Perspektive

Senats-Verfahren gegen Donald Trump: Fragen, die eine Antwort verlangen

Das jetzt beginnende Amtsenthebungsverfahren des Senats gegen Donald Trump geht auf ein Ereignis zurück, das in der Geschichte der Vereinigten Staaten ohne Beispiel ist: Ein versuchter Staatsstreich des Präsidenten der Vereinigten Staaten, der ein Wahlergebnis kippen, den Kongress gewaltsam unterdrücken und eine Diktatur errichten wollte. Im Zuge dieses Putschversuches wurde das Leben von Senatoren, Abgeordneten und sogar des Vizepräsidenten bedroht. Mehrere Menschen starben.

Der Demokrat Jamie Raskin (Mitte) vor der Eröffnung des Amtsenthebungsverfahrens gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Senat, 8. Februar 2021. (AP Photo/J. Scott Applewhite)

Es steht außer Frage, dass Donald Trump schuldig ist, „High Crimes and Misdemeanors“ (Schwere Verbrechen und Vergehen) begangen zu haben. Seine Straftaten sind kaum schwer genug zu gewichten. Auf die Amtsenthebung sollten Strafverfahren, Prozess, Verurteilung und lebenslange Haft folgen. Seine vielen Mitverschwörer sollten identifiziert, vor Gericht gestellt und zusammen mit ihm in Hochsicherheitsgefängnisse geworfen werden.

Aber es ist unwahrscheinlich, dass dies das Ergebnis des Verfahrens im Senat sein wird. Der 80-seitige Schriftsatz, der von Seiten der Demokraten letzte Woche vorgelegt wurde, legt zwar anhand von Dokumenten detailliert dar, dass Trump monatelang systematisch auf den Staatsstreich hingewirkt hat. Dennoch scheuen die Demokraten, die eine Mehrheit im Senat haben, und an ihrer Spitze der neue US-Präsident Biden vor dieser Auseinandersetzung zurück. Obwohl Trumps Verschwörung von den Republikanern im Senat entweder direkt unterstützt oder zumindest toleriert wurde, verneigen sich die Demokraten weiterhin höflich vor diesem rechten Gesindel und adressieren sie als „Kollegen“.

Die Strategie der Demokraten im Verfahren besteht derzeit darin, sich an die republikanischen Senatoren zu wenden - d.h. sie davon zu überzeugen, Trump zu verurteilen. Daher wird das Verfahren nicht einlösen, was eigentlich sein zentrales Ziel sein sollte: Vor dem ganzen Land die kriminelle Verschwörung aufdecken, an deren Spitze Trump stand und an der Teile des Staates beteiligt waren, einschließlich der Militär- und Polizeiapparat, sowie mächtige Teile der Konzern- und Finanzelite.

Es gibt eine Reihe von offensichtlichen Fragen in Bezug auf die Verschwörung, die eine Antwort verlangen. Diese sind unter anderen:

  • Wie war es möglich, dass die Capitol Police, die Nationalgarde in Washington DC, das FBI und andere Sicherheitskräfte der Vereinigten Staaten so völlig unvorbereitet waren auf das, was sich bereits im Vorfeld als gewalttätiger Angriff ankündigte?
  • Warum gab es praktisch einen Stillhaltebefehl für die Capitol Police, obwohl die Gewaltpläne faschistischer Milizen wie Proud Boys und Oath Keepers bekannt waren?
  • Mit wem waren die Führer des Mobs während des Angriffs in Kontakt? Wer besuchte das Weiße Haus von Trump in den Tagen vor dem Putschversuch? Woher kannten die Faschisten den Grundriss des Parlamentsgebäudes?

Aber es gibt noch grundsätzlichere Fragen, die niemand stellt, geschweige denn beantwortet. Zuallererst: Wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre, was wäre der Plan für danach gewesen?

Die Anklageschrift der Demokraten selbst legt detailliert die monatelang vorbereitete Verschwörung dar, die das Wahlergebnis kippen sollte und am 6. Januar ihren Höhepunkt erreichte. Trump organisierte einen Mob, um das Kapitol zu stürmen und die Bestätigung des Wahlergebnisses durch den Kongress zu verhindern. Dies ist genau so eingetroffen. Aber wenn es ihnen gelungen wäre, Geiseln zu nehmen, was wollten sie dann tun?

Und welche Kräfte innerhalb des Staates waren an dieser Operation beteiligt? In den Monaten vor dem Putsch hat Trump entscheidende Wechsel im Militär vorgenommen, die den Staatsstreich erleichtern sollten. Das Militär hat gerade Maßnahmen eingeleitet, die angeblich den „inländischen Extremismus“ in den Reihen bekämpfen sollen. Wer innerhalb des Militärs unterstützte die Operation, und was waren ihre Rollen?

Wer sorgte darüber hinaus für die finanzielle Unterstützung? Um die Wurzeln einer kriminellen Verschwörung aufzudecken, ist es bekanntlich notwendig, „der Spur des Geldes zu folgen“. Trumps eigenes Kabinett setzte sich aus Milliardären zusammen, darunter Personen wie seine ehemalige Bildungsministerin Betsy DeVos, die Schwester des Blackwater-Gründers Erik Prince. Von der Familie DeVos ist bekannt, dass sie die rechten Demonstrationen im US-Bundesstaat Michigan finanziert hat, die sich gegen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie richteten. Was ist die Verbindung zwischen dem faschistischen Mob am 6. Januar und der hochrangigen Unterstützung innerhalb der herrschenden Klasse?

Und schließlich: Wer waren die republikanischen Politiker und Staatsvertreter, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, die mit Mitgliedern und Anführern der verschiedenen faschistischen Milizen und Bürgerwehren zusammenarbeiteten?

Viele der Senatoren, die als Geschworene am Verfahren im Senat teilnehmen, haben die Ereignisse, über die dort verhandelt wird, entweder ermöglicht oder direkt daran teilgenommen. Dazu gehören die Republikaner Ted Cruz und Josh Hawley, die Wortführer gegen die Abstimmung im Electoral College am 6. Januar waren. Es schließt auch all jene ein, die Trump halfen, die Lüge von der manipulierten Wahl zu verbreiten. Dazu zählt auch der Vorsitzende der republikanischen Minderheitsfraktion im Senat Mitch McConnell, der sich wochenlang weigerte, Bidens Sieg anzuerkennen.

Die New York Times veröffentlichte gestern den Artikel „'Its Own Domestic Army': How the G.O.P. Allied Itself With Militants“ (Wie sich die Republikanische Partei mit Militanten verbündete). Hierin geht es um die politische Ausrichtung der Republikanischen Partei auf faschistische Milizen, die nicht nur in den Aufstand vom 6. Januar verwickelt waren, sondern auch in die Verschwörung zur Entführung und Ermordung der demokratischen Gouverneurin von Michigan Gretchen Whitmer wenige Wochen vor der Wahl.

Die Times schreibt:

Nach Signalen von Präsident Donald J. Trump - der bereits „LIBERATE MICHIGAN!“ (Befreit Michigan!) nach einer früheren Machtdemonstration in Lansing getwittert hatte - begrüßte die Republikanische Partei von Michigan im vergangenen Jahr die Unterstützung von neu ermutigten paramilitärischen Gruppen und anderen Bürgerwehren. Prominente Parteimitglieder schlossen sich Milizen an oder gaben stillschweigend ihre Zustimmung gegenüber bewaffneten Aktivisten, die bei einer Reihe von Kundgebungen und Konfrontationen im ganzen Bundesstaat Einschüchterungsmaßnahmen einsetzten. Dieses Eindringen in das Statehouse sieht jetzt aus wie ein Vorzeichen des Angriffs auf das Kapitol der Vereinigten Staaten einige Monate später.

Inwiefern beteiligten sich republikanische Parteifunktionäre im ganzen Land, zusammen mit lokalen Sheriffs und Polizeiabteilungen am Aufstandes vom 6. Januar, unterstützten und förderten ihn?

Die Demokraten wehren sich gegen eine umfassende Aufdeckung der Verschwörung. Biden versucht, sich vollständig von dem Prozess im Senat zu distanzieren. „Bidens Strategie für Trumps Amtsenthebungsverfahren: Sit back and STFU“ [sich zurücklehnen und das Maul halten], lautete gestern eine Schlagzeile im Magazin Politico. „Das Biden-Team“, schreibt Politico, „beantwortet keine einzige Frage dazu, wo Biden in diesem Verfahren steht, obwohl damit massiv historische, verfassungsrechtliche und politische Fragen verknüpft sind. Am Montag wollte Pressesprecherin Jen Psaki nicht einmal bestätigen, dass der Präsident täglich über den Fortgang des Verfahren informiert wird.“ Weiter heißt es:

„Das letzte, was die Amerikaner jetzt wollen, ist eine Aussage vom Podium“, sagt Karen Finney, eine ehemalige Wahlkampfberaterin von Hillary Clinton und Strategin der Demokraten, und meint damit Worte aus dem Weißen Haus zum Amtsenthebungsverfahren. „Sie wollen hier sagen: ‚Es ist ein neuer Tag, es ist eine neue Regierung.‘ Sie werden nicht das Weiße Haus und die Werkzeuge der Präsidentschaft benutzen, um Parteipolitik zu machen.“

Mit anderen Worten, man will „weitermachen“. Insbesondere wollen die Demokraten die Verwicklung ihrer „Kollegen“ von der Republikanischen Partei vertuschen, die zu einem Brutkasten für faschistische Kräfte und deren Integration in das politische Establishment geworden ist.

Was Trump zum Ausdruck bringt, sind die tief verwurzelten, antidemokratischen und faschistischen Tendenzen, die im Staat und der gesamten herrschenden Klasse verankert sind. Die Demokraten haben kein Interesse daran, das Ausmaß der Verschwörung aufzudecken, weil dies eine Aufdeckung der zugrundeliegenden politischen und sozialen Bedingungen bedeuten würde, deren Produkt die Trump-Regierung ist.

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