Fast 750.000 Covid-19-Tote in Europa – dennoch Ende des Lockdowns geplant

Die Zahl der Toten durch Covid-19 auf dem europäischen Kontinent, einschließlich Russlands und der Ukraine, nähert sich der schrecklichen Marke von einer Dreiviertelmillion.

Bis am gestrigen Sonntag sind 735.000 Menschen gestorben. Die Gesamtzahl der Infizierten liegt europaweit bei über 31 Millionen, und am Mittwoch und Donnerstag letzter Woche wurden mehr als 180.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet.

In einem Bestattungsinstitut in Amadora nahe Lissabon, 1. Februar 2021. Portugal hat weltweit die höchste Sieben-Tages-Inzidenz. (AP Photo/Armando Franca)

In Großbritannien übersteigt die Zahl der Coronatoten mittlerweile 112.000. In Italien sind es 91.000, in Frankreich 78.800, in Russland 76.000 und in Spanien 61.400. In Deutschland sind inzwischen nicht weniger als 62.000 Corona-Patienten gestorben.

Die Regierungen erfassen diese Todesfälle zwar nach unterschiedlichen Kriterien, sie liegen aber laut einer Studie zum Thema Übersterblichkeit des Magazins Nature etwa 20 Prozent unter den tatsächlichen Zahlen. Das bedeutet, in Europa liegen die Zahlen wahrscheinlich bei fast einer Million Toten.

Täglich sterben in Europa etwa 5.000 Menschen, und in einigen Teilen des Kontinents findet ein dramatisches Wiederaufleben der Pandemie statt. Doch trotz des starken Anstiegs der Todeszahlen beschleunigen die Regierungen ihre Bestrebungen, die Lockdowns und Beschränkungen aufzuheben.

In Großbritannien hat die Regierung von Premierminister Boris Johnson einen Stufenplan bekannt gegeben, nach dem ihr derzeitiger begrenzter Lockdown ab dem 22. Februar Schritt für Schritt wieder aufgehoben wird. Dabei gibt es derzeit in Großbritannien etwa 20.000 Neuinfektionen und über 1.000 Todesfälle pro Tag.

Die Regierungen beenden ihre Lockdowns, obwohl bekannt ist, dass sich neue, noch tödlichere und noch ansteckendere Varianten des Virus entwickeln, darunter die britische Variante B.1.1.7.

Am Freitag wurden eine Million Menschen in Liverpool, Preston und Lancashire im Nordwesten Englands angewiesen, sich einem Covid-Test zu unterziehen, u.a. wegen umfangreicheren Symptomen als bei dem ursprünglichen Virenstamm. Zuvor waren mehr als 100 Fälle eines neuen mutierten Virenstamms (E484K) in der Region entdeckt worden.

Die beiden Varianten stammen aus Brasilien und Südafrika und sind nachweislich infektiöser als die britische Mutation. Laut jüngsten Berichten ist auch die britische Mutation so weitermutiert, dass sie der südafrikanischen Variante ähnelt. Das alles deutet darauf hin, dass Covid-19 noch infektiöser und noch tödlicher wird.

In einigen Ländern ist die Variante B.1.1.7,  die erstmals im September entdeckt worden ist, mittlerweile die dominierende Variante. In Portugal zeigt sie bereits ihre verheerenden und vor allem besonders tödlichen Auswirkungen.

In dem Land mit gerade mal gut zehn Millionen Einwohnern wurden am 18. Januar 167 neue Todesfälle gemeldet, am 24. Januar waren es schon 275 und am 28. Januar 303. Innerhalb der letzten Woche sind in Portugal 1.854 Menschen an Covid-19 gestorben, durchschnittlich 264 pro Tag. Am letzten Mittwoch lag die 7-Tages-Inzidenz bei fast 850 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner.

Schon im Januar verzeichnete Portugal die weltweit höchste Rate an Neuinfektionen pro Kopf. Laut Gesundheitsbehörden wurden 43 Prozent der gesamten bisherigen Infektionen und 44 Prozent aller registrierten Covid-Todesfälle allein in diesem Januar verzeichnet. Die Krankenhäuser können die Kranken und Sterbenden nicht mehr fassen. Wie die Deutsche Welle am Mittwoch berichtete, haben die Intensivstationen des Landes, die bereits etwa 850 Patienten behandeln, kaum noch freie Betten für neue schwere Fälle.

Weiter hieß es dort: "Etwa 6.700 weitere Patienten werden in normalen Krankenstationen versorgt. Vor einigen Krankenhäusern wurden Triagezelte errichtet, wo die Ärzte nach dem Sauerstoffgehalt des Bluts und der Körpertemperatur entscheiden müssen, welche Patienten zuerst behandelt werden. Auch provisorische Lazarette werden errichtet, um mehr Kranke aufnehmen zu können."

Auch in den Niederlanden breitet sich das Virus rasch aus. Die Webseite Dutch News schrieb unter Bezug auf das öffentliche Gesundheitsinstitut RIVM: "Wie das RIVM warnt, könnte die infektiösere Version des Virus, die erstmals in Großbritannien identifiziert wurde, mittlerweile für zwei Drittel aller neuen Fälle in den Niederlanden verantwortlich sein. Die Schätzung basiert nicht auf Laborergebnissen, sondern auf Computermodellen. Dennoch ist das ein weiterer Beweis dafür, dass in den Niederlanden zwei Pandemien stattfinden: die ältere Form des Virus und die neue Variante B.1.1.7."

Inmitten dieser Situation und trotz all dieser ernsten Warnsignale sind in ganz Europa die Regierungen entschlossen, die Schulen wieder aufzumachen. Es soll der erste Schritt sein, um Dutzende Millionen Eltern zurück an die Arbeit zu zwingen und die ganze Wirtschaft vollständig wieder laufen zu lassen.

In Schottland will die amtierende Scottish National Party ab dem 22. Februar die Schulen wieder öffnen. Die konservative britische Johnson-Regierung plant die Öffnung im Rest des Landes nur wenige Tage später. Labour-Party-Chef, Sir Keir Starmer, unterstützt diese Pläne und erklärte letzte Woche in der Tory-nahen Daily Mail: „Ich teile die Ambition der Regierung, die Öffnung unserer Schulen zu einer nationalen Mission zu machen. Ich werde als Vorsitzender der Labour Party alles in meiner Macht Stehende tun, um sie dabei zu unterstützen.“

Der Labour-Führer ruft damit zur nationalen Einheit mit der Johnson-Regierung auf, die für den Tod von Zehntausenden verantwortlich ist, indem sie im Interesse der Wirtschaft die Durchseuchungsstrategie durchsetzte. Starmer betonte: „Wir werden unsere Kinder nur zurück in die Schule bekommen, die Gesellschaft wieder öffnen und unsere Wirtschaft sichern können, wenn wir mutig und entschlossen zusammenarbeiten.“

In Deutschland hat der CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet, am Samstag gefordert: „Ehe wir irgendein Geschäft oder etwas anderes öffnen, muss die Bildung für unsere Kinder wieder in Gang gesetzt werden."

Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Widerstand unter Arbeitern und Schülern gegen diese Gefährdung ihres Lebens und ihrer Gesundheit rasch wächst.

Der Schulstreik, der vor einer Woche an sieben Schulen in Nürnberg begann, breitete sich rasch auf Augsburg aus und findet seither Widerhall in andern Teilen Deutschlands und Europas. Der Streik richtet sich gegen den Versuch der bayrischen Regierung, die Abschlussklassen trotz der Pandemie zur Rückkehr in die Klassenzimmer zu zwingen. Gegenüber der WSWS erklärten Schüler, dass auch Lehrer und Schulleiter ihre Streiks unterstützen und einstimmig die Fortsetzung des Distanzunterrichts fordern.

Am 31. Januar benannte die World Socialist Web Site in einer Perspektive mit dem Titel „Kapitalismus vs. Sozialismus: Die Pandemie und der globale Klassenkampf“  den unversöhnlichen Konflikt zwischen den beiden großen Klassen der Gesellschaft: der bürgerlichen Oligarchie und der Arbeiterklasse. Dort heißt es: "Ein Jahr nach Beginn der Krise hat die Pandemie die Klassenkluft, die das kapitalistische und das sozialistische Programm trennt, in aller Deutlichkeit offenbart."

Die Perspektive nannte die sieben wichtigsten entgegengesetzten Standpunkte zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Reaktion auf die Pandemie.

1. Das kapitalistische Programm besteht darauf, dass die Antwort auf die Pandemie die Rettung der Finanzmärkte über die Rettung von Leben stellen muss. - Das sozialistische Programm besteht darauf, dass die Antwort auf die Pandemie der Rettung von Menschenleben Vorrang vor der Rettung der Finanzmärkte einräumen muss.

2. Das kapitalistische Programm erklärt, dass die Pandemiepolitik von Profitinteressen geleitet werden muss. - Das sozialistische Programm plädiert dafür, dass die Gesundheitspolitik von der Wissenschaft geleitet werden muss.

3. Das kapitalistische Programm befürwortet ein Programm der „Herdenimmunität“, das es dem Virus erlaubt, sich mit so wenig Einschränkungen wie möglich zu verbreiten, während Impfungen produziert und verteilt werden. - Das sozialistische Programm fordert alle Maßnahmen, um die Übertragung des Virus zu verhindern, bis die notwendige Anzahl von Menschen geimpft ist, um die gemeinschaftliche Ausbreitung des Virus zu stoppen.

4. Das kapitalistische Programm besteht in Übereinstimmung mit seiner Strategie der „Herdenimmunität“ darauf, dass Fabriken und andere Arbeitsplätze für den Betrieb offen gehalten werden. - Das sozialistische Programm besteht darauf, dass alle nicht lebensnotwendigen Arbeitsstätten geschlossen werden, bis die geimpften Arbeiter sicher an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.

5. Das kapitalistische Programm verlangt, dass die Schulen wieder geöffnet werden und behauptet fälschlicherweise, es gäbe kaum ein Risiko für Schüler und Lehrer. - Das sozialistische Programm fordert, gestützt auf wissenschaftliche Belege, dass Schulen eine Hauptquelle der Virusübertragung sind, dass die Schulen geschlossen bleiben, bis die Pandemie unter Kontrolle gebracht worden ist.

6. Das kapitalistische Programm versucht, die Sozialausgaben einzuschränken, die darauf abzielen, den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf die große Masse der Bevölkerung entgegenzuwirken, und fordert gleichzeitig, dass die Zentralbanken die Finanzmärkte und Großkonzerne unbegrenzt unterstützen. - Das sozialistische Programm fordert einen vollen Einkommensausgleich für Arbeiter und kleine Unternehmen beschafft durch die Enteignung der Pandemie-Profiteure.

7. Das kapitalistische Programm fördert eine Politik des Impf-Nationalismus, die eine gerechte Verteilung von Impfstoffen auf der ganzen Welt einschränkt und bekämpft. - Das sozialistische Programm, das erkennt, dass das Corona-Virus nur durch eine wissenschaftlich geleitete internationale Strategie ausgerottet werden kann, fordert ein global koordiniertes Impfprogramm.

Am gestrigen Sonntag, dem 7. Februar, veranstaltete die WSWS eine wichtige Online-Versammlung, in der sie sich mit den für Arbeiter entscheidenden politischen, historischen und programmatischen Fragen im Kampf gegen die mörderische Politik der herrschenden Elite befasste.

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