MAN-Werk Steyr mit 2300 Arbeitsplätzen vor dem Aus

Freitag vergangener Woche beschloss der Aufsichtsrat des LKW-Herstellers MAN Truck & Bus das Ende seines Werks im oberösterreichischen Steyr. Das Traditionswerk mit über hundertjähriger Geschichte soll geschlossen werden, wenn die Belegschaft nicht die Bedingungen eines Verkaufs an den Investor Siegfried Wolf akzeptiert.

Der Vorstand der Volkswagen-Tochter MAN hatte in den vergangenen Monaten diese Bedingungen mit Wolf ausgehandelt. Danach sollen nur zwei Drittel der Stammbelegschaft, etwa 1250 Arbeiter, ihren Job behalten. Mehr als 1000 Arbeiter, darunter etwa 400 Leiharbeiter, sollen entlassen werden. Denen, die übrig bleiben, verweigert Wolf die Zahlung der bisherigen Akkordzulage, was einer Lohnsenkung von 15 bis 30 Prozent entspricht. Auch andere Betriebsvereinbarungen zugunsten der Arbeiter sollen entfallen.

Die Steyrer Belegschaft wird offen erpresst – vom MAN-Vorstand und dem Aufsichtsrat, in dem zehn Vertreter der deutschen IG Metall und der Betriebsräte sitzen, auch der Steyrer Betriebsratschef Erich Schwarz.

Wolf saß bis 2010 für viele Jahre im Top-Management des kanadischen Automobilzulieferers Magna International. Danach übernahm er mehrere Aufsichtsratsposten, unter anderem bei der Baufirma Strabag, der Porsche SE, der Österreichischen Industrieholding AG, der Sberbank Europe AG, einer Europa-Tochter der größten russischen Bank, und – was in diesem Zusammenhang bedeutend ist – er wurde Aufsichtsratsvorsitzender der russischen Firma JSC Russian Machines des Oligarchen Oleg Deripaskas. Diese befasst sich mit der Herstellung, dem Verkauf und der Wartung von Automobilanlagen für die GAZ-Gruppe, den größten russischen Automobilkonzern. Wolf selbst hält 10 Prozent der GAZ-Anteile.

Wolfs Konzept für das Werk Steyr ist die Produktion und Lieferung von jährlich 10.000 bis 12.000 Lkw-Fahrerkabinen an das russische GAZ-Unternehmen. In Steyr war erst vor anderthalb Jahren für 60 Millionen Euro Europas größte Lackieranlage für Lkw-Kunststoffanbauteile aufgebaut worden. Bis Ende 2022 sollen noch Fahrzeuge für MAN produziert werden, danach vier eigene Fahrzeugmodelle unter dem Namen Steyr.

Auf einer Betriebsversammlung am morgigen Freitag wollen der Investor Wolf sowie der MAN-Vorstand und die österreichische Gewerkschaft PRO-GE (Produktionsgewerkschaft) der Belegschaft ihre Konzepte erläutern.

Die Gewerkschaft bevorzugt ein vor wenigen Wochen eingegangenes zweites Kaufangebot des Linzer Unternehmers Karl Eggers, der mit seinem Familienbetrieb KeKelit Kunststoffrohre und Klimasysteme herstellt. Mit anderen Firmen, darunter die tschechische Tatra-Gruppe und ein Automobilhersteller aus Südostasien, hat er das Konsortium „Green Mobility“ gegründet.

Die Gewerkschaftsfunktionäre bevorzugen Eggers Angebot, weil er verspricht, 1850 Arbeiter der Stammbelegschaft weiter zu beschäftigen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Schwarz behauptet sogar, die Pläne dieses Konsortiums hätten ein zukünftiges Potential von 10.000 Arbeitsplätzen. Dennoch verhandeln Schwarz und seine Gewerkschaftsfunktionäre seit Monaten hinter verschlossenen Türen mit dem MAN-Management und mit Wolf. „Details wollte er nicht verraten – man habe vereinbart, dass Verhandlungsergebnisse, über die man sich nicht einig sei, nicht nach außen getragen werden“, zitiert ihn der österreichische Kurier.

Der MAN-Aufsichtsrat, also auch die deutsche IG Metall, hat sich bereits auf das Angebot von Siegfried Wolf festgelegt. Dies obwohl der GAZ-Konzern und sein Inhaber US-Sanktionen unterliegen, die es Unternehmen unter Androhung wirtschaftlicher Strafmaßnahmen verbieten, mit GAZ Geschäfte zu machen. Dabei spielt auch die Kooperation zwischen VW und GAZ zur Produktion von Fahrzeugen in Russland eine Rolle.

Um die Zustimmung der Belegschaft zum Verkauf zu erhalten, versprach der MAN-Konzern inzwischen jedem Arbeiter eine Prämie in Höhe von 10.000 Euro, egal, ob er seinen Arbeitsplatz behält oder nicht.

Schon in eineinhalb Wochen sollen sich die Arbeiter in einer geheimen Abstimmung per Briefwahl entscheiden. Die Wahl gleicht der zwischen Pest und Cholera. Entweder sie entscheiden sich für den Verkauf des Werkes mit den damit verbundenen Lohnsenkungen und der Unsicherheit, überhaupt übernommen zu werden, oder sie akzeptieren die Betriebsschließung. Zusammen mit den Beschäftigten in der Zulieferindustrie wären mehr als 5000 Familien von der Schließung betroffen, eine Katastrophe für die Stadt mit einer Bevölkerung von etwa 39.000 Einwohnern und für die ganze Region.

Die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte in Deutschland und Österreich sind Teil dieses zynischen Spiels. MAN Truck & Bus Österreich ist Teil des Traton-Konzerns (früher Volkswagen Truck & Bus), der mehrheitlich zum VW-Konzern gehört und Fahrzeuge der Marken MAN, Scania, Volkswagen Caminhões e Ônibus und RIO produziert. Das VW-Konzernmanagement nutzt die Corona-Krise, um lang geplante Umstrukturierungen durchzuführen, die die Stellung des Konzerns und in diesem Falle der LKW- und Bus-Sparte auf dem Weltmarkt stärken sollen.

Die Traton-Gruppe wies noch im Finanzjahr 2019 ein Ergebnis nach Steuern in Höhe von 1,561 Milliarden Euro aus. Der jetzige Stellenabbau und die Betriebsschließungen dienen ausschließlich der Steigerung der Profitmarge im internationalen Wettbewerb.

Deshalb stellte der MAN-Truck-Vorstand am 11. September 2020 ein Restrukturierungsprogramm vor, das den Kahlschlag von Tausenden Arbeitsplätzen vorsah. Schon damals war klar, dass der Standort Steyr komplett geschlossen werden sollte.

5000 Menschen protestieren am 15. Oktober 2020 gegen die Stillegung von MAN in Steyr (Bild: PRO-GE / CC0)

Wie in den deutschen MAN-Betrieben, wo die IG Metall nach der Hiobsbotschaft Protestkundgebungen organisierte, rief die PRO-GE am 15. Oktober des vergangenen Jahres in Steyr zu einer Kundgebung auf, an der 4000 Arbeiter und ihre Familienangehörigen teilnahmen.

Gewerkschaftsfunktionäre und Politiker beschworen die soziale Verantwortung des Konzerns, machten aber auch klar, dass sie außer Appellen keine Kampfmaßnahmen organisieren würden. Der PRO-GE-Bundesvorsitzende Rainer Wimmer druckste herum, dass man sich „vielleicht überlegen“ müsse, „wenn die wirklich unsere Existenzen wegnehmen, dass wir vielleicht den Riemen runter schmeißen müssen, an einem Zeitpunkt, wo wir noch können“.

Wimmer beruhigte die Belegschaft mit dem Hinweis auf einen Ende 2019 unterzeichneten „wasserdichten“ Standortsicherungsvertrag, nach dem der Betrieb bis zum Jahr 2030 gesichert sei. Wie alle dieser Verträge ist er das Papier nicht wert, auf dem er steht. MAN hat ihn kurzerhand gekündigt.

Derweil begannen die IG Metall und die Betriebsratschefs mit Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, um Ende Januar ein „Eckpunktepapier“ zu präsentieren, das die Vernichtung von 3500 Arbeitsplätzen beinhaltet und eine „Ergebnisverbesserung in Höhe von bis zu 1,7 Mrd. Euro“ erzielen soll.

MAN-Betriebsratschef Saki Stimoniaris erklärte stolz: „Wir tragen Verantwortung für unsere MAN.“ Stimoniaris bezieht neben seinem sechsstelligen Jahresgehalt zusätzlich fast eine halbe Million Euro für seine Aufsichtsratstätigkeit, im Jahr 2019 exakt 482.040 Euro.

Diese Besserverdiener haben die Belegschaften von Beginn an gehindert, gegen die sich abzeichnenden Entlassungen aufzubegehren. Der Betriebsrat in Steyr beruhigte die Arbeiter mit finanziellen Argumenten. Die hohe Investition in die moderne Lackiererei und die jährliche Überweisung von Gewinnen an den Mutterkonzern sollten Garant für eine sichere Zukunft des Werks sein. Die Unterstützung des Kaufangebots der „Green Mobility“ hat die Arbeiter zusätzlich verwirrt. Nun werden sie aufgefordert, sich einem windigen Investor und einem russischen Oligarchen auszuliefern.

Während die IG Metall in der Münchener Zentrale die Pläne für die Schließung des Werks in Steyr ausarbeitete, sabotierte PRO-GE jeden Widerstand dagegen. In mehreren Interviews haben der Betriebsratsvorsitzende Erich Schwarz sowie PRO-GE-Chef Rainer Wimmer betont, dass ohnehin Personal abgebaut werden müsse wegen der Umstellung der Antriebstechnik auf Elektroantriebe und der EU-Richtlinien zur Begrenzung des Kohlendioxid- und Stickstoff-Ausstoßes.

Arbeiter müssen verhindern, dass ihre Arbeitsplätze und Löhne ständig der Profitgier der Aktionäre untergeordnet werden. Dies können sie nur durch eine vereinte, unabhängige Offensive aller Kollegen in allen internationalen Fabriken erreichen. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) tritt dafür ein, Aktionskomitees aufzubauen, die völlig unabhängig von den Gewerkschaften sind, die Verteidigung der Arbeitsplätze in die Hand nehmen und sich europaweit und international vernetzen. Nehmt dazu Kontakt zu uns auf.

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