Gerichte lehnen Eilanträge gegen Schulöffnungen ab

In Deutschland genießt das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit höchsten Verfassungsrang. Es wird in Artikel 2, Absatz 2, Satz 1 des Grundgesetzes garantiert – angeblich. Lehrer, Schüler und Eltern, die sich an staatliche Gerichte wenden, um sich gegen die lebensgefährliche Politik der Schulöffnungen zu schützen, werden regelmäßig abgewiesen.

Seit Ende der Sommerferien versammeln sich in den Klassenzimmern auf engem Raum dutzende Menschen aus unterschiedlichen Haushalten. Elementarste Sicherheitsregeln, wie die Einhaltung eines Mindestabstands, oft auch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, sind nicht vorgeschrieben und gewährleistet.

„Rückkehr zum Regelbetrieb“ wird dies vornehm umschrieben. Dies zu einer Zeit, in der die Covid-19-Pandemie durch die Öffnungspolitik der Regierungen wieder an Fahrt aufgenommen hat. Kaum ein Landkreis ist noch Corona-frei, der sogenannte R-Wert liegt seit Wochen wieder über 1 – was exponentielle Ausbreitung der Infizierungen bedeutet. Nach manchen Schätzungen könnte die Zahl der täglichen Neuinfektionen bereits im Oktober bei 10.000 pro Tag liegen.

Corona-Virus (Foto: Gerd Altmann, Pixabay)

Angesichts dieser Gefahr haben verschiedene Eltern, Schüler und Lehrer versucht, ihr Grundrecht auf Leben und Gesundheit in Eilverfahren gerichtlich durchzusetzen. Ein Rechtsgutachten argumentiert: „Ein Zwang zum Besuch von Schulveranstaltungen in geschlossenen Räumen ohne Schutzmaßnahmen vor der Übertragung von SARS-CoV-2 Viren wäre nicht mit den Grundrechten der Schüler auf Leben und körperliche Unversehrtheit und den Grundrechten der Eltern zu vereinbaren.“ Soweit die Entscheidung über konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus Schulleitungen überlassen werde, seien diese „verfassungsrechtlich verpflichtet, die Grundrechte der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien zu schützen“.

Die bisherigen Erfahrungen haben aber gezeigt, dass man sich nicht auf die Gerichte stützen kann.

Das hessische Oberverwaltungsgericht setzte sich mit dem Eilantrag einer Schülerin erst gar nicht inhaltlich auseinander, sondern verwarf ihn mit Beschluss vom 13. August als unzulässig.

Die Schülerin hatte sich vor ihrer Einschulung auf einem Gymnasium mit einem Normenkontroll-Eilverfahren gegen eine Norm der zweiten hessischen Corona-Verordnung gewandt, in der keine Rede von einem Mindestabstand ist und nach der nur außerhalb des Unterrichts vom Schulleiter eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet werden kann. Dies, so die Schülerin, erhöhe die Infektionsgefahr.

Da die Oberverwaltungsrichter sich offenbar nicht in der Lage sahen, diese mittlerweile von allen seriösen Virologen geteilte Auffassung zu widerlegen, griffen sie zu einer formalen Spitzfindigkeit: Sie hielten der Schülerin vor, selbst wenn ihr Antrag erfolgreich wäre und die Norm außer Vollzug gesetzt würde, müsse sie aufgrund der Schulpflicht gleichwohl den Unterricht ohne Maskenpflicht und Mindestabstand besuchen. Die allgemeinen Kontaktbeschränkungen gälten nur für den öffentlichen Raum und nicht für Klassenzimmer. Das OVG konnte so vermeiden, sich zur lebensgefährlichen Verordnung selbst zu äußern.

Wo Eilanträge zugelassen wurden, lehnten die Gerichte sie meist als unbegründet ab. So versteckte sich das sächsische Oberverwaltungsgericht in einem ähnlichen Fall nicht hinter Formalitäten. Es wies mit Beschluss vom 10. Juni den Eilantrag einer Lehrerin gegen eine Norm der sächsischen Corona-Schutzverordnung ab, nach der u.a. in Grundschulen kein Mindestabstand mehr gilt.

Die Richter räumten ein: „Zwar dürfte wissenschaftlich feststehen, dass Kinder im Grundschulalter über dieselbe Virenlast wie Erwachsene verfügen, sofern sie infiziert sind.“ Allerding sei eine Gefährdung durch infizierte Kinder bei Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Meter „wissenschaftlich bislang nicht eindeutig erwiesen“.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung war die SARS-CoV-2-Pandemie gerade einmal ein halbes Jahr lang bekannt. Es stand aber bereits fest, dass sie hochansteckend ist, in einer erheblichen Zahl von Fällen zu schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen führt und mitunter tödlich endet. Trotzdem forderte das Gericht von der Klägerin zu einem Zeitpunkt, an dem die Forschung erst angelaufen war, einen „wissenschaftlich eindeutigen“ Beweis, dass Kinder mit einer gleich hohen Virenlast auch gleich ansteckend sind wie ältere Infizierte.

Die Richter verloren kein Wort dazu, dass eine gleich hohe Virenlast eine ähnlich hohe Ansteckungsgefahr zumindest sehr wahrscheinlich erscheinen lässt. Und dies, obwohl das Gericht im Eilverfahren eingeräumt hatte, dass es um Leben und Gesundheit der Antragstellerin gehe: „Angesichts der darüber hinaus nicht vorgesehenen Pflicht für Schüler und das Lehrpersonal, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen, kann eine gesundheitliche Gefährdung des Lehrpersonals und damit auch der Antragstellerin nicht von vornherein ausgeschlossen werden.“

Man sollte eigentlich meinen, dass in einer solchen Situation zunächst der Gesundheitsschutz vorgeht, bis die Ansteckungsgefahr „wissenschaftlich eindeutig“ geklärt ist. Stattdessen berief sich das Gericht auf die zum damaligen Zeitpunkt geringen Infektionszahlen in Sachsen und „schwere Bildungsdefizite“, die den Kindern ohne Präsenzunterricht drohten.

Auf die schlechte Ausstattung und Finanzierung des Schulsystems gingen die Richter dabei natürlich nicht ein. Auch forderten sie für die drohenden Bildungsdefizite keinen „wissenschaftlich eindeutigen“ Beweis. Hier genügten ein Zeitungsinterview mit Bundesfamilienministern Franziska Giffey und ein Fernsehinterview mit einer Vertreterin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Daraus konstruierte das Gericht dann ein Recht auf Bildung [im Präsenzunterricht] der Kinder, zu deren Lasten keine Schutzmaßnahmen für Lehrer gehen dürften. Der Staat habe bei den Schutzmaßnahmen einen „erheblichen Spielraum“. Es gebe daher insgesamt keine „unzumutbare“ Gesundheitsgefährdung der Antragstellerin.

Man kann es auch anders zusammenfassen: Für Lehrer ist es zumutbar, Versuchskaninchen in einem Experiment in Herdenimmunität zu sein, fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse gehen zu Lasten der Betroffenen.

Das Verwaltungsgericht Hamburg betonte in einem Beschluss vom 6. August den „erheblichen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum staatlicher Stellen“ bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten in Bezug auf das Grundrecht auf Leben und Gesundheit. Es entschied über einen Antrag gegen die fehlende Maskenpflicht an Schulen. Die Schutzmaßnahmen dürften lediglich nicht „offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich“ sein. Einen solchen Freibrief hatte das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 11. Mai erteilt.

Auch das Verwaltungsgericht Hamburg behauptete, es verkenne nicht, „dass mit Leben und körperlicher Unversehrtheit überragend wichtige Rechtsgüter in Rede stehen“. Es bestätigte sogar: „Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung durch die gegenwärtig bestehende Corona-Pandemie für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland auch aktuell noch als insgesamt hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.“ Es gestand dem Kläger sogar zu, „dass Virologen (auch des Robert-Koch-Instituts) sich für eine Maskenpflicht auch im Unterricht ausgesprochen haben“.

Trotzdem sei es, so die Richter, „aber nicht ersichtlich, dass die Einführung einer Maskenpflicht auch im Unterricht und für alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von Klasse und Schulform zwingend ist, um der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht Genüge zu tun, und dass die bisherigen Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich wären“.

Zeitgleich erklärten führende deutsche Virologen das genaue Gegenteil: „Im Hinblick auf die reale Gefahr der Übertragung zwischen Schülern, die zum Zeitpunkt der Infektiosität (noch) keine Krankheitssymptome haben, sprechen wir uns aus alleiniger virologischer Sicht daher für das konsequente Tragen von Alltagsmasken in allen Schuljahrgängen auch während des Unterrichts aus. Dies sollte begleitet werden durch eine altersgerechte Einführung der Kinder in die Notwendigkeit und den Umfang von Präventionsmaßnahmen.“

Dazu passend befand das Gericht, die „Einschätzungsprärogative“ zu Ausnahmen von der Maskenpflicht erfordere keine „hinreichenden Studien“.

Der Staat kann also in der Praxis ungeachtet wissenschaftlicher Erkenntnisse machen was er will, egal wie sehr er damit Leben gefährdet.

Das Verwaltungsgericht Berlin musste über Eilanträge von zwei Schülerinnen entscheiden, die es nicht hinnehmen wollten, dass sie am Präsenzunterricht ohne Einhaltung von Mindestabstand teilnehmen müssen. An Berliner Schulen gilt außerdem grundsätzlich keine Maskenpflicht in den Unterrichtsräumen.

Die staatlichen Organe entschieden selbst, „welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten“, erklärte das Gericht. Es referierte dann die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zum Infektionsschutz, das Einhalten eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen im gesellschaftlichen Umgang sowie das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, insbesondere in Situationen, in denen dieser Mindestabstand nicht immer eingehalten werden kann.

Nichts davon ist in Berliner Klassenzimmern gewährleistet oder vorgeschrieben. Kein Problem für das Verwaltungsgericht Berlin! Schließlich müssten außerhalb des Unterrichts Mund-Nasenschutz getragen und wo möglich (!) der Mindestabstand eingehalten werden, außerdem sollten sich Klassenverbände/Lerngruppen, „soweit dies organisatorisch möglich ist“, nicht untereinander vermischen. Lehrer sollten den Gesundheitszustand der Schüler beobachten – obwohl gerade bei jüngeren Menschen eine Covid-19-Infektion oft symptomlos verläuft –, die Händehygiene solle eingehalten und mehrmals täglich für ein paar Minuten durchlüften, usw.

Selbst diese Maßnahmen sind oft schwer durchführbar und ohne Maskenpflicht und Mindestabstand im Unterricht offensichtlich völlig unzureichend. Das Gericht bestätigte mit Verweis auf diesen Katalog an Alibi-Maßnahmen dennoch die „politische Entscheidung“, auf Mindestabstand und Maskenpflicht im Unterricht zu verzichten. Schließlich dürfe man nicht nur an den Infektionsschutz, sondern müsse auch an den staatlichen Bildungsauftrag denken. Und schließlich würden sich die Fallzahlen ja „in der Gesamtschau günstig entwickeln“.

Als Gipfel des Zynismus und der Menschenverachtung meinten die Richter, „dass die Mehrzahl der Kinder nach bisherigen Studien einen eher milden und unspezifischen Krankheitsverlauf zeige. Nur ein kleiner Teil benötige eine intensivmedizinische Versorgung und werde beatmungspflichtig.“

Nur eine Minderheit der Kinder muss auf die Intensivstation. So rechtfertigen deutsche Richter die politische Entscheidung zur Schulöffnung gegen wissenschaftliche Empfehlungen und gegen Appelle von Schülern, Lehrern und Eltern. Der Sache nach ist dies nichts anderes als die Umsetzung der mörderischen Theorie der Herdenimmunität.

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