Öffentliches Fernsehen in Dänemark enthüllt NSA-Überwachung von hohen EU-Vertretern

Am Montagabend protestierten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron gegen die Überwachung von Spitzenpolitikern durch die amerikanische National Security Agency (NSA). Laut jüngster Enthüllungen unterstützte der dänische Geheimdienst die NSA dabei, deutsche, französische, norwegische und schwedische Regierungsvertreter elektronisch zu überwachen. Unter den Betroffenen befanden sich Merkel selbst, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

Bereits vor acht Jahren, 2013, hat der NSA-Whistleblower Edward Snowden aufgedeckt, dass die NSA weltweit die Bevölkerung überwacht und ihre Daten sammelt. Seither gingen Enthüllungen über die Massenüberwachung der Nato-Geheimdienste Hand in Hand mit verschärfter Überwachung und Zensur des Internets und der sozialen Medien. Jetzt wurde bekannt, dass hohe europäische Regierungsvertreter auch Jahre nach Snowdens Enthüllungen ausspioniert wurden, obwohl die USA ihnen das Gegenteil versichert haben. Diese Tatsache zeigt, dass niemand vor der massiven elektronischen Rasterfahndung sicher ist.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (AP Photo/Francois Mori)

Snowden, der jetzt im Exil in Russland lebt, schrieb auf Twitter: „Es sollte explizit gefordert werden, dass nicht nur Dänemark, sondern auch sein Seniorpartner, vollständig öffentlich Rechenschaft ablegen.“ Mit Bezug auf Bidens bevorstehende Europareise vom 11. bis 13. Juni verwies Snowden auf dessen Vorgeschichte als Obamas Vizepräsident bei der damaligen NSA-Überwachung: „Wenn Biden in Kürze Europa besucht, ist er gut auf Fragen vorbereitet. Schließlich war er beim ersten Mal tief in diesen Skandal verwickelt.“

Das dänische öffentliche Fernsehen (DR) brachte am Sonntagabend einen umfassenden Bericht, in dem es unter Berufung auf anonyme offizielle Quellen enthüllte, dass die NSA mit dem dänischen Geheimdienstapparat europäische Politiker ausspioniert. Dieser Bericht ist das Ergebnis der Zusammenarbeit auf höchster Ebene zwischen führenden europäischen Medien und wurde mit der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und dem WDR, der französischen Zeitung Le Monde, dem schwedischen öffentlichen Rundfunk SVT und dem norwegischen öffentlichen Rundfunk NRK geteilt.

Die Operation mit dem Codenamen „Dunhammer“ beinhaltete eine Zusammenarbeit zwischen der NSA und dem dänischen Militärgeheimdienst (Forsvarets Efterretningstjeneste, FE). Dieser übergab der NSA Internettraffic-Daten zur Durchsuchung, die durch Dänemark geleitet wurden. Der FE begann im Jahr 2015 jedoch seine eigene interne Untersuchung des Programms. Der DR erklärte dazu: „Die Untersuchung wurde durch vier Hacker und Geheimdienstanalysten durchgeführt, die die amerikanisch-dänische Zusammenarbeit unter großer Geheimhaltung prüften, damit die NSA nichts von der Untersuchung des FE erfährt.“

Sie fanden heraus, dass die NSA diese Daten durchforstet und dabei Telefonnummern und andere persönliche Daten vieler hoher europäischer Regierungsvertreter benutzte. Eine dänische Quelle erklärte gegenüber DR, die NSA wisse „alles, was sie mit ihren Telefonen getan haben. Es lässt sich unmöglich leugnen, dass es sich um eine gezielte Spionageoperation handelte.“ Eine andere Quelle erklärte: „Diese Affäre entwickelt sich zum größten Geheimdienstskandal in der Geschichte Dänemarks.“

Aufgrund seiner strategischen Lage zwischen Großbritannien, dem europäischen Festland, Skandinavien und Russland ist Dänemark von entscheidender Bedeutung bei der Überwachung der Kommunikation zwischen der EU und Russland. Ein weiterer dänischer Vertreter erklärte gegenüber DR, die Zusammenarbeit mit den USA in diesem Punkt sei „von strategischer Bedeutung für die Beziehungen zwischen Dänemark und den USA“. Deshalb haben Vertreter der FE auch nach dem formellen Ende der „Operation Dunhammer“ im Jahr 2015 die Überwachung durch die NSA weiterhin unterstützt.

Im Jahr 2018 wurde der dänischen Geheimdienst-Aufsichtsbehörde (TET) jedoch ein Bericht des FE über „Operation Dunhammer“ aus dem Jahr 2015 zugespielt, woraufhin sie den Bericht untersuchte.

Letzten August wurden mehrere hohe Beamte des FE ohne Angabe von Gründen entlassen. Thomas Ahrenkiel, der den FE während der „Operation Dunhammer“ leitete, wurde als dänischer Botschafter aus Deutschland abberufen, sein Nachfolger Lars Findsen wurde entlassen, weil er der Regierung Informationen über die Tätigkeiten des FE vorenthalten hatte. Bezeichnenderweise ereignete sich diese Massenentlassung kurz nachdem Verteidigungsministerin Tine Bramsen den Bericht über „Operation Dunhammer“ erhalten hatte. DR zitierte auch eine Pressemitteilung der TET, aus der hervorging, dass die „operativen Tätigkeiten des FE gegen dänische Gesetze verstoßen haben“.

Diese Ereignisse entlarven einmal mehr, wie umfassend die Online-Überwachung der Nato-Geheimdienste ist und dass sie sich vor allem gegen die Arbeiterklasse richtet. Während die NSA zweifellos die meisten Mittel und die größte Infrastruktur für die elektronische Überwachung eingesetzt hat, haben Snowdens mutige Enthüllungen auch dazu beigetragen, die elektronische Massenüberwachung in Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten aufzudecken.

Zudem belegen NSA-Dokumente, die Snowden 2013 enthüllt hat, dass die NSA bereits zu diesem Zeitpunkt fünf ähnliche Partnerschaften wie die jetzige mit Dänemark unterhielt.

Kurz nach Snowdens Enthüllungen stellte die World Socialist Web Site die Sympathie der Massen für ihn der generellen Feindseligkeit der kapitalistischen Regierungen gegenüber und schrieb:

Snowdens Taten sind von Arbeitern und Jugendlichen in den USA und anderswo mit Dankbarkeit und Wohlwollen aufgenommen werden. Anders sieht das bei ihren Regierungen aus. Sie alle beugen sich dem Druck aus Washington. Wie die amerikanische Regierung vertreten sie die Interessen ihrer reichen herrschenden Klassen, während gleichzeitig die soziale Ungleichheit ständig zunimmt, und sie, wie Washington, fürchten, dass die Verschwörung gegen ihre eigene Bevölkerung ans Tageslicht gebracht wird.

Die WSWS fügte hinzu, die EU-Staaten, die Snowden das Asyl verweigerten, seien zweifellos besorgt, dass „vertrauliches Material in seinem Besitz sie selbst als in ähnliche Verbrechen verwickelt zeigen würde“.

Diese Analyse wurde von den Ereignissen vollauf bestätigt und zeigt sich auch in der verhaltenen anfänglichen Reaktion der EU-Mächte auf die Enthüllungen aus Dänemark in dieser Woche. Berlin veröffentlichte am Montagmorgen eine Stellungnahme, laut der es sich in Kontakt mit allen nationalen und internationalen Partnern befinde, um Klarheit zu bekommen. Der Elysee-Palast in Paris weigerte sich gegenüber Le Monde, einen Kommentar abzugeben und schickte stattdessen den Juniorminister für Europaangelegenheiten Clement Beaune zu einem Interview mit France-Info.

Snowden hatte aufgedeckt, dass die USA ihre „Verbündeten“ in der EU, darunter Merkel, überwacht hat, was Obama im Januar 2014 dazu zwang, gegenüber Vertretern der EU leere Versprechen abzugeben, dass diese Überwachung eingestellt wird. Laut Beaune war jedoch unklar, ob Washington die EU weiterhin ausspioniert hat: „Es ist sehr ernst, wir müssen wissen, ob unsere Partner in der EU und Dänemark Fehler in ihrer Kooperation mit den US-Behörden begangen haben.“ Er forderte die Bestätigung der „Korrektheit des Berichts“ und fügte hinzu: „Und wir sollten feststellen, ob von der amerikanischen Seite Abhör- oder Spionageaktionen gegen politische Persönlichkeiten geführt wurden.“

Merkel und Macron diskutierten das Thema am Montagabend während eines Gipfeltreffens, bei dem es um die militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland im Krieg in Mali und um Pläne für neue gemeinsame Kampfflugzeuge und Panzer ging. Macron erklärte: „Das ist unter Verbündeten nicht akzeptabel, und noch weniger zwischen Verbündeten und europäischen Partnern. Wir haben unsere dänischen und amerikanischen Partner angewiesen, uns alle Informationen über diese Enthüllungen und die früheren Fakten zur Verfügung zu stellen. Wir warten noch auf Antworten.“

Merkel erklärte, sie könne Macrons Äußerungen nur zustimmen und fügte hinzu, die Kritik der dänischen Regierung an der Überwachung durch die NSA beruhige sie. Sie erklärte, abgesehen von der Feststellung des Sachverhalts sei dies ein guter Ausgangspunkt, um Beziehungen aufzubauen, die tatsächlich auf gegenseitigem Vertrauen basieren.

Tatsächlich verdeutlichen diese Enthüllungen wieder einmal die unlösbaren Konflikte innerhalb der Nato. Sie zeigten sich bereits in Trumps früheren Drohungen mit Importzöllen in Milliardenhöhe auf Produkte aus der EU und seiner Drohung mit Vergeltungsmaßnahmen gegen Firmen, die sich an militärischen Projekten der EU beteiligen. Eine dieser Drohungen, die es bereits während der Untersuchung zu „Operation Dunhammer“ gab, war Trumps Angebot, Dänemark Grönland abzukaufen. Danach verurteilte er Dänemarks Weigerung, das Gebiet in der Arktis zu verkaufen, und sein Außenminister Mike Pompeo verurteilte Chinas wirtschaftliche Aktivitäten in Grönland.

Biden gab sich große Mühe, diese wirtschaftlichen und militärischen Spannungen zu verharmlosen und seine Wahl als Möglichkeit zum Aufbau verbesserter Beziehungen zwischen den USA und der EU darzustellen. Allerdings wurde keiner der tiefergehenden Konflikte in Bezug auf die Kontrolle über die Weltmärkte und die strategischen Vorteile gelöst. Zudem werden die Daten des FE zu „Operation Dunhammer“ vermutlich Obamas Versprechen vom Januar 2014, die NSA werde keine EU-Funktionäre mehr bespitzeln, als Lügen entlarven.

Vor allem wird, fast ein Jahrzehnt nach Snowdens Enthüllungen, immer deutlicher, dass die Arbeiterklasse das Hauptziel der elektronischen Überwachung ist. Massive Datensammelprogramme ermöglichen nicht nur die Überwachung, sondern auch die Zensur von Social-Media-Posts und die Identifizierung und juristische Verfolgung von Arbeitern, die sich an Sozialprotesten wie der „Gelbwesten“-Bewegung in Frankreich beteiligen. Die Verteidigung grundlegender demokratischer Rechte erfordert die internationale politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die reaktionären Pläne des imperialistischen Militärs und seiner Geheimdienste.

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