Aktienkurse steigen weiter

Das Ende des Arbeitslosenzuschusses wird in den USA zu Hunger und Obdachlosigkeit führen

Am Freitag lief der Zuschuss der Bundesregierung zur Arbeitslosenhilfe in Höhe von monatlich 600 Dollar aus. Er wurde im Rahmen des Billionen schweren Rettungspakets ausgezahlt, auf das sich beide Parteien im März geeinigt hatten. Durch seinen Wegfall droht etwa 25 Millionen Arbeitern, die während der Corona-Pandemie entlassen wurden, der Abstieg in die Armut.

Durch den Verlust des Bundeszuschusses werden die Leistungen in einigen Bundesstaaten um bis zu 80 Prozent sinken. Der landesweite Durchschnitt der Arbeitslosenhilfe wird laut einigen Schätzungen von 920 Dollar pro Woche auf 520 Dollar sinken.

Schlange vor einer Lebensmittelausgabe in Chelsea (Massachusetts) [AP Photo/David Goldman]

Daneben lief letzte Woche auch ein Moratorium für Zwangsräumungen von Mietern in Gebäuden aus, die durch Hypotheken der Bundesregierung besichert werden. Davon könnten etwa 18 Millionen der 44 Millionen Mieterhaushalte in den USA betroffen sein. Laut dem international tätigen Beratungsunternehmen Stout Risius Ross LLC könnten in den nächsten vier Monaten elf Millionen Haushalte ihre Räumungsbescheide erhalten.

Da auch die Moratorien für Hypothekenzahlungen auslaufen, droht ein gewaltiger Anstieg der Obdachlosenzahlen.

Kilometerlange Autoschlangen vor Lebensmittelausgaben sind bereits zu einem alltäglichen Anblick geworden. Die Streichung oder Kürzung des Zuschusses zur Arbeitslosenhilfe wird zu einem deutlichen Anstieg von Hunger und sogar dem Hungertod in den USA führen. Bereits jetzt gehen fast 40 Millionen Menschen davon aus, sich ihre nächste Miete oder Hypothekenzahlung nicht leisten zu können. In der Woche, die am 21. Juli endete, erklärten fast 30 Millionen Menschen, sie hätten nicht genug zu essen gehabt.

Die offizielle Arbeitslosenquote liegt mit 11,1 Prozent auf dem höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Am Donnerstag erklärte die Regierung, die Zahl der neuen Anträge auf Arbeitslosenhilfe sei in der Woche bis zum 18. Juli zum zweiten Mal in Folge gestiegen und habe 1,43 Millionen erreicht.

Laut dem Arbeitsministerium erhalten 33,8 Millionen Arbeiter entweder Arbeitslosenhilfe oder haben sie beantragt und warten auf ihre Bewilligung. Diese Arbeiter machen ganze 20 Prozent der Erwerbsbevölkerung in den USA aus.

Zuvor hatte das Handelsministerium am Donnerstag gemeldet, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal, auf Jahresbasis umgerechnet, um 32,9 Prozent gesunken ist. Im Vergleich zum ersten Quartal bedeutet dies einen Rückgang von 9,5 Prozent. Im Laufe der letzten Woche kündeten auch Levi's, United Air Lines, American Air Lines und Wells Fargo neue Entlassungen an. Sie warnten, dass Tausenden ihrer Beschäftigten demnächst Zwangsurlaub oder die Entlassung droht.

Unter diesen Bedingungen kommt die Pattsituation im Kongress wegen der Verlängerung des Zuschusses zur Arbeitslosenhilfe, die mit Sicherheit zu deren völliger Abschaffung oder einer deutlichen Kürzung führen wird, einer Kriegserklärung der kapitalistischen herrschenden Elite an die ganze arbeitende Bevölkerung gleich.

Dies machte auch die Reaktion der Wall Street deutlich. Die Finanzoligarchie reagierte am Freitag auf das Ende des Zuschusses mit einem Anstieg der Aktienkurse bei allen wichtigen Indizes. Der Dow Jones stieg um 114 Punkte, der Nasdaq sogar um 157 Punkte.

Die herrschende Klasse fordert die Abschaffung oder Verringerung des 600-Dollar-Zuschusses, um die Arbeiter zur Rückkehr an die Arbeit zu zwingen. Das geschieht in einer Situation, in der ihre Inkompetenz, Gleichgültigkeit und nackte Gier zur unkontrollierten Ausbreitung der Corona-Pandemie und der tiefsten sozialen Krise seit der Großen Depression in den 1930ern geführt haben. Die Arbeiter haben die „Wahl“, ohne nennenswerten Schutz für sich und ihre Familien in Fabriken und an Arbeitsstätten zurückzukehren, die sich zu Nährböden des Virus entwickelt haben, oder sich und ihre Familien in Obdachlosigkeit und Hunger zu stürzen.

Die Republikaner attackieren den Zuschuss von 600 Dollar offen als „Anreiz, nicht zu arbeiten“, weil eine Mehrheit der Arbeiter, die während der Pandemie entlassen wurden, durch die Arbeitslosenhilfe ein höheres Einkommen haben als zuvor durch ihre Arbeit. Diese Tatsache sagt einiges über die Armutslöhne aus, für die ein Großteil der Beschäftigten in Amerika arbeitet.

Doch auch die Demokraten teilen die Haltung der Republikaner. Sie sind einer Meinung mit der New York Times, die am 30. Juli schrieb, es sei „in normalen Zeiten vernünftig, nur einen Teil des Einkommens eines durchschnittlichen Arbeitslosen“ zu ersetzen, weil es „die Leute dazu anspornt, Arbeitsplätze zu finden“. Dies gelte jedoch nicht mitten in einer Pandemie.

Allerdings gibt es für Millionen von entlassenen Arbeitern keine Arbeitsplätze, an die sie zurückkehren können. Das Economic Policy Instute erklärte dazu: „Es gib 14 Millionen Arbeitslose mehr als offene Stellen. Das bedeutet, Millionen werden arbeitslos bleiben, egal was sie tun. Den Zuschuss von 600 Dollar zu streichen ist kein Anreiz für diese Arbeitslosen, Arbeitsplätze zu finden, die nicht existieren.“

Die republikanische Fraktionsführung im Senat brachte am Montag eine Reihe von Gesetzentwürfen ein, die eine sofortige Kürzung des Zuschusses von 600 auf 200 Dollar pro Woche bis September vorsehen. Danach soll der Bundeszuschuss zu den bundesstaatlichen Arbeitslosenhilfen so gestaltet werden, dass er 70 Prozent des früheren Lohns ausmacht, allerdings insgesamt nicht mehr als 500 Dollar.

Die Demokraten hatten im Mai den so genannten HEROES Act im Repräsentantenhaus verabschiedet, der eine Verlängerung des Zuschusses bis Januar vorgesehen hätte. Sie wiesen den Vorschlag der Republikaner zurück und sorgten damit für Verhandlungen zwischen der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und Senats-Minderheitsführer Charles Schumer auf der einen, sowie Finanzminister Steven Mnuchin und Trumps Stabschef Mark Meadows auf der anderen Seite.

Letzte Woche schaltete sich Präsident Trump ein. Er forderte eine Übergangslösung, durch die der Bundeszuschuss vorübergehend in einer noch nicht spezifizierten Höhe verlängert wird. Auch das Moratorium der Bundesregierung für Zwangsräumungen soll danach verlängert werden. Am Donnerstag und Freitag lehnte die Führung der Demokraten eine bruchstückhafte Einigung ab und beharrte nominell auf der Beibehaltung anderer Teile des HEROES Act, darunter der Bundesmittel für Bundesstaatsregierungen und Stadtverwaltungen sowie zusätzliche Mittel für Corona-Tests.

Da keine Einigung in Sicht war, unterbrachen die Republikaner im Senat die Verhandlungen für das Wochenende. Laut Berichten sollten allerdings die Verhandlungen zwischen den Vertretern des Weißen Hauses und der demokratischen Parteiführung weitergehen.

CBS News meldete am Freitag unter Berufung auf eine anonyme Quelle die „mit den Verhandlungen vertraut ist“, Meadows hätte anfangs eine Verlängerung des Bundeszuschusses von 600 Dollar um eine Woche vorgeschlagen. Danach soll er einen abgeänderten Gesetzentwurf vorgeschlagen haben, der für vier Monate Zusatzleistungen von 400 Dollar sowie Gelder für die Wiedereröffnung von Schulen und weitere Mittel für das Paycheck Protection Program vorsieht. Letzterer dient offiziell als Unterstützung für Kleinunternehmer. Im Rahmen des Vorschlags stimmte er zu, auf die Forderung der Republikaner nach einer fünfjährigen juristischen Immunität für Unternehmen gegen Klagen in Zusammenhang mit der Pandemie zu verzichten.

Berichten zufolge haben die Demokraten diese Angebote abgelehnt, jedoch klar gemacht, dass sie eine deutliche Kürzung des Bundeszuschusses zur Arbeitslosenhilfe hinnehmen werden.

Der Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses, Steny Hoyer aus Maryland, erklärte am Dienstag auf CNN: „Sehen Sie, es geht nicht um 600 Dollar oder gar nichts.“ Er signalisierte dann seine Übereinstimmung mit den Republikanern, der Zuschuss sei ein „Anreiz, nicht zu arbeiten“ und erklärte: „Ich glaube, dieses Argument... hat schon seine Richtigkeit. Deshalb sollten wir darauf eingehen.“

Schumer setzt sich gemeinsam mit Senator Ron Wyden (Demokrat, Oregon) für einen Gesetzentwurf ein, der eine Kürzung des Bundeszuschusses um 100 Dollar für jeden Rückgang der Arbeitslosenquote in einem Bundesstaat um einen Prozentpunkt vorsieht.

Am Freitag bekräftigte Pelosi auf CNN ihre Position, man werde sich bis zum 7. August über ein Sozialhilfe-Gesetz einigen. An diesem Tag wird der Kongress wegen der Parteitage beider Parteien ausgesetzt.

Die Arbeitslosenhilfe ist angesichts der gestiegenen Kosten durch die Pandemie und der steigenden Preise für Grundgüter ohnehin zu niedrig. Jede Kürzung der Leistung wird verheerende Folgen für Arbeiter haben, die bereits jetzt nur mit Mühe das Geld für Miete und Nahrungsmittel aufbringen.

Bonnie Armstrong, eine entlassene Bedienung aus Naples (Florida), erklärte gegenüber dem lokalen Fernsehsender WINK, der zum Sendernetzwerk CBS gehört: „Ich werde meine Miete nicht bezahlen können. Wenn man seinen alten Arbeitsplatz wieder angeboten bekommt und ablehnt, bekommt man auch keine Arbeitslosenhilfe mehr.“

Sie erklärte, sie würde gerne wieder arbeiten, fügte aber hinzu: „Für jede Stelle bewerben sich Hunderte. Es wird schwierig werden.“

Zehntausende entlassene Arbeiter haben noch keine Arbeitslosenhilfe erhalten, weil die Arbeitsämter ihrer Bundesstaaten ihre Anträge noch nicht bearbeitet haben. In Wisconsin, wo 13 Prozent der Anträge bis zum 7. Juli noch nicht bearbeitet waren, haben Arbeiter eine Twitter-Gruppe namens „Empower Wisconsin“ gegründet.

Eines ihrer Mitglieder postete vor kurzem: „Ich habe am 24. März Arbeitslosenhilfe beantragt und immer noch kein Geld bekommen. Am Freitag habe ich angerufen und bin endlich durchgekommen. Ich habe sehr nett und respektvoll gefragt: ,Diesen Sonntag sind es 13 Wochen, wann werde ich Leistungen bekommen?‘ Und dann? Hat sie doch tatsächlich einfach aufgelegt …“

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