WSWS-Interview mit Jorge O’Leary, Führer des Streiks bei Phelps Dodge 1983-86

Am 30. Juni 1983 um Mitternacht traten in den abgelegenen Wüstenstädtchen Ajo, Morenci, Douglas und Clifton im US-Bundesstaat Arizona 3000 Bergarbeiter der Phelps Dodge Corporation in den Streik. Drei Jahre lang kämpften die Streikenden aus 13 Gewerkschaftsortsverbänden gegen ihre zahlreichen Gegner: Phelps Dodge, ein rücksichtsloser Arbeitgeber und seine Schlägertrupps, die Polizei, die Nationalgarde, die Reagan-Regierung, der Gouverneur von Arizona, ein Demokrat, die National Labor Relations Board (staatliche Behörde für Arbeitsbeziehungen), gerichtliche Verfügungen und der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, der den Streik isolierte, um ihn in einer Niederlage für die Arbeiter enden zu lassen. 1986 war der Streik verloren, und Arbeiter, die als Streikbrecher eingesetzt worden waren, stimmten für die Entmachtung der Gewerkschaften.

Die World Socialist Web Site sprach vor Kurzem mit Jorge O’Leary, ein gebürtiger Mexikaner und damals Arzt am firmeneigenen Phelps Dodge Morenci Hospital. O’Leary wurde während des Streiks entlassen, weil er Anweisungen, Streikenden und ihren Familien medizinische Versorgung zu verweigern, nicht befolgte. O’Leary, der heute 80 Jahre alt ist, eröffnete eine Free Clinic, wo streikende Arbeiter kostenlos behandelt wurden. Er wurde zum de facto-Sprecher der streikenden Bergarbeiter. Ein großer Teil der amerikanischen Presse erkannte ihn als populären Führer des Streiks an. O’Leary lebt heute in Tucson, Arizona.

O’Leary spricht zu einer Versammlung (1984)

Während des Streiks arbeitete O’Leary eng mit der Workers League (Vorläuferorganisation der Socialist Equality Party) und ihrer Zeitung Bulletin zusammen. Das Bulletin gab dem Streik politische Führung und lieferte ausführliche Informationen und Analysen über die Strategie, die das Unternehmen, die Bundes- und die bundesstaatliche Regierung verfolgten, um die Bergarbeiter zu besiegen.

Die Workers League führte im ganzen Land und international eine Kampagne für die Ausweitung des Streiks zu einem Generalstreik gegen die Angriffe der Reagan-Regierung und der Demokratischen Partei auf Arbeitsplätze, Löhne, Lebensstandard und Sozialprogramme. Der Streik bei Phelps Dodge fiel zusammen mit einem machtvollen Streik von 15.000 britischen Bergarbeitern von 1984-85, der die Thatcher-Regierung beinahe zu Fall brachte, aber von der Führung der britischen Bergarbeitergewerkschaft NUM und dem Gewerkschaftsdachverband TUC verraten wurde.

Jorge O’Leary heute, 80jährig

Die Workers League begleitete den Kampf der Arbeiter bei Phelps Dodge von Anfang bis Ende, und das Bulletin wurde bei den Streikenden und ihren Unterstützern geschätzt für seine Informationen und politischen Rat. O’Leary arbeitete eng mit dem damaligen nationalen Sekretär der Workers League, David North, zusammen. North reiste regelmäßig nach Südostarizona und die streikenden Arbeiter vertrauten ihm zunehmend als politischem Führer.

North sprach regelmäßig zu Versammlungen von Bergarbeitern und Arbeiterversammlungen im ganzen Land. Er rief zu einem nationalen Streik zur Verteidigung der Arbeiter bei Phelps Dodge auf und zum Widerstand gegen die Versuche der AFL-CIO, den Streik zu isolieren.

PATCO-Führer und Workers League-Mitglied Ron May (rechts, stehend) und David North, nationaler Sekretär der Workers League (sitzend links von ihm) sprechen zu einer Versammlung streikender Bergarbeiter 1984

Die Isolation und Niederlage des Streiks bildeten eine von mehreren entscheidenden Wegmarken bei der Zerstörung der Gewerkschaftsbewegung in den Vereinigten Staaten. 1981 lehnte es die AFL-CIO ab, zur Unterstützung der 11.000 Arbeiter der Fluglotsengewerkschaft PATCO einen Generalstreik auszurufen, so dass Reagan die Massenentlassungen der Fluglotsen und das Verbot der Gewerkschaft durchsetzen konnte. 1985-86 löste die Gewerkschaft United Food and Commercial Workers International Union (UFCW) den Ortsverband P-9 auf, in dem 1.500 kämpferische Arbeiter der Fleischverpackungsindustrie in Austin (Minnesota) organisiert waren. Das führte zur Niederlage ihres Streiks gegen das Unternehmen Hormel. Auf ähnliche Weise wurden auch Kämpfe von Arbeitern der Papierindustrie in International Falls (Minnesota) 1989 und von Grubenarbeitern bei Pittston in Virginia und West Virginia 1989-90 von den Gewerkschaften isoliert, und scheiterten.

Das Bulletin und die Workers League erklärten, dass die herrschende Klasse Rache nahm für die aufstandsähnliche Streikwelle der 1930er Jahre, als Millionen Arbeiter gegen die konservative AFL rebellierten und dem amerikanischen Kapitalismus nennenswerte Zugeständnisse abtrotzten. Die AFL-CIO, die zu einer Strategie des „Korporatismus“ übergegangen war, stellte sich auf die Seite der Unternehmen und begünstigte in den 1980er Jahren Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau.

Das Bulletin warnte, der amerikanische Kapitalismus beabsichtige, „die gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse zu zerstören… Sie planen weit mehr als Lohnsenkungen: Massenarbeitslosigkeit, Zerstörung von Sozialprogrammen wie Social Security und Medicare, die Abschaffung demokratischer Rechte – kurz, die Verarmung der Arbeiterklasse.“

Diese Warnungen haben sich bewahrheitet. In den folgenden Jahrzehnten hat die soziale Ungleichheit dramatisch zugenommen und die Mitgliederzahl der amerikanischen Gewerkschaften im privaten Sektor ist eingebrochen. 1985 besaßen die reichsten zehn Prozent in den USA 63 Prozent des Nationaleinkommens; 2018 waren es bereits 77 Prozent. Der Anteil des obersten 0,1 Prozent am Nationaleinkommen stieg von 7 Prozent 1986 auf 22 Prozent im Jahr 2012. In der Privatwirtschaft fiel die Mitgliedschaft der Gewerkschaften von 26 Prozent der Beschäftigten 1973 auf gerade einmal 6,3 Prozent heute. Die AFL-CIO hat sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Heute sehen Arbeiter die AFL-CIO und ihre Einzelgewerkschaften nicht mehr als Arbeiterorganisationen. Das zeigt sich eindrucksvoll daran, dass die Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU) bei den 5.800 Amazon-Arbeitern in Bessemer (Alabama), die übel ausgebeutet werden, nur 12 Prozent der Stimmen gewinnen konnte.

Eine ganze Generation von Mitgliedern der heutigen Socialist Equality Party hat in diesen Kämpfen eine führende Rolle gespielt, wodurch die Arbeit unserer Bewegung sich stark in den Erfahrungen der Arbeiterklasse verankerte. Die Workers League und das Bulletin spielten in jedem größeren Streik dieser Zeit eine herausragende Rolle und gewannen viele prominente Streikführer als Parteimitglieder. Unter ihnen war auch Ron May, ein PATCO-Fluglotse, den die Reagan-Regierung für seine Teilnahme an dem „illegalen“ Streik ins Gefängnis warf.

Phelps Dodge – 1984 – Lalo Marquez, Jorge O’Leary, David North und Ron May

May schrieb die Einleitung für die Broschüre von David North über den Streik bei Phelps Dodge, „Class war at Phelps Dodge“ (Klassenkrieg bei Phelps Dodge).

„Class war at Phelps Dodge“ fand bei Arbeitern aller Industriezweige starken Absatz. Vierzig Jahre nach dem Streik ist die Broschüre politisch noch immer äußerst wertvoll.

Es ist ein bewegender Bericht über einen Arbeitskampf in Amerika, der dem Leser den Eindruck vermittelt, selbst dabei gewesen zu sein. Doch „Class war at Phelps Dodge“ zeigt außerdem detailliert die Bemühungen der trotzkistischen Bewegung, die Arbeiterklasse politisch gegen die globale soziale Konterrevolution der 1980er Jahre zu mobilisieren – zu einem Zeitpunkt, als das verheerende Ergebnis, das der AFL-CIO zuzuschreiben ist, keineswegs unvermeidbar war.

Im Folgenden das Interview mit Jorge O’Leary, das wir leicht gekürzt wiedergeben.

***

Eric London: Zuerst möchte ich mit dir über den Streik bei Phelps Dodge sprechen, der 1983 begann. Viele unserer Leser sind junge Sozialisten, die damals noch gar nicht geboren waren. Über den Streik wurde damals sogar in der Weltpresse berichtet, weil das Unternehmen und der Staat Arizona mit großer Gewalt auf den Streik reagierten, und auch wegen der Entschlossenheit der Streikenden. Worum ging es bei dem Streik? Wer war daran beteiligt?

Jorge O’Leary: Morenci in Arizona ist eine Werksstadt. Es ist eine Bergbaustadt, und auf der Landkarte taucht sie gar nicht auf. Der Verwaltungssitz des County ist Clifton. Morenci ist auf der Karte nicht verzeichnet, weil es eine Mine ist. Trotzdem ist es eine Bergbaustadt. Sie liegt im östlichen Teil Arizonas nahe der Grenze zu New Mexico.

Im Staat Arizona gibt es mehrere Kupferminen, die alle Mexiko gehörten, als Mexiko diesen Teil des Landes noch unter Besitz hatte. 1854 musste Mexiko 26 Prozent des Staates Arizona verkaufen [im Gadsden Purchase von 1854 nach der US-Invasion Mexikos von 1846-48). Sie bauten die Southwestern Pacific Railroad, denn sie wussten, dass der Staat Arizona große Kupfervorkommen hatte.

Phelps Dodge, so heißt das Bergbauunternehmen, besitzt Schürfrechte an vielen Orten der Welt, auch in Chile, Südafrika, Australien und natürlich in den Vereinigten Staaten, an einigen Orten in Montana sowie hier in Arizona und Texas. 1914 oder 1910, ich erinnere mich nicht genau, gab es eine Bewegung in Douglas, Arizona, der vor allem angloamerikanische und mexikanische Bergarbeiter angehörten. Damals forderte das Unternehmen die Nationalgarde an und ließ die Bergarbeiter, 200-300 Kumpel, in die Wüste New Mexicos bringen, wo man sie ihrem Schicksal überließ. Das war der Anfang der Arbeiterbewegung in den Minen von Arizona. [Die Rede ist von der Bisbee-Deportation. 1917 sperrten Phelps Dodge und die US-Armee 1.300 streikende Bergarbeiter in Konzentrationslager in Arizona und Mexiko ein.]

1946 wurde in Morenci eine Gewerkschaft gegründet, hauptsächlich für Mexikaner, die keinerlei Rechte hatten. Das Bergbauunternehmen war 1886 entstanden, und die ganze Zeit wurden Bergarbeiter aus Mexiko hergebracht, weil es in den USA keine Arbeiter gab, die den Bergbau kannten. Mexiko kannte den Bergbau schon seit 500 Jahren; daher kamen viele aus Süd- und Nordmexiko nach Morenci, um dort zu arbeiten.

Mit den Gewerkschaften kamen einige Veränderungen. Alle drei Jahre schlossen sie einen neuen Vertrag mit dem Unternehmen, und alle drei Jahre gab es einen kleinen Streik. Aber jeder wusste, dass es zu einer Einigung kommen würde. Die Gewerkschaften halfen damals den Arbeitern auf ihre Weise.

1983 las ich in den überregionalen Medien einige Artikel zu Ronald Reagan, der die Gewerkschaften hasste. Newsweek schrieb, dass Phelps Dodge sich auf einen langen Streik einstellte. Ich arbeitete als Arzt bei Phelps Dodge, als ich eine Gewerkschaftsversammlung besuchte, die bis auf den letzten Platz besetzt war. 600-700 Arbeiter waren da, auch die Stahlarbeitergewerkschaft, und ich durfte sprechen. Ich sagte, üblicherweise würde die Gewerkschaft alle drei Jahre einen Streik für bescheidene Forderungen führen, und dann käme es zu einer Einigung. Dieses Mal, sagte ich, sei es etwas anderes. Es würde keine gütliche Einigung geben.

Ich glaube, am 1. Juni 1983 [der Streik begann in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli] traten die Gewerkschaften in den Streik. Wir führten einen langen Kampf gegen das Unternehmen, die Polizei und die Nationalgarde. Dave North kennt die Einzelheiten so gut wie ich. Wir hatten die Unterstützung unserer Frauen für den Streik, die meisten mexikanisch-amerikanische Frauen. Ohne sie hätten wir den Streik nicht so lange durchhalten können. Drei Jahre lang hielten wir den Streik durch. Wir wurden isoliert. Die internationalen Gewerkschaften, sie halfen uns nicht wirklich. 1984 ließen sie am Thanksgiving Day 100 Truthähne springen. Das war ihre „Hilfe“. Unglaublich!

AFL-CIO-Präsident Lane Kirkland, der nur einmal nach Morenci kam und sein Versprechen, die Bergarbeiter zu unterstützen, nicht einlöste.

Die internationalen Gewerkschaften, von Chicago, New York und anderswo, waren nicht besonders interessiert an unserem Streik. Sie wussten, dass das Unternehmen die Gewerkschaft hasst. Nachdem wir alle, Männer und Frauen, viele Kämpfe geführt hatten, erlitten wir eine Niederlage. Die Gewerkschaften einigten sich mit dem Unternehmen, sie erkannten an, dass das Unternehmen sich durchgesetzt hatte. Und das nach drei Jahren Streikpostenstehen, die Arbeiter ließen nie nach, sie waren gut, sie unterstützten den Streik.

Schließlich setzte das Unternehmen Streikbrecher ein, von überall her aus den ganzen Vereinigten Staaten. Sie bezahlten ihnen mehr, als sie ihren Arbeitern vor dem Streik gezahlt hatten. Sie erhöhten ihre Löhne, alles was sie wollten. Die Leute suchten Arbeit, und viele Leute kamen aus Oklahoma, viele Hinterwäldler ehrlich gesagt, und sie wussten nicht mal, wie die Arbeit geht. Doch die Firma konnte die Arbeit wieder aufnehmen, und wir verloren den Streik. Viele Dinge passierten damals. Dave war beinahe vom ersten Tag an da, zusammen mit Larry [Porter], und sie waren uns sehr behilflich. Das Bulletin half uns ununterbrochen mit Informationen, sie taten alles für uns, was in ihrer Macht stand, und ich bin Dave dafür sehr dankbar.

Doppelseite des Bulletin - Polizeiterror gegen die Kupferarbeiter [Foto: David North]

EL: Du hast als Arzt am firmeneigenen Phelps Dodge Hospital gearbeitet, wurdest aber während des Streiks entlassen. Wie kam es dazu?

JO: Ich ging zu den Streikposten, wann immer ich konnte. Ich hatte ein Motorrad, jeder kannte mich und jeder war glücklich, weil der Arzt der Stadt, ein Mexikaner, sie unterstützte. Und dann war ich mittendrin, dann forderte mich das Unternehmen auf, damit aufzuhören. Ich sollte nicht mehr zu den Streikposten gehen und nicht mehr mit den Medien sprechen. Natürlich kam ich dieser Aufforderung nicht nach, und sie entließen mich. Sie übergaben mir das Kündigungsschreiben persönlich. Ich richtete mir in ehemaligen Geschäftsräumen meine Praxis ein. Meistens verlangte ich nichts von den Leuten, wir waren froh, helfen zu können. Ich bereue nicht einen Moment des Streiks.

EL: Vor deiner Entlassung sagte die Firma dir, dass du den streikenden Arbeitern und ihren Kindern keine medizinische Versorgung anbieten dürftest. Kannst du dazu etwas sagen?

JO: Das stimmt. Das Unternehmen verweigerte den Streikenden die medizinische Versorgung. Ich hatte Bereitschaftsdienst in der Notaufnahme, und ein sechs- oder siebenjähriges Kind kam mit 40° Fieber. Ich wollte mich um es kümmern, doch die diensthabende Krankenschwester sagte mir, wir dürften das nicht, weil die Firma die medizinische Versorgung ausgesetzt habe. Ich hatte aber Bereitschaftsdienst, und ich sagte, ich werde Patienten weiterhin behandeln, ob sie Rechte haben oder nicht. Ich bin Arzt und muss Leute behandeln, wenn sie krank sind. So wurde ich am selben Tag oder am nächsten Tag entlassen, weil ich weiterhin Patienten behandelte. Die Firma sagte, das Krankenhaus sei auf dem Gelände der Firma, sie seien Besitzer von Grund und Boden, auf dem ich mich bewege, ihnen gehöre meine Arztpraxis, das Licht, die Elektrizität, das Wasser. Sie meinten, selbst wenn Sie nur auf die Toilette gehen, Dr. O‘Leary, tun Sie das auf Kosten von Phelps Dodge. Und ich sagte, nein, das ist meine Arbeit. Jedenfalls wurde ich entlassen, und ich ging dann nach Clifton und arbeitete dort drei Jahre lang.

EL: Im Kündigungsschreiben vom Grubenmanager John Bolles heißt es, dass du den Streik „durch öffentliche Auftritte und Erklärungen“ unterstützt hast, und „wir wollen Ihr aufrührerisches Verhalten nicht unterstützen, indem wir sie weiterhin beschäftigen.“ Warum hat sich die Firma so vor dir gefürchtet?

JO: Vor allem, weil ich wusste, dass Reagan gegen Gewerkschaften war und sie diesen Streik nicht friedlich beilegen wollten. Und ich sagte auch, ohne die Arbeiter können die Gruben nicht arbeiten. Es gefiel ihnen nicht, was ich sagte, also entließen sie mich. Sie wussten auch, dass es gesetzwidrig war, dass ich Patienten nicht mehr behandeln durfte, also konnten sie darüber nicht sprechen.

EL: Kannst du uns mehr über die Rolle der Demokratischen Partei in diesem Streik berichten? Es war die Zeit, als der Gewerkschaftsfeind Ronald Reagan Präsident war, aber der Bundesstaat Arizona hatte einen demokratischen Gouverneur, Bruce Babbitt, stimmt‘s? Wie nannten ihn die Streikenden?

JO: Scabbitt! [Scab = Streikbrecher]. Er hieß Babbitt, aber wir nannten ihn Scabbitt. Der Gouverneur meinte, wir müssten uns ans Gesetz halten, und es gab diese gerichtliche Verfügung. Der Richter sagte, es dürften höchstens zehn Leute Streikposten stehen, d. h. er war von vornherein parteilich. Man hat nicht wirklich eine Streikpostenkette, wenn man die Streikbrecher durchlässt. So verliert man den Streik. Wir hielten unsere Streikposten bis zur Verfügung dieses Richters aufrecht. Dann bildeten wir die Streikpostenkette in Clifton, um die Streikbrecher am Zutritt zur Grube zu hindern.

Die Polizei bereitet sich darauf vor, eine friedliche Demonstration von Kupferarbeitern anzugreifen, 30. Juni 1984 (Foto: David North)

Um zur Grube zu kommen, muss man durch Clifton. Und die Leute in Clifton waren auch Arbeiter, Bergarbeiter. Also bildeten wir die Streikpostenkette dort, und uns gegenüber standen die Streikbrecher und die Polizei. Die Streikbrecher konnten nicht durchkommen, bis die Nationalgarde einschritt. Wir wandten keine Gewalt an. Wir waren lautstark, ausfallend, beschimpften die Streikbrecher. Dann fingen sie an, vor dem Ortseingang von Clifton eine neue Straße zu bauen. Sie fuhren großes Gerät auf und bauten vor Clifton eine Straße, um über diese Nebenstraße hereinzukommen.

Sie schickten Soldaten, Panzer, riesige Lastwagen, Hubschrauber und Flugzeuge. Es war eine Revolution – sie flößten uns wirklich Angst ein. Als wir Streikposten bezogen, schritten die Nationalgarde und die Polizei ein. Sie verjagten uns und prügelten auf uns ein. Es war wirklich ein trauriger Anblick.

Weitere Polizeikräfte bereiten einen Angriff auf Demonstration von Kupferarbeitern vor, 30. Juni 1984 (Foto: David North)

Es gibt ein Bild, wo ein Mann nackt vor den Soldaten und der Polizei steht und seine Hände ausbreitet wie am Kreuz, womit er sagen will: „Wir sind friedlich.“ Und als viele der überregionalen Zeitungen nach Clifton kamen, gab es auch einige darunter, die freundlich waren. Aber einige vergifteten unser Denken. Die lokale Zeitung beispielsweise gehörte der Firma. Wirklich geholfen hat hier nur Dave.

EL: Wann begann deine Zusammenarbeit mit dem Bulletin und Dave?

JO: Unsere Zusammenarbeit war immer gut. Er war willkommen bei uns und kam zum Essen oder übernachtete bei uns mehrere Male. Alle Genossen kamen und wir hatten die ganze Zeit über eine gute Beziehung. Wir spürten seine intelligente Unterstützung, und er ist wirklich sehr intelligent. Ich bewundere ihn sehr.

EL: Wie habt ihr während des Streiks zusammengearbeitet?

JO: Dave führte Interviews mit Arbeitern und schrieb Artikel über den Streik. Zum Beispiel erfuhr er, dass Sumitomo, eine japanische Firma, Interesse an einem Kauf von Phelps Dodge hatte, und er schrieb einen Artikel über Sumitomo, dass sie im Krieg gegen die USA U-Boote gebaut hatten und jetzt mit den Einkünften aus dem Krieg Produkte herstellten und verkauften. Er half mir mit seinen Informationen und seinem Rat, die Situation einzuschätzen. Ich hatte zwar schon einige Erfahrungen aus meiner Zeit als Student in Mexiko, aber zum Führer des Streiks wurde ich durch seine Hilfe.

EL: Wie sah die Beziehung zwischen den Arbeitern und dem Bulletin und der Workers League aus?

JO: Die Streikenden sahen in Dave einen Freund, auf eine besondere Weise. Viele der Arbeiter waren Katholiken und glaubten, dass Sozialisten Atheisten sind. Die meisten waren katholisch eingestellt. Greenlee County (wo Morenci liegt) hat die höchste Anzahl von Soldaten im Land (pro Kopf). Nicht North Carolina oder South Carolina, sondern Greenlee County. Jeder, der von der High School abging, ging zur Armee, 90 Prozent von ihnen. Sie sind so gesehen konservativ, und du weißt, dass die nationale Presse sagt, dass Russland und die Kommunisten nicht an Gott glauben, und ähnliche Dinge.

Titelseite des Bulletin vom 3. Juli 1984: Polizei attackiert Bergarbeiter in Arizona

Die Arbeiter waren also zuerst einmal sehr zurückhaltend. Sie waren freundlich zu Dave und wussten, dass er Recht hatte. Etliche von ihnen dankten dem Bulletin für die Hilfe und Orientierung und für die Informationen über Phelps Dodge selbst. Da gab es vieles, was sie selbst nicht wussten, auch ich nicht. Sie wussten, dass er Recht hatte. Sie wussten, wie der Streik lief, und dass die Gewerkschaften nicht wirklich hilfreich waren, dass sie unseren Streik verrieten. Das taten sie auch tatsächlich, denn zur gleichen Zeit kam es auch zu Streiks in New Mexico und El Paso in Texas, und sie erzielten in beiden Fällen einen Abschluss. Sie verrieten Morenci, denn die Mine hier war die größere. Wir wurden isoliert, und es war leichter für die Firma, mit dem Gouverneur und dem Geld im Rücken uns in die Knie zu zwingen.

EL: Einmal luden dich die Gewerkschaftsführer an die Ostküste ein. Was fand da statt?

JO: Ich fuhr zusammen mit Angel Rodriguez nach Lebanon im Bundesstaat New Jersey. Er war Präsident der Stahlarbeitergewerkschaft. Die Gewerkschaftsführer sagten mir, es sehe nicht so gut aus mit dem Streik, im ganzen Land gebe es 358 Streiks, und wir sollten nicht glauben, dass unser Streik der wichtigste sei. Aber genau so war es, denn wir waren 1.500 Bergarbeiter, und sie versuchten, die Situation zu beruhigen. Ich sagte, warum habt ihr denn drei Jahre lang verhandelt, bis unser Streik verloren war? Sie sagten, nun, wir können nicht alle Streiks gewinnen. Wir gewinnen die meisten, sagten sie – ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht –, aber wir gewinnen nicht alle. Und, sie sagten, „der Streik bei Phelps Dodge war ein Teilerfolg, denn wir haben ja in New Mexico und in Texas eine Übereinkunft erzielt“, und „ihr wart eben die Verlierer.“ Sie gaben der Stahlarbeitergewerkschaft etwas Geld, und sie boten mir Geld an. Ich sagte, schickt es an den Streikfonds; es anzunehmen, wäre Verrat an meinen Brüdern.

Sie versuchten mich zu kaufen, weil sie wohl glaubten, ich könnte ein Problem für sie werden. Dass ich mit den nationalen Medien reden könnte. Ich weiß nicht warum, aber einige Gewerkschaften wollten, dass ich Gouverneur von Arizona werde. Ich kenne mich mit Geldangelegenheiten nicht so gut aus, also sagte ich, vergesst es. Die Jungs dort im Norden, die Bosse der Gewerkschaften, als ich zu diesem Hotel in Lebanon kam, das war ein Luxushotel. Viele Autos kamen dort an, die wollten alle mit mir und Angel sprechen, sie wollten mich dort haben. Sie kamen alle in Cadillacs. Ich stand draußen und wartete auf sie, alle kamen in Limousinen und Cadillacs, wie in Der Pate.

Sie sagten uns, der Streik sei vorbei, und sie würden versuchen, einigen Leuten hier und dort einen Job zu verschaffen. Sie boten mir eine Führungsposition an der Universität von New Mexico an, einen Vertrag über zwei Jahre. Ich sagte, „Ich eigne mich nicht als Medizinischer Direktor für die Abteilung Allgemeinmedizin.“ Vielleicht hätte ich das gekonnt, aber es gibt andere Ärzte, die das besser können. Deshalb lehnte ich ab. Ich entschied, weiterhin als Arzt zu arbeiten. Sie boten mir Geld an.

Sie boten mir 175.000 Dollar (nach heutigem Wert 417.000 Dollar) an, wenn ich den Streik ausverkaufen würde. Ich lehnte ab und sagte, schickt das Geld an den Streikfonds. Das taten sie natürlich nicht. Zum Vergessen!

EL: Das ist eine bemerkenswerte Geschichte. Kannst du noch mehr darüber berichten, wie der AFL-CIO euren Streik isolierte?

JO: Nun, ich dachte, sie hätten auf nationaler Ebene größeren Druck ausüben können. Ich schrieb einen Artikel, der sich für einen landesweiten Streik aussprach, denn sonst würden die Gewerkschaften einfach verschwinden. Ich sagte, die Gewerkschaften würden verschwinden, wenn wir diesen Streik verlieren, und alle sollten in den Streik treten, und ganz Arizona sollte streiken. Sie (die Führer der Gewerkschaften im Land) sagten zu mir, das wäre unmöglich, weil wir damit gegen das Gesetz verstoßen würden. Darauf antwortete ich, „Sie brechen doch bereits das Gesetz!“

Larry Gonzalez, ein streikender Arbeiter, von Polizisten und Streikbrechern geschlagen

Sie sagten, wir sind an die Tarifverträge gebunden, wir können keinen landesweiten Streik führen. Und sie wollten das auch nicht. Der Gouverneur wollte Präsident der Vereinigten Staaten werden, und die Presse wollte meine Meinung dazu wissen. Ich sagte, er wird nie Präsident werden, weil er die Arbeiterklasse verraten hat. Er hat die Arbeiter in Clifton und Morenci verraten, und wenn die Gewerkschaften einen unterstützen, der den Streik ausverkauft, dann wäre das eine Schande für die Gewerkschaften.

EL: Kannst du uns etwas über deinen persönlichen und politischen Hintergrund sagen? Du bist 1940 in Nogales in Mexiko geboren, als Lázaro Cárdenas Präsident von Mexiko war, und Leo Trotzki in Coyoacán bei Mexiko-Stadt im Exil lebte. Später hast du dein Studium an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) abgeschlossen. Warst du politisch aktiv in Mexiko?

JO: Lázaro Cárdenas war sehr mächtig, er war Präsident von 1934-1940. Er war sehr populär in Mexiko, der populärste Präsident nach Benito Juárez [Präsident von Mexiko von 1858-72]. Während der Invasion in der Schweinebucht hatten wir Studenten eine Versammlung auf dem Zócalo, dem zentralen Platz in Mexiko-Stadt. Ich war in einer Gruppe, die sich „Brasilien 9“ nannte. Es war eine sozialistische Gruppe, aber wir waren nur etwa 20 Leute, und wir wussten nicht, wer unser Boss war. Wenn die Polizei uns zusammenschlagen würde, hätten wir keine Informationen preisgeben können. Wir arbeiteten in „Zellen.“

Ich war in dieser Gruppe, hatte sozialistische Vorstellungen, weil Präsident Cárdenas ein sozialistischer Präsident war, und ich ihn sehr mag. Und ich begegnete ihm bei dieser Versammlung auf dem Zócalo. Bei diesem Treffen stand ich neben ihm, und es waren 150.000-300.000 Leute dort. Ich war neben ihm. Ich sagte dem Präsidenten, wir sind auf Ihrer Seite, Sie sind unser Held. Als er versuchte, ins Mikrofon zu sprechen, wurde der Strom abgestellt.

Trotzdem sprach er. Und jeder hörte zu. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn 150.000 oder 300.000 Leute zusammen sind und es herrscht völlige Ruhe? Wir waren still, weil er sprach. Das ist die Wahrheit. Ich sprach mit ihm, es war während der Invasion in der Schweinebucht, und wir boten an, nach Kuba zu gehen. Wir sollten den Zug nach Yucatán nehmen und den Kanal überqueren, um dann Fidel zu unterstützen. Doch der Zug wurde angehalten. Wir waren lauter Studenten … Wir hatten die Freiheit, nach Kuba zu gehen – bis jemand wohl einen General benachrichtigte. Wir waren 100 Leute im Zug, und der Zug wurde angehalten. Wir sagten „Wir unterstützen unseren Präsidenten Lázaro Cárdenas“. Das gefiel ihnen nicht, dass wir ihn den Präsidenten nannten. Aber für uns war er immer noch unser Präsident. [Cárdenas war seit 1940 nicht mehr Präsident. Zur Zeit der Invasion in der Schweinebucht 1961 war Adolfo López Mateos Präsident von Mexiko.]

… Càrdenas ließ uns wissen, dass wir zurückkehren sollten, weil wir sonst in Mérida eingesperrt werden würden, und dass die Armee uns nicht passieren lassen würde, weil es uns Probleme mit den Vereinigten Staaten bescheren würde. Dann kehrten wir nach Mexiko-Stadt zurück.

EL: Wie siehst du heute die Erfahrung des Streiks, fast 40 Jahre danach?

JO: Ich bin froh, dass meine Frau den Streik unterstützt hat. Sie hat mich sehr stark unterstützt und sie ist eine gebildete Person. Sie ist Anthropologin. Ich war sehr glücklich über Daves Hilfe.

Jorge und Anna O’Leary 1984

EL: Möchtest du den jungen Mitgliedern der Socialist Equality Party von heute noch etwas sagen?

JO: Das Bulletin, durch Dave North, gab uns viele wertvolle Information, die uns nützten, nicht dem Gouverneur oder der Firma. Dave war ehrlich, und wir vertrauen ihm. Ich sagte Dave, dass ich mit einigen seiner politischen Ansichten nicht übereinstimme, aber dass wir grundsätzlich für die Arbeiterklasse sind. Und dass ich ihm glaube, was immer er sagt. Wenn er mir etwas sagt, werde ich sagen, „das stimmt“.

Man sollte euch sprechen lassen, wo immer ihr seid. Sagt den Arbeitern die Wahrheit, dass wir dafür eintreten, dass die Arbeiter keine Bittsteller für ein besseres Leben sind. Sie haben ein Recht auf ein gutes Leben, darauf, die Menschheit zu verbessern. Und diesen Typen Trump, wir haben ihn gehasst, er ist ein Nazi.

Jede Revolution oder soziale Veränderung bringt auch Gefahren mit sich. Die Polizei schikanierte mich. Ein Polizist, ein Vietnam-Veteran, sagte: „Du verdammter Arzt, wir kriegen dich schon noch. Wir knallen die Leute einfach ab, wir kümmern uns nicht drum, wer es ist.“

Ich bin 80 Jahre alt, und immer noch für die Revolution, aber ich bin nur noch zu Hause, ich habe Arthritis. Ich werde nicht mehr allzu lange leben, aber meine Ansichten habe ich nicht geändert. Ich tue viel weniger, als ich gerne tun würde, und ich bedaure, dass wir den Streik verloren haben, aber wir haben die Leute nie verraten. Wir haben Seite an Seite mit den Arbeitern gekämpft. Ich kann heute stolz meinen Kindern davon erzählen. Als meine Tochter auf die Universität ging, wurde sie einmal aufgerufen. Der Professor sagte, „Ist ihr Vater nicht Dr. O‘Leary?“ Sie antwortete „Ja“, und alle 200-300 Studenten standen auf und applaudierten. Darüber freue ich mich.

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