US-Autokonzerne setzen Leben der Arbeiter aufs Spiel

„Ich glaube, es ist den Politikern und Konzernchefs im Grunde genommen egal, was passieren wird. Deshalb haben sie beschlossen, die Autoproduktion wieder aufzunehmen. Die Gewerkschaft mahnt pro forma Sicherheitsmaßnahmen an, aber alle wissen, dass es Todesopfer geben wird.“

Diese Äußerung eines Arbeiters des General-Motors-Fertigungswerks Fort Wayne verdeutlicht die Stimmung, die sich unter den Autoarbeitern ausbreitet: dass sie selbst aktiv werden müssen, um die vorzeitige Wiedereröffnung der Werke in Nordamerika zu verhindern. Die Detroiter Autobauer sind entschlossen, die Produktion in den USA, Kanada und Mexiko am Montag wieder aufzunehmen und genießen dabei die volle Unterstützung der Gewerkschaft United Auto Workers. Mehrere japanische und deutsche Autobauer haben ihre Werke bereits früher wieder hochgefahren.

Die herrschende Klasse lässt die Wirtschaft wieder anlaufen. Das gilt auch für die riesigen Autofabriken mit Tausenden Arbeitern, obwohl die Zahl der Infektionen und Todesopfer durch das Coronavirus weiter ansteigt und es keinen Schutz für die Beschäftigten gibt. Präsident Trump hat dies am Freitag deutlich gemacht, als er auf einer Pressekonferenz erklärte: „Ich will nicht, dass die Leute denken, es hänge alles von einem Impfstoff ab. Impfstoff hin oder her – wir sind wieder da und fahren die Wirtschaft wieder hoch.“

Arbeiter des FCA-Motorenwerks in Dundee legen im März wegen des Coronavirus die Arbeit nieder.

Die Sorgen über die Ausbreitung der Krankheit kommentierte Trump höhnisch: „Es gibt oftmals keine Impfstoffe, und ein Virus oder eine Grippe kommen trotzdem. Dann sitzt man sie eben aus ... Für andere Sachen hat es auch nie einen Impfstoff gegeben, und sie trotzdem verschwunden.“

Gesundheitsexperten erklären, ohne einen Impfstoff oder massive Tests und Kontaktverfolgungen sei es äußerst gefährlich, den Lockdown aufzuheben. Allerdings lehnt die Trump-Regierung es ab, solche Maßnahmen zu organisieren.

Berichte, laut denen sich Teamleiter im Fiat-Chrysler-Fertigungswerk Sterling Heights (SHAP) nördlich von Detroit mit Covid-19 infiziert haben, verdeutlichen die Gefahren. Die Teamleiter wurden letzte Woche in die Betriebe beordert, um sie für die Wiederaufnahme der Produktion am 18. Mai vorzubereiten.

Das Management von Fiat Chrysler (FCA) hat mindestens einen Fall in dem Werk bestätigt. Unter Arbeitern im SHAP kursierte ein Bericht der World Socialist Web Site über Covid-19, der am Freitag veröffentlicht wurde.

Fox News interviewte einen Teamleiter bei SHAP, laut dem einige Personen, die Kontakt zu dem infizierten Teamleiter hatten, nicht nach Hause gehen durften, um sich testen zu lassen und danach in bezahlte Quarantäne zu gehen. Er erklärte: „Wenn das schon bei 200 Leuten passiert, was wird dann erst bei Tausenden passieren?“

Mediziner haben ein Gutachten veröffentlicht, laut dem in großen Fabriken eine besonders große Gefahr besteht, dass sich die Krankheit ausbreitet. Beispielhaft dafür sind die Ausbrüche in Fleischverarbeitungsbetrieben. Diese Einschätzung verdeutlicht die Gefahren einer verfrühten Wiedereröffnung der Fertigungswerke, solange sich das Coronavirus ungehindert ausbreitet. Detroit, ein Zentrum der US-Autoindustrie, ist bereits ein Hotspot für Infektionen und Todesfälle durch das Coronavirus.

Dr. Chris Murray, Direktor des Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington, erklärte in einem Bericht der Los Angeles Times, eine Studie aus Neuseeland zeige, dass fast die Hälfte aller Übertragungen von Covid-19 im Land auf große Übertragungsereignisse zurückgehen.

Murray erklärte: „Meiner Meinung nach bedeutet das, dass die Arbeitgeber und die Kommunalverwaltungen Menschenansammlungen tatsächlich auf eine sehr kleine Teilnehmerzahl beschränken sollten, zehn oder weniger, um das Risiko zu vermeiden, dass sich Hunderte Menschen gleichzeitig anstecken, wie es mittlerweile regelmäßig passiert.“

In der Los Angeles Times heißt es weiter: „Der Epidemiologe und Professor für Umwelt- und berufsbedingte Krankheiten an der George Washington University, David Michaels, der in der Obama-Regierung als stellvertretender Arbeitsminister der Behörde für Arbeitssicherheit (OSHA) tätig war, erklärte: ,Das bedeutet, in größeren Arbeitsstätten­ – wie Arbeitsplätze mit Montagebändern, an denen die Leute eng an eng arbeiten – besteht ein besonders hohes Risiko, dass sich die Krankheit schnell ausbreitet.‘

Im Bundesstaat Washington nahm am 10. März eine einzige Person, die Symptome der Krankheit gezeigt hatte, mit 60 anderen an einer zweieinhalbstündigen Chorprobe in einer Kirche teil. Nach der Probe erkrankten 52 Menschen an Covid-19 – das entspricht einer Ansteckungsrate von 87 Prozent. Zwei von ihnen starben.“

Ein Ausbruch von Covid-19 bei Smithfield Foods in Sioux Falls (South Dakota) führte zu mehr als 1.000 weiteren, damit zusammenhängenden Fällen. Es ist einer der größten in den USA bekannten Ausbrüche.

Dennoch erklärte die Arbeitssicherheitsbehörde (OSHA), sie werde keine Sicherheitsrichtlinien durchsetzen, wenn die Arbeitgeber „in gutem Glauben handeln“. Mit anderen Worten: die Arbeiter sind auf sich alleine gestellt. Es gibt keine verbindlichen Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit Infektionskrankheiten, weil bereits die Regierung unter Obama und jetzt Trump deren Entwicklung seit zehn Jahren verschleppt hat.

Julia Heck, Epidemiologin und Lehrbeauftragte an der UCLA Fielding School of Public Health, sprach mit der World Socialist Web Site über die Bedenken hinsichtlich einer verfrühten Wiedereröffnung nicht-systemrelevanter Betriebe.

Sie erklärte: „Aus der Perspektive eines Epidemiologen ist es das Ziel, Leben zu retten. Zweifellos wird die umfangreichere Wiedereröffnung der Wirtschaft weitere Covid-19-Fälle und auch weitere Todesfälle bedeuten. Ich weiß nicht, ob es momentan realistisch ist, das ganze Umfeld dieser Werke zu verändern, damit Arbeiter dort sicher arbeiten können, wenn die Unternehmen das von ihnen erwarten.

Arbeiter der FCA-Stanzerei in Warren

Wenn es ausgedehnte, schnelle Tests gäbe, wäre das auch eine Möglichkeit, die Betriebe zu öffnen. Aber das scheint in unmittelbarer Zukunft nicht der Fall zu sein.“

Ein Arbeiter aus Indiana schrieb an den Autoworker Newsletter der World Socialist Web Site: „Ich wurde in die verdreckte GM-Gießerei in Bedford (Indiana) zurückbeordert, wo man völlig skrupellos zulässt, dass bekannte Gifte in die Luft entweichen. Der interne Experte für Industriehygiene hat das bestätigt. Ich fange am 18. Mai wieder an zu arbeiten, während in Indiana immer noch Werbespots laufen, die uns auffordern, zu Hause zu bleiben. ... Wegen meines Alters und meiner Gesundheit habe ich Bedenken, auf die bisher noch nicht eingegangen wurde.“

Ein junger Arbeiter bei SHAP stimmte zu: „Ja, es ist zu früh. Ich musste mich am Montag zur Arbeit melden. Sie haben unverpackte Gesichtsmasken verteilt und uns durch einen Hindernisparcours laufen lassen, bis wir an die Drehkreuze kamen. Ich fühlte mich während der ganzen Schicht nicht eine Minute lang sicher.“

Er erklärte, bei seinem Sohn sei im Oktober die Kawasaki-Krankheit diagnostiziert worden, die mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht wird.

„Ich musste den ganzen Montag über Panikattacken unterdrücken. Gestern habe ich per Video mit meinem Hausarzt gesprochen und dabei meine Angst geäußert, ich könnte mich mit dem Virus anstecken und es auf meinen Sohn übertragen.

Ich werde meinen Sohn nicht gefährden, indem ich zur Arbeit gehe und einen verdammten Lastwagen baue, den momentan eh niemand kaufen wird.“

Die World Socialist Web Site und der Autoworker Newsletter rufen die Autoarbeiter dazu auf, sich unabhängig von der UAW zu organisieren und den Kampf gegen die verfrühte Rückkehr an die Arbeit aufzunehmen. Wir rufen außerdem zur Gründung von Sicherheitskomitees aus den Reihen der Belegschaft auf.

Es müssen Kommunikationsnetzwerke zwischen den Fabriken und allen betroffenen Branchen aufgebaut werden. Dazu gehören neben vielen weiteren die Auto- und Fleischverarbeitungsindustrie sowie die Logistik- und Transportbranche in den USA, Kanada und Mexiko. In nicht lebenswichtigen Industrien sollte die Arbeit erst wieder aufgenommen werden, wenn das Virus eingedämmt und gesunde und sichere Arbeitsbedingungen in den Werken herrschen. Dies muss von demokratisch gewählten Aktionskomitees überwacht werden.

Der Arbeiter aus Fort Wayne erklärte: „Ich glaube, es wird zu weiteren Arbeitsniederlegungen kommen, vielleicht, wenn es irgendwo zu vielen Infektionen kommt. Das Problem ist jetzt, dass die Gewerkschaften und die Regierungsbehörden grünes Licht für die Wiedereröffnung geben und nichts unternehmen, wenn es Ausbrüche von Covid-19 gibt. Das Alltagsgeschäft wird auf Kosten von Menschenleben fortgesetzt.“

Ein anderer SHAP-Arbeiter behauptete, das Management mache sich Sorgen über ein mögliches massives Fernbleiben von der Arbeit: „Sie versuchen eindeutig, so viele Teilzeitkräfte wie möglich auf die Stellen von Vollzeitarbeitern zu bringen. Die Leute machen sich Sorgen, dass sie einfach ersetzt werden, wenn sie ausfallen. Es ist verrückt, dass die Leute so verzweifelte Entscheidungen treffen.“

Er erklärte, ein Teilzeitarbeiter habe ihm gesagt, er würde zehn Stunden fahren, um zu SHAP zu kommen: „Sie glaubten, sie würden bis zum 1. Juni nicht zurückkommen. Weil sie alle auf Abruf sind, müssen sie zurückkommen oder werden ersetzt.“

Ein Arbeiter des Lastwagenwerks Dearborn erklärte: „Ich halte es für völlig wahnsinnig, dass wir am Montag wieder an die Arbeit gehen müssen. In diesem Umfeld kann man unmöglich arbeiten, ohne gefährdet zu werden. Überlegen Sie sich, was das unter den derzeitigen Umständen bedeutet. Es sind einfach zu viele Menschen und zu viele unbekannte Faktoren. Schon in der Zeit vor Corona haben die Leute ihre eigenen Ventilatoren mitgebracht, die alles Mögliche in der Luft herumwirbeln. Wer weiß, was jetzt passieren wird?“

In ganz Nordamerika rufen Arbeiter zu einem gemeinsamen Kampf gegen die hinterhältigen Machenschaften der Konzerne, des politischen Establishments und der Gewerkschaften gegen die Arbeiter auf.

Ein kanadischer FCA-Arbeiter erklärte gegenüber dem Autoworker Newsletter: „Ich arbeite für das FCA-Fertigungswerk im Brampton im Bundesstaat Ontario. Ich glaube auch, dass es noch zu früh ist, um die Autowerke in Mexiko, den USA und Kanada wieder in Betrieb zu nehmen.

Covid-19 ist noch nicht unter Kontrolle, und ich denke, die Autokonzerne und Regierungen wollen so früh schon wieder loslegen, weil es ihnen ums Geld und nicht die Gesundheit der Menschen geht. Wir in Kanada werden aufmerksam beobachten, wie es unseren Kolleginnen und Kollegen in den USA und Mexiko ergehen wird, wenn sie diesem schrecklichen Virus ausgesetzt sind. Die Werke in den USA haben schon zu viele Arbeiter verloren. Wir wollen nicht noch mehr unserer Familienmitglieder verlieren. Bitte, achtet alle auf eure Sicherheit.“

Ein ebenfalls kanadischer Arbeiter aus dem Fertigungswerk in Windsor erklärte: „Es ist seltsam, dass man seine Mutter am Muttertag nicht besuchen kann. Versammlungen von mehr als fünf Menschen sind nicht erlaubt. Aber man muss zur Arbeit gehen. Wo ist denn da der Sinn? Es ist ihnen egal, dass 100.000 Menschen sterben. Sie werden nichts tun.“

Im General-Motors-Werk im mexikanischen Silao, in dem ab Montag wieder produziert werden soll, veröffentlichte ein Aktionskomitee namens Generating Movement eine Erklärung mit dem Titel „Ein internationaler Solidarität- und Aktionsaufruf zur Unterstützung des Kampfs der Arbeiter bei General Motors“.

Das Komitee lehnt die verlogenen „Sicherheitsmaßnahmen“ des Managements als unzureichend ab und warnt: „Es ist ein Verbrechen, dass die Besitzer und Manager von General Motors unsere Kollegen zwingen, am 18. Mai, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, wieder arbeiten zu gehen. Ab dem 30. Mai sollen auch die meisten Kollegen, die zur Risikogruppe gehören, wieder zur Arbeit.“

Es sind Fragen auf Leben und Tod, die sich nun in den Autofabriken stellen. Die Arbeiterklasse ist mit einer enormen politischen Herausforderung konfrontiert. In den USA haben sich die Trump-Regierung und die Gouverneure der Demokratischen Partei, wie beispielsweise Gretchen Whitmer aus Michigan, hinter die rücksichtslose Kampagne der Autoindustrie zur Wiederaufnahme der Produktion gestellt.

Dieser Kampf erfordert die Entwicklung einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse, um für ein sozialistisches Programm zu kämpfen, dessen Ziel die Verteidigung menschlicher Bedürfnisse und des menschlichen Lebens gegen das Profitstreben der Konzerne ist. Alle Arbeiter, die mehr darüber erfahren wollen, sollten mit dem Autoworker Newsletter der WSWS und mit der Socialist Equality Party Kontakt aufnehmen.

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