Continental Karben: Wie die IG Metall die Werksschließung durchsetzen will

Im Continental-Werk im hessischen Karben zeigt sich beispielhaft, mit welchen Methoden die Gewerkschaften Werkschließungen und Entlassungen durchsetzen.

Die IG Metall und die IG BCE haben ihr Mitglieder (fast 80 Prozent der Belegschaft) bis Montagabend über einen neuen Sozialtarifvertrag abstimmen lassen, der die Stilllegung des Werks bis 2025 besiegelt. Von den 1088 Arbeitsplätzen sollen nur 187 bei der CES (Continental Engineering Services) übrigbleiben, die in Karben als Rumpfbetrieb mit 187 Beschäftigten weitergeführt werden soll.

Die Karbener Conti-Arbeiter kämpfen seit acht Monaten gegen die Stilllegung des Werks auf Raten. Im April führten sie einen 24-Stunden-Streik durch und bereiteten sich auf den unbefristeten Streik vor. Da legte die IG Metall einen ersten Sozialtarifvertrag vor und feierte es als Erfolg, dass die Werkschließung von 2023 auf 2025 verschoben worden sei.

Die Arbeiter lehnten den Vertrag rundheraus ab. Darauf nahm die IG Metall neue Verhandlungen mit dem Management in Hannover auf und legte einen neuen Sozialtarifvertrag vor. Er ändert nichts am Schließungsbeschluss, sondern beschert den älteren Arbeitern lediglich etwas höhere Abfindungen und Gewerkschaftsmitgliedern Sonderleistungen.

Die Belegschaft musste über einen Vertrag abstimmen, den sie gar nicht gesehen hatte. Die IGM-Geschäftsstelle Frankfurt weigert sich ausdrücklich, ihn zu veröffentlichen, und bis Montagmorgen lag der schriftliche Vertrag nicht einmal den direkt betroffenen Conti-Arbeitern in Karben vor, obwohl die Abstimmung seit Tagen begonnen hatte.

Obwohl der neue Vertrag nach allem, was bekannt ist, ebenso wie der vorher abgelehnte die Schließung des Werks vorsieht, bezeichnete ihn IGM-Bezirksleiter Jörg Köhlinger als „tragfähiges Ergebnis“ und „Chance einer nachhaltigen Standortentwicklung“. Auch der Betriebsrat in Karben tat alles, um ihn den Arbeitern schmackhaft zu machen. Das Abstimmungsergebnis wird erst am Donnerstag bekanntgegeben.

Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze hat am 5. Juni einen Aufruf veröffentlicht, der die Conti-Arbeiter ermutigt, mit Nein zu stimmen und den Plan zur Werksschließung zurückzuweisen. Diesen Aufruf verteilte am Montagmorgen ein Team der World Socialist Web Site vor dem Werk in Karben.

Die meisten Arbeiter, Azubis und Angestellten, die per Fahrrad oder vom Bus kommend das Werk betraten, nahmen die Flyer freundlich und interessiert mit. PKW-Fahrer kamen mit heruntergekurbeltem Fenster angefahren, um ein Exemplar zu bekommen. Einige sagten, sie hätten schon abgestimmt, und alle bestätigten, dass sie den Vertrag im Wortlaut noch nicht lesen konnten.

Eine Arbeiterin berichtete, wie der Betriebsrat die Arbeiter in kleinen Gruppen unter Druck setzt. Er habe schon an zwei Tagen gruppenweise Versammlungen durchgeführt und die Annahme dringend empfohlen. „Aber dass ihn keiner lesen durfte – das ist schon ein Unding“, setzte sie hinzu.

Mehrere Arbeiter waren der Ansicht, dass es falsch sei, seinen Arbeitsplatz gegen eine Abfindung zu verkaufen.

Während der Verteilaktion kam der Betriebsratsvorsitzende Frank Grommeck (Die Linke) heraus und beschwerte sich über die „Einmischung von außen“. Er verteidigte das Vertragsergebnis der IG Metall: Sie habe alles herausgeholt, was menschenmöglich sei. Wenn die Arbeiter das ablehnen würden, dann stünden sie bald mit leeren Händen auf der Straße.

Frank Grommeck (Die Linke), Betriebsratsvorsitzender von Continental Karben

Damit zeigte Grommeck, wie der Betriebsrat und die Gewerkschaften den Arbeitern die Pistole auf die Brust setzen. Entweder sie stimmen der unwiderruflichen Vernichtung der Arbeitsplätze gegen ein Abfindung zu, oder sie riskieren alles zu verlieren, weil die Gewerkschaften nicht bereit sind, einen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen und einen solchen Kampf nach Kräften sabotieren werden.

Grommeck betonte, dass es dem Betriebsrat „gesetzlich verboten“ sei, für die Arbeitsplätze zum Streik aufzurufen – und daran werde er sich halten. Das Ergebnis, nämlich die Werkschließung, finde er auch nicht gut, aber: „Wir wissen doch alle, wie das im Kapitalismus läuft.“

Grommecks Aussage zeigt deutlich, dass Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze verteidigen wollen, den Kampf um das Conti-Werk in die eigenen Hände nehmen müssen. Nur wenn sie sich unabhängig von der Gewerkschaft mit anderen, ebenfalls betroffenen Arbeitern zusammenschließen, haben sie in Zukunft eine Chance, ihre Arbeitsplätze, ihr Einkommen und die Lebensgrundlage ihrer Familien zu erhalten.

Im Aufruf des Netzwerks der Aktionskomitees heißt es: „Baut vor allem ein eigenes Aktionskomitee auf, das unabhängig von der IG Metall entscheiden und handeln kann. Das ist unbedingt notwendig, um eure Interessen gegen die des Konzerns und seiner Aktionäre zu vertreten. Dieses Komitee muss alle Kolleginnen und Kollegen in Karben vertreten und vor allem Kontakt zu den anderen Werken im In- und Ausland aufnehmen, um ein gemeinsames Vorgehen zu koordinieren.“

Für den Continental-Vorstand ist der Ausgang des Kampfs um das Werk in Karben von größter Bedeutung. Der Konzern hat beschlossen, 30.000 Stellen abzubauen und eine Reihe von Standorten zu schließen. Dabei spielt die IG Metall die Schlüsselrolle. Nicht zufällig ist die zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, auch stellvertretende Vorsitzende des Continental-Aufsichtsrats, wofür sie im letzten Jahr 269.000 Euro kassierte.

Den Gewerkschaften ging es von Anfang an darum, die Werkschließung durchzusetzen, ohne einen sozialen Aufstand zu provozieren. Diesem Ziel dienten letztlich all die Kundgebungen, Menschenketten, gemeinsamen Gottesdienste vor dem Werk und anderen Aktionen.

Während die Arbeiter damit ihre Arbeitsplätze verteidigen wollten, waren sie für die Gewerkschaften ein zynisches Manöver, um den Widerstand sich totlaufen zu lassen. Jetzt am Ende wird die Schließung über Altersteilzeit, Vorruhestand, Abfindungen und Transfergesellschaft als alternativlos hingestellt. Mit dem Schreckgespenst, andernfalls würden die Arbeiter „mit leeren Händen auf die Straße geworfen“, wird die Zustimmung erpresst.

Die IG Metall ist Meister darin, die Arbeiterklasse zu spalten: Da ist zunächst die Spaltung zwischen Alt und Jung, indem sie die Abfindungen für die Senioren finanziell auspolstert, während die Jungen ihre zukünftigen Ausbildungs- und Arbeitsplätze verlieren. Aber vor allem wird nach Belegschaften gespaltet.

Die Gewerkschaft lässt jeden einzelnen Standort für sich alleine kämpfen, ob es um Aachen, Rheinböllen, Babenhausen, Schwalbach, Regensburg, Nürnberg, Roding, Hannover oder einen andern Standort geht. Allein in Deutschland kämpfen mittlerweile an fast dreißig Continental- und Vitesco-Standorten die Arbeiter um ihre Zukunft. Jeder Kampf wird von den andern isoliert und in die Sackgasse der Sozialtarifverträge geführt. Auf dieselbe Weise wurden in der Metall- und Elektro-Industrie schon hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet.

Doch die Arbeiter in der Auto- und Zulieferindustrie werden sich zunehmend bewusst, dass weltweit Millionen Kollegen vor den gleichen Problemen stehen. In den USA haben sich gerade die Arbeiter von Volvo Truck mit über neunzig Prozent einen Vertrag abgelehnt, den ihnen die Autogewerkschaft UAW aufs Auge drücken wollte. Damit hätten sie jahrelange Lohnsenkung und Kürzungen der Betriebsrenten festgeschrieben.

Der Streik der Volvo-Arbeiter breitet sich in den Vereinigten Staaten weiter aus, nachdem schon die Bergarbeiter von Alabama ihren Streik gegen den Willen der Gewerkschaft fortsetzen. Immer mehr Arbeiter gründen Aktionskomitees, um unabhängig von der Gewerkschaft zu kämpfen.

Auch in Deutschland laufen der IG Metall die Mitglieder davon. Die Mitgliederzahl der DGB-Gewerkschaften ist von 7,8 Millionen um die Jahrtausendwende auf weniger als 5,9 Millionen im letzten Jahr zurückgegangen und umfasst nur noch jeden siebten Arbeitnehmer.

Die IG Metall reagiert darauf durch eine weitere Spaltung, indem sie bei den Abschlüssen immer öfter ihre eigenen Mitglieder privilegiert. Auch in Karben soll es jetzt einen „Härtefallfonds“ geben, den die IG Metall verwaltet, und der nur für Gewerkschaftsmitglieder zur Anwendung kommt.

In den Conti-Werken Bebra und Mühlhausen, in denen ebenfalls Massenentlassungen anstehen, publiziert die IG Metall folgendes Ultimatum: „Jetzt heißt es, für die IG Metall Farbe zu bekennen – Aufnahmestopp 15. Juni: Wir rufen letztmals alle (Noch-)Nicht-Organisierten Beschäftigten auf, sich der IG Metall und unserem Kampf um die Arbeitsplätze in Bebra und Mühlhausen anzuschließen. Nach dem 15. Juni werden wir bis zum Abschluss des angestrebten Sozialtarifvertrages keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen. Die Regelungen im Sozialtarifvertrag werden nur für Kolleg*innen gelten, die bis zu diesem Stichtag Mitglied geworden sind.“

Und auf einem anderen IGM-Flyer steht folgender Hinweis, ebenfalls zu den Ergebnissen eines Sozialtarifvertrags: „Gilt nur für Mitglieder der IG Metall, die am 19. März 2021 Mitglied waren und es bis Ende 2028 sind.“

Mit diesen Sonderrechten für ihre eigenen Mitglieder unterstreicht die IG Metall ihren Bankrott als Organisation der Arbeiterklasse. Wie es im Aufruf des Netzwerks der Aktionskomitees heißt, verletzt die Gewerkschaft damit das elementare Grundprinzip: „Alle für einen und einer für alle“.

Dort heißt es: „Lasst euch auch nicht von der IG Metall über die Gewerkschaftszugehörigkeit spalten. Die Kürzungen, die die Gewerkschaft euch immer wieder abverlangt hat, galten für die gesamte Belegschaft. Alle haben mehr gearbeitet und auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Sonderzahlungen verzichtet. Jetzt will die IG Metall viele ihrer ausgehandelten Sozialtarifbedingungen nur ihren Mitgliedern zugutekommen lassen. Jeder vierte bis fünfte von euch ist aber nicht in der IG Metall. Lasst euch nicht spalten. Auch hier gilt: Gleiches Recht für alle.“

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