„Und der Zukunft zugewandt“ – ein Film über die stalinistischen Wurzeln der DDR

Der Film „Und der Zukunft zugewandt“ von Bernd Böhlich erscheint passend vor dem 30-jährigen Jubiläum des Zusammenbruchs der DDR. Er gehört zu einer Reihe neuerer Filme, die die Widersprüche der DDR thematisieren und die Behauptung widerlegen, mit ihrem Untergang sei der Sozialismus gescheitert. Dazu gehören Filme wie „Gundermann„ (Andreas Dresen), „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (Matti Geschonneck) oder „Das schweigende Klassenzimmer„ (Lars Kraume). Böhlichs sehenswerter Film erinnert an das finsterste Kapitel der DDR, ihre Vorgeschichte.

Plakat zum Film

Wer in den dreißiger und vierziger Jahren im stalinistischen Straflager von Workuta eingesperrt war, galt als antisowjetischer Feind des Sozialismus, als Saboteur, Spion oder „Trotzkist“. Im Film sind es die KPD-Mitglieder Antonia Berger, Irma Seibert und Susanne Schumann. Antonia hatte der kommunistischen deutschen Agitpropgruppe „Kolonne links“ angehört, die in den 30er Jahren während einer Tournee durch die UdSSR ins Räderwerk der stalinistischen Säuberungen geriet. Im Zuge des immer offeneren Nationalismus als feindliche Ausländer beargwöhnt, erklärte man sie nach Kriegsausbruch zu faschistischen Spionen. Von der Gruppe überlebte allein Antonia.

1952 werden die drei Frauen plötzlich in die DDR entlassen. Dort angelangt, erhalten sie komfortable Wohnungen, gutbezahlte Arbeit. Antonia wird die neue Leiterin eines Kulturhauses. Vorher müssen sie ein Papier unterschreiben, dass sie unter Strafandrohung verpflichtet, über ihren „Aufenthalt in der Sowjetunion“ zu schweigen. Sie sind fassungslos. Statt die Sache aufzuklären, sagt ihnen der SED-Sekretär für Agitation und Propaganda Silberstein, was ihnen widerfahren sei, habe nichts mit Kommunismus zu tun gehabt. Es werde „eine Zeit kommen, da werden wir über alles reden, aber nicht jetzt“.

1952 ist das Jahr, in dem Walter Ulbricht den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR verkündet. Aber was soll das für ein Sozialismus sein, der mit einer großen Lüge beginnt? Das fragt sich Antonia, doch sie schweigt. Trotz ihrer Zweifel will sie den Neubeginn nicht behindern. Doch das Redeverbot isoliert sie und die anderen. Antonia kann selbst ihrer Mutter nicht sagen, wo sie in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, warum sie nicht mal eine Postkarte geschrieben hat. Als im Kulturhaus ein ahnungsloser Genosse eine Rarität, eine alte Tonaufnahme der „Kolonne links“ für sie auflegt, verlässt sie zutiefst erschüttert den Saal und wird von Silberstein ermahnt.

Keine der Frauen hat eine feste Beziehung. Auch die vorsichtige Liebe zwischen Antonia und dem Arzt Konrad, der ihrer Tochter das Leben rettete, scheitert. Konrad war aus dem Westen in die DDR gekommen, angezogen von der Perspektive einer besseren Gesellschaft, wo nicht nur das Geld zählt. Am Boden zerstört über den Tod Stalins, platzt er in die Gesellschaft der drei Frauen, die Stalins Tod mit Sekt feiern. Konrad erfährt, dass Antonias Mann nicht bei einem Unfall gestorben, sondern als „Kommunist von Kommunisten“ in Workuta erschossen worden ist. Er liest Antonias Lager-Tagebuch und geht danach desillusioniert zurück nach Westdeutschland.

Antonias Persönlichkeit, hervorragend differenziert gespielt von Alexandra Maria Lara (u.a. „Der Untergang“, „Der Vorleser“, „Der Fall Collini“), und ihre Fragen und Zweifel enthalten vieles von dem, was viele einfache KPD-Mitglieder und Sympathisanten bewegte, als sie „unschuldig inhaftiert“ wurden.

Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) widersetzt sich den Folgen einer Lüge – Leo Silberstein (Stefan Kurt) und sein Vernehmer (Peter Kurth) stellen sie zur Rede (Foto: Neue Visionen Filmverleih)

Im Westen säßen die alten Nazis, und der eigenen Bevölkerung sei nicht zu trauen, rechtfertigt Parteisekretär Silberstein im Film die Lüge. Die wechsele ihre Überzeugungen wie Wäsche, gestern braun heute blau. „Unschuldig in einem sowjetischen Lager, wisst ihr was das bedeutet? Die wechseln gleich wieder das Hemd und unsere Chance ist vertan.“ Regisseur Böhlich trifft hier gut den Ton der SED-Bürokraten, die zwar immer den Sozialismus im Munde führten, aber die Arbeiterklasse mit Verachtung behandelten.

Antonia lässt nicht locker: Sie wirft die Frage der alten Bolschewiki auf, die in den Schauprozessen der 30er Jahre zum Tode verurteilt wurden. Warum sollen die engsten Kampfgefährten Lenins zu Verbrechern geworden sein? Als erstes fragt sie nach Leo Trotzki, dann Kamenew und Sinowjew.

Sie ahnt, dass etwas sehr faul ist, ohne zu wissen was – und verlangt von der Partei Aufklärung. Mit ihren Nachfragen handelt sie sich einen Aufenthalt im Stasi-Gefängnis ein. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“, so der Verhöroffizier. Der alte KPD-Kämpfer reagiert auf Antonias Beteuerung, unschuldig in einem sowjetischen Lager gesessen zu haben, mit einem Wutanfall. Er entblößt sein Holzbein, eine Folge medizinischer Experimente im KZ-Buchenwald. Dieses, betont er, sei ein Lager gewesen. Diese Auseinandersetzung gehört zu den besonders beeindruckenden Szenen des Films.

Die Szene danach, in der Antonia ihr Tagebuch verbrennt, weil es ihr nur Unglück bringt, tut weh. Die Wahrheit, wann hätte ich sie denn sagen sollen – sagt Antonia bitter, als Konrad sie im November 1989 anruft. Die Mauer ist gerade gefallen.

Solange die DDR existierte, hatte sie das Gefühl, dass ihre Leiden, ihr Schweigen, vielleicht doch so etwas wie einen Sinn gehabt hatte. War es vielleicht notwendig, sich zurückzuhalten, solange der „Sozialismus“ unter dem Druck der kapitalistischen Welt stand? Nicht wenige Menschen in der DDR hofften nach dem Tod Stalins auf Verbesserungen und sahen sich spätestens 1968 getäuscht. „Lenin wach auf!“ erinnert sich Antonia an ein hoffnungsvolles Transparent in Prag. „Aber Lenin wachte nicht auf“, stattdessen zerstörten die sowjetischen Panzer jede weitere Hoffnung.

Dennoch sieht Antonia den Kapitalismus nicht als Alternative. Als andere Hausbewohner sie nach dem Mauerfall zu einem Besuch Westberlins abholen wollen, lehnt sie ab. Auch Konrad will sie nicht treffen. Zum Schluss geht sie mit ihrer Tochter zu ihrer Mutter zurück und erzählt ihr die Wahrheit über ihre lange Abwesenheit. Sie umarmt sie, sichtbar erleichtert, und sagt, jetzt werde man neu anfangen. Es klingt doppeldeutig: Ein neues Leben kann sich nicht auf Lügen begründen, genauso wenig eine zukünftige, wirklich sozialistische Gesellschaft.

Das lässt auch der Titel anklingen, der sich auf die DDR-Hymne bezieht: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.“ Es ist ein bitterer Film, der deutlich macht, dass die DDR auf der gigantischen historischen Lüge basierte, dass Stalinismus irgendetwas mit Sozialismus zu tun gehabt hätte. Der bei Dresden geborene Regisseur Bernd Böhlich (u.a. Polizeiruf 110 mit dem beliebten Dorfpolizisten Krause; Du bist nicht allein, 2007) stellt die Frage nach dem Warum des stalinistischen Terrors 30 Jahre nach der kapitalistischen Restauration sehr eindringlich und von einem linken Standpunkt.

Für seinen Film hat er auch das Drehbuch geschrieben. Noch vor dem Mauerfall habe er von der DDR-Schauspielerin Swetlana Schönfeld erfahren, dass sie 1951 im Straflager in Workuta geboren wurde, berichtet er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Dies habe ihn fassungslos gemacht, und darauf habe er recherchiert. Doch erst mit dem Mauerfall sei er an entsprechende Literatur gekommen, habe alles gelesen, was er zu greifen bekam und sich mit Zeitzeugen unterhalten. Mehr und mehr sei ihm dadurch bewusst geworden, dass der Untergang der DDR mit ihrer Geschichte zu tun habe.

Regisseur Bernd Böhlich

Das Schweigen über die stalinistischen Verbrechen sei der „Geburtsfehler“ der DDR gewesen, so Böhlich. Auch Swetlana Schönfeld, die im Film die Mutter spielt, sagte dem RBB, die DDR sei gescheitert, weil sie auf Lügen aufgebaut gewesen sei. Ihre Mutter, eine überzeugte Kommunistin, war 1932 im berüchtigten Moskauer Hotel Lux verhaftet worden und hatte 20 Jahre im Lager verbracht. Ihr Vater wurde tatsächlich im Lager ermordet, wie es auch der Film zeigt. 1957 wurden sie in die DDR „umgesiedelt“, nachdem sich alte KPD-Freunde für sie eingesetzt hatten.

Die deutschen Kommunisten, die in die Sowjetunion kamen, waren für Stalin von Anfang an ein Dorn im Auge, weil er ihre Kritik an der verheerenden stalinistischen Politik in Deutschland vor 1933 fürchten musste. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt nahmen die Verhaftungen und Erschießungen zu. Dass auch aufrechte Anhänger Stalins als „Trotzkisten“ angeklagt wurden, war kein Versehen. Trotzkis Schriften gegen den drohenden Faschismus und seine Vorschläge einer Einheitsfront von SPD und KPD waren unter KPD-Mitgliedern bekannt, und seine Einschätzung wurde mit dem Sieg Hitlers auf tragische Weise bestätigt.

Die Wahrheit über den Gulag mussten auch die wenigen KPD-Funktionäre fürchten, die bei Kriegsende aus der Sowjetunion zurückkamen und die Gründung der DDR organisierten, wie die Gruppe um Walter Ulbricht. Manch einer hatte die eigenen Genossen ans Messer geliefert.

In der DDR herrschte „realer Stalinismus“, sagt Böhlich, nicht „realer Sozialismus“. Dass er im Film die alten Bolschewiki, und dabei an erster Stelle Leo Trotzki, nennt und sie in eine gemeinsame Front mit Lenin stellt, ist neu für die Filmographie über die DDR seit der Wende und ein wichtiger Schritt zu einer ehrlichen Aufarbeitung ihrer Geschichte.

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