Frankreichs Präsident Macron gibt im Libanon den Ton an

Am 1. September besuchte der französische Präsident Emmanuel Macron die libanesische Hauptstadt Beirut. Es war sein zweiter Besuch seit der verheerenden Brandkatastrophe im Hafen am 4. August 2020, bei der etwa 190 Menschen getötet wurden.

Das Datum für den Besuch dieses Repräsentanten der ehemaligen Kolonialmacht war bewusst gewählt. Am 1. September 1920 wurde der libanesische Staat unter französischer Herrschaft gegründet. Das geschah über die Köpfe der Bewohner der Region hinweg und war Teil der imperialistischen Aufteilung des besiegten Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg.

Macron mit Arnaud Tranchant, leitender Marineoffizier des französischen Hubschrauberträgers Tonnerre, vor dem zerstörten Hafen von Beirut (Stephane Lemouton, Pool über AP)

Macrons Absicht war es, die Bedingungen für die Wiedereinsetzung der milliardenschweren französischen Marionette Sa'ad Hariri zu schaffen, der einer libanesischen Wirtschafts- und Bankenfamilie entstammt. Außerdem will er die vom Iran unterstützte islamistische Hisbollah als Machtfaktor ausschalten.

Er machte deutlich, dass etwaige internationale Kredite und Finanzhilfen zur Abwendung des drohenden Staatsbankrotts von „Reformen“ abhängig sind. Dies ist ein beschönigender Ausdruck für das Ziel, den Einfluss der Hisbollah zu beseitigen und Syrien sowie den Iran zu isolieren. Vor der Brandkatastrophe war der Libanon jahrzehntelang von den Plutokraten des Landes ausgeplündert worden.

Der Libanon am östlichen Mittelmeer ist eines der kleinsten Länder der Welt, seine Bevölkerung umfasst sechs Millionen Einwohner. Macrons Besuch ist Teil der umfangreichen Bemühungen Frankreichs und der Europäischen Union, ihren Einfluss und ihre Interessen im Nahen Osten und Afrika geltend zu machen, nachdem es ihnen nicht gelungen ist, in Syrien durch einen Stellvertreterkrieg einen Regimewechsel herbeizuführen.

Frankreich und die EU versuchen mit den neu entdeckten Gasvorkommen und geplanten Pipelines in der Levante Europas Energieversorgung zu sichern. Die Türkei führt dort ihre eigenen Probebohrungen durch, und die Türkei, der Iran, Russland und China bauen mit Hilfe Syriens ihre eigenen Positionen im östlichen Mittelmeer auf. Ein wichtiger Faktor in ihren Kalkulationen ist das Nachlassen der einstmals dominanten Stellung des US-Imperialismus.

Vor allem Frankreich nimmt eine sehr aggressive Haltung ein. Es unterstützt gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten den ostlibyschen Warlord Chalifa Haftar gegen die von der UN anerkannte Regierung von Fayiz as-Sarradsch in Tripolis, die wiederum von der Türkei, Katar und Italien unterstützt wird.

Frankreich mischt sich bereits seit Langem in die libanesische Innenpolitik ein, u.a. gewährt es abgesetzten Staatschefs Zuflucht. Zuletzt hatte Paris im Jahr 2017 Sa'ad Hariris Wiedereinsetzung orchestriert, nachdem sein damals wichtigster Unterstützer, das saudische Königshaus, ihn nach Riad einberufen, verhaftet und gezwungen hatte, im Fernsehen seinen Rücktritt als Ministerpräsident zu erklären. Der Grund dafür war, dass er nicht in der Lage war, seine wackelige Regierung von der Hisbollah abzugrenzen.

Nur wenige Stunden vor Macrons Ankunft am Montag einigten sich die Parteien des Libanon darauf, den Diplomaten Mustapha Adib zum neuen Ministerpräsidenten zu ernennen. Er wurde nach dem Rücktritt von Hassan Diabs kurzlebiger Regierung von den milliardenschweren Ex-Ministerpräsidenten des Landes für den Posten ausgewählt. Diab war sechs Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut zurückgetreten, weil ihm klar wurde, dass er zum Sündenbock für die jahrelange kriminelle Nachlässigkeit und kaltschnäuzige Gleichgültigkeit seiner Amtsvorgänger gemacht wurde. Diese hatten wiederholte Warnungen darüber ignoriert, wie gefährlich es ist, Ammoniumnitrat ohne ausreichende Sicherheitsmaßnahmen so nahe bei Wohngebieten zu lagern.

Adib, Rechtsanwalt und seit 2013 libanesischer Botschafter in Deutschland, ist weitgehend unbekannt. Er ist ein enger Verbündeter von Najib Mikati, dem reichsten Mann des Landes, der von 2011 bis 2013 Premierminister war. Als Kabinettschef von Mikati forderte Adib eine schnelle Regierungsbildung und versprach, zügig Reformen durchzuführen, um einen Deal mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auszuhandeln. Im Kern wird er aufgefordert, den Weg für eine Regierung unter Hariri frei zu machen. Dieser ist selbst zu stark diskreditiert, um sofort die Macht zu übernehmen, weil er das Land in den vier von sechs Jahren regiert hat, in denen das Ammoniumnitrat im Hafen gelagert wurde.

Macron begann seine Reise mit einer PR-Aktion – einem Besuch bei der 85-jährigen Fairuz, einer international gefeierten Sängerin und nationalen Ikone, der er den Verdienstorden Légion d’Honneur (Ehrenlegion) verlieh. Danach machte er seine politischen Präferenzen deutlich, indem er Hariri zu einem Treffen in die Pinienresidenz einlud, den offiziellen Sitz des französischen Botschafters in Beirut. Vor einem Jahrhundert, am 1. September 1920, rief der französische General Henri Gouraud vom Balkon der Residenz die Gründung des Staates Großlibanon unter dem Mandat des Völkerbunds aus, das dem französischen Imperialismus die Macht über Syrien und den Libanon gab. Das stattliche Anwesen diente Frankreich bis zur Unabhängigkeit 1943 als französischer Regierungssitz des Landes.

Einen Tag später nahm Macron an einer Reihe von Gedenkveranstaltungen für den Jahrestag teil. In einem Waldreservat in den Bergen nordöstlich von Beirut pflanzte er den Setzling einer Zeder ein – das Nationalsymbol des Libanon – während Jets der französischen Luftwaffe am Himmel Spuren in den Farben der libanesischen Flagge (rot, weiß, grün) hinterließen.

Bei einem Treffen mit Vertretern aller Parteien in der Pinienresidenz legte Macron am Dienstagabend seine Forderungen vor: eine neue Regierung innerhalb von zwei Wochen, „glaubwürdiger Einsatz“ für Reformen und Transparenz innerhalb von zwei Monaten. Nach Erfüllung dieser Forderungen wird der IWF einen Kredit zur Rettung der Wirtschaft vergeben, und innerhalb von zwölf Monaten sollen Parlamentswahlen stattfinden.

Am Dienstagabend erklärte Macron auf einer Pressekonferenz: „Sie alle haben sich, ohne Ausnahme, dazu verpflichtet, in den kommenden Tagen eine zielorientierte Regierung zu bilden.“ Er fügte hinzu, die neue Regierung werde formell aus „kompetenten“ Parteilosen bestehen. Weiter mahnte er: „Es gibt keinen Blankoscheck... Wenn Ihre politische Klasse versagt, werden wir dem Libanon nicht helfen.“

Die Wirtschaftskrise des Libanon beruht auf der jahrzehntelangen Korruption und Plünderung durch die herrschende Elite, durch die der Libanon zu einem der am höchsten verschuldeten Staaten der Welt geworden ist. Seine Staatsschulden entsprechen 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Einen Großteil davon schuldet er libanesischen Banken, die sich im Besitz der führenden sunnitischen und christlichen Politiker befinden. Der Kurs der Währung ist zusammengebrochen, und die Banken hindern Kleinanleger daran, ihre Ersparnisse abzuheben, deren Wert bereits stark gesunken ist. Die bereits zuvor hohe Arbeitslosigkeit und weit verbreitete Armut sind seit der Pandemie und der Explosion im Hafen noch weiter in die Höhe geschnellt. Zudem lebt im Libanon die höchste Zahl an Flüchtlingen pro Kopf.

Macron betonte, falls sich die libanesischen Politiker nicht an ihren „Fahrplan“ halten und bis Ende Oktober umfassende Änderungen am Staats- und Finanzsystem umsetzen, werde es keine internationale Hilfe geben. Für diesen Fall drohte dieser arrogante Imperialist im Stile Donald Trumps mit Sanktionen gegen Politiker wie Präsident Michel Aouns Schwiegersohn, Gebran Bassil, Parteichef der vorwiegend Christlichen Freien Patriotischen Bewegung, und gegen die Hisbollah, die die größte Fraktion im Parlament stellt.

Macron kündigte an, er werde im Dezember in den Libanon zurückkehren, vorher im November allerdings bereits seinen Außenminister, Jean-Yves Le Drian, schicken. Weiter erklärte er, Frankreich werde Mitte Oktober zwei Konferenzen zum Libanon organisieren. Bei einer davon wird es um Wiederaufbauhilfen gehen, die andere soll in Paris stattfinden und das Ziel haben, „internationale Unterstützung“ für die Reformagenda des Libanon zu gewinnen und das Land „vor regionalen Machtspielen zu schützen“.

Trotz allem Gerede über die Bekämpfung der Korruption ging es Macron in Wirklichkeit darum, die Macht der Hisbollah zu beschneiden. Er erklärte, in der nächsten Diskussionsrunde über „Reformen“ werde es um das Waffenarsenal der Gruppe gehen, ein Arsenal, das mit den Beständen der libanesischen Armee vergleichbar ist.

Als Macron aus Beirut abreiste, kam es zu Protesten und Zusammenstößen mit Sicherheitskräften nahe dem Parlamentsgebäude. Einige riefen „Nieder mit [Präsident] Michel Aoun“ und „Revolution“, andere erklärten, sie würden gegen die ausländische Einmischung und Macrons Besuch protestieren.

Nach seinem Besuch flog Macron weiter in die irakische Hauptstadt Bagdad, um auch dort Frankreichs geostrategische Interessen in der Region zu verfolgen. Er war damit der erste internationale Staatschef, der das Land seit der Wahl von Mustafa al-Kadhimi zum Ministerpräsidenten im Mai besuchte, und der dritte französische Regierungsvertreter.

Seine Absicht war es, „gemeinsam mit den Vereinten Nationen eine Initiative einzuleiten, um den Souveränitätsprozess zu unterstützen“. Das ist eine indirekte Warnung an die Türkei, deren Militär im Juni in die Autonome Region Kurdistan (KRG) eingedrungen war, um die Aufständischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzugreifen, was Bagdad und Erbil gleichermaßen verärgert hatte.

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