hand in Hand mit dem Schüren von Rassismus und nationalem Chauvinismus, was 1982 zur Ermordung des chinesischen Amerikaners Vincent Chin durch einen Chrysler-Vorarbeiter und seinen entlassenen Stiefsohn führte.

Die lokale Gewerkschaft UAW Local 1112 in Lordstown wurde zum Modell für die Zusammenarbeit mit dem Management. In einem Artikel unter der Überschrift „Eine vormals widerständige UAW konzentriert sich jetzt auf den Erfolg von GM“ bemerkte die New York Times im Januar 2010 sichtlich zufrieden: „Die Führer von United Automobile Workers in Lordstown, Detroit und anderen Städten, in denen früher Konflikte mit dem Management üblich waren, erklären heute, sie hätten seitdem beschlossen, dass sie nur dann eine Chance haben, in der globalen Wirtschaft zu überleben, wenn sie mit den, nicht gegen die Arbeitgeber arbeiten.“

„Alle sind zu der Erkenntnis gekommen, dass weder das Management noch die Gewerkschaft der Feind ist“, so Jim Graham, Präsident von UAW Local 1112, gegenüber der Times. Er fügte hinzu: „Der Feind ist die ausländische Konkurrenz.“

Die endlosen Zugeständnisse, die den Arbeitern auferlegt wurden, retteten nie einen einzigen Arbeitsplatz. Seit 1979 ist die Zahl der UAW-Mitglieder bei GM, Ford und Chrysler von 750.000 auf 150.000 gesunken. Als Belohnung für ihren Verrat an den Arbeitern erhielt die UAW Milliarden von den Autobossen – Schmiergelder, die über Gewerkschaftstrainingszentren gewaschen wurden. Über einen eigenen Gesundheits- und Pensionsfonds ist die UAW auch im Besitz von 100 Millionen GM-Aktien im Wert von rund 4 Milliarden Dollar.

Manager von Fiat Chrysler haben Millionen an illegalen Bestechungsgeldern an UAW-Verhandlungsführer gezahlt, weil sie in den letzten zehn Jahren Verträgen zustimmten, die die Löhne neuer Mitarbeiter halbierten, den Achtstundentag abschafften und die Zahl der Leiharbeiter, die UAW-Gebühren zahlen, aber keine Rechte haben, drastisch ausweiteten.

Die Schließung des Lordstown-Werks ist das tragische Ergebnis von fast einem halben Jahrhundert endlosen Verrats. Die Gewerkschaften haben längst aufgehört, Organisationen der Arbeiterklasse zu sein, und beteiligen sich heute eifrig an der Ausbeutung der Arbeiter.

Wenn sich die Arbeiter jetzt auf die bevorstehenden Kämpfe vorbereiten – gegen die Werksschließungen und in den Tarifverhandlungen in diesem Sommer –, müssen sie diese vergangenen Erfahrungen durchdenken und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Sie müssen den korrupten rechten Gewerkschaften die Führung des Kampfes entreißen und neue Kampforganisationen, Aktionskomitees, aufbauen, die unabhängig von der UAW sind und sich auf eine völlig andere Perspektive und Strategie stützen.

Die einzige Antwort auf den globalen Angriff der transnationalen Autogiganten und ihrer Investoren auf Arbeitsplätze und Lebensstandards ist die Vereinigung der Autoarbeiter auf der ganzen Welt – gegen den Wettlauf um die niedrigsten Löhne, der von den Unternehmen und Gewerkschaften angeheizt wird. Der Aufstand der Maquiladora-Arbeiter im mexikanischen Matamoros gegen Sklavenlöhne und die von den Gewerkschaften durchgesetzten Ausbeutungsbedingungen in den Betrieben zeigt, dass Arbeiter in Mexiko, China und anderen Ländern nicht die Feinde der US-Arbeiter sind, sondern ihre Verbündeten und Kampfgenossen.

Die breite Mobilisierung von Autoarbeiter durch Streiks, Werksbesetzungen und Massenprotesten und der Kampf um die Vereinigung mit aller Arbeiter in den USA und international müssen mit einer neuen sozialistischen Strategie bewaffnet werden. Die Arbeiterklasse muss das angebliche „Recht“ der kapitalistischen Ausbeuter, Werke zu schließen und das Leben von Tausenden Arbeitern zu zerstören, ablehnen. Stattdessen ist es notwendig, riesige Konzerne wie GM in öffentliche Unternehmen umzuwandeln und unter demokratische Kontrolle zu stellen. Die Weltwirtschaft muss reorganisiert werden, um menschlichen Bedürfnissen, nicht Konzernprofiten zu dienen.

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