Thyssenkrupp-Stahl: IG Metall und Betriebsrat fordern Einstieg des Staates

Die IG Metall und der Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel Europe haben am vergangenen Freitag über 3000 Stahlarbeiter zu einer Kundgebung vor dem nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf gefahren. Die angesichts der Corona-Pandemie aufwendige Aktion verfolgte das Ziel, die Landesregierung zu einer Beteiligung an dem angeschlagenen Stahlbereich des Industriekonzerns zu bewegen, um ihn mit Milliardenbeträgen zu sanieren.

Aus dem Aufruf der IG Metall

Auch wenn Gewerkschaft und Betriebsräte etwas anderes behaupten, um die Arbeitsplätze ging es bei der Aktion nicht. IG Metall und Betriebsrat setzen vielmehr ihre bisherige Politik fort, die Arbeitsplätze und Löhne in enger Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung abzubauen und jeden ernsthaften Kampf dagegen zu unterdrücken.

Ein Arbeitskampf, der alle Stahlarbeiter und andere Arbeiter im In- und Ausland einbezieht, ist aber die einzige Möglichkeit, die Arbeitsplätze zu verteidigen. Doch davor haben die gutbezahlten Bürokraten in den Gewerkschaftshäusern und Betriebsratsbüros – genauso wie die Regierung und die milliardenschweren Aktionäre – panische Angst. Sie fürchten, dass er sich zu einem Flächenbrand ausweiten könnte.

Unter der Oberfläche kocht es. Nicht nur in der Stahlindustrie, auch in der Automobil- und Zulieferindustrie, im Chemiebereich, in der Luftfahrt und im Bankensektor stehen hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel, ganz zu schweigen vom Dienstleistungs- und Kulturbereich, wo ganze Branchen wie das Gastgewerbe vor dem Aus stehen. Millionen Beschäftigte im Öffentlichen Nahverkehr, in Pflege, Erziehung und anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen werden zu miserablen Löhnen und ohne erforderlichen Schutz gezwungen, ihre Gesundheit und ihr Leben zu riskieren, während die Politik immer unverhüllter zur mörderischen Politik der Herdenimmunität übergeht.

Unter diesen Umständen könnte sich ein entschlossener Kampf der Stahlarbeiter rasch zu einem Generalstreik ausweiten, der das ganze kapitalistische System in Frage stellt, in dem sich Aktionäre, Oligarchen und Milliardäre an der Corona-Pandemie regelrecht mästen. Der Ruf der IG Metall nach dem Staat dient dazu, eine solche Mobilisierung zu unterdrücken.

Im Aufruf zur Demonstration fleht die IG Metall die Landesregierung regelrecht an, beim Abbau der Arbeitsplätze mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie brüstet sich damit, dass sie in der Vergangenheit den Arbeitsplatzabbau stets mitgetragen hat – und dass sie das auch in Zukunft tun wird. Die Zahl der direkt in der Stahlindustrie Beschäftigten ist in den letzten 40 Jahren von 288.000 auf 84.000 gesunken, 27.000 davon bei Thyssenkrupp. Die Menge des produzierten Rohstahls ist in derselben Zeit nur leicht zurückgegangen, von 51.000 auf 42.000 Tonnen.

„Beschäftigte haben Opfer gebracht,“ heißt es im Demonstrationsaufruf der IG Metall. „Über Jahre. Wir haben verzichtet. Haben hingenommen, dass Arbeitsplätze abgebaut wurden. 3000 weitere werden mit der geplanten Restrukturierung verschwinden. Das tut weh, aber wir wären gerne bereit gewesen, diesen Weg zu gehen.“

Jeder, der den jahrelangen Todeskampf von Opel Bochum miterlebt hat, weiß, was das bedeutet. Bei Opel hatten IG Metall und Betriebsrat immer wieder „Opfer gebracht“. Das heißt, sie opferten die Arbeitsplätze der Arbeiter – nicht ihre eigenen – Schritt für Schritt und versprachen jedes Mal, die restlichen würden dadurch sicher. Bis das Werk schließlich ganz dicht machte.

Dasselbe Spiel spielen sie jetzt bei Thyssenkrupp. Dort sind die Profite im Stahlbereich Corona-bedingt eingebrochen. Das hat die mit der IG Metall vereinbarten Abbaupläne durchkreuzt.

Die Rohstahlerzeugung in Deutschland wird laut einem aktuellen Bericht des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung dieses Jahr um knapp 15 Prozent sinken. Thyssenkrupps Stahlbereich hat in den ersten neun Monaten ein Minus von rund 850 Millionen gemeldet, im ganzen Jahr dürfte sich der Verlust auf eine Milliarde Euro summieren. Der Gesamtkonzerns denkt nicht daran, die 17 Milliarden Euro, die er erst kürzlich für den Verkauf der profitablen Aufzugsparte erhalten hat, für den Erhalt des Stahlbereichs einzusetzen. „Das Geld schmilzt dahin wie Schnee in der Sonne“, beklagte der Stahlbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol deshalb in Düsseldorf und forderte: „Jetzt muss der Staat ran.“

Die IG Metall wirbt schon länger für eine staatliche Beteiligung. Doch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), die in der vorletzten Woche Thyssenkrupp in Duisburg besuchten, haben dies bisher abgelehnt. Laschet wiederholte dies auch am Freitag auf der Kundgebung, zu der die IG Metall ihn eingeladen hatte.

Allerdings haben er und Altmeier angedeutet, dass das Unternehmen Staatshilfe für die Umstellung der Stahlproduktion mithilfe von Wasserstoff und Strom aus erneuerbarer Energie erhalten könnte, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Thyssenkrupp veranschlagt dafür Investitionen von 10 Milliarden Euro.

Eine staatliche Beteiligung sei in der Stahlindustrie „überhaupt nichts ungewöhnliches“, erklärt die IG Metall. Niedersachsen sei an der Salzgitter AG beteiligt, das Saarland habe lange Anteile an Saarstahl gehabt. „Schaut man sich die Landschaft der Stahlunternehmen in Deutschland an, liegt eine Beteiligung des Landes NRW an Thyssenkrupp Steel auf der Hand“, erklärte Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Thyssenkrupp AG.

Der Staat könne so die Zukunft aller Beschäftigten, des Klimaschutzes und des Industriestandorts Deutschland sichern, behauptet die Gewerkschaft. Am Freitag erklärte Kerner, wer Lufthansa und TUI mit Milliarden unterstütze, müsse auch die Basis der deutschen Industrie retten. Nasikkol ergänzte mit Blick auf die Bankenrettung: „Sind Banker mehr wert als Stahlarbeiter?“

Das alles ist Augenwischerei und nutzt die Sorgen und Nöte der Stahlarbeiter aus, um die Kapitalinteressen durchzusetzen. Bei allen genannten „Rettungsaktionen“ oder Staatsbeteiligungen geht und ging es niemals um Arbeitsplätze und die Rechte der Beschäftigten.

Lufthansa erhält 9 Milliarden Euro und erwägt, etwa 30 Prozent der derzeitigen Belegschaft abzubauen. Das sind rund 40.000 Arbeitsplätze. TUI baut mindestens 8000 Stellen ab. Und die Belegschaften von Salzgitter und Saarstahl haben keine sichereren Arbeitsplätze als ihre Kollegen bei Thyssenkrupp, Arcelor Mittal, Tata oder anderen Stahlproduzenten. Die von Nasikkol bemühte „Bankenrettung“ rettete nicht die Beschäftigten der Banken, die zu einem großen Teil entlassen werden, sondern die Kapitalbesitzer.

Als der amerikanische Staat unter Präsident Barack Obama nach der Finanzkrise 2008 bei den großen Autokonzernen einstieg, hatte dies die größten Angriffe auf Löhne und Arbeitsplätze in der Geschichte der US-Autoindustrie zur Folge. In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft UAW vernichtete die eigens eingerichtete Task Force des Weißen Hauses mindestens 36.000 Arbeitsplätze, halbierte die Löhne neueingestellter Arbeiter und schaffte den Acht-Stunden-Tag wie die firmeneigene Gesundheitsvorsorge für Rentner ab.

Auch die staatlichen Milliarden, die IG Metall und Betriebsrat jetzt bei Thyssenkrupp fordern, dienen nicht der Rettung der Arbeitsplätze, sondern der Aktionärsvermögen. Bereits in den letzten Jahren haben Gewerkschaft und Betriebsrat bei Thyssenkrupp immer wieder Stellenabbau, Lohnkürzungen und gesteigerte Arbeitshetze verordnet, „um den Laden am Laufen zu halten“. Die IG Metall schreibt im Bericht über die Kundgebung: „Sie machten Restrukturierungen mit, übten Verzicht und schufteten immer hart.“

Im März dieses Jahres stimmten Betriebsrat und IG Metall dem „Tarifvertrag Zukunftspakt Stahl 20-30“ zu, der den Abbau von 3000 Arbeitsplätze vorsieht und allen 27.000 Beschäftigten Tariferhöhungen vorenthält. Dieser Vertrag ist jetzt Makulatur. Im Mai stimmten dann alle zehn Vertreter von Gewerkschaft und Betriebsrat im Aufsichtsrat des Gesamtkonzerns der Zerschlagung des Industriekonzerns zu. Viele Bereiche, auch der Stahlbereich, sollen abgestoßen und mehrere Werke geschlossen werden.

Bereits vor zwei Jahren hatte Thyssenkrupp die Fusion der Stahlsparte mit dem Konkurrenten Tata Steel beschlossen – was dann von der EU-Kommission gestoppt wurde. IG Metall und Betriebsrat hatten nach anfänglichen Protesten zugestimmt, weil Tata angeblich zugesagt hatte, am Anfang „nur“ 1000 Stellen abzubauen. Nun hat erneut ein internationaler Stahlkonzern Interesse an Thyssenkrupp bekundet. Mitten in die Vorbereitungen für die IGM-Kundgebung platzte die Ankündigung, dass der britische Stahlkonzern Liberty Steel ein Kaufangebot für die gesamte Stahlsparte abgegeben habe.

Der Konzern des britischen Milliardärs Sanjeev Gupta war erst vor sieben Jahren in die Stahlproduktion eingestiegen. Damals kaufte er Stahlwerke von Tata Steel in Großbritannien, 2017 übernahm er dann mehrere Werke von Arcelor Mittal. Nach eigenen Angaben hat Liberty Steel inzwischen mehr als 30.000 Beschäftigte in Europa, den USA, Australien und China. In Europa beschäftigt Liberty Steel 14.000 Menschen in Großbritannien, Tschechien, Rumänien, Nord-Mazedonien, Belgien, Luxemburg und Italien.

Ab dem kommenden Jahr tritt der Manager Premal Desai in den Vorstand der Gupta Family Group (GFG) ein, zu der auch Liberty Steel gehört. Desai war von Juni 2019 bis Februar 2020 Chef des Stahlgeschäfts von Thyssenkrupp in Duisburg. Thyssenkrupp wiederum will sich das Kaufangebot von Liberty Steel „sorgfältig“ anschauen, teilte das Unternehmen mit. Gleichzeitig spreche man auch weiter mit anderen potenziellen Partnern.

Kerner, Nasikkol und andere IGM-Vertreter haben eine Übernahme durch Liberty Steel zwar abgelehnt, doch das hatten sie auch schon bei der Fusion mit Tata getan, bevor sie dann doch zustimmten. Solange ihre eigenen Posten und Pfründe gesichert bleiben, sind sie zu allem bereit.

Die Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert einen Bruch mit der IG Metall und ihren Betriebsräten. Die Arbeiter müssen sich in unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen, die die Verteidigung der Arbeitsplätze organisieren und Kontakt zu Arbeitern in anderen Werken, Branchen und Ländern aufnehmen. Dieser Kampf erfordert ein sozialistisches Programm. Die Vermögen von Banken, Fonds und Superreichen müssen enteignet werden. Das wirtschaftliche Leben muss demokratisch kontrolliert und an den Bedürfnissen der Gesellschaft statt an den Profitinteressen der Reichen ausgerichtet werden.

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