Rechte Organisationen klagen gegen das Schusswaffenverbot vor Wahllokalen in Michigan

Vor rund einer Woche verbot Jocelyn Benson, die als Secretary of State höchste Wahlbeamtin im US-Bundesstaat Michigan, das offene Tragen von Schusswaffen vor Wahllokalen. Die Demokratin, deren Aufgaben denen eines Innenminister gleichen, wollte rechtsextreme Milizen daran hindern, Wähler einzuschüchtern oder gar den Sitz von Parlament und Regierung zu stürmen. Doch zahlreiche Berufsverbände der Polizei und der Sheriffs kündigten an, ihre Mitglieder würden das Verbot nicht durchsetzen.

Vor zwei Wochen wurden in Michigan dreizehn Personen verhaftet, die planten, den Regierungssitz in Michigans Hauptstadt Lansing zu besetzen und die demokratische Gouverneurin des Bundesstaats, Gretchen Whitmer, zu entführen und hinzurichten.

Am Donnerstag hatten drei rechtsextreme Organisationen – die Michigan Gun Owners, die Coalition for Responsible Gun Owners sowie die Michigan Open Carry, Inc. – Klage gegen das Verbot eingereicht, um den Widerstand der Polizei gegen die gewählte Regierung des Bundesstaates zu unterstützen. Dean Greenblatt, der die letztgenannte Organisation als Anwalt vertritt, reichte die Klage vor dem Verwaltungsgericht von Michigan ein.

Bewaffnete Demonstranten vor dem Sitz der Regierung in Lansing im Bundesstaat Michigan am 15. April 2020 (AP Photo/Saul Sancya File)

Konkret klagt Greenblatt gegen Justizministerin Dana Nessel, Secretary of State Benson sowie den Leiter der Michigan State Police, Joe Gasper. Auf die Ankündigung der Polizeiverbände hin, sie würden das Verbot nicht durchsetzen, hatte Nessel den Einsatz der Michigan State Police angekündigt. Diese Polizeitruppen sind nicht Countys oder Kommunen, sondern unmittelbar der Regierung des Bundesstaats unterstellt.

Nessel warnte außerdem, das Komplott gegen Whitmer sei nach wie vor eine akute Bedrohung und die bisherigen Enthüllungen vor Gericht nur die „Spitze des Eisbergs“.

Die Auseinandersetzung, ob in Michigan vor den Wahllokalen offen Waffen getragen werden dürfen, wirft eine entscheidende Frage auf: Wer übt in diesem Bundesstaat die Regierungsgewalt aus – die Polizei oder die Regierung? Die Vorgänge in Michigan werden auf nationaler Ebene offenbar aufmerksam verfolgt. US-Präsident Trump forderte seine Wähler dazu auf, wählen zu gehen und dabei „sehr genau hinzusehen“. Dies kommt einer offenen Androhung von Gewalt gegen Wähler gleich und ist ein wichtiger Bestandteil von Trumps Strategie, unabhängig vom Ergebnis der Wahl am 3. November an der Macht zu bleiben.

Auf seiner Facebook-Seite behauptet Greenblatt, das Verbot würde „Wähler entmündigen, die ihr Grundrecht auf Selbstverteidigung ausüben“. Weiter heißt es: „Secretary of State [Jocelyn Benson] verlangt, dass die Wähler entweder ihr Recht auf Selbstverteidigung aufgeben, das ihnen der zweite Zusatzartikel zur Verfassung garantiert, oder ihr Wahlrecht.“ In Wahrheit zielt die Klage darauf ab, den faschistischen Milizen freie Bahn für Gewalttaten vor den Wahllokalen zu verschaffen. Mit denselben Argumenten rechtfertigen auch die Polizeiverbände ihre Weigerung, das Verbot durchzusetzen.

Unterstützung erhalten die Polizeiverbände von Trumps Wahlkampfteam und der Parteiführung der Republikaner in Michigan. Der Führer der republikanischen Mehrheit im Senat von Michigan, Mike Shirkey, verurteilte das Schusswaffenverbot vor Wahllokalen. Seine Sprecherin Amber McCann verspottete die Äußerungen Bensons und erklärte: „Wir verstehen ja, dass ihr eigentlicher Job weniger Aufmerksamkeit erregt als ein Verbot von Feuerwaffen kaum als zwanzig Tage vor der Wahl.“

Zu den Gegnern des Verbots innerhalb der Polizei zählt auch der Direktor und Geschäftsführer der Michigan Sheriffs Association, Matt Saxton, sowie der Sheriff von Livingston County, Mike Murphy. Saxton erklärte: „Das Verbot schuf eine Lösung, wo kein Problem vorlag.“ Auch Murphy äußerte sich dazu: „Man wählt dort, wo man wohnt. Ich wüsste nicht, von welchen äußeren Einflüssen man dabei gestört werden könnte.“ Beide leugnen rundweg, dass von den rechtsextremen Milizen eine Bedrohung ausgeht.

Auch die Klage von Robert Davis, politischer Aktivist aus Michigan, argumentiert, das Verbot beziehe sich auf eine nicht existierende Bedrohung. Davis erklärt, die Entscheidung heize „eine Hysterie an, die einfach nicht vorhanden ist … Diese Jocelyn Benson möchte einfach mehr Macht. Es ist offensichtlich, dass es sich um ein klassisches Beispiel für die ungeheuerlichste Überreaktion einer Regierung handelt, die ich bisher erlebt habe.“

Die Ereignisse der letzten Wochen ergeben jedoch ein anderes Bild: Während der ersten Präsidentschaftsdebatte hatte Trump die faschistischen Proud Boys dazu aufgerufen, „einen Schritt zurückzutreten und sich bereitzuhalten“. Eine Woche vor der Debatte veröffentlichte der Sohn des Präsidenten, Donald Trump Jr., ein Video auf Facebook, in dem er die Anhänger seines Vaters dazu aufrief, sich der „Armee zur Sicherung der Wiederwahl Trumps“ anzuschließen. Kurz danach wurde bekannt, dass Milizen, die an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen hatten und von Trump nahestehenden Republikanern finanziert wurden, Gouverneurin Whitmer entführen und ermorden wollten.

Die Demokraten in Michigan haben die Öffentlichkeit nicht darüber informiert, dass ihr Wahlrecht in Gefahr ist. Auch die großen Medienkonzerne hielten es nicht für nötig, darüber zu berichten, dass sich nahezu die gesamte Polizei im Bundesstaat weigert, die Anweisungen der Regierung umzusetzen. Stattdessen hoffen die Demokraten, dass regierungstreue Teile der Michigan State Police das Komplott abwehren. Ihnen ist bewusst, dass der Widerstand gegen die Polizei geschürt und die Bevölkerung mobilisiert werden würde, wenn die Wahrheit über die Ereignisse ans Licht käme. Die Demokraten appellieren an die Polizei – setzen also genau auf die Kräfte, deren Verbände gegen sie rebellieren – und machen sie zum Schiedsrichter über die demokratischen Rechte in Michigan.

Die Bürgerrechtsbehörde von Michigan hat sich vor Kurzem dafür ausgesprochen, die Wahllokale von der Polizei bewachen zu lassen. Der Direktor der Behörde, James E. White, der vor seinem Amtsantritt stellvertretender Polizeichef von Detroit war, erklärte: „Das Wahlrecht ist der Grundpfeiler unserer Demokratie. Wir nehmen es sehr ernst, sollte es zur Gefährdung dieses Rechts und damit zum Verstoß gegen bundesstaatliche oder staatliche Bürgerrechtsgesetze kommen.“

Die Anwesenheit von Polizisten vor den Wahllokalen würde die Lage jedoch nur weiter anheizen und die Wahlbeteiligung in Arbeitervierteln, wo es besonders häufig zu Polizeigewalt kommt, negativ beeinflussen. Es ist außerdem möglich, dass die Polizei die Milizen bei der Einschüchterung von Wählern unterstützen wird. Die Reaktion der Demokraten auf den Widerstand der Polizei verdeutlicht, dass sie mit ihrem Verhalten Trump in diesem wichtigen „Battleground State“ in die Hände spielen.

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