Perspektive

Polizeigewalt in Miami Beach: Wer ist verantwortlich für die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie?

Am Samstag ging die Bereitschaftspolizei in Miami Beach im US-Bundesstaat Florida gegen Partygänger vor. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Bürgermeister den Notstand ausgerufen und eine Ausgangssperre ab 20 Uhr verhängt.

Polizisten in Kampfmontur blockierten die Straßen und setzten ohrenbetäubende Schallkanonen ein, während andere Pfefferspray in eine Menschenmenge feuerten, die sich entlang des berühmten South Beach der Stadt versammelt hatte. Mehr als zwei Dutzend Menschen wurden verhaftet. Die Polizei berichtet von mehr als 1.000 Verhaftungen seit Beginn der Frühjahrsferiensaison in Florida.

Urlauber am Strand von Miami, 22. März 2021 (AP Photo/Emilio Morenatti)

Am Sonntag verlängerten die Behörden von Miami Beach die Ausgangssperre für die nächsten drei Wochen und sperrten den Zugang zur Haupttouristenstraße für vier Nächte in der Woche.

Versammlungen wie die von Jugendlichen in Florida sind gesundheitlich gefährlich und sollten unterbleiben. Die Pandemie bleibt eine schlimme Bedrohung, und neue Varianten verbreiten sich schnell im ganzen Land. Florida ist bereits landesweit führend in der Anzahl der bestätigten Infektionen mit der Mutation B.1.1.7, die ansteckender und tödlicher ist als frühere Varianten.

Das staatliche Eingreifen ist jedoch in höchstem Maße heuchlerisch. Zunächst einmal wird das quasi-militärische Durchgreifen gegen die größtenteils aus der Arbeiterklasse stammende, afroamerikanische Jugend nicht von Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit getrieben. Vielmehr wird die Polizei aufgrund von Beschwerden der wohlhabenden Anwohner eingesetzt, weil die Menschenmassen ihren Zugang zu den Bars und der Strandpromenade blockierten.

Die extrem schwierige Infektionslage in Florida wurde zudem von der herrschenden Klasse in den Vereinigten Staaten herbeigeführt, da sie alle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus aufgehoben hatte.

Tausende von College-Studenten und andere Urlauber wurden in Miami Beach und in der ganzen Region als Teil der jährlichen Spring Break Festivitäten begrüßt. Der Tourismusverband von Miami nutzten einen Zuschuss von fünf Millionen Dollar des US-Bundesstaats, um ihre größte Werbekampagne seit zwei Jahrzehnten zu starten. Die Fluggesellschaften bieten günstige Tarife nach Miami für nur 50 US-Dollar an.

Hunderttausende Touristen sind in den letzten Wochen in Scharen in den Bundesstaat gereist, von den 300.000 Besuchern der Bike Week Anfang des Monats in Daytona Beach bis zu den Festivalbesuchern diese Woche in Miami Beach.

In Florida gibt es keine Pflicht, eine Maske zu tragen oder Abstand zu halten. Der republikanische Gouverneur Ron DeSantis verfolgt eine „unternehmensfreundliche“ Pandemiepolitik, die in nur einem Jahr zu mehr als zwei Millionen Covid-19-Infektionen und über 32.000 Todesfällen geführt hat.

Als Gefolgsmann des ehemaligen Präsidenten Donald Trump hat DeSantis die Pandemie von Anfang an abgetan. Er führte die Kampagne gegen die Whistleblowerin Rebekah Jones an. Jones hat als Wissenschaftlerin eine staatliche Tracking-Datenbank erstellt und ihre Daten über Infektionen in öffentlichen Schulen publik gemacht, nachdem sie Manipulationsbestrebungen wahrgenommen hatte, um die offizielle Zahl der Infektionen zu drücken. Jones' Haus wurde im Dezember durchsucht und ihr droht eine Strafe wegen einer E-Mail, die sie an Staatsbedienstete gesendet hatte.

Dies ist jedoch nicht nur in Florida so. US-Bundesstaaten überall haben die meisten, wenn nicht sogar alle Pandemie-Schutzmaßnahmen aufgehoben, vom republikanisch kontrollierten Texas, das Gouverneur Greg Abbott „zu 100 Prozent öffnen“ will, bis nach Michigan, wo die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer die Anzahl der erlaubten Stadienbesucher hochsetzt, obwohl die Infektionsrate in dem Bundesstaat exponentiell wächst.

Federführend agiert US-Präsident Joe Biden, der in seinen ersten 100 Tagen im Amt auf die vollständige Öffnung der Schulen drängt. Anfang des Monats hielt Biden seine „Mission accomplished“-Rede und forderte damit die Amerikaner auf, am 4. Juli „unsere Unabhängigkeit von diesem Virus“ zu feiern. Solche Proklamationen spornen zur Passivität angesichts der gefährlichen Krankheit an, denn nur 13 Prozent der US-Bevölkerung sind vollständig geimpft. Zudem schätzen Epidemiologen, dass etwa ein Drittel der US-Amerikaner eine Infektion bereits durchgemacht hat. Das bedeutet, dass noch viel Raum für die Verbreitung des Virus bleibt.

In der Zwischenzeit haben die Gewerkschaften mit der Kommunalverwaltung und den Bürgermeistern zusammengearbeitet, um Schulen wieder zu öffnen und Fabriken am Laufen zu halten, egal wie viele Arbeiter, Lehrer und Schüler krank werden und sterben. Letzte Woche äußerte die Vorsitzende des Lehrerverbandes American Federation of Teachers Randi Weingarten gegenüber besorgten Skeptikern der Lockerungen und Öffnungen, während die Pandemie weiter wütet: „Wir werden nicht dafür kämpfen, dass die Schulen geschlossen bleiben.“ Schulen sind nachweislich einer der wichtigsten Orte für die Übertragung von Covid-19 und Schulschließungen sind eines der effektivsten Mittel zur Verlangsamung der Ausbreitung.

Die Demokratische Partei erklärt zwar, dass sie „auf die Wissenschaft hört“, wenn es um die Pandemie geht, doch die Biden-Regierung greift tatsächlich auf unwissenschaftliche Verzerrungen und offene Lügen zurück, um die Lockerungspolitik zu rechtfertigen. Unter Biden haben die Centers for Disease Control and Prevention ihre Richtlinien zu Abstandsgeboten über Bord geworfen. Demnach gilt mittlerweile ein Abstand von einem knappen Meter in Schulen als sicher, denn ein größerer Abstand würde es unmöglich machen, die Klassenräume weiter zu nutzen.

Von Beginn an hat die herrschende Elite nichts getan, um in der Pandemie die öffentliche Gesundheit zu schützen und ihre Folgen für die Jugend, die arbeitende Bevölkerung und die kleinen Unternehmen zu bewältigen. Fabriken, Schlachthöfe und andere große Betriebe wurden offen gehalten und den Unternehmern erlaubt, größere Infektionsgeschehen zu vertuschen, selbst als Beschäftigte erkrankten und starben. Junge Arbeiter, die überwiegend in den Niedriglohn-Dienstleistungsbranchen tätig sind, wurden ohne ernstzunehmende Schutzmaßnahmen weiterbeschäftigt oder millionenfach ohne wirtschaftliche Unterstützung auf die Straße gesetzt.

Die ganze Situation wurde als eine Angelegenheit der individuellen Verantwortung dargestellt: Waschen Sie Ihre Hände, bleiben Sie zu Hause, wenn Sie können, und halten Sie Abstand. Die Botschaft lautet: „Wenn du krank wirst, ist es deine Schuld.“ Es hat keine systematischen Bemühungen gegeben, die Öffentlichkeit über die Pandemie aufzuklären.

Es wurden keine sozialen Programme oder Initiativen gestartet, um mit den vielen Folgen der Pandemie umzugehen. Dies betrifft auch Fragen der Zunahme von sozialer Isolation und psychischen Gesundheitsproblemen, die besonders junge Menschen in einem Lebensalter, in der sie soziale Interaktion und Gesellschaft suchen, schwer getroffen haben.

Infolge der mörderischen Politik der herrschenden Klasse in den Vereinigten Staaten sind dort mehr als 550.000 Menschen gestorben. In den letzten Monaten, mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Impfstoffen, behandeln die Medien die anhaltenden Todesfälle - mehr als 1.000 pro Tag in den USA - als Nebensache und verbreiten das Narrativ, dass die Krise mehr oder weniger vorbei ist.

Die desorientierte Reaktion eines Teils der Jugend ist das Ergebnis der völligen Abwesenheit einer politischen Perspektive. Überall werden sie nicht nur mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert, sondern auch mit Fälschungen und regelrechten Lügen. Rufe nach sozialer Distanzierung und Lockdown wechselten sich ab mit rücksichtslosen Lockerungen und der Verunglimpfung von Vorsichtsmaßnahmen. Die Pandemie, deren zweites Jahr anbricht, erscheint als Krise ohne Ende, was eine nihilistische Einstellung fördert.

Bei einer entsprechenden politischen Perspektive wird die Rebellion der Jugend eine progressive Richtung bekommen.

Junge Menschen und Arbeiter müssen eine gesellschaftlich fortschrittliche Antwort fordern, um Covid-19 auszurotten, während sich das Virus in den USA und weltweit wieder ausbreitet.

Schulen und nicht-systemrelevante Betriebe müssen mit voller finanzieller Unterstützung geschlossen werden, bis ein ausreichender Teil der Weltbevölkerung geimpft und das Virus unterdrückt ist. Die herrschende Klasse hat bewiesen, dass sie kein Interesse daran hat, solche ernsthaften Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann nur in einem Kampf der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System - das die Interessen der Menschheit dem privaten Profit unterordnet - und für die sozialistische Neuorganisation der Gesellschaft erreicht werden.

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