Perspektive

200.000 Corona-Tote in den USA

Trump tritt offen für Herdenimmunität ein

In den Vereinigten Staaten hat die Zahl der Coronatoten die Schwelle von 200.000 überschritten. Gleichzeitig befürwortet Präsident Donald Trump offen eine Regierungspolitik der „Herdenimmunität“, bei der sich das Virus ungehindert ausbreiten kann.

In einer TV-Bürgersprechstunde unterlief ihm ein bezeichnender Versprecher. „You‘ll develop herd-“ (Was Sie entwickeln werden, ist Herden-) sagte Trump, ehe er sich unterbrach und den Begriff „Herdenimmunität“ durch „Herdenmentalität“ ersetzte. Er fügte hinzu: „Wie eine Herdenmentalität. Das wird sich –, es wird sich herdenartig entwickeln, und das wird passieren.“ Als Folge davon werde die Pandemie „verschwinden“, sagte Trump.

Indem er sichtlich für das Prinzip der Herdenimmunität eintrat, hat Trump die Katze aus dem Sack gelassen. Tatsächlich ist dies das Leitprinzip, das Trumps Pandemie-Politik von Anfang an bestimmte. Das ist der Grund, warum der US-Präsident das Virus verharmlost, das Testen sabotiert und alles tut, um Arbeiter schnellstmöglich zurück an die Arbeit zu schicken.

Als Strategie, wie auf Covid-19 zu reagieren sei, argumentieren die Befürworter der Herdenimmunität, dass die Krankheit sich frei in der Bevölkerung ausbreiten müsse. Irgendwann, wenn sich genügend Menschen angesteckt hätten, würde die Ausbreitung der Krankheit sich verlangsamen.

Dr. Scott Atlas, den Trump kürzlich zum Covid-19-Berater ernannt hat, plädierte im Juli für diesen Ansatz und erklärte: „Gruppen mit geringem Risiko, die sich infizieren, stellen kein Problem dar. Tatsächlich ist es ein positiver Aspekt.“

Trotz der irreführenden Pseudowissenschaft bedeutet die Strategie nicht mehr und nicht weniger als eine Art Masseneugenik. Sie setzt Millionen Menschenleben aufs Spiel und wird zum Tod großer Teile der Bevölkerung, vor allem der Alten und Kranken, führen.

Trump hat sich an die Spitze einer solchen Politik gestellt. Er hat die Bedrohung absichtlich heruntergespielt und die Bevölkerung belogen. Das geht aus den von Bob Woodward veröffentlichten Tonmitschnitten hervor.

Allerdings haben sowohl die Demokraten als auch die Republikaner dieses Vorgehen unterstützt und mit umgesetzt. Ende März war es Thomas Friedman, der Kolumnist der New York Times, der die Herdenimmunitätspolitik der schwedischen Regierung lobte, den Lockdown kritisierte und behauptete: „Die Heilung darf nicht schlimmer als die Krankheit sein.“ Auf seine Kolumne folgte ein Leitartikel derWashington Post, in dem Schweden ausdrücklich für ein, wie es hieß, „attraktives Modell“ gelobt wurde.

Offiziell bestreitet jede Regierung der Welt, eine Politik der Herdenimmunität zu betreiben. Auch die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, sagte am Mittwoch: „Herdenimmunität war hier im Weißen Haus noch nie eine Strategie.“ Sie behauptete, Scott Atlas „hat niemals Herdenimmunität als Strategie vorgeschlagen, ebenso wenig wie der Präsident“. Das sind alles Lügen.

Solche Dementis kennt man von den Regierungspolitikern aller großen Länder, einschließlich Schweden und dem Vereinigten Königreich, während sie diese Politik gleichzeitig umsetzen.

Sir Patrick Vallance, wissenschaftlicher Chefberater der Johnson-Regierung in Großbritannien, sagte im März vor den Medien: „Es ist nicht möglich, jeden einzelnen daran zu hindern, [das Virus] zu bekommen, und es ist auch nicht wünschenswert, denn Sie wollen ja eine gewisse Immunität in der Bevölkerung erreichen.“ Daraufhin publizierte die Regierung die folgende glatten Lüge: „Herdenimmunität war nie unsere Politik oder unser Ziel.“

Schweden hat die Schulen offen gelassen, während andere europäische Länder sie schlossen. Dennoch hat das Land bestritten, eine Strategie der Herdenimmunität zu verfolgen. Im vergangenen Monat wurden jedoch Emails des schwedischen Chef-Epidemiologen Anders Tegnell bekannt, in denen er befürwortet, die Schulen offen zu lassen, gerade weil dies zu einer weiteren Verbreitung des Virus führen würde.

„Ein Punkt, der dafür spricht, die Schulen offenzulassen, wäre, die Herdenimmunität schneller zu erreichen“, schrieb Tegnell am 14. März an seinen finnischen Amtskollegen Mika Salminen.

Tatsache ist, dass alle Regierungen der Welt eine Strategie der Herdenimmunität betreiben. Sie alle lügen, denn ihre Politik, Bevölkerung großenteils der Ansteckung auszusetzen, ist kriminell, unmenschlich und inakzeptabel.

In dem Maße, wie sie ihre „Back-to-work“-Kampagne beschleunigen, lassen die Regierungen selbst ihre fadenscheinigsten Behauptungen fallen, sie würden die Krankheit aktiv bekämpfen. „Um die Gesundheitskrise zu überwinden, müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben", twitterte der französische Präsident Emmanuel Macron im August.

Der ehemalige australische Premierminister Tony Abbott sagte seinerseits, dass zu wenige Politiker „so denken wie Gesundheitsökonomen, die darauf trainiert sind, unbequeme Fragen zu den Zahlen der Toten zu stellen, mit denen wir möglicherweise leben müssen“. Abbott sagte, die Reaktion auf die Krankheit sollte eher so aussehen, „dass man sich dafür entscheidet, es älteren Verwandten so angenehm wie möglich zu machen, während die Natur ihren Lauf nimmt“.

Am 9. September erklärte die rechte Ministerpräsidentin der Region Madrid, Isabel Ayuso, gegenüber Es-Radio: „Wahrscheinlich werden sich praktisch alle Kinder in irgendeiner Form mit dem Coronavirus infizieren.“

Seit langem wird die steigende Lebenserwartung der Arbeiterklasse als ein „Problem“ dargestellt, mit dem sich auch in hochentwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten und in Europa zahlreiche Beratergremien befassen.

Der Washingtoner Think Tank Center for Strategic and International Studies (CSIS) brachte beispielsweise im Jahr 2013 ein Papier heraus, in dem Anthony H. Cordesman die Krise des US-Imperialismus darauf zurückführte, dass auch einfache Amerikaner länger leben. „Keine ausländische Bedrohung der USA ist so ernst zu nehmen wie ihr eigenes Versagen“, schrieb Cordesman, „den Kostenanstieg für die Bewältigung der Bundesansprüche in den Griff zu bekommen.“ Er argumentierte, die Schuldenkrise sei „fast ausschließlich auf den Anstieg der Bundesausgaben für die großen Gesundheitsprogramme, die Social Security [öffentliches Rentensystem] und die Kosten der Nettozinsen auf die Schulden zurückzuführen“.

Mit anderen Worten: Wenn die Arbeiter zu alt sind, um noch Mehrwert und Profit zu erzeugen, werden ihre Renten und Krankenkassen zu bedrohlichen Ausgaben, die man besser zur Zahlung von Firmenboni und zur Finanzierung des Militärs verwenden würde.

Aus der Sicht der herrschenden Klasse hat die Pandemie sehr reale Vorteile. Sie hat den Vorwand geliefert, um mehr als 4 Billionen Dollar an Corona-Hilfsprogrammen in die Konzernbilanzen zu schaufeln, was die Aktienwerte in die Höhe trieb. Indem sie Massenarbeitslosigkeit geschaffen hat, hat sie zur Entspannung des Arbeitsmarkts und zur Senkung der Löhne beigetragen. Und vor allem bringt die Pandemie es mit sich, dass die Gelder, die für Rentenfonds, Social Security und Gesundheitsfürsorge vorgesehen sind, jetzt, da das durchschnittliche Sterbealter 78 Jahre beträgt, an die Finanzoligarchie fließen können.

Die Vereinigten Staaten sind gerade dabei, Schulen und Universitäten wieder zu öffnen, was eine Welle neuer Ausbrüche im ganzen Land auslöst. Angesichts der Emails des schwedischen Chef-Epidemiologen, in denen es heißt, dass das Offenlassen der Schulen zu mehr Infektionen führen wird, ist völlig klar, dass das Weiße Haus mit Schätzungen arbeitet, wie viele Menschen sich noch infizieren und an Covid-19 sterben werden – ohne im mindesten sein Vorgehen zu ändern.

Bisher haben 200.000 Menschen diese kriminelle Politik der herrschenden Klasse mit ihrem Leben bezahlt. Wenn diese Politik fortgesetzt wird, werden nach Angaben des Institute for Health Metrics and Evaluation in den nächsten drei Monaten noch einmal 215.000 Menschen ihr Leben verlieren.

Wenn diese Katastrophe abgewendet werden soll, muss der Umgang mit der Pandemie den Kriminellen, die für diese Katastrophe verantwortlich sind, aus der Hand genommen werden. Keine Wahl, weder in den Vereinigten Staaten noch irgendwo sonst auf der Welt, wird die Pandemie beenden. Schon im Januar haben die US-Demokraten und die Medien sich als Komplizen bei der Vertuschung der Pandemie erwiesen. Alle Fraktionen des politischen Establishments räumen dem Reichtum der Finanzoligarchie Vorrang vor dem menschlichen Leben ein.

Die Voraussetzung für die Eindämmung und Ausrottung der Pandemie auf der ganzen Welt ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf politisch unabhängiger Basis im Kampf für den Sozialismus.

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