Hitlers „gottbegnadete“ Künstler und „documenta. Politik und Kunst“ – zwei Ausstellungen in Berlin

Deutsches Historisches Museum: „Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik“ (27. August bis 5. Dezember 2021) und „documenta. Politik und Kunst“ (18. Juni 2021 bis 9. Januar 2022)

Zwei Ausstellungen, die derzeit im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin zu sehen sind, werfen ein neues Licht auf eine Gruppe von Künstlern, Akademikern und Kuratoren, die mit Unterstützung der Nationalsozialisten zu Prominenz aufstiegen, wichtige Propagandawerke zur Unterstützung von Hitlers Diktatur lieferten und dann ihre Karrieren im Nachkriegs-Westdeutschland nahezu ungehindert fortsetzen konnten.

Die Ausstellung im DHM (Bild: Yves Sucksdorff)

Die Liste der „Gottbegnadeten“

Die erste Ausstellung trägt den Titel „Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“. Sie umfasst über 300 Kunstwerke, darunter Gemälde, Skulpturen, Büsten, Wandteppiche und Wandmalereien von Künstlern, die von den Nationalsozialisten als „gottbegnadet“ bezeichnet wurden.

Eines der ersten Exponate ist eine vergilbte Kopie der ursprünglichen Liste der „Gottbegnadeten“. Sie wurde 1944 auf Anweisung von Hitler und Goebbels erstellt und enthielt rund 400 Künstler, darunter 114 Maler und Bildhauer.

Wer auf der Liste stand, erhielt ein Dokument, das ihn für „unabkömmlich“ erklärte. Diese „Unabkömmlichen“ wurden von allen militärischen Aufgaben an der Front und in der Heimat und vom Arbeitsdienst befreit, zu denen Angehörige anderer Berufe herangezogen wurden. Sie entgingen auch den Entbehrungen und Rationierungen, unter denen die meisten Mitglieder der deutschen Gesellschaft in den letzten Kriegsmonaten litten, und konnten sich bereits in einem frühen Stadium der faschistischen Herrschaft auf großzügige Gönner und gut bezahlte offizielle Aufträge verlassen.

Unter den „Unabkömmlichen“ befanden sich einige bekannte und talentierte Künstler, die sich den Nationalsozialisten aus Überzeugung oder Opportunismus andienten, darunter der Schauspieler Gustav Gründgens, der Komponist Richard Strauß und der Dirigent Wilhelm Furtwängler, der auf der ergänzenden Liste der „Unersetzlichen“ stand. Ihre Rolle wurde später teilweise dokumentiert oder literarisch und filmisch verarbeitet.

Die beiden Ausstellungen – und darin liegt ihre Bedeutung – zeigen aber auch zahlreiche weniger bekannte Figuren, die nach dem Krieg ihre bisherige Arbeit einfach fortsetzten oder – wie die Ausstellung über die „documenta“ zeigt – sich neu erfanden, ohne jemals über ihre Vergangenheit unter dem Nazi-Regime Rechenschaft abzulegen. Die Ausstellungen machen deutlich, wie sehr diese Künstlergruppe die deutsche Kunst und das Alltagsleben nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin beeinflusst hat.

Auszug aus der GottbegnadetenIiste, Berlin, 1944 (Bundesarchiv Berlin)

Eine Reihe von Künstlern, die auf der Liste standen, wurden einem „Entnazifizierungsverfahren“ unterzogen und als „Mitläufer“ in die Kategorie 4 oder 5 eingestuft. Sie konnten sich gegen eine geringe Geldstrafe von 100 Mark von ihrer Vergangenheit reinwaschen. Die meisten Künstler, die in akademischen Einrichtungen tätig gewesen waren, saßen innerhalb weniger Monate wieder auf ihren alten Posten.

Laut dem Kurator der Ausstellung, Wolfgang Brauneis, konnten solche „gottbegnadeten“ Künstler ihre Karriere nach dem Krieg fortsetzen, weil sie eng mit dem kulturpolitischen Establishment der Bundesrepublik verbunden waren, das ebenfalls aus vielen führenden Persönlichkeiten des NS-Regimes bestand. In dieser Hinsicht unterschied sich der Kulturbetrieb nicht von Wissenschaft und Politik, wo führende Persönlichkeiten des NS-Regimes ihre Karriere in der Regel ebenfalls fortsetzten. Eine „Stunde Null“ gab es genau so wenig wie eine Aufarbeitung der Nazizeit und der Rolle, die sie darin gespielt hatten.

So ist es auch zu erklären, dass prominente Künstler von der Liste der „Gottbegnadeten“ wie der der Bildhauer Arno Breker, der die Liste anführte, sich, nachdem er seine 100 Mark bezahlt hatte, in den höchsten gesellschaftlichen und politischen Kreisen bewegen und lukrative Aufträge einheimsen konnte. Zu Breker, der 1937 in die NSDAP eingetreten war, haben wir auf der WSWS bereits ausführlich geschrieben.

Im Folgenden beleuchten wir einige exemplarische Beispiele, die in der Ausstellung dokumentiert werden.

Hermann Kaspar (1904-1986)

Der Maler Hermann Kaspar unterzeichnete 1933 zusammen mit anderen Künstlern der Stadt München den Aufruf „Die deutsche Kunst ist in Gefahr“, den die NS-Zeitung Völkischer Beobachter veröffentlichte. Damit trug er maßgeblich zur Kampagne gegen „entartete Kunst“ bei. Bereits in den dreißiger Jahren genoss Kaspar die Gunst prominenter Persönlichkeiten im Dritten Reich.

Er war mitverantwortlich für die Aufmärsche und Festumzüge zum „Tag der deutschen Kunst“ in München 1937 und 1938. Die Ausstellung in Berlin zeigt ein Video des Festumzugs mit Wagen, die groteske, mythische Figuren tragen, die angeblich mit der Geschichte des arischen Deutschlands verbunden sind. Zwischen den Wagen marschieren Kolonnen von Soldaten in mittelalterlichen Gewändern am Podium vorbei. Kaspar durfte direkt neben Hitler sitzen. Der zeigt den faschistischen Gruß, während seine Schergen vorbeimarschieren.

1938 wird Kaspar zum Professor für Monumentalmalerei an der Münchner Kunstakademie ernannt. Er kann die Stelle antreten, nachdem sein Hauptkonkurrent, Karl Caspar, vom NS-Establishment als „entartet“ bezeichnet und in den Ruhestand versetzt worden ist. Als „entartet“ brandmarkten die Nazis viele führende Künstler der Moderne in Deutschland und Europa, die sie verfolgten und zensierten. Viele von ihnen, besonders die jüdischen, mussten das Land verlassen oder landeten in Konzentrations- oder Vernichtungslagern.

Ein Jahr vor Kaspars Ernennung hatten die Nazis in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ organisiert, um den angeblichen kulturellen Niedergang der Weimarer Republik zu zeigen und dem dort herrschenden „Kulturbolschewismus“ ein Ende zu bereiten.

Anfangs hatten hohe Nazi-Funktionäre noch versucht, Strömungen der Moderne in den Dienst des Regimes zu stellen. So war der expressionistische Maler Emil Nolde, dessen Bilder in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt wurden, ein überzeugter Antisemit und Nationalsozialist. Aber schließlich setzte sich – vor allem in der Bildhauerei, aber auch in der Malerei – der monumentalistische, Blut und Boden, Krieg und Heroentum verherrlichende Kunstgeschmack Hitlers und seiner Gefolgsleute durch. Es ging darum die kriegerische Entschlossenheit der Nation gegen die Schmach des Versailler Vertrags zu demonstrieren und dem „welschen Ungeist“ entgegenzutreten. Makellose Körper sollten die angebliche Überlegenheit der nordischen Rasse zeigen.

In seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung in München erklärte Hitler: „Ich habe geschworen, wenn die Vorsehung mich zu eurem Führer bestimmt, werde ich kurzen Prozess mit dieser Entartung machen. Das deutsche Volk verdient es, vor diesen kranken Hirnen beschützt zu werden. Diese Schänder der Schönheit und der Kunst gehören in feste Häuser für Irre, bis sie wieder lernen, als Deutsche zu denken.“

Hermann Kaspars Auffassung von „Schönheit und Kunst“ fand bei den Nationalsozialisten dementsprechend großen Anklang und seine Karriere blühte. Er erhielt unter anderem Aufträge bei seinem Freund Albert Speer, dem Architekten Hitlers. Kaspar spezialisierte sich auf die Herstellung von Mosaiken mit Hakenkreuzen, wie jene an der Decke der Kolonnaden im Haus der Deutschen Kunst und der Tribüne des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Auch an der Ausgestaltung der NS-Ordensburgen arbeitete er mit.

1944 wurden Werke von Kaspar in der Kunstausstellung „Deutsche Künstler und die SS“ gezeigt, die vom Massenmörder Heinrich Himmler, dem Chef der SS, organisiert wurde.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 konnten fast alle Münchner Künstler, die auf der Liste der „Gottbegnadeten“ standen, ihre Arbeit fortsetzen. 1957 wurde auch Hermann Kaspar wieder als Professor an der Münchner Akademie eingesetzt und erhielt wichtige Aufträge von der deutschen Regierung und dem bayerischen Landtag.

Enthüllung von Hermann Kaspars "Die Frau Musica" in der Meistersingerhalle Nürnberg 1970 (Stadtarchiv Nürnberg Nr.176)

Kaspar konnte schließlich 1955 sogar sein 1935 begonnenes großes Wandmosaik für die Kongresshalle des Deutschen Museums in München fertigstellen. Sein Gobelin Frau Musica hängt bis heute in der Meistersingerhalle in Nürnberg, die sich in unmittelbarer Nähe des Reichsparteitagsgeländes befindet.

Trotz gelegentlich aufkeimender Kritik kam es erst im Sommer 1968 zur einzigen ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Werk und dem Werdegang von Hermann Kaspar, als der Asta der Münchner Kunstakademie eine eigene Ausstellung mit dem Titel „Der Fall Hermann Kaspar“ zeigte. Dies war die erste große öffentliche Veranstaltung, in der auf die Rolle Kaspars während des nationalsozialistischen Regimes aufmerksam gemacht wurde.

Willy Meller (1887-1974)

Willy Meller, ein weiterer „Gottbegnadeter“, wurde in den 1920er und 30er Jahren durch seine Skulpturen zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs bekannt. Nach mehreren Entwürfen in den 1920er Jahren stellte Meller schließlich 1935 die Arbeit an einem solchen Denkmal in Lüdenscheid fertig. Nach der offiziellen Enthüllung wurde Meller in einem Kommentar dafür gelobt, dass seine Figur „nicht mehr Opfer des Krieges ist, nicht mehr nur sein Leid und seine Not für die Nachwelt bewahrt, sondern die Hoffnung zum Ausdruck bringen will, dass auf diese große Schicksalsprüfung eine Auferstehung unseres Volkes folgen muss“.

In Zusammenarbeit mit dem Architekten Clemens Klotz stellte Meller in den 1930er Jahren Skulpturen für Büros und Gebäude der NSDAP und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) her. Auch zu den Skulpturen für das Olympiastadion, das für die Spiele von 1936 gebaut wurde, trug er mit einer Siegesgöttin, der „Deutschen Nike“, bei.

Zu den von Breker, Meller und anderen für das Olympiastadion entworfenen Skulpturentypen schreibt der Autor Joachim Petsch: „Die Körper stellen sich selber dar – sie posieren. Die Herabstufung klassischer Formen zu politierten Oberflächen ermöglichte die Verwandlung der schönen Körper in eine Projektionsfläche für neue Besetzungen: die Skulpturen verkörperten die Schönheit des nordischen ‘Rassenkörpers’, das Gegenbild waren die ‘entarteten Körper’. Die Inszenierung der männlichen Schönheit folgte also einer ästhetischen Strategie: der Abwehr des Hässlichen. Der schöne athletische, ‘gleich’ kriegerische Körper stand für die Überlegenheit und den Sieg der ‘Rasse’.“ (Hans Sarkowicz, Hitlers Künstler, Insel Verlag 2004. Seite 264)

Meller trat 1937 in die NSDAP ein und wurde zwei Jahre später von Adolf Hitler mit einer Professur belohnt. Er wurde mit Werken für die NS-Ordensburg Vogelsang sowie für das begonnene, aber nicht fertiggestellte Seebad Prora betraut.

Nach dem Krieg konnte Meller seine Karriere mit einer Reihe von Aufträgen fortsetzen. Unter andrem gestaltete er den Bundesadler für das Palais Schaumburg in Bonn, dem ersten Amtssitz des Bundeskanzlers. In Gütersloh schuf er im Jahr 1955 ein Mahnmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs, das an der Apostelkirche errichtet wurde.

Nach dem Krieg wurden von seinem Denkmal in Lüdenscheid lediglich die nationalsozialistischen Insignien entfernt, die Skulptur aber blieb kommentarlos an ihrem Platz. Im Jahr 2003 wurde dieses Denkmal von der Stadt Lüdenscheid sogar offiziell unter Denkmalschutz gestellt.

In der Nachkriegs-Bundesrepublik erhielt Meller den Auftrag, ausgerechnet eine Skulptur für ein Zentrum zur Aufarbeitung der Verbrechen der Nazis zu schaffen. 1962 wurde „Die trauernde Frau“ von Meller in der Oberhausener Gedenkhalle für die Opfer des Nationalsozialismus enthüllt. Wieder einmal, fast 20 Jahre nach dem Krieg, konnte ein von den Nazis als „gottbegnadet“ eingestufter Künstler sein Werk öffentlich und unkommentiert zeigen. Heute erfreuen sich seine Werke großer Beliebtheit in rechtsradikalen Kreisen.

Richard Scheibe (1879-1964)

Der Bildhauer Richard Scheibe war von 1925 bis 1935 Professor an der Städel Kunstschule in Frankfurt am Main. Danach wurde er an die Preußische Akademie der Künste in Berlin berufen. In der Zeit des Nationalsozialismus erhielt Scheibe zahlreiche Aufträge, darunter die symbolträchtige Skulptur „Die Befreiung der Saar“, die er 1935 im Auftrag der IG Farben schuf. Die Skulptur feierte nach der Volksabstimmung die Wiedereingliederung des Saargebiets in das Deutsche Reich.

Auch für die Wehrmacht hatte Scheibe verschiedene Werke geschaffen. Ab 1937 war er regelmäßig auf der Großen Deutschen Kunstausstellung vertreten. Zu seinen Kunden zählten Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Für das Georg Kolbe Museum Berlin übernahm er ein Meisteratelier an der Akademie der Künste, wo er bis Kriegsende unterrichtete.

Noch drei Wochen vor Kriegsende bekannte sich Scheibe am 14. April 1945 ausdrücklich zu „seinem Vaterland und seinem Kampf“ und erklärte: „Ich bleibe an meinem Platz und schaffe, was in meinen Kräften steht. Ich glaube, dass die deutsche Kunst von neuem emporwachsen wird und dass sie allen Verfolgungen zum Trotz weiterleben und dass sie bleiben wird, was sie seit Jahrhunderten gewesen ist, die Kulturträgerin des Abendlandes.“

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Scheibe zum Professor der neu gegründeten Hochschule für bildende Künste Berlin (West) ernannt und erhielt bis zu seinem Tod prestigeträchtige Aufträge. Er wurde Ehrendoktor der Freien Universität und erhielt zahlreiche Ehrungen, darunter das Bundesverdienstkreuz und den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944 von Richard Scheibe (Foto: Liselotte Orgel-Köhne)

Zu Scheibes Aufträgen gehörte auch ein Denkmal für die Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die am 20. Juli 1944 ein gescheitertes Attentat auf Adolf Hitler verübt hatte. Im Auftrag des Berliner Senats wurde Scheibes Skulptur, ein an den Händen gefesselter Jüngling, am 19. Juli 1953 in Anwesenheit von Bundeskanzler Konrad Adenauer und des Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter (SPD) im Hof des Bendlerblocks enthüllt, wo Stauffenberg erschossen worden war.

Zu Scheibes Skulptur am Bendlerblock heißt es in der Ausstellung im DHM, dass sie „in ihrer formalen Ausprägung“ an frühere Werke Scheibes wie den Bogenschützen von 1937 erinnere, den er für den Flugplatz in Neuruppin entworfen hatte.

Die Kunsthistorikerin Magdalena George zitiert aus einem Brief von Richard Scheibe vom 20. August 1953: „Da eine Gestaltung des Denkmals im modernen Stil bei den Hinterbliebenen der Opfer, meist ehemalige Offiziere und Beamte, wohl Verdruss erregt hätte, musste man damit noch einmal auf mich zurückgreifen, und so habe ich denn für meine Lösung der Aufgabe manche mir werte Zustimmung, auch von den Berliner Senatoren erfahren. Es ist nicht so, dass ich mit meiner Kunstanschauung ganz allein dastehe.“

Wie Scheibe, Meller und Kaspar konnten nach dem Krieg viele der „gottbegnadeten“ Künstler ihre künstlerische Tätigkeit nahtlos fortsetzen und blieben in ihrer Formenspracheden im Nationalsozialismus ausgeübten und übernommenen ästhetischen Vorstellungen treu. Ihre Figuren sind zwar nicht mehr ganz so bombastisch, aber immer noch heroisch, trotzig und makellos und vor allem in Form der Figuren, die sie für Kriegsdenkmäler schufen, immer Opfer und nicht Täter.

Angesichts des allgemeinen Rechtsrucks in Deutschland ist die DHM-Ausstellung sehr zeitgemäß, denn erneut fordern Rechtsradikale und AfD-nahe Kreise eine an der Kulturpolitik der Nationalsozialisten, an „deutscher Identität“ ausgerichtete Kunst und Kultur. Sie wettern gegen jede ihrer Ideologie gegenüber kritische Kunst. Vielerorts haben Behörden sich solche Bestrebungen zu eigen gemacht und linke, gesellschaftskritische Kunst verteufelt oder kriminalisiert. So wurde die Künstlergruppe Peng! auf die List der Terroristen gesetzt.

documenta. Politik und Kunst

Die zweite zeithistorische Ausstellung zur Kunst im DHM „documenta.Politik und Kunst“ ergänzt die Ausstellung über die Liste der „Gottbegnadeten“ und setzt eine Art Kontrapunkt.

Die documenta ist eine Kunstausstellung in Kassel, die 1955 erstmals stattfand und seither alle fünf Jahre veranstaltet wird. Von Anfang an wurde sie als Schaufenster der modernen Kunst und als Weltkunstschau präsentiert, also jener Kunst, die die Nazis in den Museen beschlagnahmt und in der Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger gestellt hatten.

Die documenta verstand sich, und tut dies bis heute, als eine Kunstschau mit politischer, weltoffener Zielrichtung. Die DHM-Ausstellung befasst sich mit der documenta 1 (1955) bis 10 (1997). Die erste Ausstellung setzte ihren Schwerpunkt auf die Malerei der deutschen Moderne und die Abstraktion. Sie fand noch in den Ruinen des im Weltkrieg zerbombten Friedericianum statt.

Sie verfolgte das Ziel der Wiedereingliederung der deutschen Kunst in die der westlichen Welt. Der erste documenta-Kurator Werner Haftmann prägte als bewussten Gegensatz zur Nazidoktrin der gegenständlichen Kunst den Begriff der „Abstraktion als Weltsprache“.

Dennoch waren viele, die die documenta auf den Weg brachten, in der Zeit des Nationalsozialismus im Kulturbetrieb aktiv gewesen. Von den 21 Personen, die an der Gründung der ersten documenta beteiligt waren, waren zehn Mitglieder der NSDAP, der SA oder der SS gewesen. Sie strickten gemeinsam am Mythos des Neuanfangs und der „Stunde Null“ des Kunstbetriebs. Die Propagierung westlicher Kunst, wie der Pablo Picassos oder des Amerikaners Jackson Pollock, stand auch für die „freie“ Kunst des Westens gegen die pauschal als „Staatskunst“ verteufelte Kunst des Ostblocks.

Werner Haftmann und Arnold Bode bei der Eröffnungsfeier der documenta 3,1964 (documenta archiv / Wolfgang Haut / Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Die beiden Hauptakteure der ersten Jahrzehnte der documenta waren Arnold Bode, ein Sozialdemokrat und Gegner der Nazis, und Werner Haftmann, ein ehemaliges Mitglied der NSDAP. Haftmann war 1933 in die SA und 1937 in die NSDAP eingetreten. Er hatte 1944 ein Kommando geleitet, das in Italien Partisanen jagte, war an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen und hatte dafür einen Orden der Wehrmacht erhalten.

Der Kunsthistoriker Werner Haftmann wurde neben Arnold Bode schnell zum wichtigsten Ideengeber. Er schrieb Anfang 1955 das Exposé für die erste documenta: „Kunst des XX. Jahrhunderts“. Von Anfang an spielte er dabei die Bedeutung der nationalsozialistischen Kunstpolitik herunter, ignorierte ihr Fortwirken und stellte den Nationalsozialismus als eine Anomalie im Verlauf der deutschen Geschichte dar.

Er konzentrierte sich auf die von den Nazis verdammte Moderne, ließ aber die aus rassischen oder aus politischen Gründen ermordeten oder verfolgten Künstler, wie zum Beispiel den expressionistischen Maler Rudolf Levy, außen vor; ihre Werke wurden nicht ausgestellt. Haftmann hatte Levy vor dessen Deportation in Florenz kennengelernt und für die documenta die Ausstellung seiner Werke erwogen, aber sich dagegen entschieden.

Haftmann machte die Futuristen zu Gegnern des Faschismus, obwohl er als Kunsthistoriker wusste, dass dies, zumindest für die italienischen, nicht der Fall war. Die Lücken in seiner kunsthistorischen Darstellung spiegeln sich in seiner Weigerung, sich zu seiner eigenen Vergangenheit und seinen Taten während des Nazi-Regimes zu bekennen.

Haftmann war es auch, der maßgeblich an der Legende vom Mythos des Nazigegners und Malers der „Ungemalten Bilder“ Emil Nolde strickte, der zwar ein großer Künstler und bei den Nazis in Ungnade gefallen, aber trotzdem ein glühender Antisemit und Hitlerverehrer war.

Wie die documenta-Ausstellung im DHM anmerkt, fand die erste echte Kritik an den Ursprüngen der documenta und ihrer Initiatoren erst anlässlich der documenta 6 im Jahr 1977 statt.

Erst im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass auch der erste Leiter der Berlinale, Alfred Bauer (1911-1986), entgegen seiner eigenen Darstellung weder ein einfacher Angestellter noch ein Halbgegner des Hitler-Regimes war, sondern stellvertretender Leiter der Reichsfilmdirektion und rechte Hand von Propaganda- und Kulturminister Joseph Goebbels.

Die DHM-Ausstellung macht sich die neusten Forschungen zu den Kontinuitäten in der Nachriegskunstgeschichte zu eigen und ergänzt sie durch eigene Recherchen. Sie macht deutlich, dass die documenta trotz ihres Aufbruchs-Charakters, den sie zweifellos für die Kunstwelt und das Publikum damals hatte, in ihrem Verschweigen der Vergangenheit durchaus zeittypisch war.

Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liefern die beiden Ausstellungen im DHM zu Berlin weiteres wichtiges Material, um den weitreichenden Einfluss der NS-Kollaborateure und ihrer Vorstellungen auf das kulturelle Leben im Nachkriegsdeutschland und ihre politische Funktion darin zu klären.

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