Flugzeugcrew verhindert Abschiebung von Roma-Familie aus Northeim in den Kosovo

Am 8. April fand der internationale Tag der Roma statt, der auf die Situation der Roma, vor allem deren Diskriminierung und Verfolgung, aufmerksam macht. Auch in Deutschland werden Roma immer wieder Opfer von brutalen Abschiebungen. Mitte März scheiterte die Abschiebung einer Roma-Familie – die einen Großteils ihres Lebens in Deutschland verbracht hat – nur an der Weigerung der Flugzeugcrew, die Abschiebung durchzuführen.

Die Familie Toska lebt seit 20 Jahren in Northeim in Niedersachsen. Wie die Hessische Niedersächsische Allgemeine berichtet, leben die vier minderjährigen Kinder im Alter von acht bis 17 Jahren, die mit ihrer Mutter abgeschoben werden sollten, seit ihrer Geburt ausschließlich in Deutschland.

Ein weiterer, mittlerweile volljähriger Sohn der Familie wurde bei der Flucht der Eltern in Italien geboren. Gegen ihn läuft parallel auch ein Abschiebeverfahren. Die Ausländerbehörde forderte ihn auf, nach Italien zu fahren, um seine Geburt mit der Abholung einer Kopie seiner Geburtsurkunde zu beweisen. Er lehnte das jedoch mit der Begründung ab, dass er so eine Reise nur antreten könne, wenn sie ihm finanziert und ihm die Wiedereinreise garantiert werde.

Bereits ein halbes Jahr zuvor war der Vater der Kinder durch einen SEK-Einsatz in den Kosovo abgeschoben worden. Die Mutter selbst stammt gar nicht aus dem Kosovo, sondern aus Slowenien, und hat damit genauso wenig Bezugspunkte zu dem Land, in das sie abgeschoben werden soll, wie die in Deutschland geborenen Kinder.

Für den Abschiebeversuch hatte sich die Polizei nachts gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft – unter anderem wurden Fenster der Terrassentür eingeschlagen und die Eingangstür zerstört – und die Familie dann in einem Kleinbus zum Flughafen verfrachtet. Auf Grund der traumatischen Erfahrungen wurden die Mutter – für ein paar Tage – und eines der Kinder – dauerhaft – in die Psychiatrie eingewiesen.

Nach dem gescheiterten Abschiebeversuch wurden der Familie die Leistungen gekürzt und die Mutter aufgefordert, mit allen Kindern in der Ausländerbehörde zu erscheinen. Angeblich sollte damit überprüft werden, ob noch alle Familienmitglieder vor Ort sind. Die Familie befürchtet jedoch, dass dies lediglich ein Vorwand ist, um eine erneute gemeinsame Abschiebung vorzubereiten.

Einen Kompromissvorschlag der Familie, dass die Mutter innerhalb einer halben Stunde erst mit zwei, dann mit den übrigen Kindern erscheinen werde, lehnte das Amt ab. Aus Angst vor einem erneuten Abschiebeversuch schlafen manche der Kinder aktuell bei Verwandten, damit nicht die gesamte Familie zusammen abgeschoben werden kann.

Der Kosovo und weitere Westbalkanstaaten wurden von Deutschland 2015 als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft, um Abschiebungen dorthin noch einfacher und rascher durchzuführen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Bundesregierung, ist die Lage dort jedoch keineswegs sicher.

Seit dem NATO-Bombardement Jugoslawiens 1999, bei dem Deutschland unter der SPD und den Grünen eine führende Rolle spielte, trug die Bundesrepublik maßgeblich zur Destabilisierung der Region bei. Während der jahrelangen Besetzung des Kosovo waren deutsche Politiker in leitenden Positionen daran beteiligt, Kommandeure und Kämpfer der berüchtigten UÇK („Befreiungsarmee des Kosovo“) an die Macht zu bringen. Unter deren Herrschaft wurden nicht nur ethnische Minderheiten verfolgt, sondern es haben sich auch besonders korrupte und ungleiche soziale Verhältnisse herausgebildet.

2020 lag die offizielle Arbeitslosigkeit im Kosovo bei fast 25 Prozent, unter Jugendlichen sogar bei fast 47 Prozent. Die tatsächlichen Zahlen dürften sogar noch höher liegen. Der durchschnittliche Nettolohn liegt laut kosovarischem Statistikamt zwischen 400 und 500 Euro pro Monat.

Hinzu kommt die katastrophale Corona-Situation im Kosovo. Das Auswärtige Amt hat den Kosovo als Hochinzidenzgebiet eingestuft. In dem kleinen Land mit nicht mal zwei Millionen Einwohnern gab es schon mehr als 100.000 Infektionen und mehr als 2000 Todesfälle. Auch hier dürften die Zahlen in Wirklichkeit noch höher liegen.

Verschärft wird die Lage durch die unzureichende Gesundheitsversorgung, die größtenteils nur wohlhabenderen Schichten zugänglich ist. Laut dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ist nur in acht Prozent der Haushalte mindestens eine Person krankenversichert.

Gerade für Roma ist die Lage im Kosovo alles andere als sicher. Ein Großteil von ihnen wurde schon 1999 durch die NATO-Intervention zur Flucht gezwungen. Der Zentralrat der Sinti und Roma schrieb dazu 2015: „An die 100 Siedlungen wurden zerstört und viele Roma wurden ermordet. Bis heute herrscht Straflosigkeit im Kosovo, wenn es um Verbrechen an Roma geht.“

Laut dem Roma Center – eine migrantische Selbstorganisation, die sich für die gesellschaftliche Teilhabe von Roma einsetzt – erwarten Roma im Kosovo massive soziale Ausgrenzung und ethnische Verfolgung. „Übergriffe durch Polizei und albanische Nationalisten_innen, systematische Benachteiligung durch die Behörden, fehlende Gesundheits- und Sozialversorgung bestimmen ihr Leben dort“, schreibt das Roma Center auf seiner Webseite. Trotzdem erkennt Deutschland Sinti und Roma nicht als politisch Verfolgte an.

Auch vom regulären Arbeitsmarkt werden Roma im Kosovo ausgeschlossen. Ihre Arbeitslosenquote liegt laut Roma Center bei über 90 Prozent. Wie auch die Familie Toska, leben die meisten Roma, die aus Deutschland abgeschoben werden sollen, schon einen Großteil ihres Lebens in Deutschland und haben im Balkan keine Existenzgrundlage.

Die Verhinderung der Abschiebung durch die Flugzeugcrew steht beispielhaft für die enorme Opposition der Arbeiterklasse gegen die rechte Flüchtlingspolitik. Allein 2018 scheiterten 506 Abschiebung am Widerstand von Piloten. Das sind im Schnitt fast 1,5 pro Tag.

Dem gegenüber steht die rechte Politik aller Bundestagsparteien. Von Linkspartei bis Union setzen sie überall dort, wo sie an der Regierung beteiligt sind, das rechtsextreme Programm der AfD in die Tat um und führen brutale Abschiebungen durch.

Besonders aggressiv ist dabei das Vorgehen der nominell linken Parteien. Im März verwies der Berliner Flüchtlingsrat darauf, dass im Unterschied zu allen anderen Bundesländern der rot-rot-grüne Berliner Senat die Abschiebungen trotz Corona in vollem Umfang fortgeführt hat und im vergangenen Jahr für fast zehn Prozent aller Abschiebungen bundesweit verantwortlich war.

Im August berichtete die WSWS von mehr als 200 Menschen – überwiegend Roma – die am 15. Juli von der Berliner Landesregierung nach Moldawien abgeschoben wurden, obwohl das Land stark coronabelastet ist.

Am 30. Juli 2020 fand eine weitere Abschiebung statt, von der zahlreiche Familien mit kleinen Kindern, Kranke (unter anderem eine krebskranke Frau) und Behinderte betroffen waren. Der Flüchtlingsrat erklärte damals in seiner Presseerklärung, dass, „die Abschiebung nach Moldawien in alleiniger Verantwortung des rot-rot-grünen Senats geplant und durchgeführt“ wurde.

Auch das 2012 eingeweihte Roma-Denkmal in Berlin ist nicht vor den Angriffen des Senats sicher. Das über Jahrzehnte hinweg erkämpfte Denkmal – das für Sinti und Roma eine symbolische Grabanlage für die vielen Ermordeten ist, die nie ein Grab hatten – soll für den Bau einer S-Bahn Linie möglicherweise zerstört werden. An den Verhandlungen dazu waren auch die Vizepräsidentinnen des Bundestages Petra Pau (Linke) und Claudia Roth (Grüne) beteiligt.

Genauso rücksichtslos ist das Vorgehen der von der Linkspartei geführten Landesregierung in Thüringen. Allein 2020 wurden 143 Personen abgeschoben, darunter ein Vater aus Gera, der durch die Abschiebung von seinen drei Kindern getrennt wurde.

Im März 2020 verteidigte die rot-rot-grüne Landesregierung das brutale Vorgehen der Polizei in Suhl, die mit Panzerwagen, Wasserwerfern und zwei Hundertschaften gegen mehrere Flüchtlinge vorging. Diese hatten gegen die kollektive Lagerhaft von 533 Asylsuchenden protestiert, nachdem einer von ihnen positiv auf Covid-19 getestet worden war.

Angesichts der tiefen Krise des kapitalistischen Systems knüpft die herrschende Klasse wieder an ihre faschistische Tradition an, die schon einmal für den Tod von bis zu 500.000 Sinti und Roma verantwortlich war. Die brutalen Deportationen treffen zwar zunächst Sinti und Roma sowie andere Flüchtlinge, richten sich im Kern aber gegen die gesamte Arbeiterklasse.

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