Polen: Staatliche Geschichtsfälschung und Kriegshetze überschatten Gedenken an Auschwitz-Befreiung

Am Montag fand an der Gedenkstätte für das frühere Vernichtungslager Auschwitz ein Festakt zur Erinnerung an die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 statt. Neben den Staatsoberhäuptern von Polen, Deutschland, Israel, der Ukraine und Ungarn nahmen auch etwa 200 Überlebende des Lagers, die mittlerweile zwischen 80 und 90 Jahre alt sind, an der Zeremonie teil.

Auschwitz spielte eine zentrale Rolle in den Verbrechen der Nazis und vor allem beim Völkermord an den europäischen Juden: In diesem Lager wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Juden vergast. Außerdem hatte man etwa 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma und 10.000 sowjetische Kriegsgefangene sowie Hunderte von Homosexuellen und Zeugen Jehovas nach Auschwitz deportiert. Zigtausende von ihnen wurden vergast, weitere Zehntausende starben an Hunger, Krankheiten, durch Zwangsarbeit, Erschöpfung oder Folter.

Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind tief bewegt in Erinnerung an das Grauen des Faschismus und zutiefst beunruhigt über das aktuelle Wiederaufleben von Antisemitismus und faschistischen Kräften weltweit. Zu den populärsten Hashtags auf Twitter gehörten am Montag #NeverAgain und #Auschwitz75. Millionen Menschen verfolgten die umfangreiche Berichterstattung der Medien und die Interviews mit den wenigen noch lebenden Zeitzeugen. Mehrere Überlebende hielten bei der Zeremonie eine Rede, in der sie beeindruckend und eindringlich vor einer Wiederholung der Nazi-Verbrechen und einem Wiederaufleben von Faschismus und Antisemitismus in der heutigen Zeit warnten.

Allerdings repräsentieren die Politiker, die bei der Zeremonie sprachen, auch Parteien und eine staatliche Politik, die direkt für das Wiederaufleben von faschistischen und antisemitischen Kräften und rechtsextremem Geschichtsrevisionismus verantwortlich sind.

Bei der Eröffnung des Festakts erklärte der polnische Präsident Andrzej Duda von der rechtsextremen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Verbrechen in Auschwitz seien historisch beispiellos und man müsse verhindern, dass sich diese Verbrechen wiederholen. Er erwähnte den „organisierten, systematischen Massenmord“ an den Juden und die Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener, Polen, Sinti und Roma.

Vor fünf Jahren hatte die polnische Regierung noch ausdrücklich geleugnet, dass das Lager von der Roten Armee befreit wurde. Dieses Jahr erwähnte Duda in einem Halbsatz, dass Auschwitz von „Soldaten der Roten Armee“ befreit wurde. Einen Großteil seiner Redezeit verwandte er darauf, Polen aufgrund des Überfalls der Nazis am 1. September 1939 als das „erste Opfer“ der Aggression Nazi-Deutschlands darzustellen. Duda betonte außerdem, dass die Polen die „europaweit größte organisierte Widerstandsbewegung gegen die Nazis“ gestellt hätten. Er verurteilte Geschichtsfälschungen, die Leugnung des Holocausts und die „Instrumentalisierung von Auschwitz für andere Ziele“.

Der israelische Präsident Reuven Rivlin verurteilte in seiner Rede ebenfalls das Wiederaufleben des Antisemitismus.

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der am Montag erstmals zu Besuch in Auschwitz war, erklärte: „Auschwitz, das ist die Summe von völkischem Denken, Rassenhass und nationaler Raserei.“ Er beschrieb Auschwitz als einen „Ort des Schreckens und deutscher Schuld“ und rief dazu auf, ein Wiederaufleben ähnlicher Schrecken in der Gegenwart zu verhindern, auch in Deutschland.

Dudas und Steinmeiers Verurteilungen von Faschismus und Antisemitismus stehen in krassem Kontrast zur politischen Praxis ihrer Staaten. In den letzten Jahren standen die polnische und die deutsche Regierung an der Spitze eines massiven Rechtsrucks und haben systematisch Geschichtsrevisionismus in ganz Europa propagiert. In Deutschland wurde die neofaschistische AfD bewusst von der Bourgeoisie aufgebaut und zur größten Oppositionspartei im Bundestag gemacht. Der deutsche Staat hat neonazistische Terrornetzwerke finanziert und geleitet, die Immigranten und linke Politiker angegriffen und ermordet haben.

Die Medien propagierten die rechtsextremen Positionen von Professor Jörg Baberowski – der behauptet: „Hitler war nicht grausam“ und vor kurzem erklärt hat, Hitler „wollte nichts von Auschwitz hören“ – während sie gleichzeitig die Kritiker solcher Äußerungen massiv angriffen. Auch das deutsche Kultusministerium hat Baberowski ausdrücklich unterstützt. (Siehe: „75 Jahre seit der Befreiung von Auschwitz“)

In Polen hat die PiS-Regierung, in der mehrere berüchtigte Antisemiten aktiv sind, systematisch rechtsextreme paramilitärische Gruppierungen aufgebaut. Im Jahr 2018 unterzeichnete Präsident Duda ein Gesetz, das es bei Strafe verbietet, die Teilnahme von Polen an den Verbrechen der Nazis gegen Juden zu erwähnen. Polnische Regierungsvertreter, darunter Duda selbst, haben mehrfach an rechtsextremen Demonstrationen teilgenommen. Letztes Jahr durfte eine Gruppe von Faschisten am 74. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auf dem Gelände des Lagers aufmarschieren.

Die ukrainische Regierung von Wolodymyr Selenskyj pflegt enge Verbindungen zu Neonazis und hat vor kurzem mehrere Nazi-Kollaborateure und Verantwortliche für antijüdische Pogrome zu „Nationalhelden“ erklärt. In Ungarn steht die Regierung von Viktor Orban an der Spitze der europaweiten Hinwendung der Bourgeoisie zu Autoritarismus und der brutalen Unterdrückung von Flüchtlingen. Auch sie propagiert Rassismus und Antisemitismus.

Abscheu und Widerstand gegen diese Politik in der Masse der Bevölkerung sind der Hauptgrund, warum sich diese Politiker jetzt gezwungen sehen, den Opfern des Holocaust und des Faschismus Anerkennung zu zollen und bei der Zeremonie am Montag von offenen Geschichtsfälschungen abzusehen.

Dennoch war der Festakt von den weit fortgeschrittenen Kriegsvorbereitungen der imperialistischen Mächte überschattet. Nur wenige Tage vor der Gedenkveranstaltung begannen die USA, ihre Truppen für die Nato-Übung „Defender Europe 20“ im Frühjahr nach Europa zu verlegen. Mit etwa 37.000 Soldaten aus den USA und den anderen Nato-Staaten wird sie die größte Nato-Militärübung seit einem Vierteljahrhundert sein. Ihr offen sichtbares Ziel ist die Vorbereitung eines Kriegs gegen Russland.

Im Vorfeld der Gedenkveranstaltung in Polen von Montag fand eine weitere in Jerusalem statt, bei der US-Vizepräsident Mike Pence und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf einen Krieg gegen den Iran drängten. Duda hatte die Zeremonie in Jerusalem boykottiert, weil er im Gegensatz zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht eingeladen wurde, um eine Rede zu halten. Dudas Boykott der Zeremonie ist Teil eines erbitterten diplomatischen Streits zwischen Warschau und dem Kreml über den Zweiten Weltkrieg.

Nachdem die EU im September 2019 eine Resolution angenommen hatte, in der die Sowjetunion und Nazi-Deutschland gemeinsam für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht und die Verbrechen des „Kommunismus“ mit denen der Nazis gleichgesetzt wurden, begann der Kreml eine umfangreiche Kampagne zur Rechtfertigung des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939. Die russische Regierung argumentierte, Polen sei zum Teil für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich, woraufhin Warschau behauptete, die Sowjetunion und Nazi-Deutschland hätten den Zweiten Weltkrieg begonnen.

Beide Argumentationen basieren auf Geschichtsfälschungen in Hinblick auf den Charakter des Stalinismus und die Ursachen des Krieges. Der Hitler-Stalin-Pakt, der den deutschen Angriff auf Polen erheblich erleichterte, war der Höhepunkt einer Serie von verheerenden Verrätereien des Stalinismus an der Arbeiterklasse, deren Wurzeln im nationalistischen Verrat der Oktoberrevolution von 1917 durch die Sowjetbürokratie liegen.

Die stalinistische Politik der Komintern hatte Hitlers Machtergreifung 1933 ermöglicht, ohne dass die sechs Millionen Menschen zählende Arbeiterbewegung in Deutschland organisierten Widerstand leisten konnte. 1936–1938 begann die stalinistische Bürokratie einen organisierten Massenmord an den Revolutionären in der UdSSR und Spanien, der sich hauptsächlich gegen Trotzkisten, sozialistische und marxistische Arbeiter und Intellektuelle richtete. Sein Höhepunkt war die Ermordung Leo Trotzkis durch einen stalinistischen Agenten im August 1940.

Doch trotz der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus blieb die Sowjetunion ein degenerierter Arbeiterstaat. Die Trotzkisten verteidigten ihn gegen den Angriff des deutschen Imperialismus, der im Juni 1941 begann, und die Rote Armee spielte eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Nazismus. Die russische Oligarchie, für die Putin spricht, ist ein Produkt der stalinistischen Bürokratie, die 1991 die UdSSR auflöste. Von Krisen geschüttelt und aus Angst vor drohenden sozialen Erhebungen der Arbeiterklasse verteidigt sie die konterrevolutionäre Politik des Stalinismus heute noch aggressiver.

Die falsche Gleichsetzung von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion war lange Zeit die Grundlage für rechte Geschichtsfälschungen, vor allem in Osteuropa. Sie verband die Unterstützung von aggressivem Antikommunismus mit einer Relativierung der Verbrechen des Faschismus. Nazi-Deutschland war zwar zweifellos der Aggressor, der den Zweiten Weltkrieg begann und für die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verantwortlich ist, doch die Ursache für den Krieg lag in den unlösbaren Widersprüchen und der Krise des internationalen kapitalistischen Systems. Die gleiche Krise wie damals, die heute nur viel weiter fortgeschritten ist, ist die Ursache für das Wiederaufleben des Faschismus und die Gefahr eines dritten Weltkriegs.

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