Selenskyj schlägt in Paris Verhandlungen zwischen EU, Russland und der Ukraine vor

Inmitten scharfer Spannungen zwischen der von der Nato unterstützten ukrainischen Regierung und Russland traf sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm per Videoschaltung an einem Teil des Treffens teil.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenksyj [Quelle: en.kremlin.ru]

Als Selenskyj in Paris ankam, befanden sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Moskau am Rande des Zusammenbruchs. In Reaktion auf umfangreiche Sanktionen der Biden-Regierung – und nachdem Washington von seinem Vorhaben abgerückt war, zwei Kriegsschiffe an die Schwarzmeerküste zu entsenden – hatte Russland zehn US-Diplomaten ausgewiesen, darunter den Botschafter in Russland John Sullivan. Letzten Monat hatte Russland seinen Botschafter aus den USA zurückberufen, nachdem Biden in einer außergewöhnlichen Äußerung Putin einen „Killer“ genannt hatte. Der Abzug eines Botschafters ist normalerweise der letzte diplomatische Schritt vor dem Ausbruch eines Krieges.

In den letzten Wochen ist der Konflikt erneut entbrannt, der nach dem Putsch in der Ukraine im Februar 2014 begonnen hatte. Damals unterstützten die Nato – darunter vor allem Washington und Berlin – rechtsextreme Kräfte beim Sturz der pro-russischen Regierung in Kiew. Der Putsch führte rasch zu einer Spaltung des Landes entlang sprachlicher Linien: Die russischsprachigen Gebiete im Osten des Landes stellten sich gegen die neue rechtsradikale Regierung. Die Krim stimmte für die Abspaltung von der Ukraine und die Wiederangliederung an Russland, und im Donezbecken in der Ostukraine übernahmen pro-russische Separatisten die Macht.

Die Spannungen haben sich seit Bidens Amtseinführung rapide verschärft. Das Kiewer Regime unterband die Wasserversorgung der Krim und nahm die sogenannte „Krim-Plattform“ an, die eine militärische Rückeroberung des Donezbeckens und der Krim vorsieht, wo sich der zentrale russische Marinestützpunkt in Sewastopol befindet. Die Umsetzung dieser Politik würde unweigerlich einen Krieg mit Russland auslösen. Moskau reagierte darauf, indem es Truppen entlang der russisch-ukrainischen Grenze stationierte und mit der Abriegelung von Teilen des Schwarzen Meeres drohte.

Am Freitagmorgen, vor dem Treffen zwischen Macron und Selenskyj, forderte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Berlin und Paris auf, Kiew zurückzuhalten: „Es wäre sehr wichtig für uns, wenn Herr Macron und Frau Merkel während dieser Videokonferenz mit Selenskyj ihren Einfluss nutzen würden, um ihn auf die Möglichkeit einer endgültigen Einstellung der Provokationen [an der Front in der Ostukraine] hinzuweisen.“

Nach dem Treffen mit Macron machte Selenskyj bei einem „Arbeitsessen“ eine Erklärung, in der er die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew forderte, mit Berlin und Paris als Vermittler: „Ich möchte, dass wir vier daran teilnehmen, um die Sicherheitslage im Osten der Ukraine [zu diskutieren] und die Besetzung unseres Staatsgebiets zu beenden.“

Berlin und Paris veröffentlichten Erklärungen, in denen sie sich im Wesentlichen hinter Selenskyj stellten und Russland scheinheilig die Schuld an dem Konflikt gaben. Das Bundeskanzleramt erklärte: „Sie [die Bundeskanzlerin, Präsident Macron und Präsident Selenskyj] teilten die Sorge über den Aufwuchs russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine sowie auf der illegal annektierten Krim. Sie forderten den Abbau dieser Truppenverstärkungen ein, um so eine Deeskalation der Lage zu erreichen.“

Der Pariser Elysée-Palast erklärte seine Unterstützung für die Souveränität der Ukraine und betonte: „Wolodymyr Selenskyj hat seinerseits einen sehr klaren Wunsch nach Deeskalation geäußert.“ Im Zentrum der Gespräche zwischen Merkel, Macron und Selenskyj habe „die Suche nach einer politischen Lösung der Krise“ gestanden, sowie der „Mittel, Russland an den Verhandlungstisch zurückzubringen“. Weiter hieß es, Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine würden sich treffen, um eine neue Verhandlungsrunde des „Normandie-Formats“ vorzubereiten.

Die Verhandlungen des sogenannten „Normandie-Formats“ begannen im Jahr 2015 vor dem Hintergrund der internationalen Krise, die die Obama-Regierung mit ihrer Drohung provoziert hatte, die Ukraine gegen Russland zu bewaffnen. Merkel und der damalige französische Präsident François Hollande verhandelten in diesem Format mit Vertretern Russlands und der Ukraine, um einen Krieg abzuwenden.

In Reaktion auf den Gipfel dementierte Kreml-Sprecher Peskow am Freitag, dass die russischen Truppenstationierungen eine Drohgebärde seien, und betonte, Moskau strebe eine diplomatische Lösung an: „Russland ist keine Partei in diesem Konflikt. Russland tut sein Bestes, um diesen Konflikt beizulegen. Wir werden immer daran arbeiten, das deutlich zu machen.“

Trotz des allgemein zustimmenden Tonfalls der deutschen und französischen Erklärungen war es mehr oder weniger offensichtlich, dass die Appelle von Präsident Selenskyj nach größerer Unterstützung durch die europäischen Staaten gegen Russland auf taube Ohren gestoßen sind.

Am Donnerstag, einen Tag vor seiner Ankunft in Paris, hatte Selenskyj der rechten französischen Tageszeitung Le Figaro ein ganzseitiges Interview gegeben, in dem er seine Pläne für die Verhandlungen darlegte. Über die weltweiten gefährlichen militärischen Spannungen erklärte er: „Seit Joe Biden an die Macht gekommen ist, lassen alle überall auf der Welt die Muskeln spielen. Ich persönlich möchte nicht, dass dies auf Kosten der Ukraine geschieht.“

Auf dieser Grundlage forderte Selenskyj Frankreich auf, die Aufnahme der Ukraine in die Nato und die EU zu unterstützen, weil das Land die Nato seit dem Putsch 2014 unterstützt hatte: „Unser Land hat große Opfer an Menschenleben gebracht. Wir können nicht ewig im Wartezimmer der EU und der Nato bleiben. ... Es ist Zeit, einen Gang höher zu schalten und uns in die EU und die Nato einzuladen. Wir wollen darum nicht betteln müssen.“

Die Verhandlungen des „Normandie-Formats“ zwischen Berlin, Paris, Moskau und Kiew bezeichnete Selenskyj zudem als gescheitert: „Ich glaube, Emmanuel Macron ist in der Lage, sie am Leben zu erhalten. Aber ehrlich gesagt haben sie einen Herzstillstand erlitten.“

Der Interviewer von Le Figaro wies auf Fragen hin, die das Ausmaß der Unterstützung für Selenskyj in Washington betreffen. Selenskyj musste auf die Frage, ob er nach Bidens Amtseinführung lange auf einen Anruf des US-Präsidenten habe warten müssen – tatsächlich waren es zwei Monate – ausweichend antworten: „Zu lange, meinen Sie? Aber die USA sind ein großes Land. Sie müssen viele Probleme lösen, und ich muss leider sagen, dass die Ukraine nicht ihre höchste Priorität ist.“

Allen Berichten zufolge haben bei den Gesprächen am Freitag weder Paris noch Berlin die Forderungen der Ukraine nach Aufnahme in die EU oder die Nato unterstützt. Macron soll sich geweigert haben, vor dem nächsten Nato-Gipfeltreffen im Juni über die Mitgliedschaft der Ukraine zu diskutieren. Der Juniorminister für Europaangelegenheiten, Clément Beaune, erklärte, die EU-Mitgliedschaft der Ukraine sei unrealistisch: „Wir können die Ukraine unterstützen... Aber das bedeutet nicht, dass sie Mitglied wird. Das ist keine ernsthafte Perspektive.“

Le Figaro kam zu dem Schluss, dass Macron „Selenskyjs Bitte um Hilfe ausgewichen ist“ und wies auf die Panik hin, die in Europas herrschenden Kreisen angesichts der scharfen militärischen und diplomatischen Spannungen mit Russland herrscht: „Die Bedeutung dieses Treffens wurde durch die Ereignisse verstärkt, und das hat in Paris sichtliche Verlegenheit hervorgerufen.“

Eine Sprecherin der deutschen Bundesregierung erklärte: „Die Ukraine hat das Recht der freien Wahl ihrer politischen Bedürfnisse. Allerdings werden weitere Schritte hin zu einer Mitgliedschaft derzeit nicht erwartet.“ Die Süddeutsche Zeitung schrieb, Berlin vollziehe einen Drahtseilakt gegenüber Kiews Ersuchen um Waffen und die Mitgliedschaft in der Nato. Weiter heißt es: „Beides sind Forderungen, die von der Bundesregierung abgelehnt werden. Die Vorstellung, dass die Ukraine mit ungelösten Territorialkonflikten in die Allianz aufgenommen wird und in den Genuss ihrer Beistandsgarantie gelangt, gilt in Berlin als abwegig.“

Letzten Endes liegt die Verantwortung nicht nur bei dem reaktionären Kiewer Regime, sondern auch bei der Nato, die seit Langem eine Politik der militärischen Eskalation in Osteuropa betreibt. In den drei Jahrzehnten seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion 1991 hat sie nach und nach einen Großteil von Osteuropa in die Militärallianz aufgenommen. Ihr Putsch im Jahr 2014 hat bedrohliche rechtsextreme Milizen wie den Rechten Sektor und das Asow-Bataillon an die Grenzen zu Russland gebracht und ihnen in Kiew ein enormes politisches Gewicht verliehen.

Die Verhandlungen des Normandie-Formats konnten in den letzten sechs Jahren den Konflikt nicht lösen, den die Nato ausgelöst hat. Die Unterstützung des europäischen und amerikanischen Imperialismus für ein rechtsradikales Regime in Kiew, das Russland militärisch bedroht, birgt stets die Gefahr eines Kriegs zwischen der Ukraine und Russland, der zu einem umfassenden Krieg zwischen allen Nato-Mächten und Russland eskalieren könnte.

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