Delta-Variante an Schulen: Wissenschaftler warnen vor „Masseninfektion“ und „Durchseuchung“

Seit Beginn des neuen Schuljahres breitet sich die Delta-Variante des Coronavirus in Deutschland rasant aus. Allein in den letzten zwei Tagen ist die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz von 40,4 auf 48,4 gestiegen. Die Zahl der Stadt- und Landkreise mit einer Inzidenz über 100 hat sich von 6 am Donnerstag auf 17 am Freitag nahezu verdreifacht. 14 dieser Regionen liegen in Nordrhein-Westfalen, wo die Schule am Mittwoch begann und keine Klassen-Quarantäne mehr gilt, obwohl die Inzidenz unter Schulkindern bereits über 130 liegt.

Schule in NRW

Angesichts der Rückkehr in den Präsenzunterricht von Millionen Schülern in Deutschland, den USA und anderen Ländern schlagen Wissenschaftler Alarm. Sie warnen vor Masseninfektionen an Schulen und verlangen ein sofortiges Ende der mörderischen Pandemiepolitik, die offiziell bereits mehr als 4,4 Millionen Menschenleben gekostet hat.

In einem eindringlichen Statement, das am Mittwoch auf Deutsch und auf Englisch erschienen ist, warnt eine Gruppe von Wissenschaftlern um die Professoren Andrew Ewing (Molekularbiologie, Universität Göteborg) und Matthias Schneider (Medizinische und Biologische Physik, TU Dortmund), sowie Dr. Yaneer Bar-Yam (New England Complex Systems Institute) und Gunhild Nyborg (Epidemiologin der Universität Oslo) explizit vor einer „Masseninfektion der Jugend“.

Die Erklärung weist darauf hin, dass die weltweit grassierende Delta-Variante „zu den am schnellsten übertragbaren Viren gehört, die wir kennen“, und mit einem hohen „Risiko von Langzeitkomplikationen auch bei jungen Menschen, einschließlich Organschäden“ verbunden ist.

Weiter heißt es: „Die Minimierung der Zahl der Infektionen ist die beste Strategie, um das Auftreten neuer, gefährlicherer Varianten zu verhindern. Jeder Infektionsfall ist gleichzusetzen mit dem Kauf eines weiteren Loses für die Variantenlotterie.“

„Mit dem Beginn des neuen Schuljahres“, so die Forscher, „wird die Übertragung unter den jungen Menschen wahrscheinlich dramatisch zunehmen.“ Gestützt auf internationale Studien und Datenerhebungen schlussfolgern sie, dass „Kinder und junge Erwachsene jetzt einer größeren Bedrohung durch SARS-CoV-2 ausgesetzt sind als zu jedem anderen Zeitpunkt der Pandemie“.

Um zu verhindern, dass „die meisten ungeimpften Personen innerhalb kurzer Zeit mit dem Virus in Berührung kommen“, fordern die Wissenschaftler deshalb „ausreichende nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie“ und eine Kombination von „Impfkampagnen mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen“, um „die Übertragung von SARS-CoV-2 zu unterbinden“.

An den Schulen müssten Behörden umgehend „Ressourcen bereitstellen, damit Kinder und Jugendliche in kleineren Gruppen unterrichtet werden können“. Das Statement schließt mit der kategorischen Feststellung: „Eine Masseninfektion junger Menschen ist keine ethisch vertretbare Option.“

Die Politik der Regierungen in Bund und Ländern steht in diametralem Gegensatz zu diesen wissenschaftlich begründeten Forderungen. Die „Masseninfektion junger Menschen“ ist für sie nicht nur eine „vertretbare Option“, sondern längst Realität.

Seit die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg und Hamburg zu Beginn des Monats in vollem Präsenzunterricht geöffnet wurden, sind die Inzidenzraten unter 5- bis 14-jährigen Kindern in allen diesen Bundesländern exponentiell angestiegen. In Mecklenburg-Vorpommern legt die rasch wachsende Inzidenz in der nächsthöheren Altersgruppe nahe, dass das Infektionsgeschehen bereits begonnen hat, sich auf junge Eltern und ältere Geschwister auszubreiten.

Empörung in sozialen Medien

Die Empörung über diese Zustände und die Opposition dagegen schlägt sich in zahlreichen Kommentaren in sozialen Medien nieder.

Eine Lehrerin aus Hamburg – wo sich die Inzidenz unter 5- bis 14-Jährigen seit Beginn des Monats auf 215 vervierfacht hat und auch unter 15- bis 34-Jährigen bereits bei 129 liegt – berichtet auf Twitter: „Der Infektionsschutz an unserer Schule hat sich nicht verändert. Die Masken (chirurgisch) werden oft unterhalb der Nase getragen, jetzt in Vollbesetzung. Es wird nicht allzu lang dauern mit der Durchseuchung. Wir testen zweimal pro Woche die komplette Klasse mit Antigen-Schnelltests am Sitzplatz.“

Martin schreibt: „Die Schulen ohne Schutzkonzepte zu öffnen – also ohne Aufhebung des Präsenzunterrichtes und ohne Wechselunterricht, Luftfilter und Maskenpflicht – grenzt an Kindeswohlgefährdung oder vorsätzliche Körperverletzung und verletzt die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber.“

„Ich habe das Gefühl, dass die doch genau das wollen, damit die Eltern arbeiten gehen können“, erklärt Thomas L.: „Mir kann keiner erzählen, dass die nicht wissen, dass genau das geschieht.“

Selbst die völlig unzureichenden verbliebenen Masken- und Testregelungen sollen nach dem Willen der Kultusminister der Länder beseitigt werden. Ein Nutzer namens LehrforceOne schreibt: „Die Quarantänen sollen verringert, auf Masken verzichtet und Tests ausgeschlichen werden. Bleiben Luftfilter, die es kaum gibt.“

Ein anderer User ergänzt: „Wenn in den Schulen tatsächlich etwas ausgebaut wurde, dann nur weil die Kultusministerinnen es nicht verhindern konnten. Für Politiker gehören Lügen scheinbar zu ihrer Stellenbeschreibung.“

Selbst die Möglichkeit für Familien mit Hochrisikopatienten, sich vom Präsenzunterricht befreien zu lassen, soll inmitten der explosiven Ausbreitung der Delta-Variante rückgängig gemacht werden.

Zu den betroffenen gehört Silke S. aus Sachsen-Anhalt, die auf Facebook schreibt: „Mein Sohn geht seit März 2020 wegen seinen ganzen Krankheiten nicht zur Schule. Aber ab dem 2. September herrscht Präsenzpflicht und er soll wieder gehen. Wegen seiner Behinderung lässt er keinen Test mit sich machen. Was soll ich tun? Ich bin fix und fertig deswegen.“

Wie Silke berichtet, werden Eltern, die ihre Kinder aus medizinischen Gründen vom Präsenzunterricht befreien möchten, mit hohen Bußgeldern und der Einschaltung des Jugendamtes bedroht.

Dies bestätigt auch Helga aus NRW, die auf Twitter schreibt: „Ich ertrage diese blanken offenen Lügen nicht mehr. Es ist missachtend, uns für so BLÖD zu halten und sich auf der eigenen Macht auszuruhen. Eltern, die die Lügen erkennen und ihr Kind schützen wollen (im Distanzunterricht) sollen Strafe zahlen. Wo bin ich hier?“ Familien, die ihre zum Teil schwer vorerkrankten Angehörigen schützen wollten, so Helga, würden „mit Präsenzpflicht in die Infektion getrieben“.

In Bundesländern, in denen zumindest formal noch keine uneingeschränkte Präsenzpflicht gilt, werden Eltern durch unzureichende Online-Angebote genötigt, zwischen einer Bildungschance und der Gesundheit ihres Kindes zu wählen.

Rosanna aus Hamburg berichtet: „Bei uns an der Schule besteht das tägliche Distanzangebot aus einer einstündigen Videokonferenz mit einer Lehrerin, die jahrgangsübergreifend für alle Kinder im Distanzlernen zuständig ist. Man kommt sich etwas erpresst vor. Meine Tochter ist dieses Jahr in die 7. Klasse gekommen – der Beginn der Wahlpflichtkurse. Wie die Versäumnisse durch das Distanzlernen aufgeholt werden könnten, wurde nicht beantwortet.“

Die World Socialist Web Site sprach ausführlich mit Laura, die an einem Berufsschulzentrum ihr Abitur macht und zusammen mit ihren Eltern in der Nähe von Dessau lebt. Das Interview findet sich hier.

Am Sonntagabend, den 22. August, veranstaltet die World Socialist Web Site eine Online-Diskussion mit führenden internationalen Wissenschaftlern zum Thema „Für eine globale Strategie, um die Pandemie zu stoppen und Leben zu retten!“

Zu den Teilnehmern gehören neben dem oben erwähnten Professor Yaneer Bar-Yam (New England Complex Systems Institute, Boston Massachusetts) auch Dr. Deepti Gurdasani (Epidemiologin an der Queen Mary University of London) und Professor Michael Baker (Epidemiologe an der University of Otago, Neuseeland). Moderiert wird die Diskussion von David North, dem Chefredakteur der World Socialist Web Site.

Weitere Informationen und der Zugang zum Live-Stream finden sich hier.

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