Nervöses Zittern an der Wall Street

Die von hohen Schuldenständen geprägten Finanzmärkte reagieren äußerst empfindlich auf die bloße Andeutung einer Zinserhöhung und einer Drosselung der Wertpapierkäufe durch die US-Notenbank (Fed). Dies zeigte sich nach der Zinssitzung der Fed in der vergangenen Woche.

Gebäude an der Wall Street, 19. Mai 2021, New York (AP Photo/Mark Lennihan)

Die Sitzung der Fed brachte im Wesentlichen zwei Ergebnisse: Die Mehrheit des Entscheidungsgremiums ist der Ansicht, dass die Zinsen ab 2023 steigen könnten (zuvor war von 2024 die Rede gewesen), und die Zentralbank spricht nun über eine Reduzierung ihrer Wertpapierkäufe.

Für den Dow-Jones-Index war es die schlechteste Woche seit Oktober letzten Jahres. Er fiel am Freitag um mehr als 500 Punkte, was einem Wochenrückgang von 3,45 Prozent entspricht. Auch der S&P 500 gab um 1,3 Prozent nach und büßte im Wochenverlauf 1,9 Prozent ein. Zuvor war er drei Wochen in Folge gestiegen.

Nachdem die Kurse an den asiatischen Märkten gefallen waren – der japanische Nikkei-255-Index verlor 3,3 Prozent – zogen sie am Montag an der Wall Street an, sodass die Indizes einen Großteil ihrer vorherigen Verluste wieder wettmachten.

Der Rückgang in der letzten Woche hing damit zusammen, dass die Fed nach ihrer Sitzung eine mögliche Heraufsetzung der Zinsen zu einem unbestimmten Zeitpunkt angedeutet hatte. Allerdings beeilte sich Fed-Präsident Jerome Powell sogleich, die Märkte zu beschwichtigen: Prognosen über steigende Zinssätze im Rahmen des so genannten „Dot Plot“ (in dem die Mitglieder des politischen Entscheidungsgremiums die erwartete Zinsentwicklung aufzeigen), so Powell, seien keine politischen Beschlüsse und nicht wörtlich zu nehmen.

Am Freitag nahm die Nervosität zu, als der Vorsitzende des Fed-Bezirks St. Louis, James Bullard, gegenüber dem Wirtschaftssender CNBC sagte, er könne sich eine Zinserhöhung eher 2022 als 2023 vorstellen.

Bullard, der derzeit kein stimmberechtigtes Mitglied des Offenmarktausschusses der US-Notenbank ist, es aber im nächsten Jahr sein wird, sagte weiter, dass es „mehr Inflation gibt, als wir erwartet haben“ und es „natürlich ist, dass wir uns hier ein bisschen mehr als Falken verhalten, um den Inflationsdruck einzudämmen“.

Bullard deutete an, dass es bis Ende 2022 zwei bis zweieinhalb Jahre geben könnte, in denen die Inflation bei etwa 3 Prozent liegt. Dies würde der neuen Zielsetzung der Fed entsprechen, die Inflation eine Zeit lang über 2 Prozent zu belassen und erst später Maßnahmen zu ihrer Senkung zu ergreifen.

Bleibt die entscheidende Frage: Wir wird sich ein, und sei es geringfügiger, Zinsanstieg oder eine Reduzierung der Ankaufprogramme der Zentralbank auf die hoch verschuldeten Unternehmen und Finanzmärkte auswirken?

Seit im März 2020 der 21 Billionen Dollar schwere Markt für US-Staatsanleihen, das Fundament des globalen Finanzsystems, einbrach und vorübergehend zum Stillstand kam, hat die Fed Wertpapiere im Umfang von 120 Milliarden Dollar pro Monat gekauft und die Zinssätze praktisch bei Null gehalten. Infolgedessen ist die Bilanzsumme der Zentralbank von rund 4,5 Billionen Dollar Anfang 2020 auf mehr als 8 Billionen Dollar angewachsen. Bis 2022 sollen es 9 Billionen Dollar sein.

Das Ergebnis ist ein explosionsartiger Anstieg der Verschuldung in allen Bereichen des US-Finanzsystems. Auch die Verschuldung der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors beläuft sich inzwischen auf 11,2 Billionen US-Dollar, was etwa 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA entspricht.

Wie immer vor dem Platzen von Spekulationsblasen baut die Börse auf die Fortdauer der „guten Zeiten“. Die Geldflut der Zentralbank und die historisch beispiellose Bereicherung der Finanzoligarchie sollen weitergehen.

Und so ergab die jüngste monatliche Umfrage unter Fondsmanagern der Bank of America, dass die Anleger „sich einstellen auf dauerhaftes Wachstum, vorübergehende Inflation und einen friedlichen Rückzug der Fed“.

Es gibt jedoch auch warnende Stimmen. Der Chefvolkswirt von Moody's Analytics Mark Zandi warnte gegenüber CNBC vor einer erheblichen „Marktkorrektur“ von 10 bis 20 Prozent.

„Der Gegenwind für den Aktienmarkt wird stärker. Die Federal Reserve muss hier einen Gang hochschalten, weil die Wirtschaft so stark ist“, so Zandi.

Nach Zandis Ansicht würden solche Maßnahmen nicht zu einer Rezession führen, da der Abschwung eher auf überhöhte Kurse als auf grundlegendere Probleme zurückzuführen sei. Mit dieser optimistischen Einschätzung setzt er sich darüber hinweg, dass die Wirtschaft – wie die ausufernde Verschuldung zeigt – inzwischen insgesamt am Tropf des ultrabilligen Geldes der Fed hängt.

Die Wahrheit ist, dass niemand, am wenigsten die Fed, weiß, wohin ein signifikanter Kursverfall an den Börsen führen würde.

Wie die Australian Financial Review letzte Woche berichtete, geht Matt King, Global Market Strategist der Citi-Gruppe, davon aus, dass der Markt im Laufe dieses Jahres sehr instabil werden könnte.

„Die vorherrschende Meinung ist, dass alles gut gehen dürfte, wenn die Zentralbanken langsam aussteigen und sich langsam zurückziehen. Meiner Meinung nach ist es nicht so einfach. Wir erleben jetzt das gleiche zugrunde liegende Paradoxon wie Ende 2018.“

Im Dezember 2018 kam es an den Aktienbörsen zu einem abrupten Kursverfall von 20 Prozent, als die Fed andeutete, dass sie für 2019 weitere Zinserhöhungen plane, nachdem die Zinsen in den vorangegangenen zwölf Monaten vier Mal um jeweils 0,25 Prozentpunkte erhöht worden waren. Außerdem, so die Fed damals, werde sie ihre Wertpapierbestände weiter mit einer Rate von 50 Milliarden US-Dollar pro Monat abbauen.

Zu jener Zeit, so King, lag das Wachstum der US-Wirtschaft bei 3 Prozent. Es gab einen großen Schub durch die Trumpschen Steuersenkungen, und der Aktienindex S&P erreichte Rekordhöhen.

„Aber plötzlich gab es einen 20-prozentigen Rückgang des S&P 500, der die Wirtschaft zu destabilisieren drohte. Und die Fed war gezwungen umzudenken.“

Infolge des Einbruchs nahm Fed-Präsident Powell von weiteren Erhöhungen der Zinssätze Abstand. Er kündigte Zinssenkungen im Juli 2019 an und beendete den Abbau der Vermögenswerte. Das war sechs Monate vor Beginn der Pandemie,

King vermerkt eine paradoxe Entwicklung: „Je wirkungsvoller die Politik die Bewertungen in die Höhe getrieben hat, desto abhängiger sind die Märkte von der Fortsetzung eben dieses Stimulus geworden.“

Folglich seien die Märkte nicht nur durch eine Schrumpfung der Zentralbankbilanz oder einen Zinsanstieg verwundbar geworden, „sondern allein schon durch eine Verlangsamung der Stimulierung“.

Diese Äußerungen weisen auf einen der zentralen Widersprüche des Finanzsystems hin. Je mehr Geld in das System hineingepumpt wird – und je mehr damit die Kurse in die Höhe getrieben werden –, desto geringer fällt die Rendite auf die Finanzanlagen aus. Dies zwingt die Anleger in immer riskantere Anlagen und schafft die Voraussetzungen für einen Crash, sollte die Geldmenge reduziert werden.

King merkte an, dass konventionellen Wirtschaftstheorien zufolge der Markt ein effizienter Mechanismus zur Bestimmung des Barwerts eines Finanztitels sei, beispielsweise durch die Prognose und Abzinsung künftiger Dividenden.

Er sagte, es sei „einfacher als das. Es geht einfach nur um diese Geldströme.“

Daher kann schon eine geringfügige Reduzierung dieser Ströme eine große Krise auslösen.

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