Thyssenkrupp: IG Metall-Aufsichtsräte winken Boni für den Vorstand durch

Selten tritt die Komplizenschaft der IG Metall mit den Konzernen so offen zutage wie derzeit bei Thyssenkrupp.

Thyssenkrupp Stahl in Duisburg

Der Traditionskonzern wird aktuell zerschlagen. Sparten werden verkauft, Werke geschlossen, der größte Stellenabbau der Unternehmensgeschichte ist in vollem Gange. Die Vertreter von IG Metall und Betriebsrat unterstützen nicht nur diesen Kahlschlag, sie haben auch einer Sondervergütung von 900.000 Euro für den dreiköpfigen Vorstand zugestimmt, der dafür verantwortlich ist.

Der aktuelle Geschäftsbericht weist eine Sonderzahlung in Höhe von 500.000 Euro für die Vorsitzende des Vorstands Martina Merz und jeweils 200.000 Euro für den Finanzvorstand Klaus Keysberg und den Personalvorstand Oliver Burkhard aus. Burkhard kommt selbst aus der IG Metall, er war früher Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen.

Die Sondervergütung stellt sicher, dass Burkhard auch im Corona-Jahr ein Millionengehalt bekommt. Der Posten des Arbeitsdirektors und Personalvorstands wird in der Stahlindustrie traditionell von der IG Metall vergeben. Bei der Thyssenkrupp AG ist er mit einem jährlichen Einkommen von 2 bis 4,5 Millionen Euro verbunden.

Dieses Jahr drohte Burkhards Gehalt jedoch unter eine Million zu rutschen, weil wegen der „absolut nicht zufriedenstellenden Geschäftsentwicklung“, so der Aufsichtsrat, keine Tantieme anstand, die ursprünglich in Höhe von 680.000 Euro eingeplant war. Nun wurden in diesem Jahr dank der Sondervergütung doch noch knapp 1,2 Millionen Euro auf Burkhards Konto überwiesen, also rund 100.000 Euro im Monat.

Zehntausende Beschäftigte, die im Jahr weniger verdienen als Burkhard in zwei Wochen, haben in diesem Jahr durch Kurzarbeit erhebliche Einbußen erlitten. Der Nettoverlust soll sich auf rund 20 Prozent belaufen.

Burkhard und die beiden anderen Vorstandsmitglieder hatten sich auf dem Höhepunkt der Kurzarbeit medienwirksam bereit erklärt, auf 10 Prozent ihres Gehalts zu verzichten. Doch das war eine Mogelpackung. Der Verzicht betraf lediglich die Festvergütung und nur die Monate Mai bis Juli. Burkhards Festvergütung beläuft sich auf 700.000 Euro im Jahr, die von Merz auf 1,34 Millionen Euro. So summierte sich der Verzicht Burkhards in den drei Monaten auf 17.500 Euro oder 1,5 Prozent seines Jahresbruttogehalts. Diesem Verlust folgt nun die Sonderzahlung von 200.000 Euro.

Zur Begründung dafür heißt es im Geschäftsbericht, dass die drei Vorstände „Außergewöhnliches geleistet“ hätten. „Unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie wurde der Verkauf von thyssenkrupp Elevator zügig zum 31. Juli 2020 vollzogen und dabei ein hervorragender Erlös erzielt.“ Mit anderen Worten: Der Vorstand erhält die zusätzliche Vergütung für die „zügige“ Zerschlagung des Konzerns.

Die Aufzugsparte Elevator mit über 50.000 Beschäftigten wurde im Sommer für 17 Milliarden Euro an ein Investorenkonsortium verkauft. Nun zählt Thyssenkrupp noch gut 100.000 Arbeitsplätze, die sich leichter abbauen lassen, nachdem der profitabelste Teil weg ist. Erst kürzlich hat Merz zusätzlich zum bereits laufenden Abbau von 6000 Stellen die Vernichtung zusätzlicher 5000 Arbeitsplätze angekündigt.

Der Abbau von insgesamt 11.000 Arbeitsplätzen macht vor keinem Werk halt. Das Grobblechwerk im Duisburger Süden wird stillgelegt, mehrere andere Bereiche und kleinere Werke werden zusammengestrichen oder ganz geschlossen.

Im März entscheidet sich, ob der Stahlbereich, also das traditionelle Kernstück des Konzerns mit 27.000 Beschäftigten, verkauft wird. Aktuell sieht es danach aus. Thyssenkrupp gab gestern bekannt, dass man sich mit dem britischen Stahlkonzern Liberty Steel, der ein Kaufangebot für den gesamten Stahlbereich abgegeben habe, darauf geeinigt habe, „in eine weitere Prozessphase zu treten“. Der britische Stahlproduzent schaue sich nun genauer die Geschäftsbücher des deutschen Konkurrenten an.

Als im Mai die Zerschlagung des Konzerns beschlossen wurde, war das keine Reaktion auf die Corona-Pandemie, sondern ein Ergebnis des massiven Drucks der Aktionäre. Sie verlangen, dass alle Unternehmensbereiche, die nicht die geforderte Rendite abwerfen, ausgegliedert und verkauft oder schrittweise stillgelegt werden.

Alle zehn so genannten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stimmten damals der Zerschlagung zu. Nun heißt es in einem Informationsschreiben des Aufsichtsrats, erst der „Rekordpreis“ für die Aufzugsparte habe den „weiteren Umbau des Unternehmens möglich gemacht“. „Diese Leistung wollte der Aufsichtsrat auf jeden Fall honorieren.“

Die Regionalpresse berichtet, dass die Entscheidung des Aufsichtsrats „dem Vernehmen nach [...] einstimmig gefallen“ sei. Folgende Aufsichtsräte haben demnach der Sonderzahlung an den Vorstand inmitten der bislang größten Angriffe auf die Arbeitsplätze in der über 200-jährigen Konzerngeschichte zugestimmt:

  • Tekin Nasikkol, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Thyssenkrupp Steel Europe AG
  • Dirk Sievers, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Thyssenkrupp AG und Vorsitzender des Betriebsrats der Thyssenkrupp Steel Europe AG im Werk Bochum
  • Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Hauptkassierer der IG Metall
  • Achim Hass, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Thyssenkrupp Marine Systems
  • Tanja Jacquemin, bis Anfang des Jahres beim IGM-Vorstand für gewerkschaftliche Bildungsarbeit zuständig, aktuell Fachreferentin für den Forschungs- und Lehrbereich „Aufsichtsräte und Unternehmensmitbestimmung“ an der Academy of Labour der IG Metall in Frankfurt
  • Dr. Norbert Kluge, Special Advisor der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung
  • Barbara Kremser-Bruttel, Vorsitzende des Betriebsrats Thyssenkrupp Electrical Steel GmbH
  • Peter Remmler, Vorsitzender des Betriebsrats der Thyssenkrupp Schulte GmbH (Braunschweig)
  • Friedrich Weber, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Thyssenkrupp Bilstein GmbH
  • Isolde Würz, Rechtsanwältin und u. a. Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses des Konzernarbeitskreises der leitenden Angestellten.

Die ersten dreisten Reaktionen kamen von Aktionärsvertretern, die sich entrüsteten, das Geld, „das für fragwürdige Zwecke ausgegeben“ werde, sei „das Geld der Aktionäre“.

Die IG Metall brauchte einen Tag, um zu reagieren. Sie versucht verzweifelt, ihre eigenen Spuren bei dieser obszönen Bereicherung zu verwischen. Doch das fällt ihr schwer. Knut Giesler, Nachfolger Burkhards auf dem Posten des nordrhein-westfälischen IGM-Bezirksleiters, ließ mitteilen, dass der Verkauf der Aufzugssparte bedauerlich, aber notwendig war. „Das ist dem Vorstand nicht vorzuwerfen“, so Giesler, „rechtfertigt aber keine Sondervergütung“.

Die Vertrauenskörperleitung (VKL) bei Thyssenkrupp-Stahl hat sich in einem offenen Brief an den Vorstand gewandt. Im gesamten Konzern habe es im letzten Geschäftsjahr nur schlechte Botschaften und „große Zukunftssorgen“ gegeben. Sie erinnert an die Einbußen durch die Kurzarbeit und daran, dass „16.000 Tarifbeschäftigte im Stahl auf ihr Urlaubsgeld in Höhe von 1.000 Euro verzichten“.

Der offene Brief, so die Vertrauenskörperleitung, solle „unseren großen Unmut zum Ausdruck bringen“. Die VK-Leiter Klaus Wittig, Andrea Randerath und Holger Ziemann appellieren abschließend an die drei Millionäre im Vorstand: „Auch wenn Ihnen die Sondervergütung formal zusteht, fordern wir Sie zum freiwilligen Verzicht auf.“ Das wäre ein „solidarisches Signal“ und ein Zeichen, „dass wir in schwierigen Zeiten zusammenstehen“.

Bei eingefleischten Gewerkschaftern ist es gelegentlich schwer, die Grenze zu bestimmen, an der die Ignoranz aufhört und der Betrug beginnt. Warum sollte dem Vorstand die Sondervergütung formal zustehen? Offenbar nur, weil der Aufsichtsrat inklusive der Gewerkschaftsvertreter das so entschieden hat.

Tatsächlich stehen dieses Geld und die weiteren Millionen und Milliarden, die in die Taschen der Vorstände und Aktionäre fließen, den Thyssenkrupp-Arbeitern zu. Sie schaffen die Werte, die sich der Vorstand und die Aktionäre wie selbstverständlich einverleiben. Es sind die über 100.000 Beschäftigten, die dieses Geld durch ihre tagtägliche Arbeit erwirtschaften. Es ist nicht das „Geld der Aktionäre“ und auch nicht das Geld des Vorstands. Es darf daher nicht zu deren Bereicherung eingesetzt werden. Es muss genutzt werden, um die Arbeitsplätze, die Löhne und die Sicherheit und Gesundheit der Arbeiter in Corona-Pandemie zu sichern.

Wenn Aktionäre, Management und IG Metall erklären, dass dagegen die Gesetze stehen, die ihre eigene Gier und die der Finanzmärkte absichern, darf das nicht akzeptiert werden. Die Leben der noch verbliebenen Hunderttausend Arbeiter bei Thyssenkrupp stehen höher als die Finanzinteressen von Managern, Investoren und ehemaligen Gewerkschaftern.

Das Geld der Konzerne, Banken und Superreichen muss beschlagnahmt, unter demokratische Kontrolle gestellt und im Interesse der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit der Gesellschaft, eingesetzt werden. Um die Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen und den Kampf für ein sozialistisches Programm aufzunehmen, ruft die Sozialistische Gleichheitspartei zum Aufbau von Aktionskomitees auf, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften sind.

Alle, die nicht länger hinnehmen möchten, für eine winzige Schicht von Reichen und Superreichen ihre Arbeitsplätze, ihre Löhne, ihr eigenes und das Leben ihrer Familien zu opfern, sollten noch heute Kontakt mit der Sozialistischen Gleichheitspartei aufnehmen.

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