Massive Aufrüstung zum Polizei- und Überwachungsstaat

Die Große Koalition hat die letzten Parlamentssitzungen der Legislaturperiode benutzt, um die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten massiv auszuweiten. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Bundestag insgesamt neun entsprechende Gesetze und Gesetzesänderungen verabschiedet.

Die neue Bundesregierung wird über einen technisch hochgerüsteten Überwachungsapparat verfügen, wie es ihn seit dem Ende des Nazi-Regimes in Deutschland nicht mehr gegeben hat. Die Staatssicherheit der DDR mit ihren Schnüfflern und Zettelkästen nimmt sich im Vergleich dazu wie ein Amateurverein aus.

Zentrale des BND in Berlin Mitte (Bild: Olaf Kosinsky / CC-BY-SA 3.0)

Zusammen stellen die Veränderungen, die der Bundestag seit November 2020 und besonders in den letzten vier Wochen beschlossen hat, den größten Gesetzeskomplex dar, der seit der Wiedervereinigung 1990 verabschiedet wurde. Seine wichtigsten Merkmale sind:

  • Weitgehende Abschaffung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten, die nach den Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis eingeführt worden war. Die Bundespolizei erhält die Befugnisse eines Geheimdiensts, die Geheimdienste übernehmen polizeiliche Aufgaben, beide arbeiten Hand in Hand.
  • Vollmacht der Bundespolizei, die Freiheit von Bürgern und Flüchtlingen durch Aufenthaltsverbote, Abschiebehaft und ähnliche Maßnahmen ohne richterliche Autorisierung massiv einzuschränken.
  • Legalisierung des technischen Eindringens von Polizei und Geheimdiensten in Computer-Systeme, mobile Endgeräte und andere elektronische Systeme, um dort massenhaft Daten abzugreifen oder zu manipulieren.
  • Ermächtigung der Geheimdienste und Bundespolizei zu Cyber-Attacken und anderen Beobachtungs- und Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Gesinnung einer Person, ohne dass strafrechtlich oder nachrichtendienstlich relevante Tatsachen und Handlunge vorliegen.
  • Umfassende, automatisierte Überwachung und Zensur des Internets mit Hilfe von Upload-Filtern.
  • Lückenlose zentralisierte Erfassung und Speicherung persönlicher und biometrischer Daten, die dann allen staatlichen Behörden zugänglich sind.

Die neuen Gesetze dienen nicht der Sicherheit der Bevölkerung, sondern ihrer Unterdrückung. Der Staatsapparat wird aufgerüstet, um den Widerstand gegen die verheerenden Folgen der Corona-Pandemie, gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau, gegen Militarismus und Krieg sowie gegen Neonazis und Faschisten, der sich überall entwickelt, zu unterdrücken.

Das neue Bundesverfassungsschutzgesetz

Das Gesetz zur „Anpassung des Verfassungsschutzrechts“, das der Bundestag am 10. Juni 2021 verabschiedet hat, legalisiert den umfassenden Einsatz von Staatstrojanern durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, die 16 Landesverfassungsschutzämter, den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Sie können so Menschen im In- und Ausland systematisch ausspionieren. Das Gesetz setzt den Daten, die gesammelt werden dürfen, und den Gründen für die Beobachtung kaum Grenzen.

Unter einem Staatstrojaner versteht man Schadsoftware, die von einem Geheimdienstagenten bei einem heimlichen Wohnungseinbruch oder aus der Ferne über das Internet auf dem Smartphone, Laptop, PC oder Server einer zu beobachtenden Person oder Organisation platziert wird. Die Überwachung einer laufenden Kommunikation findet auf dem Gerät der attackierten Person statt, bevor das Gespräch, die Chat-Nachricht oder die SMS verschlüsselt werden.

Die Operation wird daher auch als Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) bezeichnet. Beim Einsatz eines Staatstrojaners mit dem Ziel, gespeicherte Bestandsdaten wie Dokumente, Bild- und Videoaufnahmen an den Geheimdienst zu übermitteln, handelt sich um eine Online-Durchsuchung.

Außerdem können Staatstrojaner Daten und Programmen auf fremden Computern, Mobiltelefonen und IT-Systemen manipulieren, mit weitreichenden, unter Umständen tödlichen Folgen für die betroffenen Personen. Auch die elektronischen Steuer- und Bremssysteme eines Fahrzeugs können auf diese Weise manipuliert werden, um Unfälle herbeizuführen.

Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung waren bisher nur dem Bundeskriminalamt im Rahmen von polizeilichen, von einem Richter angeordneten Ermittlungen zu schweren Straftaten gesetzlich erlaubt. Jetzt haben auch alle Geheimdienste die Befugnis zur Quellen-TKÜ.

Online-Durchsuchungen sind nach dem Wortlaut des neuen Gesetzes den Geheimdiensten zwar verboten. Sie dürfen jedoch Bestandsdaten absaugen, sofern diese erst nach Aktivierung des Trojaners auf dem Gerät gespeichert worden sind. Nichts kann jedoch in der Praxis verhindern, dass auch ältere Daten erfasst werden. Technisch ist mit der Quellen-TKÜ „nebenbei“ auch eine vollständige Online-Durchsuchung möglich.

Mehrere Gutachter haben das Bundesverfassungsschutzgesetz scharf kritisiert und als verfassungswidrig bezeichnet. Dr. Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht und Informationsrecht an der Universität Mainz, erklärt in einem Gutachten, dass alle Operationen von Schadsoftware, die sich nicht streng auf eine laufende Kommunikation beschränken, Online-Durchsuchungen seien. Wenn sie nun unter Umgehung der gesetzlichen Hürden einfach unter dem Namen Quellen-TKÜ durchgeführt würden, stelle dies eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme dar. [1]

Der Mainzer Professor kritisiert auch, dass die Eingriffsvoraussetzungen für Hack- und Spähangriffe erheblich ausgeweitet worden seien. Das Gesetz ermögliche „eine Telekommunikationsüberwachung teilweise bereits dann, wenn lediglich die Planung von vergleichsweise geringfügigen Straftaten im Raum steht“. Als Beispiele nennt Bäcker „das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, die Zuwiderhandlungen gegen ein Vereinsverbot und die Zugehörigkeit zu einer geheim gehaltenen Vereinigung von Ausländern“. [2]

Außerdem weite das neue Gesetz den Begriff „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ von Organisationen auf Einzelpersonen aus, wobei allein die „Zielrichtung ihres Verhaltens“ für eine geheimdienstliche Beobachtung ausreiche. Damit lade die Gesetzesregelung, warnt Bäcker, „geradezu zu einer Beobachtungspraxis ein, die statt von objektiv verfassungsschutzrelevanten Handlungen von (vermuteten) persönlichen Eigenschaften oder sozialen Einbindungen der betroffenen Personen ausgeht.“ [3]

Mit anderen Worten: Personen werden nicht wegen konkreter Taten, sondern wegen ihrer Gesinnung beobachtet und verfolgt.

Dieses Prinzip der Gesinnungsjustiz, das direkt auf die Nazis zurückgeht, liegt auch der Beobachtung der Sozialistischen Gleichheitspartei durch den Verfassungsschutz zugrunde. Als der Verfassungsschutz die SGP 2017 erstmals als „linksextremistische Partei“ in seinen Jahresbericht aufnahm, rechtfertigte er dies damit, dass sie ein sozialistisches Programm vertrete, den Kapitalismus kritisiere und dessen Verteidiger – SPD, Linke, Grüne, Gewerkschaften – politisch kritisiere.

Als die SGP dagegen Klage erhob, begründeten die Anwälte des Verfassungsschutzes die Verfolgung der SGP nicht mit gesetzeswidrigen Aktivitäten, sondern mit ihre Sichtweise auf die Gesellschaft, ihrer marxistischen Geschichtsauffassung, ihren politischen Analysen und ihrer sozialistischen Zielsetzung. Sie erklärten, „das Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ stehe im Widerspruch „mit den zentralen Werten des Grundgesetzes“. [4]

Die SGP warnte damals: „Mit ihrem Angriff auf die SGP will diese kriminelle Behörde einen Präzedenzfall für eine neue Gesinnungsjustiz schaffen, mit der jeder verfolgt werden kann, der die reaktionäre soziale und politische Entwicklung kritisiert. … Wenn die rechte Verschwörung im Staatsapparat nicht gestoppt und die SGP nicht verteidigt wird, ist der Damm für noch viel weitgehendere Maßnahmen gebrochen.“ [5]

Das hat sich nun bestätigt. Das Bundesverfassungsgesetz meißelt die Gesinnungsjustiz in Gesetzesform und legalisiert bisher beispiellose Maßnahmen, um sie gegen breite Bevölkerungsschichten und gegen alle möglichen, dem Verfassungsschutz und der Regierung nicht genehme Organisationen und Parteien zu richten.

Um diese Überwachung technisch durchzuführen, verpflichtet das Gesetz Unternehmen der Branchen Luftfahrt, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und Telemedien, persönliche Daten unter Beobachtung stehender Bürger herauszugeben und technische Hilfe beim Einpflanzen von Staatstrojanern, bei Online-Durchsuchungen und bei der Übermittlung der dabei anfallenden Datenströme zu leisten. Internet-Provider wie die Telekom oder Vodafon, aber auch Google, Facebook sowie Banken werden damit zu Erfüllungsgehilfen der Geheimdienste.

Von geheimdienstlichen Cyber-Attacken werden nur wenige Zielgruppen ausgenommen, etwa Priester und Rechtsanwälte. Journalisten befinden sich – trotz des Protests der Journalistenverbände – ausdrücklich nicht darunter. Auf diese Weise werden die Pressefreiheit und der digitale Quellenschutz ausgehebelt.

Das Gesetz sieht außerdem die Vernetzung und den Datenaustausch zwischen allen Geheimdiensten, der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt und anderen staatlichen Behörden vor, wie der Ausländerbehörden oder der Bundesagentur für Arbeit.

Das neue BND-Gesetz

Das Gesetz zum Bundesnachrichtendienst vom 25. März 2021 legalisiert das Anzapfen riesiger Datenbestände und Datenströme, um die Kommunikation von Millionen Menschen zu überwachen und ihre Computer, Handys, Server nach Daten, Fotos und Videos zu durchsuchen.

Eigentlich sollte das Gesetz die rechtlichen Vorgaben zur Einschränkung und Kontrolle der Aktivitäten des BND erfüllen, die das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 gemacht hatte. Das Gericht hatte das Vorgängergesetz von 2016, das die vom amerikanischen Whistleblower Edward Snowden aufgedeckte illegale Massenüberwachung legalisierte, für verfassungswidrig erklärt.

Es hatte allerdings nicht die Massenüberwachung an sich beanstandet, sondern lediglich auf die Einhaltung einiger Formalien bei der Anordnung, Dokumentation und Kontrolle bestanden, um der Überwachung ein dürftiges demokratisches Feigenblatt umzuhängen.

Aber selbst bei diesen Formalien sind die Änderungen im neuen BND-Gesetz gegenüber dem alten minimal oder schlicht eine Farce. So wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte quantitative Beschränkung der Abhöraktivitäten so umgesetzt, dass sie nicht mehr als „30 Prozent der Übertragungskapazitäten aller global bestehenden Telekommunikationsnetze“ abdecken dürfen!

Was wie eine Begrenzung aussieht, ist in Wirklichkeit ein Freibrief für grenzenloses Ausspähen. Der BND wird, selbst wenn er seine technischen Möglichkeiten weiter stark ausbaut, die mit dieser „Grenze“ verbundene ungeheure Datenmenge ohnehin nie erreichen. Dies erklärte Klaus Langenfeld, ein Mann, der es wissen muss. Er ist der Betreiber des weltgrößten Internet-Knotens DE-CIX bei Frankfurt am Main, der in Spitzenzeiten einen Datenstrom von mehr als 10 Terabit, das sind 10 Billionen Bit pro Sekunde verzeichnet. [6]

Das neue Gesetz weitet die Befugnisse zum Datenabsaugen und Ausspionieren von Personen sogar erheblich aus. Der BND darf Kommunikationsanbieter wie Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft oder Vodafone sowie IT-Systeme ausländischer Unternehmen und Behörden hacken, „auch ohne deren Wissen“ und „ohne konkreten Anlass“. „Strategische Fernmeldeaufklärung“ wird dies im Jargon der ministerialen Dunkelmänner genannt.

Das betrifft nicht nur ausländische, sondern auch deutsche Personen, Unternehmen und IT-Systeme. Formell verbietet das Gesetz zwar die Überwachung und das Abgreifen von „individueller Kommunikation von natürlichen Personen“, auch wenn niemand die Einhaltung dieses Verbots kontrollieren kann. Sobald aber ein Smartphone, ein Computer oder auch nur ein Telefon eingesetzt wird, gilt dies als Kommunikation mit Maschinen. Hier darf der BND fast uneingeschränkt auf gespeicherte Bestandsdaten und laufende Verkehrs- und Inhaltsdaten zugreifen.

Für diese Operationen wird dem BND ausdrücklich die Zusammenarbeit und der Datenaustausch mit ausländischen Geheimdiensten wie der National Security Agency (NSA) und damit die Nutzung riesiger geheimer Datenspeicherzentren wie in Utah (USA) erlaubt. Der BND praktiziert dies, wie Edward Snowden aufgedeckt hat, schon seit Jahren – bisher ohne gesetzliche Grundlage.

Wie schon erwähnt, darf der BND für das massenhafte Absaugen von Daten aus fremden IT-Systemen und Geräten auch Staatstrojaner einsetzen.

Auch die sogenannten „Gefahrenthemen“, zu denen der BND spionieren soll, sind erheblich ausgeweitet worden. Zu den bisherigen Themen internationaler Terrorismus, Weitergabe von Atom-Waffen-Material und illegales Schleusen kommen „krisenhafte Entwicklungen im Ausland“, „Schutz kritischer Infrastrukturen“ sowie „Fälle des Diebstahls geistigen Eigentums“, bzw. Verletzung des Urheberrechts hinzu.

Mit letzterem wird zum ersten Mal ein Geheimdienst per Gesetz zum Eingreifen in privatrechtliche Auseinandersetzungen befugt. Deutsche Unternehmen sollen gegenüber ausländischen Konkurrenten gestärkt werden. Insbesondere chinesischen Firmen werden schon lange beschuldigt, Produkte und Programme zu kopieren, ohne dass dafür Beweise vorgelegt worden sind.

Jetzt hofft man, mit Hilfe des BND solche Beweise finden bzw. fabrizieren zu können, als Vorwand für ein aggressiveres Vorgehen gegen China. Aber auch Unternehmen der USA dürften hier bald als Zielobjekte des BND auf den Bildschirmen erscheinen. Die wachsenden Spannungen zwischen Deutschland und den USA sind der Hintergrund für den Machtzuwachs des BND.

Besonders gefährlich ist die neue Aufgabe des BND, unter dem Schlagwort „internationaler Extremismus“ oppositionelle Tendenzen, Organisationen und Personen im In- und Ausland zu überwachen, auszuspionieren, zu sabotieren oder zu manipulieren. Diesen Operationen werden dieselben Grundsätze einer Gesinnungsjustiz zugrunde gelegt, wie sie für den Verfassungsschutz gelten.

Der BND wurde 1956 von Reinhard Gehlen gegründet, der unter Hitler für die Spionage gegen die Sowjetunion zuständig war. Sein Personal bestand vorwiegend aus ehemaligen Agenten des militärischen Spionageapparates der Nazis, aus Gestapo- und SS-Leuten. Er arbeitete sogar mit Kriegsverbrechern und Holocaust-Massenmördern wie Klaus Barbie zusammen, der in Bolivien untergetaucht war. [7]

Die Große Koalition hat nun aus dieser von der Nazi-Vergangenheit geprägten Organisation eine Art Supergeheimdienst für den Einsatz gegen fremde Länder und gegen die eigene Bevölkerung gemacht. Der BND untersteht direkt dem Bundeskanzleramt und verfügt über 6500 offizielle Mitarbeiter sowie über gewaltige Geldmittel – allein in diesem Jahr sind es über eine halbe Milliarde Euro. Seit zwei Jahren residiert er im größten Neubaukomplex Europas mitten im Zentrum Berlins.

Das neue Bundespolizeigesetz

So wie der BND zu einem Supergeheimdienst, wird die Bundespolizei zu einer Superpolizei aufgerüstet. Das Gesetz dazu ist ebenfalls am 10. Juni 2021 vom Bundestag verabschiedet worden.

Bereitschaftspolizisten der Bundespolizei bei einer Demonstration gegen einen Castor-Transport (Bild: Montecruz Foto / CC BY-SA 2.0) [Photo by Montecruz Photo / CC BY-SA 2.0]

Ursprünglich als reine Grenzpolizei gegründet, erhielt die Bundespolizei in den 1990er Jahren „sonderpolizeiliche Aufgaben“ im Landesinneren, insbesondere im Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr. Heute ist sie mit 51.000 Bediensteten die größte Polizeibehörde Deutschlands. Ihr gehören auch die Antiterror-Spezialeinheit GSG-9 und die Bereitschaftspolizei an, die gegen Demonstrationen und sonstige Protestaktionen eingesetzt wird. Sie untersteht direkt dem Bundesinnenministerium.

Das neue Gesetz weitet die Befugnisse der Bundespolizei stark aus, mit fließendem Übergang zu geheimdienstlichen Aktivitäten. Wie die Geheimdienste darf jetzt auch die Bundespolizei Staatstrojaner für eine Quellen-TKÜ bei Social Media und Telekommunikationsdiensten einsetzen. Das Besondere dabei: Sie kann dies explizit auch bei Personen tun, die überhaupt noch keine Straftat begangen haben, also nach eigenem Gutdünken und ohne richterliche Anordnung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. In gleicher Weise darf sie Mobilfunkkarten und -endgeräte identifizieren und lokalisieren.

Über neue, weitreichende polizeiliche Zugriffs- und Strafverfolgungsbefugnisse verfügt die Bundespolizei jetzt speziell gegen Ausländer. So darf sie diese im Landesinneren, z.B. in Zügen oder auf Bahnhöfen, verhaften und ohne richterlichen Beschluss sofort in Abschiebehaft überführen. Gegenüber allen Bürgern ist sie ermächtigt, im Einsatz vor Ort ohne richterliche Autorisierung Aufenthaltsverbote für Plätze und Ortschaften zu erlassen. Von da ist es nicht mehr weit zur Wiedereinführung der „Schutzhaft“, wie sie unter den Nazis üblich war und von der Gestapo massenhaft gegen politische Gegner des Regimes angewendet wurde.

Schließlich legalisiert das Gesetz auch die Weitergabe von Daten überwachter Bürger, die die Bundespolizei durch eigene Cyber-Attacken oder von anderen Geheimdiensten und staatlichen Behörden erhalten hat, an die Polizei und Geheimdienste anderer EU-Staaten.

Um alle Lücken bei der Überwachung und polizeilichen Kontrolle der Bevölkerung zu schließen, hat der Bundestag zusätzlich zu den neuen Verfassungsschutz-, BND- und Bundespolizeigesetzen sechs weitere, kleinere Gesetze verabschiedet, die ebenfalls demokratische Rechte einschränken.

Gesetz zur Weiterentwicklung der Strafprozessordnung

Nach diesem Gesetz, das wie das Verfassungsschutz- und Bundespolizeigesetz am 10. Juni 2021 verabschiedet wurde, ist es Polizei und Geheimdiensten erlaubt, Wohnungsdurchsuchungen auch nachts durchzuführen, was bisher nicht zulässig war. Damit soll es unter anderem möglich sein, Personen zu überraschen, wenn sie nachts am offenen, nicht durch ein Passwort geschützten PC arbeiten.

Außerdem wird das Scannen von Autokennzeichen im öffentlichen Verkehr und ihre anschließende Speicherung für Fahndungszwecke zugelassen. Einer anderweitigen Verwendung dieser Daten und ihrer Weitergabe an andere Behörden oder rechtsextreme Kreise innerhalb und außerhalb der Polizeibehörden sind damit Tür und Tor geöffnet.

Urheberrechts-Diensteanbietergesetz

Dieses Gesetz wurde am 20. Mai 2021 verabschiedet. Es setzt die EU-Urheberrechtsrichtline um und verpflichtet alle größeren Internetplattformen wie YouTube, Facebook usw., ab August dieses Jahres ausnahmslos alle Inhalte, die hochgeladen werden, automatisiert mit Upload-Filtern zu überprüfen und gegebenenfalls zu blockieren, wenn sie gegen Urheberrechte verstoßen.

Bisher mussten die Internetplattformen erst nach konkreten Hinweisen möglicherweise rechtswidrige Inhalte überprüfen und gegebenenfalls löschen. Jetzt müssen sie alle Uploads von vornherein mit geeigneten Filtern überwachen und bei vermeintlicher Rechtswidrigkeit automatisch, ohne genauere Prüfung und Rücksprache mit dem Nutzer, löschen.

Die Große Koalition hat damit dem Druck großer Musik-Labels und -Konzerne nachgegeben, die auf diese Weise ihre Profite steigern wollen. Gleichzeitig werden damit auch neue technische Voraussetzungen für eine autoritäre Überwachung und Zensur des Internets geschaffen.

Gesetz zur Bestandsdatenauskunft

Nach diesem Gesetz vom 26. März 2021 sind Telekommunikationsdienste und Telemedienanbieter wie WhatsApp, eBay, Facebook, Google oder Youtube zur Herausgabe persönlicher Daten eines Nutzers an Polizeibehörden und Geheimdienste verpflichtet. Darunter fallen Passworte, PINs und PUKs, IP-Adressen, aber auch Daten zu besuchten Internetseiten, zur Häufigkeit solcher Besuche usw.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorgängerversion dieses Gesetzes im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt. Doch im neuen Gesetz hat sich kaum etwas geändert. Polizei und Geheimdienste müssen nun lediglich einen „gewichtigen“ Grund für ihre Anfrage angeben. Als gewichtige Gründe zählen u.a. „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“ und „verfassungsfeindliche Bestrebungen“.

Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen und eID-Gesetz

Am 5. November 2020 wurde die Speicherpflicht für Fingerabdrücke in allen Personalausweisen eingeführt. Damals wurde dies als Ergänzung der biometrischen Daten eines Ausweisinhabers dargestellt, die nur dezentral auf dem Ausweisdokument festgehalten würden. Ein halbes Jahr später, am 21. Mail 2021, folgte jedoch das Gesetz zum Elektronischen Identitätsnachweis (eID), das die zentrale Speicherung aller biometrischen Daten und persönlichen Angaben legalisiert.

Dieses Gesetz ermöglicht zunächst, dass alle biometrischen Daten und die Unterschrift einer Person auf ein mobiles Endgerät wie ein Smartphone übertragen werden. Auch dies wurde als „Segen für den Nutzer“ und für die Digitalisierung der staatlichen Verwaltung verkauft. Datenschutzexperten hoben aber hervor, dass diese Daten damit auch für die Geheimdienste und Polizeibehörden zum Abgreifen durch Staatstrojaner zur Verfügung stünden.

In letzter Minute vor Verabschiedung des Gesetzes ging die Große Koalition noch weiter: ein Änderungsantrag ermöglicht es den Bundesländern, alle diese eID-Daten in zentralen Landesdatenbanken zu erfassen – eine Voraussetzung dafür, sie am Ende auch in eine nationale Datenbank und an eine EU-Datenzentrale zu überführen.

Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters

Einen besonders perfiden Charakter nehmen die Datenzentralisierung und Überwachung mit diesem Gesetz an, das am 9. Juni in Dritter Lesung verabschiedet wurde und noch den Bundesrat passieren muss.

Im Ausländerzentralregister (AZR) werden schon seit 2016 alle persönlichen Angaben – wie Name, Geburtsdatum, Einreisedatum, Impfstatus, biometrische Daten wie Fotos und Fingerabdrücke – von 11,4 Millionen Menschen gespeichert. Bei 1,8 Millionen davon handelt es sich um Menschen, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung und Krieg suchen. Die Datenspeicherung inklusive der Fingerabdrücke betrifft auch Kinder ab sechs Jahren.

Nun wird das alles „weiterentwickelt“, indem künftig auch sämtliche Dokumente eines Asylbewerbers – sein Antrag, Vernehmungsprotokolle, Gerichtsentscheidungen – im Volltext gespeichert werden. Diese Dokumente enthalten auch sehr private, oft auch intime Angaben, z.B. zur sexuellen Orientierung, zur politischen Einstellung, zum Gesundheitszustand. Diese Daten des AZR stehen dann auf Knopfdruck Hunderten Behörden zur Verfügung, allen voran natürlich den Geheimdiensten und der Bundespolizei, aber auch den Arbeitsagenturen, Sozial- und Jugendämtern und Meldebehörden. Bisher war dies „nur“ auf Antrag möglich.

Ziel des Gesetzes ist es laut Regierungsangaben, die Identifizierung und Abschiebung unliebsamer ausländischer Arbeiter und Flüchtlinge durch den koordinierten Einsatz aller staatlichen Behörden massiv zu beschleunigen.

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, darunter Pro Asyl und Ärzte ohne Grenzen, haben gegen diese menschenverachtende Praxis protestiert, die an die Registrierung und biometrische Vermessung von Juden, Sinti und Roma, Behinderten und anderen verfolgten Minderheiten durch die Nazis erinnert. Sie haben dringend davor gewarnt, dass die vertraulichen Daten damit praktisch öffentlich werden und dazu dienen können, die Flüchtlinge der Hetze und Verfolgung rechtsextremer Netzwerke in Deutschland oder, im Falle einer Rückkehr, der Behörden ihres Heimatlandes auszusetzen.

Verschwörung aller Parteien

30 Jahre, nachdem die deutsche Einheit und die Einführung des Kapitalismus in Ostdeutschland als Triumph von „Freiheit“ und „Demokratie“ gepriesen wurden, ist mit diesen Gesetzen die formalrechtliche Grundlage für einen Überwachungs- und Polizeistaat geschaffen worden, dem gegenüber sich die Aktivitäten der Stasi und Justiz der DDR stümperhaft ausnehmen.

Die Regierung Merkel konnte sich bei dabei nicht nur auf die Unterstützung von CDU, CSU und SPD stützen, sondern auf eine Koalition aller Parteien im Bundestag, von der AfD bis zu den Grünen und der Linkspartei.

Ungeachtet gelegentlicher „kritischer“ Worte unterstützen auch die Grünen und die Linkspartei die Aufrüstung des Staates. Deshalb gingen die Ausarbeitung und Verabschiedung der Gesetze völlig geräuschlos über die Bühne. Keine Auftritte in Talkshows dagegen, keine Protestdemonstrationen, wie sie vor wenigen Jahren noch gegen die verschärften Landespolizeigesetze oder das BND-Gesetz stattgefunden hatten – nichts!

Das liegt nicht daran, dass die Opposition dagegen geringer geworden wäre. Im Gegenteil. Aber damals hatten die Grünen und die Linkspartei die Proteste teilweise unterstützt, um sie unter Kontrolle zu halten und in die Sackgasse von Appellen an das Bundesverfassungsgericht zu lenken. Heute sind diese Parteien völlig in die Regierungspolitik und den Staatapparat integriert.

Die Grünen sind an elf, die Linke an drei von 16 Landesregierungen beteiligt. In Baden-Württemberg und Thüringen stellen sie jeweils sogar den Ministerpräsidenten. Sie wären ohne weiteres in der Lage gewesen, die Gesetze durch ein Veto im Bundesrat zu Fall zu bringen. Nichts dergleichen geschah. Grüne und Linke wollen diese Gesetze auch nicht wieder abschaffen und den Verfassungsschutz auflösen, falls sie an der nächsten Bundesregierung beteiligt sind. Die Grünen befürworten in ihrem Wahlprogramm sogar ausdrücklich den Einsatz von Staatstrojanern.

Auch in den großen Medien finden sich kaum Berichte und kritische Kommentare zu diesem Abbau demokratischer Grundrechte. Heribert Prantl, der sich früher durch entsprechende Kommentare einen Namen machte, schlägt in seiner Kolumne in der Süddeutschen Zeitung sogar die vollständige Abschaffung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten vor: „Ich plädiere dafür, den Verfassungsschutz in die Polizei einzugliedern. Die Polizei hat Staatsschutzabteilungen; dorthin gehört der Verfassungsschutz.“ Da fehlt dann nur noch der Name „Geheime Staatspolizei“.

Die Arbeiterklasse steht einer regelrechten Verschwörung aller im Bundestag vertretenen Parteien, der Medien und des Staatsapparats gegenüber, die auf die Errichtung eines diktatorischen Regimes hinarbeiten. Was treibt sie dazu?

Wie in allen Ländern der Welt ist auch in Deutschland während der Corona-Pandemie die tiefe Klassenspaltung zwischen den hundert reichsten Familien und der arbeitenden Bevölkerung ins Bewusstsein breiter Schichten gedrungen. 90.000 Todesopfer der Corona-Politik „Profit vor Leben“, die katastrophalen sozialen Folgen der Pandemie für breite, vor allem ohnehin schon arme Schichten der Bevölkerung, die Ankündigung von hundertausenden Entlassungen und Werkschließungen in vielen Industrien lassen die Opposition und Empörung gegen die Berliner Allparteien-Koalition und das kapitalistische Profitsystem rasch anwachsen.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vom Februar waren nur 31 Prozent der Befragten mit der Politik in Berlin zufrieden, 53 Prozent hingegen eher oder sehr unzufrieden. Einen Monat zuvor waren noch 38 Prozent zu einem positiven und 45 Prozent zu einem negativen Urteil gekommen.

Aufschlussreich sind auch die Ergebnisse zu der Frage, was das wichtigste gesellschaftliche und politische Problemfeld sei. Nur für 11 Prozent ist dies die Migration von Flüchtlingen und nur für 9 Prozent die Innere Sicherheit. Die Bedrohung von Leben und Gesundheit, die Gefahr von Armut und Altersarmut sehen hingegen 33 Prozent als Hauptproblem an, 23 Prozent die Arbeitslosigkeit bzw. die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes.

Dieses Meinungsbild steht in scharfem Gegensatz zur Hetze im AfD-Ton, mit der die Bundesregierung die Polizei- und Geheimdienstgesetze begründet hat. Die Zahlen sind ein Indiz für tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche.

75 Jahre lang konnte die deutsche Bourgeoisie den Klassenkampf mit Hilfe der sozialdemokratischen Gewerkschaften, der SPD, der stalinistischen SED und der Linkspartei unterdrücken. Diese Periode ist jetzt vorbei. Angesichts der rücksichtslosen Durchsetzung der Profitinteressen einer winzigen Minderheit von Milliardären und Millionären gegen die Lebensinteressen von Millionen brechen heute weltweit wieder Streiks, Massenproteste und revolutionäre Kämpfe der Arbeiterklasse auf.

Wie in allen anderen Ländern Europas und der ganzen Welt ist die herrschende Klasse in Deutschland entschlossen, ihr Profitsystem und ihren unermesslichen Reichtum mit Gewalt zu verteidigen – mit verschärfter Ausbeutung, Krieg und Diktatur. Doch sie ist mit der Opposition einer Bevölkerung konfrontiert, in der die Erinnerung an zwei von der deutschen Bourgeoisie vom Zaun gebrochene Weltkriege und an die barbarische Nazi-Diktatur tief verankert ist.

Um erfolgreich gegen die wachsende Gefahr eines neuen Krieges und einer neuen Diktatur kämpfen zu können, braucht die Arbeiterklasse eine Weltpartei mit einem sozialistischen Programm zur Abschaffung des Kapitalismus. Eine Partei, die für die internationale Vereinigung aller Arbeiter kämpft und sich auf die Lehren der Oktoberrevolution von 1917 und des Kampfs von Leo Trotzki und der Vierten Internationale gegen Sozialdemokratie und Stalinismus stützt.

Der Aufbau dieser Partei steht im Zentrum des Bundestagswahlkampfs der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), der deutschen Sektion der Vierten Internationale.

Anmerkungen

[1] Dr. Matthias Bäcker, Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts, Bundestagsdrucksache 19/24785; S. 13

[2] ebenda, S. S. 14-15

[3] ebenda, S. 4-6

[4] siehe „Stoppt die rechte Verschwörung! Verteidigt die SGP gegen den Verfassungsschutz!

[5] ebenda

[6] siehe https://netzpolitik.org/2021/bnd-gesetz-bundesnachrichtendienst-erhaelt-so-viele-ueberwachungsbefugnisse-wie-noch-nie/

[7] siehe „Wie Reinhard Gehlen den BND zum Staat im Staat aufbaute

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