Der „Bezos Earth Fund” und die Wohltätigkeit der Oligarchen

Inmitten eines beispiellosen Transfers von Reichtum in diesem Jahr von der Arbeiterklasse zu den Milliardären haben Teile der Bourgeoisie beschlossen, einen kleinen Teil dieser unrechtmäßig erworbenen Gewinne für wohltätige Zwecke zu „spenden“.

Über diese Spendenfreudigkeit berichten die amerikanischen Medien gern und viel, gerade so, als sei den Milliardären der Geist der Weihnacht erschienen, wie weiland dem herzlosen Geschäftemacher Ebenezer Scrooge in Charles Dickens' „Weihnachtsgeschichte“, und als hätte er sie veranlasst, fortan ihr Leben der universellen Liebe und dem Wohlergehen ihrer ärmeren Brüder zu widmen.

In Wirklichkeit sind beide Phänomene – die wachsende soziale Ungleichheit und die immer größere Rolle „wohltätiger“ Almosen für die Gesellschaft – eng verbunden. Ohne ein extremes Maß an sozialer Ungleichheit, bei dem wenige Superreiche riesige Vermögen anhäufen, während zig Millionen in Armut versinken, wäre es gar nicht nötig, dass lebensnotwendige gesellschaftliche Aufgaben von der Spendenbereitschaft der Milliardäre abhängig sind.

Amazon-Gründer Jeff Bezos am JFK Space Summit in der John F. Kennedy Presidential Library, Boston (AP Photo/Charles Krupa)

Letzten Monat wurden die ersten Spendengelder für den „Bezos Earth Fund“ ausgezahlt, der nach dem reichsten Menschen der Welt, Jeff Bezos, benannt ist und von diesem finanziert wird. Bezos ist Gründer und CEO des Amazon-Weltkonzerns, der eine Marktkapitalisierung von insgesamt 1,5 Billionen Dollar aufweist.

Im Februar 2020 kündigte Bezos den Start seiner Klimaschutzinitiative auf Instagram an und schrieb: „Heute gebe ich voller Begeisterung bekannt, dass ich den Bezos Earth Fund gegründet habe (...) Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für unseren Planeten. Ich möchte mit anderen zusammenarbeiten, um sowohl bekannte Wege zu verstärken als auch neue zu erforschen, wie die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels auf diesen Planeten, den wir alle teilen, bekämpft werden können (...) Ich stelle für den Anfang 10 Milliarden Dollar zur Verfügung und werde im Sommer mit der Vergabe von Zuschüssen beginnen.“

Außer seiner Spenden für den Klimawandel hat Bezos im März der Nonprofit-Organisation Feeding America eine 100-Millionen-Dollar-Spende für ihren Covid-19-Hilfsfonds überreicht. Diese Summen verblassen jedoch im Vergleich zu dem Vermögen, das Bezos allein in diesem Jahr angehäuft hat, nämlich mehr als 70 Milliarden US-Dollar.

Eine ähnliche Entwicklung verzeichnen auch die anderen amerikanischen Oligarchen. So besitzt Jack Dorsey, der CEO von Twitter, jetzt ein Vermögen von 12,7 Milliarden US-Dollar – ein gewaltiger Sprung seit April, als er noch 2,6 Milliarden Dollar besaß. Dorsey versprach dem Covid-19-Hilfsfonds eine Milliarde Dollar, das entspricht etwa 10 Prozent seines Einkommens in diesem Jahr. Microsoft-Gründer Bill Gates spendete mindestens 350 Millionen Dollar aus der Bill & Melinda Gates Stiftung für dieselbe Covid-19-Hilfe. Allerdings ist sein Vermögen laut einer Forbes-Statistik von 98 Milliarden Dollar im April auf derzeit 120,1 Milliarden Dollar angewachsen. Inzwischen soll Bezos‘ Ex-Frau MacKenzie Scott sechs Milliarden Dollar für wohltätige Zwecke gespendet haben.

Die Pandemie hat dem Großteil der Menschheit unermessliche Schläge versetzt. Nach Angaben der gemeinnützigen Organisation Save the Children waren im November 5,25 Milliarden Menschen deutlich ärmer als im Januar. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlichte im April einen Bericht, in dem es heißt, dass „bis Ende des Jahres 2020 weitere 130 Millionen Menschen an den Rand des Hungertodes gebracht werden. Das sind insgesamt 265 Millionen Menschen.“

In diesem Zusammenhang sind auch die karitativen Aktivitäten der Oligarchen zu verstehen. Von März bis Juni 2020 haben 209 Milliardäre 7,2 Milliarden Dollar für den Covid-19-Hilfsfonds gespendet, wobei die Analysten von UBS und Pricewaterhouse Coopers behaupten: „Das ist der größte Betrag, selbst unter Berücksichtigung der Inflation, den Milliardäre jemals in einem kurzen Zeitraum gespendet haben.“ Es ist wenig mehr als ein Prozent von über 600 Milliarden Dollar, der Summe, die allein die US-Milliardäre zwischen Mai und Juni dieses Jahres hinzugewonnen haben. Im Lauf des gesamten Jahres konnten diese Milliardäre mehr als eine Billion US-Dollar hinzugewinnen.

Die Pandemie hat den Prozess der Monopolisierung und Konzentration des Reichtums beschleunigt, der bereits vor dem massenhaften Ausbruch des Virus im Februar deutlich zu erkennen war. Die Reaktion der Regierungen auf die Pandemie zwang unzählige kleine Unternehmen, ihre Türen zu schließen und Arbeiter zu entlassen. Auf der ganzen Welt führen der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Mangel an staatlicher Unterstützung dazu, dass Arbeiter trotz des unmittelbaren Infektionsrisikos und der Todesgefahr schlecht bezahlte, harte Jobs annehmen, um zu überleben. Dazu gehört es auch, dass das Personal des Amazon-Konzerns extrem schnell, von 798.000 Beschäftigten Ende 2019 auf heute über 1,4 Millionen, angewachsen ist.

Die gesteigerte Nachfrage nach Heimlieferungen und Online-Bestellungen lässt den Aktienkurs von Amazon in die Höhe schnellen, während seine vom realen Ladengeschäft abhängigen Konkurrenten ungebremst in die wirtschaftliche Katastrophe abstürzen. Auch Bezos' privates Nettovermögen ist auf rund 186,7 Milliarden Dollar angewachsen.

Weltweit weigern sich die Regierungen, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu ergreifen und die Lebensgrundlagen der großen Mehrheit zu sichern. Gleichzeitig stellen sie den Superreichen über die Zentralbanken riesige finanzielle Ressourcen zur Verfügung, indem sie – zum Beispiel im CARES-Gesetz (USA), der „gemeinsamen Corona-Krisenreaktion“ (EU) oder der Corona-Hilfe der Bundesregierung – Billionensummen aus Steuermitteln locker machen. Gleichzeitig weigern sich die Kapitalisten, die nicht lebensnotwendige Produktion zu stoppen, und opfern dem Profit damit Gesundheit und Leben der Arbeiter. Sie beschleunigen so die Ausbreitung der tödlichen Pandemie. Diese kriminelle Gesellschaftspolitik ermöglicht es den Milliardären, das Vermögen zu scheffeln, von dem sie nun ihre wohltätigen Spenden abzweigen.

Das schiere Ausmaß der Heuchelei, das die milliardenschweren „Philanthropen“ inmitten der Pandemie an den Tag legen, erinnert stark an die Worte die Friedrich Engels in seinem Werk, „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1845) über die Wohltätigkeit schrieb:

Wie, die englischen Reichen sollten nicht an die Armen denken, sie, die wohltätige Anstalten errichtet haben, wie kein anderes Land sie aufweisen kann? Jawohl, wohltätige Anstalten! Als ob dem Proletarier damit gedient wäre, dass ihr ihn erst bis aufs Blut aussaugt, um nachher euren selbstgefälligen, pharisäischen Wohltätigkeitskitzel an ihm üben zu können und vor der Welt als gewaltige Wohltäter der Menschheit dazustehen, wenn ihr dem Ausgesogenen den hundertsten Teil dessen widergebt, was ihm zukommt! Wohltätigkeit, die den, der sie gibt, noch mehr entmenscht als den, der sie nimmt, Wohltätigkeit, die den Zertretenen noch tiefer in den Staub tritt, die da verlangt, der entmenschte, aus der Gesellschaft ausgestoßene Paria soll erst auf sein Letztes, auf seinen Anspruch an die Menschheit verzichten, soll erst um ihre Gnade betteln, ehe sie die Gnade hat, ihm durch ein Almosen den Stempel der Entmenschung auf die Stirne zu drücken!

Aber der „pharisäische Wohltätigkeitskitzel“ des britischen Kapitalismus zu Engels' Zeiten, den auch Charles Dickens in „Oliver Twist“ und anderen Werken bissig porträtierte, verblasst völlig im Vergleich zur Gegenwart. In jüngerer Zeit haben sich Philanthropie und karitative Projekte oft derart verändert, dass sie selbst Business-Praktiken zum Verwechseln ähnlich sehen: Ihre organisatorischen Strukturen gleichen denen von Risikokapitalgruppen, sie rekrutieren Wirtschaftsmanager auf ihre Führungspositionen und umwerben Risikokapitalisten als Investoren.

Oftmals fungieren die angeblich „karitativen“ Organisationen nur noch als Hilfsvehikel, die den Interessen ihrer megareichen Sponsoren dienen. Im Non-Profit-Sektor ist das als „Venture Philanthropy“ bereits bekannt.

Im Jahr 2007 berichtete die World Socialist Web Site über eine Studie der Los Angeles Times, die herausfand, dass die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die größte „wohltätige“ Organisation der Welt, 41 Prozent ihres Besitzes in Unternehmen investiert hatte, deren Politik „ihren wohltätigen Zielen zuwiderlief“. Auch hielt sie Beteiligungen an über 60 Unternehmen mit der höchsten Umweltverschmutzung der USA. Ein separater Bericht, auf den in dem Artikel Bezug genommen wurde, wies nach, dass die Healthcare-Projekte der Stiftung „medizinisches Personal davon abhielten, ihrer Tätigkeit als Geburtshelferinnen oder im Kampf gegen Kinderkrankheiten nachzugehen“, weil die Arbeit für die hochkarätigen Stiftungsinitiativen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten einfach lukrativer sei.

In den Vereinigten Staaten führt diese Stiftung unter dem Mantel der Wohltätigkeit einen unerbittlichen Krieg gegen das öffentliche Bildungswesen. Sie steckt Millionen in private Charter-Schulen und investiert in Charter-freundliche Lobbyisten. Die Clinton Foundation ist ein weiteres berüchtigtes Beispiel für bürgerliche Philanthropie in der Praxis. Als WikiLeaks 2016 eine Reihe von Dokumenten über Hillary und Bill Clinton veröffentlichte, schilderte ein besonders vernichtendes Memo „den Kreis der Bereicherung“ (Washington Post), bei dem ein Spitzenberater „Geld für die Clinton-Stiftung von Unternehmen aus dem obersten Segment, zum Beispiel von Dow Chemical und Coca-Cola, locker machte, die Kunden seiner Firma waren“. Gleichzeitig pflegte er sie zu drängen, hohe, meist sechsstellige, Honorare für Reden des Ex-Präsidenten bereitzustellen.

Im November hat Bezos nun die erste Auszahlung des 10-Milliarden-Dollar-Fonds bekanntgegeben: Demnach gehen 791 Millionen Dollar an 16 verschiedene Gruppen, wobei die größten Zuwendungen an die „etabliertesten“ Umweltorganisationen fließen. Der Naturschutzverband The Nature Conservancy (TNC), der Environmental Defense Fund (EDF), der Natural Resources Defense Council (NRDC) und der World Wildlife Fund haben jeweils 100 Millionen Dollar erhalten, elf weitere Gruppen bekamen Zuwendungen von je 5 bis 50 Millionen Dollar.

Laut den großen Non-Profit-Organisationen, die Zuschüsse erhalten, fließen die Gelder in die Entwicklung von „Mangrovenplantagen und Algenfarmen“, in Satelliten-Projekte zur Nachverfolgung von Treibhausgasemissionen, in die „Verringerung des Kohlenstoff-Fußabdrucks landwirtschaftlicher Produktionsmethoden im Nordwesten Indiens“, sowie in die Finanzierung von Lobbyisten, um „den politischen Willen für Klimapolitik aufzubauen“.

Möglicherweise gelangen die Gelder, die Bezos ausschüttet, in die Hände von Wissenschaftlern und Forschern, die sie nach bestem Wissen und Gewissen sinnvoll nutzen. Dennoch ist es gesellschaftspolitisch ungesund, dass derart viele wichtige Forschungsprojekte davon abhängen, dass milliardenschwere Oligarchen einen kleinen Teil ihres Vermögens zur Verfügung stellen.

Auch sollte man nicht vergessen, dass die EDF zu „marktbasierten“ Lösungen gegen den Klimawandel aufruft und Bezos' Geld dafür nutzen wird, um „Vertrauen in Verschmutzungsrechte aufzubauen“. Das sind sogenannte Umweltzertifikate, die zur Emission einer bestimmten Menge berechtigen – die es also den Unternehmen erlauben, die Umwelt zu verschmutzen. Darüber hinaus wird mit solchen Emissionsrechten spekuliert. Das NRDC, das die 100 Millionen Dollar nutzen will, um „den politischen Willen für Klimapolitik aufzubauen“, wird zu diesem Zweck Lobbyisten finanzieren, um Marktreformen besser durchzusetzen.

Bezos hat auch 43 Millionen Dollar in die Förderung von Identitätspolitik gesteckt. Er hat sie dem Solutions Project gespendet, das „lokale und staatliche politische Arbeit“ für den Einsatz „farbiger Führungskräfte an vorderster Front“ subventioniert. Mindestens 80 Prozent der Spenden gehen dabei „an Organisationen, die von Frauen geführt werden“. Auf diese Weise dienen Bezos' wohltätige Spenden dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit von der grundlegenden Klassenspaltung weg- und auf Fragen der Hautfarbe und des Geschlecht hinzulenken, was bürgerlichen Medien und Oligarchen wie Bezos seit langem am Herzen liegt.

Bezeichnenderweise gehört Amazon selbst zu den weltweit größten Umweltsündern. Die Umweltbilanz seines Online-Handels hat sich laut eigenen Berichten von 2018 bis 2019 um über 15 Prozent verschlechtert, was auf steigende Umsätze zurückzuführen ist. 2020 war für den Konzern bezüglich des Umsatzes ein Rekordjahr, was bedeutet, dass sein Beitrag zur Umweltverschmutzung höchstwahrscheinlich noch einmal stark angestiegen ist.

Vor kurzem hat die Thomas Reuters Foundation bekannt gegeben, dass die Regierungen der Welt die im Pariser Abkommens von 2015 festgelegten Ziele zur Emissionsreduzierung nicht erreichen werden, obwohl diese Ziele zum Teil auf den erwähnten Verschmutzungsrechten basieren. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Zement-, Stahl- und Agrarproduktion, die gedrosselt werden sollte, im Gegenteil zugenommen hat, um höhere Profite zu erzielen. Das trägt zu einem Anstieg der globalen Temperaturen bei. Wie der Carbon Majors Bericht 2017 zeigt, stammen 70 Prozent aller von 1988 bis 2015 freigesetzten Treibhausgase von lediglich 100 Großunternehmen.

Wohltätigkeit und philanthropisches Mäzenatentum sind Methoden, die der Aristokratie angehören. Sie sind Symptome für eine ungleiche Gesellschaft, in der sich unvernünftiger Weise alle Ressourcen an dem einen Pol der Gesellschaft anhäufen. Andrew Carnegie, ein klassenbewusster Vertreter der amerikanischen Bourgeoisie, brachte in seinem Essay, „The Gospel of Wealth“ (Das Evangelium des Reichtums, 1889), die gesellschaftliche Rolle der Wohltätigkeit als Stütze der kapitalistischen Herrschaft auf den Punkt: „Wir nehmen daher die große Ungleichheit der Umwelt, die Vereinigung des Geschäfts in Gewerbe und Handel in den Händen weniger und das Gesetz des Wettbewerbs zwischen diesen als etwas für den künftigen Fortschritt der Menschheit nicht nur Nützliches, sondern Wesentliches an …“

Er stellte die Frage: „Welches ist die richtige Art und Weise, den Reichtum zu verwalten, den die Gesetze, auf welchen die Kultur begründet ist, den Wenigen in die Hände gelegt haben?“ Die Antwort lautet: Der „Mann mit Reichtum“ habe die Pflicht, zum „bloßen Bevollmächtigten und Vertreter seiner ärmeren Brüder“ zu werden, „indem er seine höhere Einsicht und Erfahrung und sein Verwaltungstalent in ihren Dienst stellt und für sie Besseres vollbringt, als sie für sich selber vollbringen würden und könnten“.

In ähnlicher Weise sind Bezos wohltätige Spenden darauf ausgelegt, Illusionen in die „soziale Verantwortung“ der Oligarchen zu fördern. Solche Spenden dienen dazu, die Feindseligkeit gegen die räuberischen Aktivitäten der kapitalistischen Klasse als Ganzes zu beschwichtigen, die sich weigert, ihr Profitstreben zu zügeln, selbst wenn ihre Aktivitäten die Stabilität des Klimas auf dem Planeten gefährden und zur unkontrollierten Ausbreitung einer Pandemie beitragen, die ansonsten durchaus vermeidbar gewesen wäre.

Um den Klimawandel aufzuhalten, Infektionskrankheiten zu bekämpfen und andere soziale Übel zu heilen, darf die Arbeiterklasse sich nicht darauf verlassen, dass die Oligarchen karitative Krümel von ihrem Tisch fallen lassen, die sie noch dazu nach eigenen Launen und Vorrechten einsetzen. Stattdessen muss sie den gesamten, unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Kapitalistenklasse enteignen, um ihn demokratisch und wissenschaftlich zu nutzen und gesellschaftliche Bedürfnisse weltweit zu erfüllen.

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