Katastrophale Corona-Entwicklung: Lehrer, Schüler und Eltern unterstützen europaweiten Schulstreik

Allseits drohender Mangel in Krankenhäusern, überlastete Testlabore und Gesundheitsbehörden, die nicht mehr in der Lage sind, Kontakte zuverlässig nachzuverfolgen: Wie überall in Europa hat die Durchseuchungspolitik der herrschenden Klasse auch in Deutschland die Weichen für eine beispiellose humanitäre Katastrophe gestellt. Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) gestern bekannt gab, meldeten die Gesundheitsämter in den vorangegangenen 24 Stunden 19.900 Corona-Neuinfektionen – ein weiterer Höchstwert.

Französische Schüler in einer Deutsch-Klasse (gepostet von einer Lehrerin auf Facebook)

Die Bedeutung von Schulen und Kitas als Corona-Brutstätten ist vom wissenschaftlichen Standpunkt längst umfassend dokumentiert. Erst vor zwei Wochen haben Forscher der Universität Edinburgh in einer weiteren Studie nachgewiesen, dass die Öffnung von Schulen mit einem Anstieg der Infektionsübertragungen um 24 Prozent innerhalb eines Monats einhergeht. Die Untersuchung analysiert Datensätze aus 131 Ländern und wurde in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet Infectious Disease“ veröffentlicht.

Obwohl die Gesundheitsämter völlig überlastet und drei Viertel der Infektionsfälle aufgrund der „Teststrategie“ der Bundesregierung nicht nachvollziehbar sind, zählen „Schulen und Kitas“ selbst den offiziellen Berichten zufolge zu den relevanten „Infektionsumfeldern“. Laut den aktuellen Daten der Gesundheitsämter beginnen dort mindestens elf Prozent der nachvollziehbaren Infektionsketten.

Presseanfragen von tagesschau.de haben aus mehreren Bundesländern bedrohliche Zahlen zutage gefördert. So teilte Rheinland-Pfalz auf Anfrage mit, dass sich die Zahl der infizierten Schülerinnen und Schüler in dem Bundesland innerhalb der vergangenen Woche mehr als verfünffacht hat. Bei den Lehrkräften vervielfachte sich die Zahl ebenfalls: von 16 auf 71. In Niedersachsen wurden in den Wochen ab dem 12. Oktober erst 485 infizierte Schülerinnen und Schüler registriert, dann 686 – und in der Woche ab dem 26. Oktober sogar 1255 Fälle. In der laufenden Woche waren es allein von Montag bis Dienstagmorgen bereits 366 Fälle.

In Bayern, so der Bericht von tagesschau.de, waren am 30. Oktober, dem letzten Schultag vor den Herbstferien, mehr als 2000 Schülerinnen und Schüler infiziert. In Hamburg bezieht sich fast jeder vierte aktuelle Fall auf den schulischen Kontext.

Arbeiter und Jugendliche reagieren mit Fassungslosigkeit und Wut auf die mörderische Entscheidung der Bundes- und Landesregierungen, Schulen, Betriebe und Kitas nach wie vor offen zu halten. Mit Blick auf die „fast 20.000 Neuinfektionen“ kommentiert etwa Christine D. aus Karlsruhe auf Facebook: „Bis zur Überlastung der Krankenhäuser dauert es nicht mehr lange. Eigentlich müsste man die Schulen sofort schließen, weil die Infektionen erst nach Wochen runter gehen werden. Ich habe Angst, dass wir zu lang warten und es uns dann genauso geht wie allen anderen in Europa. Allein in Großbritannien gab es gestern 500 Coronatote.“

Die Deutsche Presseagentur berichtet, dass immer mehr Labore bei der Auswertung der Tests an ihre Grenzen kommen. Laut RKI meldeten in der vergangenen Kalenderwoche (bis 1. November) 69 Labore einen Rückstau von insgesamt 98.931 abzuarbeitenden Proben. Zwei Wochen zuvor waren es noch 52 Labore mit 20.799 abzuarbeitenden Proben gewesen. 55 Labore nannten laut RKI zuletzt Lieferschwierigkeiten für Reagenzien unter anderem zum Auswerten der Tests, Plastikverbrauchsmaterialien und Pipettenspitzen.

Wegen der Staus in den Laboren müssten Altenheimbewohner bis zu fünf Tage auf Testergebnisse warten, warnte die Deutsche Stiftung Patientenschutz am Dienstag gegenüber der Presse. Gleichzeitig, so Vorstand Eugen Brysch, werde verlangt, „dass überforderte Labore mehrfach in der Woche Ergebnisse liefern müssen, damit die Bundesliga läuft“. Diese Politik sei „nicht hinnehmbar“.

Wie viele genau wissen, hat diese völlig vorhersehbare Überlastung zur Folge, dass das Infektionsgeschehen nicht mehr zuverlässig beobachtet werden kann und zunehmend außer Kontrolle gerät. Christine fährt auf Facebook fort: „Wegen der Überlastung der Labore sind 100.000 Tests noch nicht ausgewertet – Wer will da wissen, wie hoch die Zahlen wirklich sind? Wir könnten schon bei 30.000 oder mehr Neuinfektionen sein, ohne es zu wissen. Sicher ist nur, dass es steigt.“

In der Tat gibt das Covid-19-Forschungsteam der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität für den gestrigen Donnerstag eine Neuinfektionszahl von 31.480 und 232 Toten an und warnt vor einem weiteren exponentiellen Anstieg.

Unterdessen hat sich die Positivquote von Corona-Tests in Deutschland in den vergangenen zwei Monaten von 0,7 auf 7,3 mehr als verzehnfacht. In Österreich ist in manchen Regionen mittlerweile sogar jeder sechste Corona-Test positiv. Auch die Sterberate der Corona-Infizierten steigt laut WHO-Regionaldirektor Hans Kluge in Europa an. Kluge sprach am Donnerstag in Kopenhagen gegenüber der Presse von einer „Explosion“ der Fallzahlen auf dem ganzen Kontinent, der mit 293.000 Todesopfern erneut zum globalen Epizentrum der Pandemie geworden ist.

Überall in Europa entwickelt sich massiver Widerstand gegen die Politik der systematischen Durchseuchung und die damit verbundene erzwungene Offenhaltung der Schulen. Nachdem sich unter Schülern in Griechenland und Polen bereits vor einigen Wochen Massenbewegungen für sichere Bildung gebildet haben, gingen am Mittwoch auch in Frankreich tausende Jugendliche auf die Straße. An über einem Dutzend Schulen protestierten sie für eine Schulschließung und blockierten die Schuleingänge. Die Macron-Regierung reagierte mit massiver Gewalt und entsandte die Bereitschaftspolizei, um mit Knüppeln und Tränengas gegen die Schülerproteste vorzugehen.

Tatjana, eine Twitter-Userin aus Bayern, die selbst vier Kinder hat, kommentiert diese Bilder im Netz mit den Worten: „Ich bin einfach unglaublich angewidert von dem, was hier in Europa vor sich geht und wie Kinder, Eltern, Lehrer, Erzieher, die Angst haben, behandelt werden. Nicht einmal vor Gewalt scheint man zurückzuschrecken. Ich bin sprachlos vor Empörung.“

In der letzten Woche haben Schüler in mehreren deutschen Bundesländern weitere Aktionskomitees ins Leben gerufen, um auch hierzulande die kommenden Kämpfe zu koordinieren. Ähnlich wie in Großbritannien, wo über tausend Eltern an einer koordinierten Schulstreik-Aktion teilgenommen haben, unterstützen auch in Deutschland immer mehr Eltern den Kampf für sichere Bildung für alle.

„Kinder und Jugendliche sollen auf Teufel komm raus in die Schulen geschickt und durchseucht werden“, stellt Anita fest, eine Mutter aus Süddeutschland. „Kollateralschäden müssen eben hingenommen werden“, sagt sie bitter. „Risikopatienten schützen? In den Familien ganz sicher nicht.“

„Meine Tochter geht in die elfte Klasse, sitzt tagtäglich in vollgestopften Zügen und Bussen und kann keinen Abstand wahren“, sagt Ulrike aus Mönchengladbach auf Facebook. „In der Schule ist sie dann mit 30 Schülern in einer Klasse. Sie wäre froh, wenn es Online-Unterricht gäbe und sie sich nicht jeden Tag diesem Risiko aussetzten müsste. Bei uns sind schon zig Schüler erkrankt und trotzdem müssen die Schüler zur Schule – ich frage mich, was noch passieren muss, damit die Schüler geschützt werden. In vielen Fällen sind Vater, Mutter oder Geschwister Risikopatienten. Ist es egal, wenn unsere Kinder krank oder zu Überträgern werden?“

Französische Schüler am ersten Schultag nach den Ferien (auf Facebook gepostet von einer Schülerin)

Neben den Eltern haben sich in Frankreich auch hunderte Lehrer dem Kampf der Schüler in landesweiten Streiks angeschlossen. Am Montag und Dienstag hielten kurz vor 9 Uhr morgens Lehrer an Dutzenden Schulen lokale Versammlungen ab und stimmten dafür, keine Klassenzimmer zu betreten, solange es keine Konzepte gibt, um die Ausbreitung des Virus tatsächlich einzudämmen.

„In Frankreich streiken Eltern und Lehrer – zurecht, denn es geht um ihr Leben“, sagt Teja H. aus Soest, der als Fotograf arbeitet und eine Freundin in Frankreich hat. „Was die Lehrer machen, ist das einzig Richtige. Während Gaststätten und Kulturbetriebe ohne nennenswerte Unterstützung geschlossen sind, begegnen sich bei Arbeit und Schule weiterhin Millionen Menschen.“

Diese Politik sei „Wahnsinn, besonders für die Risikopatienten in den Familien“. Mit Blick auf die Zunahme von eugenischen Standpunkten in Medien und Politik setzt er hinzu: „So wird das Rentensystem saniert. Es geht nur darum, Produktion und Profite zu garantieren, deshalb bleiben bei uns die Schulen offen.“

Die Bilder aus den französischen Schulen, auf denen dutzende Jugendliche in sanierungsbedürftigen Klassenzimmern ohne Infektionsschutz zu sehen sind, stoßen unter Lehrern in Deutschland ebenfalls auf große Resonanz.

„Bei uns sieht es an den Schulen genauso aus“, schreibt Gabriele, eine Lehrerin aus Frankfurt, auf Facebook. „Wir sind jeden Tag ohne Abstand mit dreißig Kindern in kleinen Klassenräumen – dabei bin ich Risikopatient!“ Auch in Deutschland und anderen Ländern müsse ein Streik von Lehrern organisiert werden, sagt sie – doch die mediale Berichterstattung vermittle den Eindruck, als ob Lehrer für ein solches Aktionsprogramm „keinen Rückhalt in der Gesellschaft“ hätten.

Die Bedeutung dieser Propaganda-Kampagne – die mit einer gezielten Verharmlosung des Virus einhergeht – wird von Gabrieles Kollegin Anja bestätigt. Sie schreibt in einem Kommentar für die World Socialist Web Site:

„Es ist wirklich unfassbar, dass das Risiko – das in meiner Schule aktuell gravierend ist – derart ins Lächerliche gezogen und verharmlost wird. Unterricht mit dreißig Schülern ist einfach nicht tragbar, weil keinerlei Infektionswege mehr nachvollzogen werden können. Dort, wo Ansteckungen verhindert werden können – zum Beispiel durch Präsenz- und Homeschooling im tageweisen Wechsel, sollte und muss das auch getan werden. Es gab schon vor den Ferien Lösungen – die haben auch funktioniert. Nur wird diese Stufe [der Infektionsschutzmaßnahmen] einfach nicht aktiviert, obwohl sie bei den aktuellen Fallzahlen längst überfällig ist.“

„Der Arbeitgeber muss Schutzkleidung stellen, muss Schutzmaßnahmen durch Filter treffen“, sagt Lehrerin Anja. „Aber nichts passiert. Bei uns hat es jetzt das Kollegium erwischt, weil wir uns nicht schützen konnten. Es waren Schüler verschiedener Klassen betroffen mit positiven Fällen. Die restlichen Schüler der Klassen wurden weder in Quarantäne geschickt, noch wurde ein Test angewiesen. Erst nach mehr als einer Woche sind nun mehrere Klassen in Quarantäne – viel zu spät. Mehrere Lehrer haben schon Symptome. Die Ansteckung der Lehrer erfolgte, nachdem in den betroffenen Klassen unterrichtet wurde. Die betroffenen Kollegen waren zu dem Zeitpunkt nicht einmal über die Ansteckung der Schülerinnen und Schüler informiert.“

Die International Youth and Students for Social Equality werden am Montag, den 9. November, eine Online-Versammlung einberufen, um die Notwendigkeit eines europaweiten Schulstreiks und die Bedeutung einer sozialistischen Perspektive zu diskutieren. Registriert euch auf Facebook für die Veranstaltung und nehmt um 19 Uhr unter diesem Link live teil!

Loading