Das Schweigen von Medien und Politikern zum Antisemitismus im polnischen Wahlkampf

Die Wiederwahl von Andrzej Duda von der rechtsextremen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zum Präsidenten Polens markiert eine neue Etappe im Rechtsruck der bürgerlichen Politik in Europa.

Duda errang am 12. Juli einen knappen Sieg über seinen Rivalen Rafał Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform (PO) und setzte sich damit vor allem in den ländlichen Gebieten durch. Im Wahlkampf der PiS spielte der Antisemitismus eine so große Rolle wie niemals zuvor seit der Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg.

Der staatliche Sender TVP, der von der PiS kontrolliert wird, stellte Dudas Rivalen Trzaskowski In zahlreichen Beiträgen als Marionette des Weltjudentums dar, und behauptete, er sei bereit, die Interessen des polnischen Volkes zu „verkaufen“. Trzaskowski arbeite angeblich mit einer „mächtigen ausländischen Lobby“ zusammen und sei „mit reichen Gruppen verbunden, die die Welt regieren wollen“. Als Beispiel wurde immer wieder der ungarisch-amerikanische Milliardär George Soros genannt, auf den sich die antisemitischen Rechten in Osteuropa regelrecht eingeschossen haben.

Duda mit Ehefrau und US-Präsident Donald Trump mit Melania Trump

In einer anderen Sendung wurde Trzaskowski als katholikenfeindlich und als Anhänger des „Gottes von Spinoza“ angeprangert, den die TVP als „jüdischen Philosophen“ bezeichnet.

In einem Interview mit dem katholischen Sender Radio Maria, der unter den ländlichen Schichten und der extremen Rechten Einfluss hat, erklärte der De-facto-Chef der PiS, Jarosław Kaczyński, zu der aktuellen Diskussion über die Rückgabe gestohlenen jüdischen Eigentums: „Nur wer keine polnische Seele hat, kein polnisches Herz und keinen polnischen Verstand, kann das verlangen. Er [Trzaskowski] hat das ganz offensichtlich nicht.“

Die Grundlage dieser Verleumdungen sind die uralten Lügen in den „Protokollen der Weisen von Zion“. Es handelt sich um ein antisemitisches Pamphlet aus dem Jahr 1903, das eine „jüdische Weltverschwörung“ unterstellt und behauptet, die Juden agierten als „fünfte Kolonne“, um nationale Interessen zu verraten.

Diese antisemitische Propaganda bildete schon im ehemaligen Russischen Reich, das auch große Gebiete des heutigen Polens umfasste, die Grundlage für zahlreiche gewalttätige Pogrome, vor allem als Reaktion auf die Revolution von 1905. In der Zwischenkriegszeit beriefen sich polnische rechtsextreme Nationalisten wie Roman Dmowski auf die „Protokolle“. Seine Organisation war für zahlreiche antijüdische Terroranschläge und Pogrome verantwortlich.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Polen, das vor dem Krieg die größte jüdische Gemeinde der Welt aufwies, zum Hauptschauplatz des Holocaust. Hier standen alle großen Vernichtungslager, vor allem Auschwitz und Treblinka. Von den sechs Millionen ermordeten Juden Europas wurden die meisten auf polnischem Grund ermordet, von den 3,5 Millionen polnischer Juden waren es 90 Prozent.

Während die Nazis die Hauptverantwortung für diesen Völkermord tragen, begrüßten auch polnische Antisemiten die Vernichtung des europäischen Judentums. Sie verübten vor, während und nach dem Holocaust zahlreiche Pogrome. Besonders berüchtigt sind die Pogrome von Jedwabne 1941 und von Kielce 1946. In der staatlichen Kampagne der PiS, welche die mörderische Rolle des polnischen Antisemitismus verleugnet, spielen diese beiden Pogrome eine zentrale Rolle.

Seit 2018 ist die Diskussion über den polnischen Antisemitismus und seine Rolle im Holocaust offiziell verboten. Wege dieses gesetzlichen Verbots haben Dutzende von Historikern schon ihre Stelle verloren. Führende Vertreter der PiS-Regierung haben an Demonstrationen teilgenommen, die von Neonazis und gewalttätigen Antisemiten organisiert waren. Bei den Präsidentschaftswahlen wurde die antisemitische Ideologie dieser Rechtsextremisten systematisch als politische Waffe eingesetzt.

Es steht außer Frage, dass das Weiße Haus den rechtsextremen Charakter des Wahlkampfs ausdrücklich tolerierte, wenn nicht sogar förderte. In einem beispiellosen Schritt wurde Präsident Andrzej Duda in Washington empfangen, und US-Präsidenten Donald Trump, dessen Regierung auch in den USA rechtsextreme Kräfte fördert, unterstützte ihn offiziell.

Sie trafen sich nur wenige Tage vor dem ersten Wahlgang der polnischen Wahlen im Weißen Haus und hielten dort eine Pressekonferenz ab. Die US-Regierung betrachtet die PiS-Regierung als wichtigen Verbündeten der USA im Militäraufmarsch gegen Russland und bei der wachsenden Rivalität mit dem deutschen Imperialismus.

Jüdische Organisationen und der polnische Rat für Medienethik haben jetzt Erklärungen herausgegeben, in denen sie die, wie sie es nennen, „Anstiftung zu antisemitischen Stimmungen“ durch staatlich kontrollierte Medien anprangern. In einer Reuters Erklärung schrieb das American Jewish Committee, das polnische Staatsfernsehen habe sich „schockierender antisemitischer Themen“ bedient.

Die polnische und die internationale bürgerliche Presse und die Politiker gehen jedoch stillschweigend über diese antisemitische Kampagne hinweg. Trzaskowski selbst vermeidet es, sie zu kritisieren, und nimmt nicht einmal den Begriff „Antisemitismus“ in den Mund. Stattdessen äußerte er sich vage, auch wenn er „Randgruppen“ verteidige, habe er dennoch sehr wohl ein „polnisches Herz“, eine „polnische Seele“ und „das Recht auf polnischen Patriotismus“.

Mit Ausnahme von zwei Online-Berichten von Politico und ABC News sprach kein einziges bürgerliches Blatt in den USA dieses Anstacheln von Antisemitismus im Wahlkampf konkret an.

Der deutsche Bundespräsident und ehemalige Verteidigungsminister Frank Walter Steinmeier (SPD) gratulierte Duda zum Wahlsieg und lobte ihn für „seinen Mut und seine Stärke, zur Einheit der polnischen Nation beizutragen“.

Die Gleichgültigkeit, mit der führende bürgerliche Politiker und die bürgerliche Presse darüber hinweggehen, dass die PiS Antisemitismus als politische Waffe einsetzt, ist weder ein Zufall noch eine Entgleisung. Sie ist eine direkte Folge des extremen Rechtsrucks der Bourgeoisie. Seit einigen Jahren fördern die kapitalistischen Staaten faschistische Kräfte systematisch. Der deutsche Imperialismus, an dem sich das polnische liberale Bürgertum um Trzaskowski orientiert, steht im Zentrum dieser Entwicklung.

Als Steinmeier im vergangenen September, am 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, in Warschau auftrat, schwieg er zum Holocaust völlig. Dies war für rechtsextreme Kräfte in Polen und Deutschland eine offene Ermutigung. Im Jahr 2014 hatte sich Steinmeier gemeinsam Arsenij Jazenjuk von der ukrainischen Neonazi-Partei Svoboda fotografieren lassen. Swoboda spielte bei dem Putsch, den die USA und Deutschland im selben Jahr in der Ukraine inszenierten, eine entscheidende Rolle.

Mit staatlicher Protektion operiert seit Jahren ein Netzwerk neonazistischer Terroristen in der deutschen Armee, der Polizei und dem Verfassungsschutz. Der Professor für Osteuropäische Geschichte, Jörg Baberowski, darf nicht nur seit sechs Jahren seinen rechtsextremen Geschichtsrevisionismus und seine Hitler-Apologetik propagieren, er genießt auch ausdrücklich die Unterstützung des Bundesbildungsministeriums.

Die einzige politische Partei in Deutschland, die sich diesen neonazistischen Ansichten und Organisationen entgegenstellt, die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), wird verunglimpft und staatlicher Überwachung unterworfen.

Hinter der staatlichen Förderung faschistischer Tendenzen in Europa und auf der ganzen Welt steht die tiefe Krise des kapitalistischen Weltsystems und vor allem das Wiederaufleben des Klassenkampfs. Diese Prozesse sind durch die Coronavirus-Pandemie gewaltig beschleunigt worden. In diesem Zusammenhang taucht auch der Antisemitismus wieder als politische Waffe der Bourgeoisie auf. Er hat in der Geschichte immer eine Schlüsselrolle gespielt, wenn es darum ging, eine vereinigte Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.

In Polen hat der reaktionäre Mythos von einer „jüdischen Verschwörung“ und insbesondere von der Żydokomuna (jüdischen Kommune), d.h. einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung, immer eine unheilvolle Rolle gespielt. Sowohl kapitalistische als auch stalinistische Regierungen haben das als Waffe gegen die Arbeiterklasse eingesetzt.

Die angebliche Verbindung zwischen der Bedrohung durch den Sozialismus und der jüdischen Bevölkerung war zentral für die antisemitische Gewalt der polnischen Rechten vor und während des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg griff die stalinistische Bürokratie, die damals eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung jeder sozialen Umwälzung spielte, immer wieder zu antisemitischen Kampagnen. Auch in Polen setzte sie diese um 1968, als es zu sozialen Unruhen kam, gegen die Arbeiterklasse ein.

Die regierende stalinistische Partei, die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZRP), fürchtete das Übergreifen der Unruhen, die sich 1968 in Frankreich entwickelt hatten, auch auf Polen. Als im Mai desselben Jahres Studentenproteste in Warschau begannen, behauptete der Generalsekretär der PZPR, Władysław Gomułka, im Staatsfernsehen, dass „Zionisten“ (d.h. Juden) sie provoziert hätten, und er forderte die jüdische Bevölkerung Polens effektiv auf, das Land zu verlassen.

Eine Schlüsselfigur in dieser Kampagne war Bolesław Piasecki, ein ehemaliges Mitglied der faschistischen Falange der 1930er Jahre, dessen extrem rechter katholischer Organisation PAX die Regierung erlaubte, in Polen zu operieren und ihre Ideologie zu propagieren.

Hunderttausende polnische Juden wurden gezwungen, das Land zu verlassen, oder sie verloren ihren Arbeitsplatz. Darunter waren viele, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt und im antifaschistischen Widerstand gekämpft hatten. Dadurch wurde jede ernsthafte historische Arbeit über den Holocaust und die Geschichte des polnischen Judentums praktisch verunmöglicht.

Als zu Beginn der 1980er Jahre eine große Arbeiterbewegung namens Solidarnosc entstand und begann, die stalinistische Bürokratie herauszufordern, wurde die Frage des Holocaust und des Antisemitismus sofort zu einem Hauptthema der Diskussion unter Arbeitern und Intellektuellen. Die enorme politische Verwirrung, die der Stalinismus angerichtet hatte, ermöglichte es jedoch der Führung der Solidarnosc, diese Bewegung den stalinistischen Interessen wieder unterzuordnen. Diese ging nun daran, 1989 den Kapitalismus vollständig zu restaurieren.

Trotz des erbitterten Antikommunismus‘ beider Fraktionen der polnischen herrschenden Klasse verdanken sie ihre Existenz letztlich der stalinistischen Reaktion auf die Oktoberrevolution von 1917. Ideologisch stützen sie sich auf das Erbe der stalinistischen Verbrechen, einschließlich ihres Antisemitismus‘, und auf die falsche Gleichsetzung von Stalinismus mit „Kommunismus“ und „Sozialismus“.

Wenn heute der polnische Staat und all seine imperialistischen Hintermänner den Antisemitismus wieder aufleben lassen, dann unterstreicht das nur die Tatsache, dass Faschismus und Antisemitismus im Rahmen der bürgerlichen Politik nicht besiegt werden können. Die einzige lebensfähige soziale Basis für den Kampf gegen Krieg, Faschismus und Diktatur ist die polnische und internationale Arbeiterklasse. Die Strategie, welche die Arbeiterkämpfe leitet, muss sich auf die politischen Lehren aus dem Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen Stalinismus stützen.

Wir fordern alle Leser in Polen, die diesen Kampf aufnehmen und diese Fragen diskutieren wollen, dringend auf, sich heute noch mit uns in Verbindung zu setzen.

Siehe auch:

Präsidentschaftswahl in Polen: Dudas extrem rechter Wahlsieg
[15. Juli 2020]

Konterrevolution und Antisemitismus.
Paul Hanebrinks Buch 'A Specter Haunting Europe'. Über den 'jüdisch-bolschewistischen' Mythos"
[20. Juli 2020]

Wie die Rückkehr des deutschen Militarismus vorbereitet wurde
[8. Mai 2014]

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