Perspektive

Die Antwort der Arbeiterklasse auf die Coronavirus-Pandemie

Die Ausbreitung des Coronavirus in den Vereinigten Staaten entwickelt sich immer rasanter zu einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe. Die Auswirkungen und die möglicherweise enorm hohen Opferzahlen werden sich in den kommenden Wochen zeigen. Das Virus hat jedoch bereits jetzt offenbart, welche Folgen das kriminelle Verhalten der herrschenden Elite hat.

Weltweit liegt die Zahl der Fälle inzwischen bei über 120.000, wobei die Neuinfektionen in Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und Iran rapide zunehmen. Es gibt bereits mehr als 4.200 Todesopfer. Die Vereinigten Staaten sind aufgrund ihrer extremen sozialen Ungleichheit und des erbärmlichen Zustands der sozialen Infrastruktur möglicherweise am stärksten betroffen.

Die Gesamtzahl der Fälle in den USA liegt jetzt bei über 1.000, mit mindestens 31 Toten. In New York, das sich schnell zu einem Zentrum des Ausbruchs entwickelt, kommen laut Bürgermeister Bill de Blasio „so rasant“ neue Fälle hinzu, dass die Stadt nicht in der Lage ist, genaue Informationen zu liefern. Demnach gibt es aktuell 36 bestätigte Fälle in New York City und 173 im gesamten Bundesstaat.

Gesundheitspersonal misst die Temperatur eines Reisenden auf einem Autobahnparkplatz bei Gries am Brenner im österreichischen Tirol an der Grenze zu Italien, 10. März 2020. (AP Photo/Kerstin Joensson)

Los Angeles meldete am Montag die erste Infektion unbekannter Herkunft, bei der die betroffene Person weder aus einem Risikogebiet kam noch mit einem Infizierten Kontakt hatte. Damit steigt die Gesamtzahl in der Stadt auf 19. Massachusetts bestätigt 51 neue Fälle. Damit sind in dem Bundesstaat bereits 92 infiziert, 70 davon vermutlich über eine Konferenz in Massachusetts’ größter Stadt Boston. Das könnte bedeuten, dass die Verbreitung des Virus dort noch weitreichender ist.

Sechs Wochen nach dem ersten gemeldeten Fall in den USA wird die Durchführung der Tests nach wie vor in krimineller Weise vernachlässigt und schlecht koordiniert. In Regionen, in denen keine Fälle gemeldet werden, ist dies eher ein Hinweis auf das völlige Ausbleiben von Tests und die mangelnden Kapazitäten im Gesundheitswesen.

In New Rochelle, einem Vorort von New York, wurde am 2. März der erste Coronavirus-Fall gemeldet. Die betroffene Person war jedoch vier Tage lang in einem Krankenhaus gewesen, bevor sie getestet wurde. Die Zahl der Infizierten in New Rochelle beläuft sich jetzt schon auf 90, die größte Konzentration an der Ostküste. CNN berichtete am Dienstag, dass Feuerwehrmänner in Kirkland, Washington, nach einem Einsatz auf das Virus getestet wurden, aber der Rückstand bei den Tests so groß war, dass ihre Proben schon abgelaufen waren, bevor sie ausgewertet werden konnten.

Die gesamte herrschende Klasse und der Staatsapparat sind für die chaotische Reaktion auf die Verbreitung des Virus verantwortlich.

Jahrzehntelang hat die amerikanische herrschende Klasse, sowohl unter Demokraten als auch Republikanern, eine Umverteilung der Vermögen von der Arbeiterklasse an die Reichen durchgesetzt, während die Sozialsysteme völlig ausgehöhlt wurden. Die Folge ist, dass die amerikanische Gesellschaft nicht die nötigen sozialen Antikörper hat, um die Epidemie zu bekämpfen. Armut, Obdachlosigkeit, fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung, Niedriglöhne, wirtschaftliche Unsicherheit – Millionen Menschen leben unter Bedingungen, die ihre Gesundheit gefährden.

Gesundheit und Gesundheitsvorsorge

Fast die Hälfte der erwachsenen US-Amerikaner ist nicht oder nicht ausreichend versichert, was bedeutet, dass sie keine oder nur eine so kostspielige Krankenversicherung haben, dass sie sie nicht in Anspruch nehmen können. In den letzten zehn Jahren und insbesondere seit der Einführung von Obamacare wurde das Gesundheitswesen weiter in ein Zwei-Klassen-System umstrukturiert. Die Reichen und die obere Mittelklasse haben Zugang zu separaten Einrichtungen und Diensten, der so genannten „Concierge“-Medizin.

Die Vereinigten Staaten haben im Schnitt nur 2,8 Krankenhausbetten für 1.000 Menschen (zum Vergleich: Südkorea und Japan haben mehr als zwölf und China 4,3 Betten pro 1.000 Menschen). Das bedeutet, dass im Falle einer größeren Verbreitung des Virus, die jetzt unvermeidlich erscheint, die verfügbaren Betten schnell ausgehen werden.

Als direkte Folge von Armut und mangelnder Gesundheitsversorgung leiden Millionen Amerikaner unter Vorerkrankungen, die die Wirkung des Coronavirus noch verstärken. Zehn Prozent der Bevölkerung ­– das sind 34 Millionen Menschen – haben Diabetes. Fast die Hälfte aller erwachsenen Amerikaner hat eine Form von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und mehr als 25 Millionen Menschen leiden an Asthma, das sich in den letzten vierzig Jahren rapide verbreitet hat.

Arbeitsplätze und Betriebe

Es wurde praktisch nichts getan, um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Was passiert, wenn sich ein Mitarbeiter eines großen Logistikzentrums von Amazon oder eines Autowerks infiziert? Derzeit gibt es für Arbeiter keinen Schutz vor der Krankheit.

Nur 30 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten werden im Krankheitsfall weiter bezahlt. Das bedeutet, dass sie gezwungen sind, sich zu entscheiden, ob sie krank zur Arbeit gehen und auf ihr Einkommen verzichten, das sie aber für Essen, Miete und das Notwendigste zum Leben brauchen. Darüber hinaus werden mit der Ausbreitung des Coronavirus mehr Unternehmen schließen, wodurch Arbeiter ihr Einkommen verlieren und ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung noch schwieriger wird.

Schulen

Mehrere Schulbezirke wurden bereits geschlossen, darunter einer in der Vorstadt von Seattle mit 23.000 Schülern – einem Zentrum des Virus-Ausbruchs in den Vereinigten Staaten. Daher müssen viele Eltern ohne bezahlten Urlaub zu Hause bleiben oder anderweitig Unterstützung suchen. Schulschließungen werden auch immense Folgen für Schüler haben, die auf kostenlose oder ermäßigte Mahlzeiten angewiesen sind. Mehr als 20 Millionen Schüler in den gesamten USA haben ein Anrecht auf staatliche Ernährungsprogramme, die über Schulen verwaltet werden.

Obdachlosigkeit

Eine halbe Million Menschen in den Vereinigten Staaten sind obdachlos und leben unter unhygienischen Bedingungen, entweder auf der Straße oder in überfüllten Obdachlosenheimen. Bei Obdachlosen ist es auch wahrscheinlicher, dass sie unter Vorerkrankungen leiden, die sie anfälliger für das Coronavirus machen. Es wurde absolut nichts getan, um die Probleme der Obdachlosen zu lösen, auch nicht in Kalifornien, einem Zentrum des Corona-Ausbruchs, wo über 150.000 Obdachlose leben.

Dies sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie das Virus Millionen Menschen betreffen wird. Was passiert, wenn sich das Coronavirus in den US-Gefängnissen ausbreitet, in denen mehr als zwei Millionen Menschen sitzen? Oder in den überlaufenen Haftzentren und Konzentrationslager für Flüchtlinge, die entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko eingerichtet wurden?

Wenn es darum geht, die Zahl der Infektionen zu reduzieren und Leben zu retten, dürfen keine Kosten gescheut werden. Die Arbeiterklasse muss verlangen, dass Regierungen und Arbeitgeber Notfallmaßnahmen zur Bewältigung der Krise ergreifen:

  • Zugängliche und universelle Tests! Es dürfen keine Kosten gespart werden, um all jenen, die Symptome haben, kostenlose Tests zur Verfügung zu stellen.

  • Kostenlose hochwertige Behandlung und gleichberechtigte Versorgung für alle! Die fortschrittlichste medizinische Versorgung muss für alle Menschen unabhängig von Einkommen oder Versicherungsschutz gewährleistet werden.

  • Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle! Niemand darf zur Arbeit gezwungen werden, wenn er krank ist und sich und andere gefährdet.

  • Schutz von Flüchtlingen, Häftlingen und Obdachlosen! Jeder muss einen hohen Lebensstandard und ein sauberes Lebensumfeld haben, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

  • Sichere Arbeitsbedingungen! Alle Arbeiter brauchen eine sichere Arbeitsumgebung und Schutz vor der Verbreitung des Virus. Wo Gefahr besteht, müssen Betriebe und Schulen geschlossen werden. Wer arbeitslos wird, muss ein volles Einkommen erhalten. Alle Mittel müssen eingesetzt werden, um diejenigen, die von Schulschließungen betroffen sind, zu unterstützen, einschließlich bezahlter Freistellung und Hilfe bei der Lebensmittelversorgung.

Die Arbeiterklasse darf angesichts dieser Krise nicht passiv bleiben. Sie muss sich organisieren und für ihre Interessen kämpfen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale schrieb am 29. Februar in einer Erklärung:

Mit der Forderung, dass kapitalistische Regierungen diese Notmaßnahmen ergreifen, gibt die internationale Arbeiterklasse ihr grundlegendes Ziel nicht auf: die Abschaffung des kapitalistischen Systems. Vielmehr wird der Kampf dafür das Bewusstsein der Arbeiterklasse schärfen, ihr die Notwendigkeit internationaler Klassensolidarität verdeutlichen und ihr politisches Selbstvertrauen stärken.

Die Socialist Equality Party ruft die Arbeiter auf, Betriebs- und Nachbarschaftskomitees zu gründen, um ihre Aktivitäten zu koordinieren, ihre kollektive Stärke zu mobilisieren, sicherzustellen, dass Kranke soziale Unterstützung erhalten, und um den Arbeitsschutz zu gewährleisten.

Die Reaktion auf die Pandemie kann nicht den kapitalistischen Politikern – ob Demokraten oder Republikaner – überlassen werden. Diese haben nur ein Ziel vor Augen: den Aktienmarkt zu retten, um die Profite der herrschenden Elite zu sichern. Der Vorschlag der Trump-Regierung, die Lohnsteuer zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln, wird in keiner Weise die Ausbreitung des Virus verhindern, aber dafür als Gelegenheit genutzt werden, um Kürzungen bei der Sozialversicherung und anderen Sozialprogrammen zu fordern.

Die herrschenden Eliten arbeiten nach dem Prinzip: Lass keine Krise ungenützt! Italien hat Militär und Polizei mobilisiert, um Ausgangssperren, Reisebeschränkungen und Verbote für öffentliche Versammlungen durchzusetzen. Ähnliche Maßnahmen wurden in Frankreich beschlossen, und am Dienstag kündigte der Gouverneur von New York die Entsendung der Nationalgarde in einige vom Coronavirus betroffene Gebiete an. Die Streitkräfte werden unweigerlich gegen jede soziale Opposition vorgehen, auch mögliche Massenunruhen, die durch das Coronavirus ausgelöst werden könnten.

Die Socialist Equality Party kämpft in den US-Präsidentschaftswahlen dafür, die Arbeiterklasse zu vereinen und zu organisieren, um ihr eine politische Stimme und ein politisches Programm zu geben. Wir bestehen darauf, dass die Reaktion auf den Ausbruch des Coronavirus und alle sozialen Probleme von dem Prinzip geleitet sein muss, die sozialen Bedürfnisse und nicht den privaten Profit in den Mittelpunkt zu stellen. Die Umstrukturierung der Weltwirtschaft auf sozialistischer Grundlage ist eine Frage auf Leben und Tod.

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