Alexandria Ocasio-Cortez spricht sich für Biden, für die Demokratische Partei und gegen die Sozialisten aus

Die amerikanische Zeitschrift Democratic Left, die von den Democratic Socialists of America (DSA) herausgegeben wird, brachte in ihrer März-Ausgabe 2021 ein Interview mit ihrem Mitglied Alexandria Ocasio-Cortez. Darin spendete die als AOC bekannte Kongressabgeordnete der Demokratischen Partei überschwängliches Lob, während sie den Sozialismus bösartig verleumdete.

Das Interview ist für die DSA von großer politischer Bedeutung. Es ist das erste Interview, das ihr offizielles Parteiorgan mit der New Yorker Kongressabgeordneten führte, und es wurde sorgfältig für die Veröffentlichung vorbereitet. Die Redaktion der Democratic Left publizierte das Interview, das ihr Mitglied Don McIntosh schon am 26. Januar geführt hatte, erst nach sieben Wochen. Auch die Wahl von McIntosh als Interviewer ist bezeichnend. Er ist ein hochrangiger Gewerkschaftsfunktionär der AFL-CIO mit engen Verbindungen zur Demokratischen Partei. Die AFL-CIO listet ihn auf ihrer Website als einen ihrer Autoren. Auf den Seiten der NW Labor Press, die er herausgibt, unterstützt McIntosh seit Jahren Demokratische Politiker und Kandidaten.

In dem Interview stellt Ocasio-Cortez die Demokratische Partei so dar, als habe sie sich komplett in eine Partei der Arbeiterklasse verwandelt. Sie behauptet, die Biden-Administration und die amtierenden Demokraten hätten sich „völlig neu erfunden, und zwar in eine viel progressivere Richtung“. Der Druck von links habe die etablierten Demokraten zu einem „beinahe radikalen Wandel“ gezwungen. Die Demokratische Partei müsse sich nur noch stärker auf das wahlpolitische Geschehen konzentrieren.

Alexandria Ocasio-Cortez bei einem Musikfestival in 2019 (Foto: Flickr/nrkbeta)

Nur eins hindert offenbar das Establishment der Demokratischen Partei daran, Perfektion zu erlangen, und das ist der Widerstand von links. Deshalb entpuppt sich diese Politikerin, die als Außenseiterin und Kritikerin des „Demokraten-Establishments“ Karriere gemacht hat, nun als schärfste Verteidigerin des Establishments und erbitterte Gegnerin von Kritik.

McIntosh fragt: „Mehrere Linke haben Bidens Bilanz und seine Differenzen mit dem Bernie-Flügel der Partei betrachtet und sind zum Schluss gekommen, dass die Biden-Regierung keinen Fortschritt bringen werde. Was ist Ihre Ansicht?“

Sie antwortet:

Nun, meiner Meinung nach ist das wirklich die Kritik von Privilegierten. Wir müssen uns auf die Solidarität konzentrieren und unsere Sinne dafür schärfen, welche Kritik in guter Absicht und welche in böser Absicht erfolgt. Denn Kritik in böser Absicht kann alles zerstören, was wir so mühsam aufgebaut haben. Wir wissen das, weil es früher schon so war, und wir haben so viele Jahrzehnte gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Wir können es uns nicht leisten, Kritiker in böser Absicht in unserer Bewegung zu dulden.

Diese „Kritiker in böser Absicht“, sagt Ocasio-Cortez, verraten mit ihrer Kritik an dem Präsidenten nur ihre Verachtung für die Armen und Unterdrückten. Damit spielt AOC die altbekannte Karte der Demokraten aus, linke Gegner als Helfershelfer der rechten Republikaner hinzustellen. Dem fügt sie weiter eine Prise übelster Identitätspolitik bei, indem sie sagt:

Wenn sie damit ankommen [d.h. mit Opposition gegen die Biden-Regierung], dann müssen wir sie wirklich fragen: Welche Botschaft verbindet ihr damit für die schwarzen und braunen und undokumentierten Mitglieder eurer Gemeinschaft, für eure Freunde, wenn ihr sagt, dass sich nichts geändert habe? (...) Wenn ihr sagt: 'Nichts hat sich geändert', dann bezeichnet ihr die Menschen, die jetzt vor Abschiebung geschützt sind, als 'niemanden'. Und das können wir in unserer Bewegung nicht zulassen.

Das Beispiel, das Ocasio-Cortez hier wählt, der Schutz der Migranten vor Abschiebung, ist nicht gerade glücklich. Seit das Interview erschienen ist, hat Biden das Recht auf Asyl ausgesetzt und Zehntausende von mittelamerikanischen Flüchtlingen ohne Anhörung abgeschoben. Vielleicht hält Ocasio-Cortez die 15.000 Kinder, die derzeit in Einwanderungsgefängnissen festsitzen und sich gegen ihre Inhaftierung wehren, für „Privilegierte“, die „in böser Absicht“ handeln?

Die übelsten Schmähungen spart Ocasio-Cortez sich für Bidens sozialistische Gegner auf. Auf die Frage, „Wie haben Sie ihren Weg zur DSA gefunden?“, antwortet Ocasio-Cortez, indem sie wiederholt betont, was die DSA von anderen sozialistischen Gruppen „unterscheidet“: „Wir hatten das Gefühl, dass es ihnen nicht ausschließlich um die Klassenfrage ging, sondern dass sie einen multirassischen Klassenkampf führen, für den die Menschenrechte nicht nachrangig sind. Ehrlich gesagt, war ich wirklich beeindruckt.“

Am Ende des Interviews lobt AOC eine Reihe von DSA-Mitgliedern, die als Demokraten für ein Amt kandidieren. Sie sagt: „Das sind Leute, mit denen man zusammen sein möchte. Sie sind nicht zynisch, und sie beschäftigen sich nicht dauernd mit der Frage, 'wer ist der bessere Sozialist, du oder ich‘. Sie sind einfach unermüdlich positiv eingestellt.“

Ihr Hinweis auf die „Klassen-Essenzialisten", für die "die Menschenrechte nachrangig sind“, zeigt klar, dass Ocasio-Cortez und die DSA in einer bestimmten politischen Tradition stehen, der Tradition des amerikanischen Anti-Kommunismus. Aus diesem Morast kann nichts sozial Fortschrittliches entstehen.

Die Democratic Socialists of America sind aus dem Zusammenschluss von 1982 des New America Movement (NAM) mit dem Democratic Socialists Organizing Committee (DSOC) von Michael Harrington entstanden, und Harrington wurde bei der DSA-Gründung auch deren Vorsitzender.

Harringtons DSOC war in der Nachkriegszeit politisch stark im Shachtman-Lager verwurzelt, d.h. in der Strömung, die der Ex-Revolutionär Max Shachtman anführte. Auch der Vorläufer des New America Movement (NAM), die studentische Protestgruppe Students for a Democratic Society (SDS), war bis zu ihrer Spaltung von 1965 die Jugendorganisation der von Shachtman dominierten League for Industrial Democracy (LID) gewesen.

Der aus Polen stammende Max Shachtman trat 1923 der kommunistischen Bewegung bei. Als die Stalinisten 1928 alle Sympathisanten Trotzkis ausschlossen, gründete Shachtman zusammen mit James P. Cannon die trotzkistische Linke Opposition.

Nachdem Shachtman 1939–1940 mit den amerikanischen Trotzkisten gebrochen hatte, driftete er immer weiter nach rechts ab. Sein anfänglich prinzipienfester Kampf gegen die stalinistische Degeneration der Sowjetunion verwandelte sich unter dem Druck des Nachkriegsbooms in die antimarxistische Haltung, dass die Sowjetunion ein „bürokratisch-kollektivistisches“ Regime sei, und dass die Bürokratie eine neue herrschende Klasse darstelle. Deren Menschenrechtsverletzungen würden es sogar rechtfertigten, dass die Sozialisten im Kalten Krieg den amerikanischen Imperialismus unterstützten. Shachtman lehnte nun die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse ab, und so beendete er seine Karriere als Berater der AFL-CIO und Unterstützer der Invasion in der Schweinebucht und des Vietnamkriegs.

Harrington war ein Anhänger Shachtmans, und beide saßen im Vorstand der League for Industrial Democracy. Bei der Gründung des SDS drängte Harrington die Gruppe, eine explizit antikommunistische Position gegen die Sowjetunion und gegen nationale Befreiungsbewegungen wie den Vietcong einzunehmen: „Antikommunismus war Harringtons emotionaler Prüfstein“, schreibt Todd Gitlin in The Sixties. „Seine Politik hatte er in Zusammenarbeit mit dem brillanten, verbitterten Max Shachtman herausgebildet.“

Ihre Orientierung diente vor allem den außenpolitischen Interessen des US-Imperialismus. Harrington selbst sollte später fordern, dass sozialistische Organisationen „eine pro-amerikanische Rolle [einnehmen], die dem Kalten Krieg und dem Außenministerium entspricht“.

Sie waren vollständig in der Demokratischen Partei integriert. Harrington, Shachtman und der SDS unterstützten die „Neuausrichtung“ der Demokraten, die darin bestand, dass man den außenpolitischen Interessen der USA besser dienen könne, wenn man sich innerhalb der Demokratischen Partei stärker an der Gewerkschaftsbürokratie und der oberen Mittelschicht ausrichte. Während Shachtman auf ein Zusammengehen mit den AFL-CIO drängte, forderte Harrington eine stärkere Konzentration auf frühe Formen der Identitätspolitik. Peter Drucker erklärt in seinem Buch „Max Shachtman and His Left“:

Mike Harrington wurde zum Anführer der ex-Shachtman-Sozialisten, die sich weigerten, der AFL-CIO die dominierende Rolle in der Demokratischen Koalition zuzugestehen. Stattdessen suchte er nach Kompromissen zwischen Gewerkschaftsführern und Vertretern der ‚New Politics‘, einem losen Netzwerk von Progressiven, meist Latinos, Feministen, sowie jugendlicher Gegenkultur und Antikriegsbewegung der 1960er Jahre. Er entfernte sich von Shachtmans Version einer marxistischen Orthodoxie (...) Die Sozialisten verstrickten sich mit ihren Differenzen in den Spaltungen innerhalb der Demokratischen Partei. Die Strategie der ‚Neuausrichtung‘, von der Shachtman geglaubt hatte, sie würde den Sozialisten eine effektive Zusammenarbeit innerhalb der Demokratischen Partei ermöglichen, erwies sich als Formel, die sie zwang, sich zwischen den um Nominierungen und Ämter rivalisierenden Demokratischen Politikern zu entscheiden.

Faktisch gründete Harrington das DSOC 1973 aus einer Minderheitsfraktion der Socialist Party of America, die die Mehrheit kritisierte, weil sie den demokratischen Kandidaten George McGovern bei den Präsidentschaftswahlen 1972 nicht ausreichend unterstützt hatte.

Von da an konzentrierten sich das DSOC und die DSA systematisch darauf, die Demokratische Partei von innen heraus unter Druck zu setzen. Die DSA-eigene Website bestätigt, dass die Organisation im Jahr 1976 eine Kampagne mit Namen „Democracy `76“ geführt hatte, um Jimmy Carter nach links zu drängen, dass sie 1984 „bei den Demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen mitwirkte“, und dass sie in den 1990er Jahren „eng mit dem Congressional Progressive Caucus“, einer Fraktion der Demokraten, zusammengearbeitet hatte.

Und was hat die DSA nach einem halben Jahrhundert Arbeit in der Demokratischen Partei vorzuweisen? Die Partei verzichtet auf noch so geringe soziale Reformen, sie hat permanent Krieg geführt und ist für ein massives Anwachsen der sozialen Ungleichheit mitverantwortlich. Die Strategie der „Neuausrichtung“ bereitete der Demokratischen Partei den Weg, der immer weiter nach rechts führte. Die DSA trug dazu bei, die Identitätspolitik innerhalb der Demokraten durchzusetzen. Diese läuft darauf hinaus, dass korrupte Vertreter verschiedener „Rassen“ auf privilegierte Positionen gelangen, und sie erleichtert auch die offene Akzeptanz des Menschenrechtsimperialismus.

Ocasio-Cortez und die DSA führen ihre pro-imperialistische, antikommunistische Tradition im 21. Jahrhundert weiter fort. Ihre Hauptaufgabe ist es – und das ist in dem Interview ausgedrückt – als Torwächter der bürgerlichen „Linken“ zu dienen, den sozialen Widerstand auf die Demokratische Partei zu orientieren und deren sozialistische Gegner ins Abseits zu stellen. Wer dafür kämpfen, die Arbeiterklasse für einen Bruch mit der Demokratischen Partei zu gewinnen, macht sich dem „Klassen-Essentialismus“ schuldig und betreibt auf "zerstörerische" Weise „Kritik in böser Absicht“.

Allerdings verrät der wütende Ton dieser Anklage im Stile McCarthys ein hohes Maß an Angst und Sorge der führenden Kreise der Demokraten über das Anwachsen des sozialen Widerstands. Seine Triebkraft sind die soziale Ungleichheit und die Pandemie-Politik der herrschenden Klasse, die allein in den USA schon weit über eine halbe Million Corona-Opfer gefordert hat. Ocasio-Cortez und die DSA dienen als Schlussstein in der Architektur des kapitalistischen Systems. Sie bieten ein Lehrstück über die reaktionäre Rolle derjenigen, die sich selbst „demokratische Sozialisten“ nennen, aber in Wirklichkeit nicht das geringste mit Sozialismus zu tun haben.

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