Rücksichtslose Durchseuchungspolitik sorgt für neue Corona-Welle in Griechenland

Vor einer Woche, am vergangenen Dienstag, wurden in Griechenland insgesamt 3.565 neue Corona-Fälle registriert – die bislang höchste Zahl in diesem Monat. Täglich werden mehr als 2.500 Neuinfektionen gemeldet. Knapp ein Drittel der Fälle tritt in Attika auf, der bevölkerungsreichsten Region Griechenlands, zu der auch die Hauptstadt Athen gehört. Die Zahl der Fälle steigt seit Anfang Juli exponentiell an, in den ersten 15 Tagen wurden über 26.000 neue Fälle registriert.

Die Zahl der Todesopfer ist derzeit zwar noch bei durchschnittlich etwa 10 pro Tag und damit relativ niedrig, aber sie wird unweigerlich ansteigen, weil es normalerweise eine zwei- bis achtwöchige Verzögerung zwischen einem Anstieg der Neuinfektionen und einem Anstieg der Todesfälle gibt. Laut einer Analyse der offiziellen Daten, die von der medizinischen Nachrichtenseite iatronet.gr am 19. Juli veröffentlicht wurde, sind die täglichen Krankenhausaufenthalte aufgrund einer Coronainfektion seit Anfang Juli um 247,3 Prozent gestiegen. Nach Angaben der Regierung sind aber derzeit nur etwas mehr als 28 Prozent der Covid-Betten belegt.

Anwohner warten auf ihre zweite Dosis des Corona-Impfstoffs von Pfizer-BioNTech vor einem Impfzentrum auf der Ägäisinsel Iraklia, Griechenland, 13. Mai 2021 (AP Photo/Thanassis Stavrakis)

Wie im restlichen Europa ist der Anstieg der Fälle ein direktes Ergebnis der mörderischen Politik der „Herdenimmunität“. Die Wirtschaft wurde gerade in dem Moment geöffnet, als sich die neue, ansteckendere und tödlichere Delta-Variante auf dem ganzen Kontinent ausbreitete. Am 16. Juli erklärte der griechische Epidemiologe Gikas Magiorkinis gegenüber Skai TV, dass „die Verbreitung der Delta-Variante in Griechenland derzeit bei 60 Prozent liegt und es unwahrscheinlich ist, dass sie nicht zur dominierenden Variante wird“.

Die griechische Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) begann Anfang Mai, die Corona-Beschränkungen schrittweise aufzuheben, obwohl die Zahl der täglichen Fälle immer noch bei durchschnittlich 2.000 lag. Am 13. Mai verkündete der Tourismusminister Charis Theocharis (ND) bei einer pompösen Rede vor dem Poseidon-Tempel am Kap Sounion in der Nähe Athens: „Wir öffnen unsere Tourismusindustrie für die Welt.“ Die Regierung erlaubt Touristen seit dem 14. Mai nach Griechenland zu reisen, wenn sie nachweisen können, dass sie entweder geimpft sind, kürzlich von dem Virus genesen sind oder ein negatives Testergebnis haben. Die Regeln dienten als Vorläufer des EU-weiten digitalen Impfzertifikats, das Anfang dieses Monats eingeführt wurde, um die Freizügigkeit auf dem gesamten Kontinent zu erleichtern.

Obwohl sich die Delta-Variante in Europa ausbreitete und weniger als die Hälfte der Erwachsenen in Griechenland vollständig geimpft waren, trieb die Regierung ihre Pläne zur Öffnung aller Bereiche voran. Anfang des Monats wurden Bars und Nachtclubs geöffnet, während das Gästelimit für Hochzeiten, Taufen und andere Veranstaltungen mit Bewirtung auf 300 Personen angehoben wurde.

Wie im übrigen Europa und international besteht die Politik der Regierung darin, das Virus ungehindert durchlaufen zu lassen, um die Profitinteressen der herrschenden Elite zu sichern, und gleichzeitig den Impfstoff als einzige Lösung für die Pandemie zu präsentieren. Die Regierung reagierte auf die neue Welle lediglich mit der Einführung eines Genesenen- oder Impfnachweises, um Restaurants, Bars und Cafés in geschlossenen Räumen betreten zu dürfen. Das Gleiche gilt für Bars und Nachtclubs, wo zusätzlich Sitzplätze vorgeschrieben sind.

Dass sich das Virus auch unter Geimpften noch ausbreiten kann, zeigt der Fall der Insel Mykonos. Dort vervierfachte sich letzte Woche die Gesamtzahl der aktiven Fälle, obwohl der Großteil der Bevölkerung bereits geimpft war. Auf den Inseln hatte die Regierung im Rahmen einer Impfkampagne versucht, alle Erwachsenen bis Ende Juni, also noch vor dem Höhepunkt der Tourismussaison, zu impfen.

Auch das digitale Monitoring ist Berichten zufolge mangelhaft, so dass viele infizierte Touristen durchs Netz fallen. Der stellvertretende Bürgermeister von Mykonos, Alexandros Koukas, gab in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender ERT zu, dass „wir etwas unvorbereitet waren“.

Letzte Woche verzeichnete Mykonos 365 Fälle pro 100.000 Einwohner, die höchste Rate in ganz Griechenland. Weitere Hotspots waren in der vergangenen Woche die beliebte Urlaubsinsel Santorin mit 307 Fällen pro 100.000 Einwohner und die Insel Paros mit 227 Fällen pro 100.000 Einwohner.

Die unkontrollierte Ausbreitung des Virus gefährdet einen großen Teil der Bevölkerung und erhöht gleichzeitig die Möglichkeit, dass sich neue impfstoffresistente Varianten entwickeln. Aber in einem Interview mit Antenna TV am 16. Juli machte Entwicklungs- und Investitionsminister Adonis Georgiadis deutlich, dass jede Einschränkung der Wirtschaft als Hindernis angesehen wird. „Wenn es Winter wäre, hätten wir einen 15-tägigen Lockdown verhängt. Aber wir sind mitten in der Tourismussaison und ohne Tourismus gibt es kein Geld. Gleichzeitig können wir einen [Lockdown] nicht moralisch durchsetzen, wenn die Hälfte der Bürger geimpft ist.“

„In diesem Sommer werden wir mit einem Virusanstieg leben“, erklärte er.

Die Regierung kann nur deshalb ungestraft handeln, weil die Gewerkschaftsbürokratie die Politik der Herdenimmunität unterstützt. Der Gewerkschaftsverband des privaten Sektors GSEE weigert sich, seine Hunderttausenden Mitglieder zu mobilisieren, um angemessene öffentliche Gesundheitsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu fordern und die Ausbreitung des Virus zu stoppen, bis genügend Menschen geimpft sind. Stattdessen rief der GSEE am 13. Juli in einer Presseerklärung lediglich zu „Informationsinitiativen“ auf, „um die gewünschten Impfquoten unserer Mitbürger zu erreichen und eine Corona-‚Schutzmauer‘ zu errichten“.

Eine nicht minder verhängnisvolle Rolle spielen die pseudolinken Parteien. Syriza (Koalition der radikalen Linken) hat Mitte April eigene Vorschläge zur Öffnung der Wirtschaft vorgelegt. Die Partei ist so klar pro-Business orientiert, dass die griechische Tageszeitung Ta Nea kürzlich sogar die Abwesenheit der linken Phrasen Syrizas kommentierte:

Normalerweise hätte man erwartet, dass eine vermeintlich radikale linke Partei nach einer so tiefen Krise der Weltwirtschaft und nach einer so traumatischen Erfahrung wie der Pandemie zu einem umfassenden programmatischen und ideologischen Gegenangriff übergehen und von den Grenzen des Marktes sprechen, die Bedeutung staatlicher Intervention propagieren, die Explosion von Ungleichheiten betonen und eine radikale Neuausrichtung der Politik fordern würde. Syriza hat sich jedoch nicht in diese Richtung bewegt. Sie hat im Kern der Corona-Politik zugestimmt und erst vor kurzem begonnen, ihren Standpunkt abzugrenzen.

Wenn Syriza sich „abzugrenzen“ versucht, dann nur aus rein taktischen Gründen, um ihr Gesicht zu wahren. Das offenbarte bereits ihre Kritik an den Plänen der Regierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft im Mai, als sie sich besorgt zeigte „über das Fehlen eines Plans zur Ankurbelung der Wirtschaft sowie eines Fahrplans von Seiten der Regierung“.

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