Frankreich: Weitere Proteste gegen Polizeigewalt und das „globale Sicherheitsgesetz“

Am Samstag fanden in ganz Frankreich Dutzende Demonstrationen gegen Polizeigewalt und das „globale Sicherheitsgesetz“ statt, das am Donnerstag die erste Lesung im Senat passiert hat.

Als die Macron-Regierung das „globale Sicherheitsgesetz“ letztes Jahr vorlegte, verurteilten die Vereinten Nationen das darin enthaltene Verbot, Polizeibeamte zu filmen, als Gefahr für die „demokratische Kontrolle öffentlicher Institutionen“. Dennoch werden vermutlich beide Kammern des französischen Parlaments das Gesetz genehmigen. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin ausgearbeitet, einem ehemaligen Mitglied der rechtsextremen Action Française. Das Ziel ist es, den Polizeistaat von allen Beschränkungen im Vorgehen gegen Streiks und Demonstrationen zu befreien.

Eine Demonstrantin in Paris hält ein Schild mit der Aufschrift „Hin zu einem autoritären Staat? Das wird nicht passieren!“, 16. März 2021 (AP Photo/Michel Euler)

Das Kollektiv #StopLoiSecuriteGlobale (Stoppt das globale Sicherheitsgesetz) organisierte in Dutzenden Städten Demonstrationen, u.a. in Lille, Rouen, Rennes, Nantes, Brest, Limoges, Toulouse, Marseille, Nîmes, Lyon und Strasbourg. Zu dem Bündnis gehören Journalistengewerkschaften, die Menschenrechtsliga und Gruppen der „Gelbwesten“, die früher schon von der Polizei verwundet oder verstümmelt wurden.

Die Polizei erlaubte die Proteste, obwohl die Macron-Regierung am Donnerstag einen neuen Lockdown angekündigt hatte. Allerdings ist das auch nur ein Pseudo-Lockdown, der erneut deutlich macht, dass die Regierung ernsthafte Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ablehnt. Obwohl es in Frankreich mehr als 4,3 Millionen Fälle und mehr als 90.000 Tote durch Covid-19 gibt, lässt die Regierung nicht systemrelevante Betriebe und Schulen offen, sodass sich die neuen Varianten des Virus weiter ausbreiten können.

Die Demonstrationen haben einen grundlegenden Widerspruch enthüllt. Obwohl die Regierung durch ihre katastrophale Gesundheitspolitik diskreditiert ist und ein autoritäres Regime aufbaut, haben nur ein paar Tausend Menschen daran teilgenommen. Einer der Gründe ist offensichtlich das Schweigen der Organisatoren der Proteste zu den zentralen Problemen, vor denen die Arbeiterklasse steht: die Sozialkürzungen und vor allem die Corona-Pandemie. Diese Gruppen haben nichts zu Macrons arbeiterfeindlicher Politik zu sagen oder sind sogar mitverantwortlich dafür.

Die Kritik der Demonstranten an Polizeigewalt ist berechtigt und genießt breite Unterstützung. Nachdem letztes Jahr ein Video dokumentierte, wie Polizisten den friedlichen Musikproduzenten Georges Zecler vor seinem Tonstudio in Paris verprügelt, hat die Polizei laut einer Umfrage von Ifop nur noch das Vertrauen von 37 Prozent der Bevölkerung. Aber über die Pandemie haben die Organisatoren der Proteste, darunter auch das Bündnis #StopLoiSecuriteGlobale, in ihren Erklärungen geschwiegen.

An der Demonstration in Lyon, wo ein Polizeihubschrauber über den Demonstranten kreiste, nahmen 500 Menschen teil, in Rennes 400, in Lille, wo Demonstranten „Polizisten, Vergewaltiger und Mörder“ und „Polizei überall, Gerechtigkeit nirgendwo“ riefen, waren es 300. In Bordeaux zogen mehrere Hundert Vertreter der Gelbwestendemonstranten, die von Polizisten verstümmelt wurden, unter dem Motto „Wahrheit und Gerechtigkeit“ durch die Stadt. In Paris demonstrierten zwischen 5.000 und 10.000 Menschen und hielten Plakate mit Slogans wie „Liberté, égalité, éborgné“ (Freiheit, Gleichheit, ein Auge ausgeschossen).

In Paris sprachen außerdem mehrere Familien von Opfern der Polizeigewalt. Assa Traoré, die Leiterin des Adama-Traoré-Kollektivs, deren Bruder im Jahr 2016 von der Polizei zu Tode gewürgt worden war, sprach zu der Menge. Sie zählte die Forderungen der Demonstranten auf, darunter „die Abschaffung permanenter Identitätsprüfungen“, die Entlassung angeklagter Polizeibeamter und „ein Verbot von Würgetechniken“. Sie rief zusammen mit den Demonstranten: „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden.“

Ein weiterer Sprecher war Christian Chouviat, dessen Sohn Cedric, ein 43-jähriger Lieferfahrer, von der Polizei während einer Verkehrskontrolle in der Pariser Innenstadt erwürgt worden war. Er erklärte: „In einem freien Land hat niemand das Recht zu töten. Tötet uns nicht, wir haben es nicht verdient.“

Trotz des weit verbreiteten Widerstands gegen die Macron-Regierung haben die Medien die Proteste nahezu vollständig totgeschwiegen. Auf Twitter gab es zahlreiche Kommentare, in denen die Proteste mit #BlackLivesMatter verglichen wurden, einer auf Hautfarbe und Ethnie fixierten, politischen Bewegung, deren Führung eng mit den US-Demokraten verbunden ist.

Die Organisatoren der Proteste fordern Macron und Darmanin zu Verhandlungen auf, obwohl dieselben Regierungspolitiker einen Polizeistaat aufbauen und die Corona-Politik der Herdenimmunität verfolgen, die zu fast 900.000 Toten in ganz Europa geführt hat.

In ihrem Demonstrationsaufruf forderten sie „die Aufnahme von Diskussionen mit dem Innenministerium und der Parlamentsfraktion von [Macrons Partei] La République en Marche“. Sie riefen dazu auf, einen „Sozialdialog“ zwischen den Gewerkschaften und der Regierung zu führen. „Dieses Gesetz soll die Pressefreiheit aushöhlen, die Freiheit sich zu informieren und informiert zu sein, kurz: die grundlegenden allgemeinen Freiheiten unserer Republik. Sozialer Dialog und Demokratie, das ist alles, was wir – Journalisten, Produzenten, Bürger – fordern.“

Allerdings gibt es mit Macron nichts zu verhandeln. Der Grund für seine mörderische Corona-Politik ist der gleiche wie für seinen Austeritätskurs und die Militarisierung der inneren und äußeren Sicherheit Frankreichs. Er repräsentiert die Finanzaristokratie und den französischen Imperialismus inmitten einer historischen wirtschaftlichen und sozialen Krise des Weltkapitalismus. Macron wird alles tun, um sicherzustellen, dass die Arbeiter in den Betrieben bleiben und weiterhin für die Profite der Banken und Konzerne schuften.

Die nationalen Gewerkschaftsverbände, deren Journalistengewerkschaften am Dienstag demonstrierten, darunter die CGT und Solidaires, sind tief in diese politische Kriminalität verstrickt. Sie haben im Spätsommer 2020, nachdem der Lockdown im Frühjahr die Ausbreitung des Virus beschränkt hatte, die Rückkehr an die Arbeitsplätze und die Öffnung der Schulen durchgesetzt. Doch obwohl das Virus noch im Umlauf war, gab es keine angemessenen Kontaktverfolgungssysteme. Seither sind weitere 62.000 Menschen in Frankreich und 700.000 in ganz Europa an Covid-19 gestorben.

Im Sommer unterzeichnete die CGT ein Protokoll, in dem sie die Rettungspakete der EU unterstützte, mit denen den Banken und Konzernen mehr als zwei Billionen Euro zur Verfügung gestellt wurden.

Die Regierung, das politische Establishment und die Gewerkschaftsapparate der herrschenden Klasse tun alles, um ihre tödliche Corona-Politik durchzusetzen. Dies hat eindeutig Auswirkungen auf Gesellschaftsschichten, die von der sozialen Isolation in Folge der Pandemie desorientiert und demoralisiert sind.

In Marseille und Annecy versammelten sich mehrere Tausende Jugendliche ohne Masken und Abstand zu einem „Karneval“. In Marseille, wo sich mehr als 6.500 Jugendliche an dem Karneval beteiligten, erklärte Romain: „Die jungen Leute haben es satt, eingesperrt zu sein.“

Quentin, ein 26-jähriger Assistenzarzt, sagte gegenüber Le Monde: „Viele meiner Freunde gehen nach Madrid, wo alles offen ist. Deshalb ist es gut, das hier zu sehen.“

Da in Frankreich täglich mehr als 30.000 neue Corona-Fälle diagnostiziert werden, ist es statistisch gesehen sicher, dass dieser verantwortungslose Karneval zur Ausbreitung des Corona-Virus führen wird. Die Sprecherin des Innenministeriums Camille Chaize attackierte die „Feiernden, die völlig verantwortungslos an diesem Karneval teilgenommen haben“. Doch diese Verantwortungslosigkeit wird unablässig von der Spitze des Polizeistaats selbst propagiert.

Der Widerstand gegen den Kurs auf einen Polizeistaat und für eine echte Pandemiebekämpfung erfordert die internationale Mobilisierung breiter Teile der Arbeiterklasse. Dafür müssen die politischen Ketten der Gewerkschaftsapparate, der Identitätspolitik und des Nationalismus durchbrochen werden. Für eine sozialistische Politik der Arbeiterklasse! Das erfordert einen bewussten Bruch mit der Politik des „Sozialdialogs“ der Gewerkschaften und den Aufbau einer sozialistischen Bewegung in der internationalen Arbeiterklasse, die unabhängig von den Gewerkschaften ist und für die Machteroberung kämpft.

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