Volle Klassen, volle Busse – Schulbeginn wird zur Coronafalle

In Deutschland hat in dieser Woche die Gesamtzahl der Corona-Infizierten die Viertelmillion überschritten. Zurzeit werden offiziell fast 17.000 akut an Covid-19-Erkrankte registriert, das sind etwa viermal so viel wie in den Sommermonaten. Die größte Gruppe der Neuinfizierten sind inzwischen die 20- bis 24-Jährigen.

Der 7-Tages-Durchschnitt liegt seit Wochen um 1200 Neuinfizierte pro Tag. Am Dienstag wurden fast 1500 Neuinfektionen – der höchste Wert seit Ende April – registriert. Am Mittwoch waren es 1176 und am Donnerstag fast 1900, ein neuer alarmierender Höchststand seit dem Frühjahr. 9400 Corona-Patienten haben die Pandemie bisher mit dem Leben bezahlt.

Während in Frankreich, Spanien und anderen europäischen Ländern die Fallzahlen gerade wieder rasant steigen, steuert Deutschland mit seiner rigorosen Schulöffnungspolitik unbeirrt in Richtung einer zweiten Corona-Welle. Dabei schlagen die Politiker aller Bundestagsparteien und Regierungen die Warnungen ernsthafter Virologen in den Wind.

In der Fuldaer Zeitung warnte Prof. Philipp Markart, Direktor der Pneumologie am Klinikum Fulda: „Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder. Und nicht nur das, auch die Zahl der Erkrankten nimmt wieder zu. Auch im Klinikum Fulda behandeln wir wieder Patienten mit Covid-19, die so schwer erkrankt sind, dass sie stationär behandelt werden müssen und Sauerstoff brauchen.“

Der Lungenarzt berichtete von „dramatischen individuellen Verläufen“, darunter einer Reihe von „relativ junge Patienten ohne schwere Vorerkrankungen, die praktisch aus völliger Gesundheit heraus schwere, teils tödliche Verläufe erlitten“. Als Faktoren, die Corona so gefährlich machen, nannte Prof. Markart das Fehlen eines Impfstoffs gegen Covid-19, die „hohe Infektiosität, die Übertragbarkeit auch durch asymptomatische Infizierte und die teilweise sehr schweren Krankheitsverläufe“.

Trotz alledem sind die Politiker entschlossen, Lehrer, Erzieher und über 10 Millionen Schüler in dieselben maroden und überfüllten Schulen zurück zu zwingen wie vor der Pandemie. Nach dem Schulbeginn am 8. September in Bayern für 1,6 Millionen Schüler beginnt der Regelunterricht am kommenden Montag auch im letzten Bundesland, Baden-Württemberg, für weitere 1,5 Millionen Schüler.

Trotz einer höchst unwilligen Informationspolitik der Behörden, die schon an Informationssperre grenzt, häufen sich die sporadischen Meldungen über immer neue Coronafälle an den Schulen.

In Berlin hat die Senatsverwaltung für Bildung am Montag eröffnet, dass es an 25 Berliner Schulen aktuelle Covid-19-Infektionen gebe. Insgesamt 70 Lerngruppen seien betroffen. Wie viele Schüler und Lehrer positiv getestet wurden, wie viele sich in Quarantäne befinden und wie viele ernstlich krank sind, wird jedoch verheimlicht.

In Dresden befinden sich 110 Menschen seit einer Woche in Quarantäne. An drei Dresdner Schulen, einer Grundschule und zwei Gymnasien, gibt es Coronafälle. Auch im sächsischen Torgau musste eine Grundschule, eine Oberschule und ein Hort wieder schließen, und in Pirna gab es einen Covid-19-Fall an einem Gymnasium. An der Ostseeküste (Mecklenburg-Vorpommern) sind neue Fälle an Schulen in Güstrow und Rostock bekannt: In Güstrow wurden mehr als 70 Personen des Landesförderzentrums „Hören“ und Schüler und Lehrer der „Küstenschule“ in Toitenwinkel für 14 Tage in Quarantäne geschickt, nachdem zwei Schüler Corona-positiv getestet worden waren.

Auch in den südlichen und westlichen Bundesländern werden immer neue Fälle bekannt. In Olching (Oberbayern) gab es schon am ersten Tag der Schulöffnung am Mittwoch einen Coronafall an einem Gymnasium, und 103 Schüler wurden in Quarantäne geschickt. In Niedersachsen soll es laut einer kurzen Mitteilung aus dem Ministerium „knapp 50 Schulen mit Corona-bedingten Einschränkungen“ geben. 24 Schüler und vier Lehrer seien Corona-positiv getestet worden.

In Wiesbaden befinden sich über hundert Schüler von zwei Schulen in Erbenheim nach Coronafällen in Quarantäne, und an einer dritten Wiesbadener Schule ist der Verdacht auf eine Infektion bisher weder bestätigt noch ausgeräumt.

In Nordrhein-Westfalen sind unter anderem in Essen mehrere Schulen der Stadtteile Holsterhausen und Frintrop neu betroffen: Zwei Schüler und eine Betreuungsperson wurden am Dienstag positiv auf Covid-19 getestet. Seit Ende der Sommerferien erhöht sich damit die Zahl der betroffenen Essener Schulen auf 15.

In Düsseldorf gab es einen besonders krassen Fall: Am 3. September wurden 20 Schüler der Freiherr-vom-Stein-Realschule positiv auf Covid-19 getestet, nachdem sie an einer 4-tägigen Klassenfahrt an den Chiemsee teilgenommen hatten. In Bayern sind die Klassenfahrten sonst bisher noch gar nicht erlaubt. Obwohl ein Schüler bereits dort akut erkrankte, fuhren die 54 Schüler gemeinsam in einer zehnstündigen Fahrt im Reisebus nachhause.

Anschaulicher kann man wohl nicht zeigen, wie sorglos und unverantwortlich die Behörden mit der Pandemie umgehen, und dass sie weder Lehrer noch Schüler warnen, vorbereiten und vor Ansteckung schützen.

Alle mühsam vor den Ferien erarbeiteten Schutzkonzepte werden über den Haufen geworfen. Fast überall gibt es ausdrückliche Beschlüsse gegen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in den Klassen. In Wiesbaden hat ein Verwaltungsgericht die „dringende Empfehlung“ zur Maske im Unterricht sogar ausdrücklich untersagt.

Die verantwortlichen Bildungspolitiker legen es offenbar bewusst darauf an, neue sogenannte Superspreading-Events zu riskieren.

Die Schulen sind in keiner Weise Corona-gerecht ausgestattet. Die Sommerferien wurden nicht genutzt, um moderne Lüftungsanlagen einzurichten, Luftfilter und CO2-Messgeräte zu installieren oder die Sanitäranlagen zu renovieren. Die Verachtung der Politiker für Leben und Gesundheit der Lehrer und Schüler brachte die NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mit der Bemerkung auf den Punkt, dass 100 Euro pro Kind für die Anschaffung von Luftfiltern in den Klassenräumen „zwar eine gute Idee, aber zu teuer“ seien.

Dieselbe Bundesregierung, die aus dem Corona-Paket allein 3,2 Milliarden Euro für u.a. eine bessere Digitalisierung bei der Bundewehr bezahlt, hat es versäumt, die Schulen mit der nötigen IT-Ausrüstung für das Online-Lernen auszustatten. Also sind Lehrer und Schüler gezwungen, täglich viele Stunden in den vollen Klassenzimmern zu verbringen, deren Fenster sich oft nicht einmal öffnen lassen. Und für den Schulweg quetschen sie sich notgedrungen in überfüllte Busse und Bahnen.

In mehreren Bundesländern, z.B. Berlin und Baden-Württemberg, wurden „Handreichungen“ an die Eltern ausgeteilt, denen zufolge die Kinder auch „bei Schnupfen, leichtem oder gelegentlichem Husten, bzw. Halskratzen“ in die Schule geschickt werden sollen. Wird ein Kind tatsächlich positiv getestet, wird oftmals nur dieses eine Kind nachhause geschickt, ohne dass seine Kontaktpersonen ermittelt, isoliert und getestet werden.

Dabei steht inzwischen zweifelsfrei fest, dass die Kinder auch dann, wenn sie zwar infiziert, aber asymptomatisch sind oder nur geringe Symptome zeigen, schon hochansteckend sein können. „Kontakte nachverfolgen, isolieren und testen, testen, testen“, lautet seit einem halben Jahr die Empfehlung der WHO.

Gleichzeitig werden Lehrer, Erzieher und Schulbeschäftigte, die den Risikogruppen angehören oder gefährdete Angehörige zuhause haben, moralisch unter Druck gesetzt oder gerichtlich gezwungen, am Präsenzunterricht teilzunehmen. Und die Eltern von vorerkrankten Schülern werden vollends allein gelassen. Hunderte Beiträge empörter Eltern lassen derzeit die sozialen Medien heiß laufen.

„Menschenverachtend“ sei das, was da an den Schulen gerade abläuft, schreibt ein Ma En aus Niedersachsen: „Angehörige aus Risikogruppen, mit denen ein Schüler zusammen lebt, sind absolut nichts mehr wert! Mit uns wird Russisches Roulette gespielt!“

Taty, die Mutter eines vorerkrankten 13-Jährigen und zwei 4-jährigen Zwillingen, schreibt: „Ich bin gerade so unglaublich wütend. So schrecklich wütend ...“. Wie sie schreibt, sei an den Förderschulen im Märkischen Kreis (NRW) gerade alles abgezogen worden: „Schulpsychologen, Spielzeug, Schulhof-Spielgeräte, weil zu teuer.“

Da die Zwillingsgeschwister des „Großen“ ebenfalls mit Pseudokrupp vorerkrankt seien, sei dieser seit März zuhause. „Das erste Homeschooling meldete ich problemlos der Schule. Man entschied sofort, dass ich eine Bewilligung bekäme bis zum 31.07.2020 (...) Noch in der Zeit nahm ich Kontakt mit der Schulleitung auf und bat erstmal um Verlängerung – man lehnte sofort ab.“

Taty schildert eine wochenlange Odyssee, bis es ihr endlich gelungen sei, mit Hilfe eines ärztlichen Attests den 13-jährigen Sohn vom Präsenzunterricht zu befreien. „Einen Tag vor Schulbeginn haben wir die Bewilligung bekommen. Ich bin dankbar dafür. Aber ich möchte nicht, dass andere Schüler oder Eltern solche Ängste und Verzweiflung erleben müssen.“

Solche Berichte gibt es haufenweise. Jennifer berichtet von ihrer Tante, einer 61-jährigen Lehrerin mit überstandener Krebserkrankung, die gerade in den Präsenzunterricht gezwungen wird. Sie konstatiert: „Die Probleme im Bildungswesen bestehen schon länger. Nun fliegt uns das alles um die Ohren! Wenn man bedenkt, wie viele Pädagogen zur Risikogruppe gehören.“ Die pädagogischen Mitarbeiter müssten jetzt „reihenweise bei den Betriebsärzten antanzen, um zu überprüfen, ob sie denn wirklich gefährdet sind“.

Und Eva gibt auf die Frage, warum die Landes- und Bundesbehörden die Corona-Infektionen an den Schulen nicht öffentlich bekanntgeben, die Antwort: „Weil es dann auch der Allgemeinheit arschklar wäre, dass die Öffnungen ohne Konzept ein no-go sind. Das gilt es zu verhindern, damit der Rubel rollt.“

Wie diese Beiträge zeigen, werden die Lügen und Manöver der Politiker und ihre Motive zunehmend durchschaut. Der treibende Motor hinter den Schulöffnungen ist der Drang, alle Betriebe für Profit wieder zu öffnen. Konzerne und Banken beharren darauf, dass die Eltern der Produktion zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund schließen die Politiker unisono einen neuen Lockdown kategorisch aus.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ist die einzige Partei, die das CoV-Sars-2-Virus ernst nimmt und dem Kampf dagegen höchste Priorität einräumt.

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