„Die Reichen fürchten, dass wir die Mistgabeln herausholen“

Amerikanische Volvo-Trucks-Arbeiter fordern vor der Abstimmung mehr Zeit und volle Einsicht in den Vertrag

Der Streik von fast 3.000 Volvo Trucks-Arbeitern im US-Bundesstaat Virginia geht in die fünfte Woche. Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen den neuen Arbeitsvertrag, den die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) vorgelegt hat.

Der neue Vertrag sieht offenbar weiterhin eine sechsjährige Laufzeit, Lohnerhöhungen weit unter der Inflationsrate und höhere Beitragssätze für die Betriebskrankenkasse vor. Er ist also kaum mehr als ein Aufguss der beiden vorherigen, welche die UAW den Arbeitern vorgelegt hatte – und die sie im Mai und Juni mit einer Mehrheit von 9 zu 1 abgelehnt hatten.

Volvo-Arbeiter im Juni 2021 (UAW2069)

Die Volvo-Arbeiter fordern die Offenlegung der neuen vorläufigen Vereinbarung (tentative agreement, TA), und aller Absichtserklärungen und Memoranden, die dazu gehören. Die UAW weigert sich bislang, mehr als einige Seiten der TA zu veröffentlichen, und brüstet sich mit den Verbesserungen, die sie angeblich gegenüber den vorherigen enthalte. Der vollständige Text liegt unter Verschluss im Gewerkschaftshaus der UAW Local 2069. Berichten zufolge dürfen einzelne Mitarbeiter das mehrere hundert Seiten lange Dokument zwar lesen, erhalten aber kein eigenes Exemplar.

Die Abstimmung soll schon am Freitag stattfinden, und aus Angst vor den Arbeitern hat die UAW bis dahin nicht einmal eine Betriebsversammlung einberufen. Stattdessen weisen die Gewerkschaftsfunktionäre die Arbeiter an, einzeln ins Gewerkschaftshaus zu kommen, wenn sie Fragen haben, und dort mit UAW-Vertreter der lokalen, Bezirks- und nationalen Ebene zu sprechen.

Nach dem langen Wochenende mit dem Nationalfeiertag am 4. Juli hat die UAW den Arbeitern gerade mal drei Tage Zeit eingeräumt, um das Abkommen zu prüfen und zu diskutieren, das ihre Löhne, Leistungen und Arbeitsbedingungen bis 2027 regeln soll.

„Wir brauchen den kompletten Vertrag und eine zusätzliche Woche, um alles durchzugehen, bevor wir abstimmen“, sagte ein streikender Volvo-Arbeiter gegenüber der World Socialist Web Site. „Jeder muss es lesen können, und wegen des 4. Juli fehlt uns dazu die Zeit.“

Er fuhr fort: „Wir brauchen mindestens zwei Versammlungen pro Woche, an denen jeder teilnehmen und Fragen stellen kann. So können wir die Dinge durchdenken. Jeder Arbeiter, der klar darüber nachdenkt, wird dagegen stimmen. Das ist der Grund, warum die UAW keine Massenversammlungen einberufen hat: Sie haben Angst davor. Sie sagen bloß: ‚Kommt zum Gewerkschaftshaus und stellt uns eure Fragen‘.“

Über Matt Blondino, Präsident des UAW-Ortsverbands Local 2069, sagte er: „Blondino und die Verhandlungskommission haben Angst, vor die Mitglieder zu treten und offen mit uns zu reden.“

Er berichtete, nach dem ersten Streik habe die UAW die Arbeiter „wieder an die Arbeit geschickt, so dass Volvo Hunderte von weiteren Lkw auf den Markt bringen konnte. Die Lager sind jetzt bald geräumt, und wenn wir den Vertrag wieder ablehnen, dann haben die Volvo-Vorgesetzten bei ihren Chefs in Schweden wirklich einen schlechten Stand.“

Das Volvo Workers Rank-and-File Committee, das den Widerstand gegen diese Knebelverträge anführt und für die Ausweitung des Streiks auf alle Volvo-Werke kämpft, hat eine Erklärung veröffentlicht und ruft die Arbeiter auf, am Freitag mit „Nein“ zu stimmen. Sie fordern darin außerdem die Veröffentlichung des gesamten Vertrags mindestens 10 Tage vor der Abstimmung, drei Mitgliederversammlungen, um den Vertrag gründlich zu diskutieren, die Überwachung der Abstimmung durch die Basis und ein Streikgeld in Höhe des Wochenlohns.

„Nach den bisher veröffentlichten Informationen“, sagte ein anderer streikender Arbeiter, „hat das Unternehmen den Vorschlag eines 10-Stunden-Arbeitstages fallen gelassen. Aber wir haben immer noch das Punktesystem, um Arbeiter zu disziplinieren, wenn sie fehlen, und wir müssen unsere gesamte Urlaubszeit aufbrauchen, bevor wir FMLA in Anspruch nehmen können [FMLA, Family and Medical Leave Act – Fehltage aus Krankheits- oder familiären Gründen].

Man versucht jetzt, diejenigen Arbeiter, die zwischen 2011 und 2015 eingestellt wurden, dafür zu ködern, dass sie zustimmen, indem man sie direkt auf die höchste Lohnstufe hebt. Aber es fehlt jede Angleichung an die reale Preisentwicklung, und die Anhebung der Krankenkassenbeiträge ist immer noch drin. Auch die Laufzeit von sechs Jahren ist unverändert, was bedeutet, dass die neuen Mitarbeiter erst nach sechs Jahren den Spitzenlohn erreichen. Es wäre etwas Anderes, wenn alle Arbeiter sofort in die Kerngruppe [höchste Seniorität und Bezahlung] eingestuft würden, und wenn wir alle unsere Betriebskrankenkasse behalten könnten. Aber das ist nicht der Fall.“

Der Volvo-Arbeiter fuhr fort: „Die meisten Arbeiter der Kerngruppe sind dagegen, aber die UAW versucht, ihnen Angst zu machen, indem sie sagt: ‚Wenn ihr es ablehnt, wird ein Schlichter eingeschaltet, und der Deal, den wir dann bekommen, wird noch schlechter sein.‘ Es ist falsch, dass diese Leute, die am Drücker sind, zum Mittel der Einschüchterung greifen, um ein ‚Ja‘ zu erzielen. Das ist nur eine weitere Einschüchterungstaktik. Ich sehe immer noch eine Mehrheit, die das ablehnt, denn die Leute halten zusammen.“

Er unterstützte auch die Forderung nach einer Überwachung der Abstimmung durch die Basis. „Es ist einfacher, die Abstimmung zu manipulieren, wenn die Ablehnung nicht mehr 90 Prozent ist. Wir werden die Abstimmung und die Auszählung mit Adleraugen beobachten müssen, um zu verhindern, dass sie sie manipulieren.“

Der Arbeiter kritisierte die UAW auch, weil sie absichtlich Informationen über den Streik vor anderen UAW-Mitgliedern in der Autoindustrie geheimhält. Er sagte:

„Die UAW tut nichts, um den Streik bekannt zu machen. Das wäre doch das Erste, was sie tun würde, wenn es wirklich eine Gewerkschaft wäre. Aber das Unternehmen und die UAW hatten von Anfang an die Strategie, ihren vereinbarten Vertrag durchzusetzen, und wir kamen ihnen in die Quere. Sie haben eine Strategie entwickelt, wie sie ihre eigenen Leute verarschen können. Es wäre eine Sache, wenn der Konzern durch die Pandemie geschädigt wäre. Im Jahr 2008 ging es ihm schlecht, und wir haben tiefe Einschnitte hingenommen, einschließlich einer Lohnkürzung von 6 Dollar pro Stunde für neue Mitarbeiter. Jetzt macht die Firma Geld wie Heu, und uns wollen sie immer noch einen Haufen Geld wegnehmen.

Die Arbeiter haben es langsam satt. Und die Reichen fürchten, dass wir die Mistgabeln herausholen. Es geht zu Ende. Die Arbeiter wollen die Dinge umdrehen.“

Die UAW ist entsetzt über die wachsende Unterstützung für die streikenden Volvo-Arbeiter. Auch die Arbeiter von Mack Trucks in Pennsylvania und Maryland sind immer wütender darüber, dass sie Teile verarbeiten sollen, die von Streikbrechern im bestreikten Werk in Virginia hergestellt wurden.

Ford-Arbeiter in Chicago unterstützen Volvo-Streikende (Foto: WSWS)

Ein Mack-Volvo-Arbeiter aus Allentown prangerte den Deal an, den die UAW den streikenden Arbeitern aufdrängen will. „Wenn es ein guter Vertrag ist, wie sie behaupten, warum können sie ihn dann den Arbeitern nicht zeigen?“ sagte er.

„Die UAW hat dasselbe mit uns gemacht, als wir 2019 gestreikt haben. Sie sagten, sie hätten einen großartigen Vertrag und schickten uns zurück an die Arbeit und beendeten den Streik. Dann haben sie den schlechten Vertrag durchgedrückt, sobald sie uns wieder im Werk hatten. Die World Socialist Web Site sagt uns wirklich als einzige etwas über den Streik. Wir hören weder von den Republikanern noch von den Demokraten etwas.“

Die Arbeiter verbreiten auch die Erklärungen des Volvo Workers Rank-and-File Committee und posten WSWS-Artikel auf den lokalen Facebook-Seiten der Kollegen des Volvo-Werks New River Valley in Virginia.

In Kommentaren auf der Facebbookseite des UAW-Ortsverbands Local 2069 prangern Arbeiter den Verrat der UAW an und fordern ein branchenweit einheitliches Vorgehen der Arbeiter. Ein Beitrag lautet: „Als UAW-Mitglied, das auch genug von dem Bullshit der IUAW hat, möchte ich nur sagen, dass ich wirklich stolz auf meine Brüder und Schwestern bei Volvo bin, die sich sowohl gegen die Unternehmens- als auch die Gewerkschaftsführung gestellt haben. Bleibt stark!“

Ein anderer vermerkt: „Als Rentner von Volvo sage ich: Was zur Hölle nützt eine Gewerkschaft, wenn die Mitarbeiter nicht so abstimmen können, wie sie wollen? Ich sehe Schilder entlang der Straße, auf denen Leute zu einem Lohn von 13,00 bis 17,00 $ pro Stunde gesucht werden. Mir scheint, Volvo bietet Ihnen nicht mehr als beim letzten Mal, und die UAW macht mit.“

„Als Rentner wurden wir nochmals verarscht“, heißt es in einem anderen Beitrag. „Uns wurde gesagt, wenn wir in den Ruhestand gehen, haben wir Bestandsschutz und behalten die Leistungen, mit denen wir in Rente gehen. Was für ein Haufen Mist. Ich bin mit vollen Leistungen in den Ruhestand gegangen und muss nun die Versicherung, die mir versprochen wurde, selbst bezahlen. BS!!!!!!!!“

Ein anderer Beitrag bezieht sich auf Ray Curry, den ehemaligen UAW-Schatzmeister, der gerade als UAW-Präsident installiert wurde. Curry verriet den Streik der Mack-Volvo-Beschäftigten 2019 und unterzeichnete die beiden Volvo NRV-Verträge, die die Arbeiter vor kurzem abgelehnt haben.

„Niedrige Lebenserwartung!!!!! Wird er wohl ein schickes Haus bauen, wenn er das tut, was der andere Präsident vor ihm getan hat? ... was bekommt er für das, was Volvo spart???? Warum erhält er mitten in der Vertragsverhandlung eine Beförderung auf den Präsidentenstuhl???? Ich rieche einen Haufen toter Ratten!!!“

Ein anderer streikender Volvo-Arbeiter schreibt: „Sie haben nichts für die Rentner getan. Jetzt wenden sie die ‚Teile und Herrsche‘-Taktik an. Hoffentlich kann die Basis sehen, was sie tun. Wenn eine Schicht darauf hereinfällt, wird sie letztendlich für ihre Entscheidung büßen. Der aktuelle TA ist es nicht wert, die Solidarität zu brechen. Das Unternehmen kann Besseres leisten.“

Volvo- und Mack-Arbeiter können das Volvo Workers Rank-and-File Committee kontaktieren unter volvowrfc@gmail.com oder per SMS an 001- 540-307-0509.

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