USA und Deutschland treffen Vereinbarung über umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2

Am Mittwoch erklärten Washington und Berlin, sie hätten sich in der Frage der hochgradig umstrittenen russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 geeinigt. Die USA werden im Rahmen dieses Abkommens keine Sanktionen gegen das elf Milliarden Dollar teure Projekt verhängen und seine Fertigstellung zulassen.

Rohre für die Erdgaspipeline Nord Stream 2 im Hafen von Mukran (Wikimedia Commons)

Die Pipeline ist eine Erweiterung der bereits aktiven Pipeline Nord Stream und wird es Russland ermöglichen, Deutschland doppelt so viel Erdgas direkt zu liefern. Die beiden Pipelines liegen außerhalb der traditionellen Durchgangsländer wie Belarus und vor allem der Ukraine. Die Ukraine ist bereits wirtschaftlich am Boden und in hohem Maße von den Einnahmen aus der Durchleitung von Gas durch ihr Staatsgebiet abhängig. Durch den Ausbau der Pipeline könnte sie weitere Milliarden Dollar verlieren.

Die Pipeline ist seit zehn Jahren ein wesentlicher Streitpunkt in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland. Die jüngsten Sanktionen, die Ex-Präsident Donald Trump im Jahr 2019 angekündigt hatte, waren ein deutliches Anzeichen für die zunehmenden Spannungen zwischen den beiden imperialistischen Mächten.

Die Pipeline war zwar auch innerhalb der deutschen herrschenden Klasse ein erbittert diskutiertes Thema, doch die Bundesregierung hat alle Forderungen nach einem Baustopp vehement zurückgewiesen und sie als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet. In Wirklichkeit verschafft die Pipeline Deutschland immense Vorteile in seiner Energieversorgung und geostrategischen Stellung und stärkt seine Position als wichtigen europäischen Energieknotenpunkt. Ein Teil der russischen Gaslieferungen wird an Tschechien und andere Länder Westeuropas weitergeleitet werden.

Nur eine Woche vor der Bekanntgabe des Deals hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington mit Präsident Joe Biden getroffen. Bidens Regierung hat die US-Kriegsvorbereitungen gegen China verschärft, die bereits unter Trump deutlich forciert worden waren. Im Rahmen dieser Umorientierung der US-Außenpolitik hat Biden auch versucht, die schwer beschädigten Beziehungen zu Deutschland etwas zu verbessern, nicht zuletzt, um Berlin und andere europäische Staaten im Konflikt gegen China auf die Seite der USA zu bringen und sie gleichzeitig davon abzubringen, eine unabhängige Außenpolitik zu entwickeln.

In der gemeinsamen Erklärung zur Bekanntgabe des Deals hieß es, die USA und Deutschland seien „gemeinsam entschlossen, Russland für Aggressionen und destruktive Aktivitäten zur Rechenschaft zu ziehen, indem dafür durch Sanktionen und andere Instrumente Kosten auferlegt werden. Wir verpflichten uns, ... zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Vereinigten Staaten und die EU dafür gewappnet sind und geeignete Instrumente und Mechanismen bereit haben, um gemeinsam auf russische Aggression und destruktive Aktivitäten zu reagieren, darunter auch auf russische Ansätze, Energie als Waffe einzusetzen.“

Die Erklärung betonte, dass Washington und Berlin „mit Nachdruck die Souveränität der Ukraine, deren territoriale Unversehrtheit, Unabhängigkeit und den von ihr eingeschlagenen europäischen Weg“ unterstützen. Weiter heißt es, Deutschland werde gegen Russland Sanktionen verhängen, falls es „Energie als Waffe“ einsetzen sollte. Die beiden Länder verpflichten sich ferner zur Unterstützung der Drei-Meere-Initiative, einem Bündnis aus ost- und mitteleuropäischen Staaten, „in den Bereichen regionale Energiesicherheit und erneuerbare Energien“. Die tonangebende Macht in dieser Koalition war Polen mit Unterstützung der USA. Sie richtet sich zwar primär gegen Russland, hat aber auch in Berlin Besorgnis ausgelöst.

Im Rahmen des Deals haben die USA und Deutschland sich verpflichtet, mindestens eine Milliarde Dollar in einen „Grünen Fonds“ einzuzahlen, der die Ukraine beim Übergang zu saubereren Energiequellen unterstützen soll. Deutschland wird außerdem einen Sonderbeauftragten zur Unterstützung bilateraler Energieprojekte mit der Ukraine ernennen.

Der Kreml verurteilte die gemeinsame Erklärung wegen ihres „feindseligen Tonfalls“ gegenüber Russland und der „politischen Angriffe“ auf Russland. Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, erklärte, der Tonfall und Inhalt der Erklärung widerspreche dem Kern des Treffens zwischen US-Präsident Joe Biden und Wladimir Putin in Genf im Juni. Das Treffen hatte den Anschein erweckt, die Biden-Regierung wolle im Rahmen der Verschärfung ihres Kriegskurses gegen China die Spannungen mit Moskau verringern.

US-Präsident Joe Biden erklärte am Mittwoch in einer Diskussion über die Einigung defensiv, die Fertigstellung der Pipeline habe sich nicht mehr verhindern lassen, weil der Bau bereits zu 99 Prozent abgeschlossen ist. Die Staatssekretärin im Außenministerium, Victoria Nuland, eine der aggressivsten Kriegstreiberinnen gegen Russland, erklärte am Mittwoch bei einer Anhörung vor dem Außenpolitikausschuss des Senats: „Das ist eine schlechte Situation und eine schlechte Pipeline, aber wir müssen die Ukraine schützen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, die Einigung „überwindet nicht alle Differenzen – die Differenzen bleiben“. Das Handelsblatt bezeichnete das Abkommen als „klassischen Formelkompromiss“ und erklärte, der Deal wirke „wie ein Kartenhaus, das man vor dem lauesten Windzug schützen muss“.

Trotz der aggressiven Äußerungen über den Kreml sorgte das Abkommen sowohl unter Demokraten als auch unter Republikanern für Empörung – beide Parteien waren sich jahrelang in ihrem erbitterten Widerstand gegen das Projekt einig. Doch auch die rechten nationalistischen Regimes in Osteuropa wie Polen und die Ukraine, die seit langem mit dem US-Imperialismus verbündet sind, reagierten erbost.

Das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erklärte am Mittwochabend: „Die Entscheidung für Nord Stream 2 darf nicht hinter dem Rücken all derjenigen getroffen werden, für die das Projekt eine reelle Bedrohung darstellt.“

Offenbar um diese Spannungen etwas zu glätten, erklärte das Weiße Haus wenige Stunden nach der Verkündung der Einigung, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 30. August zu seinem ersten Treffen mit Biden nach Washington eingeladen wurde.

Berichten zufolge hat das Außenministerium im Vorfeld der Ankündigung einen Sonderberater nach Kiew geschickt, um Selenskyjs Regierung davon zu überzeugen, den Deal zu akzeptieren, allerdings vergeblich. Die Ukraine und Polen veröffentlichten am Mittwochabend eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Einigung als „politische, militärische und energiepolitische Bedrohung für die Ukraine und Mitteleuropa“ verurteilten. Warschau und Kiew kündigten außerdem an, „im Kampf gegen NS2 zusammenzuarbeiten, bis Lösungen entwickelt sind“.

Im Jahr 2014 unterstützten die USA und Deutschland in der Ukraine einen Putsch gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und brachten mit Hilfe faschistischer Kräfte ein pro-westliches Regime an die Macht. Seither haben die USA und die EU die rechten Regierungen in Kiew und faschistische Kräfte, die in der Ostukraine einen Bürgerkrieg gegen pro-russische Separatisten führen, mit Waffen versorgt.

Doch in den letzten Monaten haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Kiew verschlechtert, da die Biden-Regierung im Rahmen ihrer Umorientierung auf Kriegsvorbereitungen gegen China die Spannungen mit Russland zu lockern versucht. In den letzten Monaten hat das Weiße Haus wiederholt die Forderungen der Selenskyj-Regierung nach einem schnellstmöglichen Nato-Beitritt zurückgewiesen. Daneben machte sich Kiew auch Sorgen wegen des Treffens zwischen Biden und Putin im Juni. Während dieses Treffens wurde die Krim im Schwarzen Meer, die seit dem Putsch von 2014 und einer erneuten militärischen Krise in diesem Frühjahr das Zentrum der militärischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine bildet, nicht einmal erwähnt.

Der Deal hat sowohl in den USA als auch in Deutschland Differenzen innerhalb der herrschenden Klasse um den außenpolitischen Kurs offengelegt. In den USA verurteilte der republikanische Senator Rob Portman ihn als „ernsthafte Fehlentscheidung, die die Sicherheit der USA, Europas und der Ukraine gefährdet“ und warnte, er werde „Russland einen strategischen Vorteil gegenüber unseren Verbündeten verschaffen“.

Eli Lake äußerte sich in einem Artikel für Bloomberg wütend: „Biden hat Trump vorgeworfen, er sei zu nachgiebig gegenüber Russland, aber jetzt verrät er die Ukraine, damit Deutschland Erdgas bekommt.“ Biden habe „Moskau beschwichtigt und so gut wie nichts als Gegenleistung bekommen“. Er forderte die republikanischen Abgeordneten auf, das Abkommen im Senat zu torpedieren. Die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen erklärte, der Deal „bestärkt den Kreml darin, seinen schädlichen Einfluss in ganz Osteuropa zu verbreiten“.

In Deutschland erklärte die Kanzlerkandidatin und Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, der Deal sei „keine Lösung – insbesondere nicht für die Sicherheit der Ukraine. Sie erklärte, es liege „nach wie vor in deutscher Hand“, das Projekt zu beenden und betonte: „Ich halte diese Pipeline nach wie vor für falsch, aus klimapolitischen Gründen, aber vor allem auch geostrategisch.“

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