Berlin: Rider des Lieferdiensts Gorillas streiken weiter

Erneut kam es in dieser Woche beim Lieferdienst Gorillas in Berlin an mehreren Standorten zu spontanen Streiks. Aufgrund der extrem schlechten Arbeitsbedingungen und der konfrontativen Haltung der Unternehmensführung kann sich der Streik in den kommenden Tagen und Wochen weiter ausbreiten.

Gorilla-Fahrer vor dem Lager in Berlin Mitte (Bild: WSWS)

Am Montag versammelten sich mehrere Dutzend Rider, wie die Fahrer genannt werden, vor der Zentrale in der Schönhauser Allee und protestierten für bessere Arbeitsbedingungen. Sie veröffentlichten eine Liste mit 19 Forderungen. Unter anderem verlangen sie den gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Bezahlung von Überstunden und bessere Arbeitsmittel, darunter Lüftungsanlagen in allen Warenhäusern und Fahrräder, mit denen die Ladung besser transportiert werden kann.

Eine Hauptforderung ist die umgehende Zahlung ausstehender Löhne. Ende des Monats wurde nach Angaben der Streikenden mehreren Beschäftigten zu wenig Lohn ausbezahlt. Grund dafür sei Ausfallzeit durch Krankheit gewesen, die vom Unternehmen nicht bezahlt wurde, was ein eindeutiger Verstoß gegen den Grundsatz der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist. Teilweise erhielten die Rider nur die Lieferzeiten vergütet, nicht aber die tatsächliche Arbeitszeit und die Wartezeit, auf die sie selbst keinen Einfluss nehmen können. Zurecht kritisieren die Beschäftigten dies als „Lohndiebstahl“.

Die Geschäftsführung erhielt zwei Wochen Zeit, um auf die Forderungen einzugehen. Unternehmensgründer und CEO Kağan Sümer tauchte während des Protestes auf und versuchte, die aufgebrachten Beschäftigten zu beschwichtigen – ohne Erfolg.

Sümer wurde mit Plakaten wie „Get off your bike and pay us!“ empfangen. Eine Sprecherin der Streikenden forderte ein „Ende der Unterdrückung“ im Unternehmen. Eine Fahrradtour, mit der Sümer sich medienwirksam auf eine Stufe mit den Ridern stellen und die Lage beruhigen wollte, wurde laut Medienberichten offenbar abgesagt. Sümer hatte verlauten lassen, er wolle ab dem 28. Juni insgesamt 40 Lager in ganz Deutschland besuchen und jeweils mit den Mitarbeitern eine dreistündige Schicht übernehmen und Fragen beantworten.

Am Mittwoch, nur zwei Tage nach dem vorangegangenen Protest, traten die Beschäftigten der Filiale im Bezirk Pankow erneut spontan in den Streik. Nachdem sie vier Stunden lang mit mangelnder Regenkleidung hatten arbeiten müssen und komplett durchnässt waren, verweigerten sie ab 13 Uhr die Arbeit. Daraufhin musste das Management den Betrieb vorübergehend einstellen. Erst als ein Vertreter der Geschäftsleitung erklärte, man werde die Rider bis Ende der Woche mit adäquater Regenkleidung ausstatten, wurde der Streik am Abend ausgesetzt.

Ebenfalls am Mittwoch legten rund zwei Dutzend Rider vor dem Lagerhaus in der Muskauer Straße in Kreuzberg die Arbeit nieder. Auch sie forderten unter anderem Arbeitskleidung, die sie ausreichend vor Regen schützt.

Die vom Unternehmen gestellten Jacken und Hosen reichen bei Weitem nicht dazu aus. Selbst Unternehmenssprecher Tobias Hönig musste einräumen, dass die Ausstattung „nicht vollständig vor dem Nasswerden schützt“. Gleichzeitig griff er die Belegschaft harsch an. „Diesen Umstand als Anlass für einen spontanen Streik ohne Rechtsgrundlage zu nehmen und zu weiteren Streiks in anderen Warehouses aufzurufen, können wir nicht nachvollziehen”, zitiert ihn der Berliner Tagesspiegel.

„Regenjacken und Regenhosen gibt es hier zwar, aber sie sind sehr schmutzig. Wir möchten sie nicht tragen, aber wir müssen“, erklärt ein Rider gegenüber rbb24. Außerdem gebe es die Kleidung nicht in allen nötigen Größen.

Wie gefährlich die Tätigkeit ohne korrekte Ausrüstung ist, zeigte sich am Donnerstag. Eine Fahrerin aus Pankow erlitt einen Unfall, weil sich eine nicht sitzende Regenjacke im Rad verfing. Die Verletzungen waren so stark, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste.

Der Konflikt bei dem Start-Up, das in Rekordzeit den Wert von einer Milliarde Dollar erreichte und eine Bewertung von insgesamt sechs Milliarden Dollar anstrebt, schwelt bereits längere Zeit und nimmt nun immer schärfere Formen an.

Bereits im Winter wurden den Ridern keine warmen Jacken zur Verfügung gestellt. In den letzten Wochen mit hochsommerlichen Temperaturen stellen die nicht klimatisierten Arbeitsräume eine Belastung dar. Seit Langem klagen die Rider häufig über Rückenschmerzen durch überfüllte Rucksäcke und über Probleme wegen technisch mangelhafter Fahrräder. Hinzu kommt, dass die Arbeitszeiten kürzlich ausgeweitet wurden. Mittlerweile müssen die Beschäftigten zwischen 7 Uhr morgens und Mitternacht arbeiten.

Vor rund drei Wochen brachte die Kündigung eines Kollegen in der Probezeit das Fass zum Überlaufen. Nach der Kündigung formierte sich binnen kurzer Zeit ein Protest von rund hundert Beschäftigten. Aus Solidarität mit dem gekündigten Santiago blockierten sie zwei Lager des Unternehmens in Berlin und forderten seine Wiedereinstellung.

Der Protest richtete sich darüber hinaus gegen die „Hire and Fire“-Politik von Gorillas, die lange Probezeiten nutzt, um Mitarbeitern zu kündigen. Im Falle von Santiago rechtfertigte Gorillas die Entlassung mit Fehlverhalten und angeblich unentschuldigtem Fehlen.

Nun stellt sich das Unternehmen nach Medienberichten auf einen möglichen Großstreik ein. Wie in sozialen Medien verbreitet wurde, sollen Mitarbeiter anderer Bereiche gegebenenfalls als Rider eingesetzt werden und als Streikbrecher dienen. Die Wut der Beschäftigten ist enorm. Ankündigungen, den Streik auszuweiten, Solidaritätsadressen anderer Arbeiter und der Aufruf für einen Solidaritätsfonds sind Ausdruck davon.

In der Bevölkerung genießt der Streik volle Unterstützung. Immer mehr Kunden von Gorillas kündigen an, den Lieferdienst nicht mehr nutzen zu wollen, wenn die Bedingungen für die Beschäftigten weiterhin derart miserabel sind.

Mit der Zuspitzung der Situation und der Ausweitung der Streiks stehen die Beschäftigten unmittelbar vor politischen Fragen. Damit die berechtigten Streiks und Proteste nicht ins Leere laufen, müssen sie sich vor allem der Einflussnahme der Gewerkschaften widersetzen, wie sie von mehreren Pseudo-linken Gruppierungen im Umfeld des Streiks propagiert wird. Vor allem die Einsetzung eines Betriebsrats unter der Führung der Gewerkschaft NGG ist eine politische Falle für die Beschäftigten.

Wie die World Socialist Web Site bereits in einem früheren Artikel erklärte, wird durch die Bildung eines Betriebsrats die Sklavenarbeit bei Gorillas nicht abgeschafft, sondern vertraglich geregelt und zementiert. Stattdessen rufen wir die Beschäftigten von Gorillas auf, ein Aktionskomitee zu gründen, um Kontakt zu anderen Arbeitern im Logistikbereich und Verkehrsarbeitern aufzunehmen und den Arbeitskampf auszuweiten.

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