"Die meisten hier sind der Meinung, dass die Anlage stillgelegt werden sollte"

Corona-Bedingungen in der Ford Pickup-Montage in Dearborn (Michigan)

Lest den Aufruf des Sicherheitskomitees im LKW-Werk Ford-River-Rouge: „Stoppt das Virus, rettet Leben“! Setzt euch mit dem Autoarbeiter-Newsletter in Verbindung (siehe unten) oder schreibt eine E-Mail an auto@gleichheit.de.

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Im Rahmen der Kampagne für den Aufbau von unabhängigen Aktions- und Sicherheitskomitees sprach der Autoworker Newsletter der World Socialist Web Site mit Arbeitern der Pickup-Montage Ford River Rouge über die mörderische Back-to-work-Kampagne der Unternehmen. Das Werk in Dearborn (Michigan), in dem der Pickup F-150 montiert wird, gilt als Vorzeigebetrieb der Ford Motor Company.

Anfang März hatten Autoarbeiter auf die Ausbreitung der Corona-Pandemie in den Fabriken im gesamten Mittleren Westen mit mehreren Streiks reagiert. Daraufhin sahen sich die großen Autohersteller, darunter auch Ford, gezwungen, ihre Werke von Mitte März bis Mitte Mai für acht Wochen zu schließen.

Im direkten Widerspruch zu den Behauptungen der Autohersteller, dass in ihren Fabriken sichere Arbeitsbedingungen herrschten, breitet sich das Coronavirus in der gesamten Industrie in Nordamerika weiter aus.

Arbeiter des Ford-Werks in Dearborn, Michigan (Foto: Ford Media)

 

Ein Mitglied des Aktionskomitees für Arbeitssicherheit im Pickup-Werk Dearborn, das zum Ford River-Rouge-Komplex westlich von Detroit gehört, sprach am 3. August mit dem WSWS Autoworker Newsletter. Unter anderem schilderte er die Szene, als ein Montagearbeiter am Band 2 erkrankte. Wie Kollegen beobachteten, war ihm so übel, dass er sich mehrmals in einen Abfalleimer übergab.

„Er übergab sich mit dem Kopf fast im Mülleimer“, berichtete der Arbeiter. „Dann ließ man den medizinischen Dienst kommen.“ Aber danach stellte das Unternehmen die Produktion nicht etwa ein, um den Betrieb nach einem möglicherweise dramatischen Corona-Ausbruch gründlich zu reinigen. „Es gab keine Grundreinigung und kein Anhalten des Bandes", so der Arbeiter. Dies in eklatanter Verletzung der offiziellen Sicherheitsbestimmungen, denen die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) bei Ford Motor Company zugestimmt hatte, und die ihre Unterschrift trägt. "Damit sind es 12 Fälle, von denen ich weiß“, schloss der Arbeiter.

Wie bekannt, sind Schwindelanfälle in Verbindung mit Übelkeit und Erbrechen häufige Symptome der Covid-19-Krankheit. Als die Produktion im Mai nach der vorübergehenden Stilllegung der Autoindustrie wieder aufgenommen wurde, äußerte sich Ford-CEO James Hackett dazu in der Zeitung Detroit Free Press. Der Ford-Chef betonte, wie wichtig es sei, mit den Regierungen der Bundesstaaten, den Kommunen und der UAW zusammenzuarbeiten, um die gesamte Produktion wieder in Gang zu bringen. Er sagte, die Arbeiter müssten „glauben", dass sie sicher seien. Er wählte seine Worte mit Bedacht und vermied insbesondere die Aussage, dass das Unternehmen ein sicheres Arbeitsumfeld schaffen werde. Was zählte, war nur der Anschein von Sicherheit. Seitdem hat der Vorstand selbst diesen Anspruch aufgegeben, und viele Arbeiter sind über den Mangel an Sicherheit verärgert.

„Sie geben uns jeden Tag drei oder vier Masken für jeden Arbeiter“, sagte ein Monteur mit 10 Jahren Betriebszugehörigkeit. „Aber soweit ich weiß, entsprechen diese Masken nicht dem Standard einer chirurgischen Maske. Sie sind nicht getestet. Sie sind nicht einmal mit den Standard-N95-Masken vergleichbar. Sie lassen an den Seiten Luft rein und raus. In der Montagehalle ist es so laut, dass wir schreien müssen. Und wenn man nichts versteht, dann kommt man sich natürlich näher als zwei Meter.“

Als ein Arbeiter zwei Tage nach Wiederaufnahme der Produktion Mitte Mai positiv getestet wurde, stellte die Tagschicht die Arbeit ein. Nach einer einstündigen Pattsituation, in der die Gewerkschaft vergeblich versuchte, die Wiederaufnahme der Produktion zu erreichen, schickte das Unternehmen die ganze Schicht um halb zwei Uhr nachmittags nach Hause. Es gab jedoch keine 24-stündige Pause für die Grundreinigung. Tatsächlich informierten weder das Unternehmen noch die Gewerkschaft die Nachtschicht über die Gefahr.

Im Gegenteil, mit vollem Einverständnis der UAW-Ortsgruppe 600 drängte die Unternehmensleitung auf eine schnelle Kontrolle, ehe sie die zweite Schicht ins Werk schickte, die um 18:00 Uhr mit der Arbeit begann. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich etwa zur gleichen Zeit im Montagewerk in Chicago. Obwohl seither zahlreiche Arbeiter in Dearborn, Chicago, Louisville und anderswo positiv getestet worden sind, hat Ford es an keinem Montageband mehr zugelassen, dass die Produktion aus irgendeinem Grund angehalten wurde.

In Verletzung jedes Protokolls für Arbeitssicherheit während der Pandemie wird eine Reinigungskraft hinzugezogen, die den infizierten Bereich besprüht, während das Fließband noch läuft. Anstatt die Produktion aus Sicherheitsgründen zu verlangsamen, drängt das Unternehmen auf maximale Produktion, egal was passiert. „Sie schieben immer uns die Schuld in die Schuhe“, sagte der Arbeiter weiter.

„In dem Memo, das wir [vom UAW-Ortsvorsitzenden] erhalten haben, wird erklärt, was unter ‚engem Kontakt‘ zu verstehen sei: Das sind Kollegen, die sich 15 Minuten lang im Umkreis von 4 Metern um das Geschehen befinden“, sagte er. „Wie wollen sie das feststellen? Es gibt Springer am Band, die die Zahl der Arbeitsplätze verdoppeln, wenn jemand fehlt. Sie können an vielen verschiedenen Bändern im Betrieb arbeiten und das Virus verbreiten, wenn sie krank werden. Was hat das mit der 4-Meter-Regel zu tun?“

Das Management drängt auf jedes Quentchen Produktion, schafft unerträgliche Bedingungen und macht die Arbeiter, die für diese Bedingungen nicht verantwortlich sind, zum Sündenbock.

Der Arbeiter sagte: „Wie der [UAW-] Vorsitzende erwähnte, wird die Gewerkschaft über eine Hotline informiert, wenn Kollegen nicht die richtige persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen ... Auch das Management erklärt uns, für Arbeiter, die nicht die richtige PSA tragen, gebe es keinerlei Toleranz. Die Gewerkschaft arbeitet mit dem Unternehmen zusammen.“

Ein anderer Arbeiter berichtete über den starken Arbeitsstress und das brutale Regime. Ein alternativer Schichtplan unter ständiger Covid-19-Gefahrwird durchgesetzt. Die wenigen Sicherheitsregeln, die das Unternehmen im Mai eingeführt hatte, sind mittlerweile zusammengebrochen, und der Druck hat sich so stark erhöht, dass er kaum zu ertragen ist.

„Jeden Tag arbeiten wir 10,5 oder 10,7 Stunden“, sagte er. „Es ist schon ein Kampf, sich zwischendurch einmal die Hände zu waschen. Das Unternehmen verteilt zwar Desinfektionsmittel, aber das ist kein Ersatz, und für das Händewaschen fehlt die Zeit. Am Waschbecken bilden sich lange Schlangen.

Wenn ich zu Hause bin, versuche ich, nichts anzufassen, bevor ich unter der Dusche war. Aber selbst das ist ein Kampf, wenn man müde ist“, fuhr er fort. „Dann heißt es essen, einschlafen, und schon bin ich wieder unterwegs zur Arbeit.“

Das Coronavirus breitet sich nachweislich in Wassertröpfchen (Aerosole) aus, die von sprechenden, hustenden oder niesenden Menschen ausgehen. Die Tröpfchen können längere Zeit in der Luft verbleiben und sich weiter als einen Meter ausbreiten. Das Risiko steigt in einer industriellen Umgebung, in der die Arbeiter ihre Stimme erheben müssen, um sich verständlich zu machen. Eine Infektion kann auch auftreten, wenn Viruspartikel den Weg zum Gesicht eines Arbeiters finden, nachdem dieser eine kontaminierte Oberfläche berührt hat.

Eine Arbeiterin sagte, sie habe von dem Moment an, wenn sie das Werksgelände betreten habe, Angst davor, sich mit dem Virus anzustecken. Sie schilderte die Situation in einem Zelt am Tor: „Entweder zeigst Du deinen Fragebogen auf dem Handy vor, oder du füllst an Ort und Stelle einen Papierfragebogen aus. Wenn Du an Ort und Stelle auf Papier schreiben musst", fuhr sie fort, „dann werden die Stifte, die zur Verfügung gestellt werden, nie desinfiziert, Wenn du eine Frage mit ‚Ja‘ beantwortest, wirst du ohne Bezahlung nach Hause geschickt. Daher werden sicher viele mit 'Nein' antworten, egal ob sie krank sind oder nicht, nur um ihren Arbeitsplatz zu behalten.“

Weiter beschrieb sie die Bedingungen in den Pausen: „Wir haben viele Aushilfen, die alles Mögliche tun müssen. Zum Beispiel springen sie bei Toilettenpausen oder Mittagessen ein", sagte sie. „Das Abnehmen der Maske zum Essen ist unvermeidlich. Und wenn ich auf die Toilette gehe, ist es unmöglich, mehrere Meter Abstand zu wahren. Alle berühren die Türen. Sie sind nicht desinfiziert. Die meisten Menschen halten die Situation nicht für sicher. Das macht mir Angst.“

Eine andere Kollegin beschrieb, was passierte, als ein Monteur Ende Juli positiv getestet wurde. „Jemand wurde am Motorenband krank", sagte sie. „Einige Arbeiter erzählten mir, dass man Flatterband um den Bereich gelegt habe, in dem er gearbeitet hatte. Der Arbeitsablauf wurde nicht unterbrochen. Der Bereich soll angeblich gereinigt worden sein. Ich sah einen Krankenwagen, aber die Gewerkschaft erwähnte das niemals. Ich fragte die Leute, die den Pausenraum und das Band reinigten, was passiert sei, aber niemand wusste etwas davon.“

Sie fuhr fort: „Wie man weiß, kann eine infizierte Person tagelang ansteckend sein, bevor sie irgendwelche Symptome zeigt. Die Maßnahmen, die wir anwenden, zum Beispiel tägliche Fieberkontrollen und der Gebrauch minderwertiger Gesichtsmasken, taugen nichts. Wenn jemand hohes Fieber hat, könnte er die Krankheit längst verbreitet haben.

Als die Arbeit wieder anfuhr, war die Bandgeschwindigkeit anfangs niedrig. Jetzt fahren wir mit voller Geschwindigkeit. In 10 Stunden werden bis zu 650 Pickups gefertigt. An einem Tag haben wir 10 Stunden und 36 Minuten geschuftet, um den letzten Lastwagen fertigzustellen. Das Sicherheitsversprechen [des Unternehmens] lautet nur, dass alle unfallfrei aus der Fabrik kommen.

Mitte Juli hieß es einmal in einem Bulletin, dass sechs Arbeiter positiv getestet worden seien. Aber es gab keine Informationen darüber, wo sie arbeiteten oder wie lange sie in der Fabrik waren. Ich könnte nicht genau sagen, wie viele Fälle es hier schon gab, weil sie die Informationen unterschlagen. Ich bin sicher, dass es noch viele weitere gibt. So ist es auch mit der Berichterstattung durch die Gewerkschaft. Die meisten Leute hier sind der Meinung, dass das Werk vollständig stillgelegt werden sollte.“

Weiter sagte die Frau: „Als wir anfingen, wurde behauptet, es gäbe eine 24-Stunden-Regel für die Reinigung, wenn jemand infiziert werden sollte. Das müsste mehr als 24 Stunden dauern! Aber jetzt verschweigen sie die positiven Fälle, damit wir weiter arbeiten. Das Laufen der Anlage und die Arbeitssicherheit sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Wir haben Kontrollen, bei denen der Fiebermesser defekt ist. Der Arbeiter, der zuletzt hier krank wurde, hätte die ganze Woche weiterarbeiten können, und niemand hätte etwas gemerkt. Das macht die Leute wirklich wütend. Sie passen jetzt selbst auf.“

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