Sozialistische Gleichheitspartei beantwortet Schriftsatz des Verfassungsschutzes

Der Verfassungsschutz missbrauche „seinen gesetzlichen Auftrag in rechtlich unzulässiger Weise“, wenn er „Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und die Propagierung von dessen Überwindung als per se ‚verfassungsfeindlich‘ stigmatisiert“, heißt es in einem Schriftsatz, den die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) am 30. Juli beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht hat.

Die SGP hatte Anfang des Jahres dagegen geklagt, dass sie im Verfassungsschutzbericht 2017 als „linksextremistisch“ und als „Beobachtungsobjekt“ gebrandmarkt wird. Das Bundesinnenministerium, dem der Verfassungsschutz untersteht, reagierte darauf am 15. Mai mit einer ausführlichen Antwort. Darin erklärt es das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“, die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ und das „Denken in Klassenkategorien“ für verfassungswidrig.

Die WSWS hat über die Klage der SGP sowie über die Antwort des Innenministeriums bereits ausführlich berichtet.

Der neue Schriftsatz, den Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle im Auftrag der SGP verfasst hat, widerlegt die 56-seitige Antwort des Innenministeriums Punkt für Punkt. Diese verfehle den gesetzlichen Maßstab, „nach dem ein Personenzusammenschluss als ‚verfassungsfeindlich‘ in der Öffentlichkeit genannt werden kann“, lautet die Bilanz.

Bereits das Verhalten des Verfassungsschutzes in der Auseinandersetzung mit der SGP lasse „eine erhebliche Distanz zu den von ihm vorgeblich zu schützenden zentralen Verfassungswerten erkennen“, schreibt RA Stolle. Der Verfassungsschutz sei seinem Antrag und der Aufforderung des Gerichts, Einsicht in die Sachakte zu gewähren, nicht nachgekommen und habe lediglich „ein für das hiesige Verfahren nicht relevantes Konvolut von nicht aussagekräftigen E-Mails vorgelegt“. Das Recht auf Akteneinsicht sei aber „wesentlicher Teil der im Rechtsstaat grundsätzlich unverzichtbaren Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten“. Die Verweigerung dieses Rechts verhindere „die Führung eines fairen Verfahrens“.

Inhaltlich weist der Schriftsatz detailliert nach, dass sich der Verfassungsschutz auf „Beweise“ stützt, die nichts mit der SGP zu tun haben, oder dass er seine Macht missbraucht, indem er völlig legitime marxistische und sozialistische Ansichten, Kritik am Kapitalismus und die Ablehnung von Nationalismus und Militarismus als verfassungsfeindlich brandmarkt. „Die Bewertung des Eintretens für eine gerechtere Wirtschaftsordnung als verfassungsfeindlich“, so der Schriftsatz, „ist selbst nicht mit der Verfassung vereinbar“.

Der Verfassungsschutz bediene sich „zu seiner ‚Beweisführung‘ Unterlagen und Dokumenten, die zum einen sich nicht auf die Klägerin [d.h. die SGP] beziehen, zum anderen in einem vollkommen anderen historischen Kontext entstanden sind“, heißt es in dem Schriftsatz. Diese Unterlagen und Dokumente würden dann „in einer Weise interpretiert, die der Bedeutung und dem Aussagegehalt der sich aus der Verfassung ergebenden Grundwerte diametral entgegensteht“.

Nach dem Maßstab des Verfassungsschutzes, heißt es weiter, sei „jedes Eintreten für den Sozialismus, jede Bezugnahme auf Karl Marx, Friedrich Engels, Rosa Luxemburg, Leo Trotzki, Waldimir Iljitsch Lenin unvereinbar mit dem Grundgesetz“. Seine Ausführungen erinnerten „an die Zeit der Sozialistengesetze unter Bismarck, als Personenzusammenschlüsse, die sich für den Sozialismus einsetzten, vom deutschen Staat verfolgt wurden“.

Der Verfassungsschutz stützt sich in seinem Schriftsatz weitgehend auf das Urteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht 1956 die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) verbot.

Dazu stellt RA Stolle fest, dass die damalige KPD nichts mit der SGP zu tun habe. Die trotzkistische Bewegung, in deren politischen Tradition die SGP stehe, habe den Stalinismus bekämpft und sei von den stalinistischen Parteien, einschließlich der KPD, verfolgt worden. „Die zu ihr getroffenen Aussagen sind daher auch nicht auf die Klägerin übertragbar.“

Weiter weist Stolle darauf hin, dass das KPD-Urteil „unter fragwürdigen rechtsstaatlichen Bedingungen entstanden“ sei und „in der derzeitigen Form nicht mehr ergehen würde“. Es sei entstanden zu „der Zeit des Kalten Krieges“, zu „einer Zeit, die geprägt war von einem weitgehenden Antikommunismus“ und „zu der an vielen Stellen der Verwaltung und der Justiz noch Alt-Nazis saßen“.

Ausführlich befasst sich der Schriftsatz mit der Behauptung des Verfassungsschutzes, die Kritik der SGP am kapitalistischen Wirtschaftsystem richte sich gegen die Demokratie.

RA Stolle weist darauf hin, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „der Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur wenige, zentrale Prinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind“, umfasse. „Dazu gehören u.a. die Menschenwürdegarantie, das Demokratieprinzip, der Grundsatz der Volkssouveränität und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.“ Gegen diese Prinzipien richte sich das Bestreben der SGP nicht. Eine bestimmte Staatsform, wie z.B. die parlamentarische Demokratie, werde von diesen Prinzipien dagegen nicht umfasst.

„Dass ein kapitalistisches Wirtschaftssystem zwangsläufig mit demokratischen Grundprinzipien in Konflikt gerät, dürfte offenkundig sein und auch dem Beklagten als Nachrichtendienst nicht verborgen geblieben sein,“ heißt es weiter in dem Schriftsatz. Als Beispiele werden „die Macht von Konzernen wie Amazon, Google, Facebook und Twitter“ und die Bankenkrise 2008/2009 angeführt.

Die Argumentation des Verfassungsschutzes in dieser Frage sei „tendenziös“. Das manifestiere sich u.a. in dem Versuch, die Forderung, „die großen Konzerne (wie Bombardier) zu enteignen“, als eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bewerten. Damit bestätige der Verfassungsschutz indirekt, „dass er sich dem Schutz wirtschaftlicher Interessen von großen Konzernen und nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlt“.

„Ein bedenkliches demokratisches Grundverständnis“ offenbare sich auch, wenn der Verfassungsschutz das folgende Zitat aus der Grundsatzerklärung der SGP als Argument für angeblich verfassungswidrige Bestrebungen heranziehe: „Solange wirtschaftliche Entscheidungen, die über das Leben von Millionen Menschen entscheiden, privaten Unternehmen und Banken überlassen bleiben, ist wirkliche Demokratie nicht möglich.“

Das Grundgesetz, so RA Stolle, enthalte „keine unmittelbare Festlegung und Gewährung einer bestimmten Wirtschaftsordnung“ und „auch keine konkreten Grundsätze zur Gestaltung des Wirtschaftslebens“. Dies obliege allein dem Gesetzgeber.

Aus dem Bekenntnis der SGP zum Marxismus den Schluss zu ziehen, sie „strebe nach der Abschaffung der Demokratie“, sei „abwegig“, heißt es in dem Schriftsatz weiter. Die SGP vertrete „vielmehr die Auffassung, dass Menschenwürdegarantie, Demokratieprinzip, Volkssouveränität und andere freiheitlich-demokratische Grundsätze sich nur voll entfalten können, wenn sie sich auch auf das wirtschaftliche Leben erstrecken“. Gerade in jüngster Zeit seien „zahlreiche Publikationen und wissenschaftliche Studien erschienen, die nachweisen, dass die in allen OECD-Ländern zu beobachtende soziale Ungleichheit die Demokratie untergräbt.“

Auch den Behauptungen des Verfassungsschutzes, die SGP propagiere Gewalt, befürworte einen „Putsch“, strebe die Herrschaft einer Minderheit an, und die von ihr befürwortete sozialistische Revolution richte sich „gegen die Menschenrechte und gegen demokratische Prinzipien“, tritt der Schriftsatz kategorisch entgegen.

„An keiner Stelle und auch nicht im Tatsächlichen propagiert die Klägerin die Anwendung von Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele“, heißt es darin. Die SGP beziehe sich immer nur im Kontext der historischen Erfahrung auf die Anwendung von Gewalt, „dass Gegner der von ihr propagierten Gesellschaftsordnung auch nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückschrecken“. Wenn der Fall eintrete, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung für die von der SGP propagierten Ziele einsetze, könne es sein, „dass die Minderheit, die sich als Feind dieser Gesellschaftsordnung bzw. als Gegner derselben begreift, auch zu Mitteln der Gewalt greifen wird. An Chile 1973, Nicaragua ab 1980 und Kuba 1961 sei erinnert.“

Das Programm der SGP ziele „darauf ab, die Mehrheit der Bevölkerung – die Arbeiter – von ihrem Weg zu überzeugen und darüber die Mehrheit zu erlangen.“ Nichts davon verstoße gegen demokratische Prinzipien. Die von der SGP anvisierte Gesellschaft schließe auch „nicht bestimmte Personen oder Personengruppen von einer gesellschaftlichen Partizipation aus“, sondern wolle „nur Privilegien für bestimmte Gruppen abschaffen, so dass jeder und jede unter den gleichen Voraussetzungen an der Gesellschaft partizipieren kann“.

Vernichtend für den Verfassungsschutz fallen auch die Passagen über Imperialismus und Militarismus aus. Der Verfassungsschutz hatte in seinem Schriftsatz behauptet, die Agitation der SGP „gegen angeblichen ‚Imperialismus‘ und ‚Militarismus‘“ sei verfassungsfeindlich, weil sie mit der Forderung nach Überwindung des Kapitalismus verbunden sei.

Darauf antwortet RA Stolle, auch in diesem Kapitel zeige der Verfassungsschutz, „dass er seinen gesetzlichen Auftrag grundlegend verkennt“. Wenn er glaube, „dass die in jüngerer Vergangenheit geführten Kriege gegen den Irak oder die Kriegsdrohung gegen den Iran der Schaffung von Freiheit und Demokratie in dieser Region dienen“, könnten „die Fortschritte im Bereich Demokratie und Freiheit in diesen Ländern gerne zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden“.

Es sei „belegt, dass Mitursache wenn nicht sogar Hauptmotor für den Krieg gegen den Irak wirtschaftliche Interessen gewesen sind. … Warum vor diesem Hintergrund die Behauptung, kapitalistisches Gewinnstreben führe auch immer zum Krieg, falsch und/oder verfassungsfeindlich sein soll, bleibt im Dunkeln.“ Selbst wenn man diese Behauptung nicht teile oder für falsch halte, sei darin keine verfassungsfeindliche Bestrebung zu sehen.

Der Schriftsatz von RA Stolle belegt in juristischer Sprache, was die SGP am 23. Juli bereits politisch über die Antwort des Verfassungsschutzes geschrieben hatte. Sie ist „eine wütende Hetzschrift gegen den Marxismus und jede Form sozialistischen, linken und fortschrittlichen Denkens“. Sie „zeigt, wie sehr der Verfassungsschutz zu einem Sprachrohr der extremen Rechten geworden ist“.

„Die SGP“, erklärten wir, „ist ins Fadenkreuz des Verfassungsschutzes geraten, weil sie sich dem wachsenden Militarismus und dem massiven Rechtsruck entgegenstellt und damit die breite Opposition in der Bevölkerung zum Ausdruck bringt. … Der Angriff auf die SGP zielt aber gegen jede fortschrittliche Bewegung. … Setzt sich das Innenministerium damit durch, schafft es einen gefährlichen Präzedenzfall. Er kann genutzt werden, um gegen jeden vorzugehen, der gegen soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung, staatliche Repression, militärische Aufrüstung und andere Missstände der kapitalistischen Gesellschaft ankämpft.“

Wir wiederholen unseren Appell an alle, die für demokratische Rechte eintreten und das Anwachsen der Rechten nicht hinnehmen, die SGP in ihrer Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz zu unterstützen. Spendet hier für die Verteidigung der SGP und registriert euch hier als aktive Unterstützer. 

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