Berlin: Rot-rot-grün verschärft Polizeigesetz in der Hauptstadt

Drei Jahre verhandelte die Berliner Regierung über Änderungen am Polizeigesetz. Nun haben sich SPD, Grüne und Linke auf eine weitere Verschärfung geeinigt. Damit wird auch in der Bundeshauptstadt jene „Law and Order“-Politik festgeschrieben, die bundesweit von allen Parteien beschlossen wurde und deren Ziel die Durchsetzung polizeistaatlicher Methoden ist.

Der notorisch rechte Innensenator Andreas Geisel (SPD) bezeichnete das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) als „modernes“ Gesetz, welches die Polizei „handlungsfähig“ mache.

Der Gesetzentwurf, der voraussichtlich im Winter verabschiedet wird, ermöglicht beispielsweise eine stärkere Telefonüberwachung. Zukünftig kann die Polizei die Gespräche von Personen abhören, die keine Straftat begangen haben, aber als sogenannte „terroristische Gefährder“ eingestuft werden. Dafür genügt die Einschätzung, dass die Person gewillt und in der Lage scheint, eine terroristische Straftat zu begehen. Das bedeutet, dass quasi jeder entsprechend eingestuft werden kann.

„Die Polizei erhält wichtige zusätzliche Befugnisse zur Terrorabwehr“, rechtfertigte der innenpolitischer Sprecher der SPD in Berlin, Frank Zimmermann, die massiven Einschnitte in die Bürgerrechte. Mit dem Gesetz ist nun eine faktisch uneingeschränkte Telefonüberwachung samt Nutzung von Imsy-Catchern und Standortabfragen möglich. Die Telekommunikationsanbieter sind zur Herausgabe der Daten verpflichtet.

Festgeschrieben wird im neuen Polizeigesetz ebenfalls der Einsatz von V-Leuten durch die Polizei. Dafür ist lediglich die Anordnung des Polizeipräsidenten und eines Richters nötig.

Der Berliner Zeitung zufolge arbeitet die Berliner Polizei schon jetzt mit mehr als 100 V-Männern zusammen. Diese bezahlten Informanten sind nicht selten tief in kriminelle oder rechtsextreme Netzwerke verstrickt. Die Rolle, die solche Informanten der Polizei 2016 beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz spielten, ist noch immer unklar.

Weiterhin im Gesetz bleibt die höchst umstrittene Präventivhaft. Bis zu zwei Tagen können Personen ohne das Vorliegen konkreter Beweise und ohne Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Haft genommen werden. Diese Möglichkeit für willkürliche Verhaftungen ist in allen Bundesländern eingeführt worden. In Bayern können Personen damit sogar auf unbeschränkte Dauer festgehalten werden. Es genügt die bloße Annahme, es handle sich um eine gefährliche Person.

Auch die häufig kritisierten, anlasslosen Personenkontrollen in großem Umfang, von denen vor allem Menschen mit Migrationshintergrund betroffen sind, bleiben bestehen. Derzeit sind neun Orte festgelegt, in denen massiv Personenkontrollen stattfinden, fast immer aufgrund der Hautfarbe oder vermuteter Herkunft. Bisher gilt ein Ort unter anderem dann als gefährlich, wenn sich dort vermehrt Personen aufhalten, die keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben.

Formal soll dieser Absatz nun gestrichen werden. Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) hält dies für reine Augenwischerei. Die Anzahl rassistischer Polizeikontrollen sei in den letzten Jahren unverändert hoch, erklärte er gegenüber netzpolitik.org. Meistens würde die Polizei dabei „gar keinen Grund nennen“ oder sich auf den Verdacht auf eine Straftat berufen. Basu macht sich deshalb wenig Hoffnungen, dass sich die Situation schwarzer Menschen durch die Änderung am Polizeigesetz verbessern wird.

SPD-Innensenator Geisel räumte bei der Vorstellung des Gesetzesvorhabens im Berliner Abgeordnetenhaus ein, dass das Gesetz nicht alles enthalte, was er sich „vorgestellt habe“. Er machte deutlich, dass weitere Verschärfungen wie der finale Rettungsschuss, der Einsatz von gefährlichen Teasern, Fußfesseln und weitere Maßnahmen in der Koalition diskutiert werden und durchaus noch kommen können.

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Norbert Cioma, zeigte sich erfreut über die ASOG-Reform, weil sie „notwendige Ermächtigungsgrundlagen“ schaffe. So sehen es auch Grüne und Linke. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, nannte das Gesetz einen „Erfolg“. Niklas Schrader (Linke) sprach von einem „ausgewogenen“ Polizeigesetz, welches sich „sehen lassen kann“.

Mit dem neuen Polizeigesetz gießen SPD, Grüne und Linke ihre seit Jahren forcierte Politik in einen Gesetzestext. 2019 wurden in Berlin 612 Funkzellenabfragen angeordnet, berichtet Netzpolitik.org. Die Zahl ist damit schon zum zweiten Mal in Folge deutlich höher als vor dem Antritt der rot-rot-grünen Landesregierung. Gleichzeitig kommt es immer häufiger zu Fällen von Polizeigewalt.

Am 6. Juni ging die Berliner Polizei mit Gewalt gegen friedliche Teilnehmer einer Demonstration gegen Polizeibrutalität vor, die sich nach der Ermordung von George Floyd in den USA über die ganze Welt ausgebreitet hatten.

Auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken schilderten Nutzer den massiven Gewalteinsatz der Polizei. Es kursieren Videos, auf denen Übergriffe von Polizisten zu sehen sind. Auf einem Video wird eine schwarze Person von mehreren Polizisten zu Boden gedrückt. Ein Polizist schlägt die Person, als diese bereits am Boden liegt. Unweigerlich kommt einem dabei die Tötung von George Floyd in den Sinn.

Wie die bislang unveröffentlichte Antwort der Innenverwaltung auf eine Parlamentarische Anfrage ergab, wurden zahlreiche Minderjährige festgenommen und lange Zeit festgehalten. Laut einem Bericht des Berliner Tagesspiegels waren von den 89 Festgenommen 25 unter 18 Jahre alt. Zwei waren sogar erst 14, weitere sieben 15. Aus der Antwort von Staatssekretär Aleksander Dzembritzki geht hervor, dass die Polizei die Minderjährigen teils viele Stunden in der Dienststelle Tempelhofer Damm festhielt und in vier Fällen erst nach Mitternacht entließ. Eine minderjährige Person wurde um 17:35 Uhr festgenommen und erst um 3:09 Uhr entlassen. Die Eltern wurden über die Festnahme überhaupt nicht informiert.

Offenbar kam es auch zu Gewalt gegen die Jugendlichen. Bei vier Minderjährigen wurden die Verletzungen von der Polizei festgehalten. Zwei hatten Augenreizungen, eine weitere Person eine blutige Unterlippe und eine 16-jährige Person eine Nackenverletzung.

Am Rande der Demonstration ging die Polizei auch mit großer Brutalität gegen farbige Teilnehmer vor, was mehrere im Internet veröffentlichte Videos zeigen. So wurde ein farbiger Junge, der sich nach einem Gespräch mit einem Beamten von der Polizei entfernte, von einem anderen Polizisten zurückgezogen. Er schlug mit einem Schlagstock in der Faust in Richtung seines Gesichts und setzte Pfefferspray ein, wie die Frankfurter Rundschau berichtete.

Führende Vertreter der Linkspartei stellten sich danach demonstrativ hinter die Polizei. Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch verknüpfte die Verteidigung der brutalen Polizeimethoden mit der Forderung nach deren personeller Aufstockung. Auch in Brandenburg und Bremen haben die Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei drastische Polizeigesetze verabschiedet, die demokratische Rechte einschränken.

In anderen Städten kam es zu ähnlichen Szenen wie in Berlin. In Hamburg wurden fast 50 Jugendliche, überwiegend mit Migrationshintergrund, verhaftet. Viele von ihnen mussten über zwei Stunden mit dem Kopf an einer Wand stehen. Dann wurden sie in verschiedene Polizeiwachen gebracht.

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